Trotz Trump, trotz alledem: hope in the darkness
So ist das Leben und so muß man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem. Rosa Luxemburg
06.11.2024
Liebe Leute,
ich sag's ja immer wieder: Verdrängung ist eine spannende Sache, deren Wucht nie unterschätzt werden sollte. Da analysiere ich seit über einem Jahr die “Arschlochisierung”, sage voraus, dass der Faschismus in allen reichen Ländern stetig stärker werden wird, schreibe Abgesänge auf Ethik und Rationalität im assholocene – und dann rede ich mir trotzdem ein, dass Kamala Harris einen relativ klaren Pfad zum Sieg hat; dass Trump in den letzten Wochen mal ganz rational betrachtet einfach ein zu schlechter Kandidat war; und dass die Mehrheit der Wähler*innen in den USA am Ende doch ethisch (aus Anstand gegen den Faschismus) oder rational (z.B. Frauen für Kontrolle über ihre eigenen Körper) gegen Trump stimmen werden. Nicht unbedingt für Harris, die keine besonders starke Kandidatin war – let's be honest, mitten in der Dauerkatastrophe im Grunde eine “weiter so!”-Erzählung an den Start zu bringen, ist jetzt nicht gerade besonders... emotional resonant – aber eben gegen Trump, ich hatte eine Flasche Ardbeg (sehr leckeren single malt Whisky) auf ihren Sieg gesetzt, und mir sogar erträumt, es könnte einen “democratic sweep” geben, in dem sie Präsidentschaft, House und Senate kontrollieren.
Hach: Verdrängung. Schon praktisch.
Schock, Wut, Trauer
Und jetzt? Jetzt sitze ich, wie viele von Euch es vermutlich gerade tun, schockiert an meinem Schreibtisch, doomscrolle in den sozialen Medien, weil Donald J. Trump derzeit – time check: 10:43 am, 6/11/24 – bei 267 Wahlmenschen im electoral college liegt, er 270 zum Sieg braucht, und Kamala Harris keinen Pfad mehr zum Sieg hat. In short: Trump hat schon wieder die Präsidentschaftswahl gewonnen, diesmal sogar, als erster Republikaner seit dem “War on Terror”-gestärkten Bush Junior 2004, mit einem deutlichen Vorsprung im “popular vote”, er hat also nicht nur die Mehrheit der “Wahlmänner”, er hat auch die Mehrheit der abgegebenen Stimmen errungen. Wie erwartet haben die Republikaner außerdem den Senat zurückerobert, das Repräsentantenhaus behalten, und kontrollieren weiterhin den Supreme Court.
Es ist also alles scheiße. Im Ernst, es hätte nicht schlechter ausgehen können, und die Konsequenzen dieser Wahl sind so schrecklich vorhersehbar, und gleichzeitig so unglaublich komplex und eben im Detail unvorhersehbar, dass es mir das Hirn fickt. Ich habe die Tage vor der Wahl immer wieder daran gedacht, dass ich als Politikwissenschaftler u.a. mit der Spezialisierung Internationale Beziehungen doch in der Lage sein müsste, in meinem Kopf abzubilden, was wahrscheinlich am 21.1. (also am Tag nach Trumps Machtübernahme, oder auch schon morgen, Biden ist ja eine allzu lahme Ente) im internationalen System passieren wird: auf jeden Fall werden die Menschen in der Ukraine, im Gaza, auf Taiwan, im Libanon und an anderen Orten, wo die Position der USA noch zu marginaler Zurückhaltung (oder zumindest einer gelegentlichen Vorsicht) führte, ziemlich schnell eine weitere “Zeitenwende” erleben, und es wird für sie die Hölle werden. Und dabei habe ich noch gar nicht an all die Menschen in den USA gedacht, deren Leben, vor allem in der Öffentlichkeit, nun so viel schwieriger, härter, umkämpfter werden wird: migrantisch gelesene Menschen, African Americans, Frauen, trans Menschen, Linke, und natürlich auch die Leben all der Armen und ökonomisch “abgehängten”, die Trump gewählt haben.
Der Faschismus hat heute in den USA triumphiert, und ist daher auch dem Rest der Welt einen großen Schritt näher gekommen. Was ich deswegen fühle ist gar nicht so leicht in Worte zu fassen. Es ist kein Schock, denn trotz Verdrängung war ja mir ja klar, dass das eine Möglichkeit war. Es ist viel Wut, Wut auf die nörgeligen Männer (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die Trump zum Wahlerfolg verholfen haben, Wut auf die dämlichen Democrats mit ihrer “accomodation”-Strategie (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), Wut auf das US-System, das die Drohung des Faschismus nicht ernst genug genommen, und diesen mehrfach verurteilten faschistischen Kriminellen wieder zur Wahl antreten lies. Und noch mehr als Wut: Angst vor dem, was jetzt passieren wird, vor den oben beschriebenen gewalttätigen Outcomes. Trauer ob dieses weiteren Schrittes in Richtung Verlust der alten Welt – in der die meisten von uns, let's be honest, verhältnismäßig gut leben konnten und können – und ob des nun noch schnelleren Verschwindens einer zukünftigen besseren Welt.
Die Welt ist heute zwar nicht überraschend, aber doch schlagartig dunkler geworden. Und das fühlt sich schrecklich an.
Anstatt Erklärungsversuchen
Ich könnte mich jetzt an der Debatte über Erklärungen für diesen Outcome beteiligen, die heftigst in den Medien tobt, aber das will ich mit diesem Text nicht. Nicht, weil es keine wichtigen Fragen sind, um die es da geht – sind es mehr ökonomische Fragen, die die Menschen zum Faschismus treiben, oder affektive? Geht es um Inflation, oder geht es um das Patriarchat? Usw, usw... - sondern weil ich glaube, dass der Fokus auf die Erklärung des Phänomens auch ein Modus der Verdrängung der Auseinandersetzung mit den Emotionen ist, die ein Phänomen hervorruft.
Das ist keine Absage an die politische Analyse progressiver Niederlagen, es ist der Hinweis, dass diese Analyse sehr viel besser sein wird, wenn wir erstmal die starken negativen Emotionen fühlen, akzeptieren, vergemeinschaften (darüber mit anderen reden, sich gemeinsam auffangen), die durch Trumps Wahlsieg ausgelöst werden. Vor allem im Buch argumentiere ich, dass analytisches Verständnis erst dann frei von Verdrängungsbarrieren geschehen kann, wenn davor die emotionale Arbeit geleistet wurde, die es einem ermöglicht, unbequeme Realitäten auch als solche anzuerkennen. Nota bene: ich werfe jetzt nicht (wie zugegebenermaßen oft) anderen vor, zu verdrängen, während meine Perspektive die rationale ist, sondern weise darauf hin, dass wir uns erstmal Zeit für die emotionale Akzeptanz dieses politischen GAU nehmen sollten, bevor wir ihn richtig verstehen und dann auch richtig darauf reagieren können.
Das mag jetzt etwas weird klingen, von einem Menschen, der sich ehrlich was darauf einbildet, immer ganz schnell zu allem einen richtig dolle klugen hot take zu haben, aber es ist eigentlich nur die etwas verkopfte Variante von “wenn was richtig schlimmes passiert, atme erstmal kurz durch, komm erstmal kurz zu dir, und reagiere/schreie/gehe erst dann in die Gegenwehr.”
Das mit den Erklärungsversuchen (die ja grundsätzlich eine Rückschau darstellen) ist übrigens auch dafür wichtig, zu verdrängen, dass die meisten von uns derzeit keine Wege nach vorne sehen, weil ein Großteil des progressiven Feldes strategisch ziemlich blank dasteht. Denn, nur wenige von uns progressiven Strateg*innen haben sich in den letzten Jahren die emotionale Mühe der Akzeptanz gemacht, und waren dann in der Lage, Strategien für die Katastrophe zu entwickeln (eine wichtige Ausnahme: Arne Semsrott, dessen Buch Machtübernahme (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ich Euch sehr ans Herz legen möchte), und darum geht's ja: Wut über und Angst vor dem Faschismus werden nicht weniger, wenn wir ihn erklären können (so gerne wir linken Analyst*innen diesen Weg auch gehen würden). Das einzige, was hilft (naja: abgesehen von harter Verdrängung und Realitätsleugnung, aber die Strategie funktioniert im Faschismus nur für absolut hyperprivilegierte Menschen), ist meiner Meinung nach die Entwicklung realistischer Strategien, die uns in Katastrophen handlungsfähig machen, und uns ermöglichen, trotz alledem noch Räume für gutes, schönes, liebevolles, solidarisches, feministisches, queeres, etc. Leben zu ermöglichen.
Aufstehen, Krone richten, weitermachen
Ich rede seit geraumer Zeit davon, dass wir “die Katastrophe” als “strategischen Raum” ernst nehmen müssen, und meinte damit natürlich zuallererst, und unter dem Eindruck des Extremwettersommers, die Klimakatastrophe. Tatsächlich wollte ich heute eigentlich – ich erwartete ja einen Harris-Sieg – einen Text über “Klimakatastrophe als strategischer Raum: die Flutkatastrophe in Spanien” schreiben, hatte mir schon eine Reihe von Gedanken darüber gemacht, welche Lehren wir aus dem Verhalten verschiedener gesellschaftlicher und politischer Akteure dort ziehen könnten (zentraler Gedanke: in einer Katastrophe entstehen starke Bedürfnisse und Gefühle – wenn erstere nicht “von oben” erfüllt werden, bleiben letztere als mobilisierbare Produktivkräfte).
Dann kam es anders, aber es geht trotzdem wieder um die Katastrophe als strategischen Raum, diesmal eben nicht die Klima-, sondern die Trump-, die Faschismuskatastrophe. Erinnert Euch an die Texte, die ich letztes Jahr aus Schweden schrieb: da ging es bei “Kollaps” und “Katastrophe” nicht primär ums Klima, sondern um einen Sicherheits- und medizinischen Kollaps, in einer Situation, in der die Faschos ganz nah an der politischen Macht sind, und außerdem “auf der Straße” sehr viel Macht haben. Was ich da gelernt und weitergedacht habe, erscheint mir immer noch genau das zu sein, was es jetzt braucht: im doppelten Kollaps der Demokratie, und des globalen Klimasystems.
Es braucht das, was wir bisher nur mit mittelmäßig guten Begriffen einfangen konnten: “solidarische Kollapspolitik”, “solidarisches Preppen”, “Prepping for future” (h/t Arne Semsrott). Es braucht zuerst Akzeptanz und gemeinsames fühlen, dann Vorbereitungen auf katastrophale Situationen, und den Aufbau langfristiger Strukturen, die den Effekt von Katastrophen auf unsere und vor allem marginalisierte Communities abschwächen. Meine Genoss*innen in Schweden – die Texte darüber stehen natürlich alle in meinem Buch, dessen ganzer Pitch einer von “realistischer Hoffnung in der Dunkelheit” ist (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) – haben trotz der katastrophalen Situation, in der sie arbeiten, Wege gefunden, handlungsfähig zu sein, community zu schaffen und zu erweitern, und sich so auch im Alltag besser gegen die Faschisten zu schützen. Sie haben dies geschafft, in dem sie Angebote geschaffen haben, die sowohl für sie, als auch für ihre Nachbarschaften, in der Katastrophe einen Gebrauchswert haben, nützlich und attraktiv sind – zum Beispiel im Bereich erste Hilfe bei Schussverletzungen, die in Stockholmer Vororten derzeit viel zu häufig vorkommen – und gleichzeitig in der und durch die gemeinsame Organisierung antifaschistische Netzwerke in diesen communities schaffen und stärken.
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Ich finanziere meine politische Arbeit vor allem über diesen Blog, und wäre dankbar für Deine Unterstützung
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Trotz alledem
To be sure, wenn ich hier von “Hoffnung” rede, meint das kein “hopium”, meint das keine magischen und keine Verdrängungserzählungen. Das allerwahrscheinlichste Szenario in den reichen Ländern des Nordens, aber auch darüber hinaus, ist die zunehmende Faschisierung. Immer mehr Länder werden entweder zum expliziten Faschismus kippen (der natürlich eine neue Form annehmen wird – es sind halt nicht die 1920er, sondern die 2020er), oder unter seinen formal nichtfaschistischen Parteien langsam faschisiert werden (vgl. die EU). Das liegt daran, dass eine der zentralen politischen Fragen der Zukunft die Verteidigung illegitimer Privilegien sein wird, und das lässt sich ehrlich gesagt mit Faschist*innen an der Macht und mit faschistischem Gedankengut im Kopf viel leichter machen: warum sich darüber Sorgen machen, wie es den Menschen geht, die eventuell im Mittelmeer absaufen, während sie versuchen, in Europa Schutz zu suchen, wenn es doch viel einfacher ist, sie einfach zu entmenschlichen, zu sagen “mir doch egal”, oder auch “die verdienen das ja”? Privilegierte Gesellschaften oder Gruppen werden dazu tendieren, ihre Privilegien unter Aufwendung aller ihnen zur Verfügung stehenden Brutalität und Arschlochigkeit zu verteidigen, und das heißt auch, faschistische Knallchargen wie Donald Trump zum Präsidenten zu wählen.
Wenn ich von Hoffnung rede, meint das eine Situation, in der ich diese Dunkelheit anerkenne, und dann darin Pläne machen kann, wie ich mit anderen zusammen trotzdem Gutes in der Welt schaffen kann. Wie ich mich und meine queeren Communities vor zusätzlichen Angriffen schützen kann, zum Beispiel, indem wir uns zu glamourösen Pink Panthers-Selbstverteidigungsbrigaden ausbilden. Wie ich Gesundheitsversorgung auch für diejenigen sicherstelle, die keine haben, zum Beispiel, weil sie “undocumented”, ohne Papiere sind – dafür gibt es sogar schon Strukturen aus der antirassistischen Bewegung (ich meine, die heißen “Medinetz”). Es hilft aber auch schon, einfach nur gemeinsame Räume zu schaffen, in denen wir die negativen Gefühle miteinander teilen können, die Angst und die Wut, die wir gerade fühlen.
What I'm saying is: klar ist diese Hoffnung nicht so hell, so bunt, so sparkly, wie die magischen Hoffnungen auf die bessere Welt für Alle, die uns Linke meist antreibt. Aber es ist eine realistische Hoffnung, und eine Strategie, die uns auch in der Katastrophe handlungsfähig machen kann. Und wenn wir das geschafft haben, dann helfen uns auch unsere Analysen und politikwissenschaftlichen Erklärungen wieder, weil sie dann nicht hilfloses Herumschreien in den sozialen Medien sind, sondern Hilfestellungen dabei, diese Scheißsituation in unserem Sinne wieder positiv zu beeinflussen.
Es ist eine schwächere, eine mattere Hoffnung. Aber sie hat den Vorteil, realistisch und umsetzbar zu sein, und so nicht zur üblichen Depression zu führen, die auftritt, wenn das eigene magische Denken entzaubert wird. Stellt Euch vor, wie sich heute diejenigen in den USA fühlen, die Angst vor Trump haben, sich aber nicht mit anderen solidarisch auf diesen Outcome vorbereitet haben; und dann diejenigen, die diese Vorbereitungen gemacht haben, sich heute mit ihren Genoss*innen treffen, und die Notfallpläne umsetzen, die sie für den Fall eines Trump-Sieges vorbereitet hatten. Ich möchte auf jeden Fall zur zweiten Gruppe gehören, nicht zur ersten. Ich will nicht in Schockstarre verharren, oder auf andere für meine Rettung warten müssen, wenn die Katastrophe kommt, welche Form auch immer sie annimmt. Ich will auch in der tiefsten Dunkelheit handlungsfähig sein, in der Lage sein, Orte für gutes Leben zu schaffen und zu verteidigen.
Dann kann ich auch, mit Rosa: das Leben nehmen, wie es ist, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem.
Mit traurigen aber entschlossenen Grüßen,
Euer Tadzio