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Von der Neurophysiologie, Quacksalberei und Diamanten bei ADHS

Heute geht es thematisch wieder rund. Von ADHS und Sucht über neurophysiologischen “Markern” für ADHS (bzw. eigentlich innerer Stressbelastung) über für mich höchst fragwürdige Angebote einer “Diagnostik” und gleich passender teuerer “Therapie” von Mikronährstoffstörungen und schulmedizinisch nicht nachweisbaren “Stressstörungen” oder angebliche Histaminabbaustörungen bis hin zu einem neuen Beitrag in der Reihe “10 Fragen an…”. Und noch eben reingekommen : Eine Ankündigung für ein ADHS-Symposium…

Last euch mal wieder überraschen.


Spezielle Therapiekonzept zu Sucht und ADHS im AK-Harburg von PD Schöttle

Das ist ein “Insider-Bericht” von der Therapie auf dem Schwerpunkt Sucht und ADHS. Ganz herzlichen Dank an André dafür:

Die Sucht, eine häufige im ADHS-Spektrum auftauchende Komorbidität, kann in all ihren Formen und Ausprägungen Eigendynamiken mit verheerenden Folgen auf das Leben Betroffener und ihres Umfeldes entwickeln. Nicht selten wird erst im Rahmen ihrer Bearbeitung von kompetenten BehandlerInnen das ADHS überhaupt erst erkannt. Fakt ist: will die Suchthilfe wirksam sein, muss sie entsprechend .“ADHS-firm“ sein, um ihren PatientInnen & KlientInnen, ob bereits ADHS-diagnostiziert oder nicht, tatsächlich helfen zu können.

Umso erfreulicher (und erstaunlicher),  dass das für die Versorgung psychisch kranker Menschen der Region zuständige „Zentrum für seelische Gesundheit“ der Asklepioslinik Harburg, als erste und derzeit noch einzige Institution ihrer Art ein spezielles Angebot für Betroffene zum Thema „ADHS & Abhängigkeit“ ins Leben gerufen hat. Initiiert und umgesetzt wurde dies durch Chefarzt Dr Daniel Schöttle und seinem multimodal aufgestelltem Team.

Wie dieses Angebot nun konkret aussieht, davon möchte ich als zur Überwindung einer persönlichen Krise Teil genommen habender Patient (der vor über 15 Jahren selber erst als Erwachsener als ADHSler diagnostiziert wurde und in seinem darauf folgendem bisherigen Arbeitsleben u.a. mit Menschen aus dem ADHS-Spektrum, denen ein dergestaltes Angebot sicherlich hätte neue Wege aufzeigen können, gearbeitet hat) hier kurz berichten. 

Auf der Entgiftungsstation des Hauses fanden wir, fünf Personen (eine sechste erschien nicht), uns am selbigen Tage ein und sollten für die kommenden 3 Wochen -2 davon vollstationär, die letzte im Rahmen der Tagesklinik- eine feste Gruppe bilden, zusammen würden wir die verpflichtenden Tagesangebote absolvieren, zu einem gewissen Teil auch auch im Rahmen der Gruppen unserer MitpatientInnen, die zur akuten oder qualifizierten Entgiftung auf Station waren. Neben der Volljährigkeit hatten wir eine  Abhängigkeitsproblematik und die -  teils als Kind, teils als Erwachsene, mitunter ganz frisch erhaltene - AD(H)S-Diagnose gemein und unterschieden uns in ADHS-Ausprägung und -Wissensstand, Medikation, Alter und natürlich Lebenswelten. Dieser Mix, bunt wie das Spektrum selbst, und die damit verbundene Gruppendynamik wurden von allen  als bereichernd empfunden. Die Motivation aller blieb durchgängig hoch. Konflikte gab es keine. Viel mehr unterstützte man sich, wo es nötig wurde, schnell entstand ein Gemeinschaftssinn, der sich auch dadurch verstärkte, dass wir  miteinander soweit möglich in konstanter Belegung zu zweit die Zimmer teilten, ein Umstand, der  auf Entgiftungsstationen mit ihrer naturgemäß hohen und nicht wirklich vorherbestimmbaren Fluktuation und den damit verbundenen Stressfaktoren normalerweise kaum aufrecht zu erhalten ist. 

Jenes an dieser Stelle so ausführlich, da dieser gemeinsame Start und das Zugehörigkeitesgefühl der Teilnehmer*innen zu dieser Gruppe als ein wesentlicher/hilfreicher Faktor dieses Angebotes, das mehr als eine Art „Mini-Therapie“ wahr- und angenommen wurde, erscheint. Dies spiegelte sich ebenfalls in unseren Wochenplänen bzgl deren Dichte und Vielfalt wider:

Täglich von einer Morgenrunde nach dem gemeinsamen Frühstück eingeläutet, umfasste der Stundenplan Gruppensitzungen zum Thema ADHS inc unbegleiteter Refexionsgruppen, in denen wir gemeinsam „Hausaufgaben“ bearbeiteten, Themengruppen („Schlaf“, „Resilienz“, „Achtsamkeit“), Bewegungs- und Körperwahrnehmungsorientiertes von Nordic Walking über Gym bis zur „Freien Bewegung“, reflexive Muskelentspannung, autogenes Training und Akupunktur, Kunst-, Ergo- & Arbeitstherapie. Hinzu kamen die mit viel Feinsinn geführten Einzelgespräche mit der Psychotherapeutin der Station und die Arztvisiten. Ebenso bestand die Möglichkeit, die Hilfe der Stationssozialarbeiterin in Anspruch zu nehmen. Zum Abend stellten sich zudem regelmäßig Selbsthilfegruppen vor.

Klingt viel, wurde aber -meistens-  nicht so empfunden, da genug freie Zeit zwischendurch vorhanden war, die mitunter als Leerlauf empfunden, oder aber für Eigenes genutzt wurde. 

Als Kern wurden die ADHS-Gruppensitzungen empfunden, in denen Wissensvermittlung seitens der Fachkräfte und Erfahrungsaustausch der PatientInnen Hand in Hand gingen und zeitlich gern ausgeweitet werden dürfen. Spätestens hier entwickelte sich ein tieferes Verständnis für das eigene Dasein im neurodiversen Spektrum und den damit verbundenen möglichen Fallstricken insbesondere in bezug auf  Abhängigkeit, aber eben auch unseren Optionen (und damit auch  für die Sinnhaftigkeit der einzelnen theraputischen Module und deren Gesamtzusammenhänge).

Ob die Verbindlichkeit einer regelmäßigen und pünktlichen Programm-Teilnahme, das Abzeichnen Lassen derselben, das tägliche  Achten auf Raum- und Zeitänderungen, das Einhalten der Medikamente-Vergabephasen die Selbstorganisation und Eigenverantwortlichkeit im Umgang mit den freien Phasen Teil des Konzepts sind, sei dahingestellt, mindestens aber waren es geradezu klassische ADHS-Stresstests in Sachen Zeitmanagement und Eigenmotivation, praktische Übungen im geschützten Rahmen. Spätestens hier muss die außerordentliche Leistung des Pflegepersonals hervorgehoben werden, das, ein Traum für alle ADHS-Betroffenen, immer präsent und sofort ansprechbar war, nahezu nie in die Warteschleife verwies, immer zugewandt, freundlich und Ruhe ausstrahlend sich jeden Anliegens annahm und  dieses konstruktiv zu beantworten und lösen wusste.

Ausserdem sei an dieser Stelle noch die Möglichkeit einer therapeutischen Nachsorge und der Gewährleistung einer medikamentösen Versorgung über die hiesige PIA  im Nachlauf erwähnt, so dass man nicht nach Beendigung der 3 Wochen bei Null anzufangen hatte. Denn diese haben sich mehr als gelohnt und sei Betroffenen empfohlen,  aber auch Institutionen, dies Konzept zu adaptieren.. In den Entgiftungsstationen der Versorgungspsychiatrien finden sich mit Sicherheit nicht wenige   Menschen, denen ein dergestalt dichtes, auf ihre Bedürfnisse und Eigenheiten angepasstes Therapieangebot  bzw die dort gemachten Erkenntnisse und Erfahrungen inc unterstützender Medikation .aus alten Kreisläufen, die eigentlich mehr oder weniger schnell nach unten führenden Spiralen , entstanden aus Selbstmedikation, Frustration oder/und Unwissenheit, gepaart mit vergangenen Fehl- oder Nichtdiagnosen sind, heraushelfen könnten - um das beste aus sich herauszuholen, anstatt hinter den eigenen Möglichkeiten so sehr zurück zu bleiben.

ADHS-Symposium 28.9. in Wölmersen




Neurophysiologische Marker in der ADHS-Diagnostik: Ein Vergleich zu traditionellen Test- und Diagnosemethoden

Einleitung

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine komplexe neuropsychiatrische Entwicklungsstörung, deren Diagnose klinisch gestellt werden muss. Trotz zahlreicher Bemühungen, „objektive“ Tests und Verfahren zur Diagnose von ADHS zu entwickeln, können diese Methoden bisher keinen eindeutigen Beweis oder Ausschluss der Störung bieten. ADHS, insbesondere die unaufmerksame Präsentation und hochfunktionale ADHS-Formen, bei denen Betroffene über einen längeren Zeitraum kompensieren können, entziehen sich häufig einer einfachen Testdiagnostik. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, diagnostische Werkzeuge zu entwickeln, die mehr als nur oberflächliche Symptome erfassen.

Dennoch könnte es sinnvoll sein, nach Markern zu suchen, die zusätzliche Hinweise auf ADHS geben und die klinische Diagnostik unterstützen könnten. Dieser Artikel beleuchtet die Rolle neurophysiologischer Marker in der ADHS-Diagnostik, diskutiert deren Spezifität und vergleicht sie mit herkömmlichen Methoden.

Traditionelle Diagnoseverfahren für ADHS

  1. Klinische Interviews und psychometrische Fragebögen

    • CAARS (Conners' Adult ADHD Rating Scale): Ein weit verbreiteter Fragebogen zur Selbsteinschätzung, der die Schwere der ADHS-Symptome erfasst. Er bietet eine Spezifität von etwa 60-80% und eine Sensitivität von 60-85%.

    • ASRS (Adult ADHD Self-Report Scale): Ein standardisiertes Instrument zur Selbsteinschätzung von ADHS-Symptomen bei Erwachsenen mit einer Spezifität und Sensitivität von jeweils etwa 75%.

  2. Neuropsychologische Tests

    • CPT (Continuous Performance Test): Ein Test zur Messung der kontinuierlichen Aufmerksamkeit und Reaktionshemmung. Die Spezifität liegt bei etwa 60-75% und die Sensitivität bei 55-75%.

    • T.O.V.A (Test of Variables of Attention): Dieser Test bewertet die visuell-motorische Reaktionszeit und Impulsivität. Er erreicht eine Spezifität von etwa 60-70% und eine Sensitivität von 60-80%.

    • qB-Test (Quantified Behavior Test): Ein von der FDA zugelassenes Verfahren, das motorische Aktivität, Aufmerksamkeit und Impulsivität quantitativ misst. Die Spezifität und Sensitivität liegen jeweils zwischen 70% und 85%.

  3. Bildgebende Verfahren

    • fMRI (Funktionelle Magnetresonanztomographie): Diese Methode misst die Gehirnaktivität durch Blutflussveränderungen und hat eine Spezifität von 75-90% sowie eine Sensitivität von 70-90%.

    • EEG (Elektroenzephalographie): EEG misst die elektrische Aktivität des Gehirns und bietet eine Spezifität von etwa 70-85% und eine Sensitivität von 70-90%.

Neurophysiologische Marker in der ADHS-Diagnostik

Die Entwicklung von Methoden zur Messung neurophysiologischer Marker hat neue Möglichkeiten in der ADHS-Diagnostik eröffnet. Diese Marker, die während neuropsychologischer Tests erfasst werden, umfassen Elektrodermale Aktivität (EDA), Herzratenvariabilität (HRV) und Hauttemperatur (ST). Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass diese Marker eher allgemeine Indikatoren für Stress und Dysregulation des autonomen Nervensystems (ANS) sind und nicht spezifisch für ADHS.

  • Elektrodermale Aktivität (EDA): Misst die Hautleitfähigkeit, die durch die Aktivität der Schweißdrüsen beeinflusst wird. EDA ist ein Indikator für die Erregung des ANS und kann Aufschluss über emotionale und kognitive Reaktionen geben.

  • Herzratenvariabilität (HRV): Bezieht sich auf die Variation der Zeitintervalle zwischen Herzschlägen und ist ein Indikator für die Balance zwischen Sympathikus und Parasympathikus, zwei Hauptzweige des ANS.

  • Hauttemperatur (ST): Misst die Temperatur der Haut, die durch Durchblutungsänderungen beeinflusst wird und ein Indikator für emotionale und körperliche Reaktionen ist.

Allgemeine Marker für Stress und Dysregulation

Es ist wichtig zu betonen, dass diese neurophysiologischen Marker eher allgemeine Indikatoren für eine Dysregulation des autonomen Nervensystems und chronischen Stress sind, als spezifische Marker für ADHS. Diese Marker reflektieren Reaktionen auf Stress, emotionale Belastung und kognitive Anforderungen, die bei vielen psychischen Störungen und Stresssituationen auftreten können.

  • EDA: Erhöhte elektrodermale Aktivität kann auf eine erhöhte emotionale Erregung oder Stress hinweisen und ist nicht spezifisch für ADHS. Auch andere psychische Störungen wie Angststörungen oder Depressionen können mit veränderter EDA verbunden sein.

  • HRV: Eine niedrige Herzratenvariabilität wird oft mit chronischem Stress, Angst und anderen psychischen Belastungen in Verbindung gebracht. HRV kann daher bei verschiedenen Störungen verändert sein, einschließlich ADHS, aber auch bei Depressionen, Angststörungen oder posttraumatischem Stress.

  • ST: Veränderungen in der Hauttemperatur können durch emotionale oder körperliche Reaktionen beeinflusst werden, die durch Stress, Erregung oder andere Zustände ausgelöst werden. Diese Reaktionen sind ebenfalls unspezifisch und können bei einer Vielzahl von psychischen und physischen Zuständen auftreten.

Vergleich der neurophysiologischen Marker mit traditionellen Verfahren

In einer aktuellen Studie wurde ein machine learning-gestütztes Verfahren untersucht, das EDA, HRV und ST während Stroop-Tests erfasst und zur Diagnose von ADHS verwendet wird. Die Spezifität und Sensitivität dieses Verfahrens lagen bei 81,9% bzw. 81,4%, was auf eine hohe Genauigkeit hindeutet. Diese Werte sind vergleichbar oder sogar besser als die der meisten traditionellen Verfahren.

Vergleichspunkte:

  1. Objektivität: Neurophysiologische Marker bieten den Vorteil der Objektivität, da sie direkt gemessene physiologische Reaktionen erfassen, im Gegensatz zu selbstberichteten Symptomen oder verhaltensbasierten Tests, die subjektiv interpretiert werden können. Allerdings sind sie allgemeine Stressindikatoren und nicht spezifisch für ADHS.

  2. Kombination von Datenquellen: Während traditionelle Methoden oft nur eine Dimension der ADHS-Symptomatik erfassen (z.B. Verhalten oder Selbstbericht), ermöglichen neurophysiologische Marker eine ganzheitlichere Betrachtung durch die Kombination verschiedener physiologischer Daten. Trotzdem sollten diese Marker in Kombination mit spezifischeren psychologischen und verhaltensbasierten Tests verwendet werden.

  3. Einsatz von Technologie: Die Integration von tragbaren Geräten zur Erfassung physiologischer Daten bietet eine kontinuierliche und nicht-invasive Methode zur Überwachung von Symptomen, was mit herkömmlichen Verfahren nicht möglich ist. Diese Technologie kann jedoch auch auf andere Stress- oder Angststörungen angewendet werden.

  4. Genauigkeit: Die hohe Spezifität und Sensitivität der neurophysiologischen Marker zeigen, dass diese Methode in der Lage ist, ADHS zuverlässig zu diagnostizieren und dabei sowohl falsch-positive als auch falsch-negative Diagnosen zu minimieren. Dennoch bleibt die Frage nach der Spezifität für ADHS im Vergleich zu anderen Störungen bestehen.

Diskussion und Zukunftsperspektiven

Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass neurophysiologische Marker eine wertvolle Ergänzung zu bestehenden Diagnosemethoden sein könnten. Insbesondere die Kombination mit machine learning-Algorithmen ermöglicht es, komplexe Muster in den Daten zu identifizieren, die für eine präzise Diagnose entscheidend sind.

Integration in die klinische Praxis:

  • Tragbare Technologien: Die Möglichkeit, diese Marker über tragbare Geräte wie Smartwatches zu erfassen, könnte den Zugang zur ADHS-Diagnose verbessern, insbesondere in Bereichen mit begrenztem Zugang zu spezialisierten klinischen Ressourcen. Es ist jedoch wichtig, diese Daten im Kontext anderer diagnostischer Informationen zu interpretieren.

  • Ergänzung bestehender Methoden: Neurophysiologische Marker könnten in Kombination mit traditionellen Diagnoseverfahren verwendet werden, um die Genauigkeit zu erhöhen und die Diagnosezeiten zu verkürzen. Ihre Rolle als allgemeine Stressindikatoren sollte dabei berücksichtigt werden.

Herausforderungen:

  • Standardisierung: Es besteht die Notwendigkeit, die Erfassung und Analyse neurophysiologischer Daten zu standardisieren, um die Ergebnisse vergleichbar und reproduzierbar zu machen.

  • Kosten und Zugänglichkeit: Die Implementierung solcher Technologien in der klinischen Praxis muss kosteneffektiv gestaltet werden, um eine breite Anwendung zu ermöglichen.

Fazit

Neurophysiologische Marker bieten eine vielversprechende neue Perspektive in der ADHS-Diagnostik. Ihre Integration in die bestehende Diagnostik könnte zu objektiveren, genaueren und umfassenderen Diagnosen führen. Es bleibt jedoch wichtig, diese Marker im Kontext ihrer allgemeinen Funktion als Indikatoren für Stress und ANS-Dysregulation zu interpretieren.

Ich bleibe da irgendwie noch skeptisch. Die “Pseudo-Objektivität” von Fragebögen und besonders von neuropsychologischen Tests hat schon häufig dazu geführt, dass ADHS oder Autismus “ausgeschlossen” wird, obwohl die Neuropsychologin wirklich nicht den Hauch eines Grundverständnisses von ADHS oder Neurodivergenz hat. Da könnte ich wirklich Bände zu schreiben.

Tests können eine ergänzende Informationsquelle darstellen. Gerade die emotionale Stressreaktion bzw. Dysregulation finde ich persönlich dabei sehr spannend (auch oder gerade im Zusammenhang mit Emoflex).

Welche Gedanken habt ihr dazu?

Quelle

Andrikopoulos, D., Vassiliou, G., Fatouros, P. et al. Machine learning-enabled detection of attention-deficit/hyperactivity disorder with multimodal physiological data: a case-control study. BMC Psychiatry 24, 547 (2024). https://doi.org/10.1186/s12888-024-05987-7 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Was ist von Angeboten zur Diagnostik und Therapie von Untersuchungen von Biogena zu Stress- und Mikronährstoffstörungen / Histaminabbaustörungen zu halten?



Scheinbar ”ähnlich” - aber doch ganz anders :

Kommerzielle Anbieter aus dem Bereich “Orthomolekularmedizin” bzw. Naturheilkunde bieten massenhaft Untersuchungen und Behandlungen für alle möglichen und unmöglichen “Störungen” an.

Ich werde da auch gerade mit Werbung geflutet.
Die Diagnostik und Behandlung von Mikronährstoff- und Stressstörungen sowie Histaminabbaustörungen im Zusammenhang mit ADHS oder Konzentrationsproblemen, wie sie von Unternehmen wie Biogxxx angeboten werden, wirft zahlreiche Fragen auf, sowohl in Bezug auf die wissenschaftliche Validität als auch auf die praktische Anwendbarkeit der diagnostischen Verfahren. Im Folgenden wird eine detaillierte Auseinandersetzung mit den typischen Untersuchungen und deren Auswertung geboten.

1. Diagnostikverfahren im Detail

Unternehmen wie Biogxxx bieten eine Vielzahl von spezifischen Tests an, um vermeintliche Ungleichgewichte im Körper zu identifizieren, die mit ADHS oder Konzentrationsproblemen in Verbindung gebracht werden. Diese Tests sind häufig komplex und für Laien sowie für viele Ärzte schwer verständlich. Einige der häufig angebotenen Untersuchungen umfassen:

  • Mikronährstoffanalyse im Blut: Hierbei wird das Blut auf eine breite Palette von Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen untersucht, darunter Zink, Magnesium, Vitamin D, B-Vitamine und Omega-3-Fettsäuren. Die Idee hinter dieser Analyse ist, dass ein Mangel an bestimmten Nährstoffen Konzentrationsprobleme oder ADHS-Symptome verschlimmern könnte.

  • Stresshormon- und Neurotransmittertests: Diese Tests messen die Spiegel von Stresshormonen wie Cortisol sowie Neurotransmittern wie Dopamin, Serotonin und Noradrenalin im Blut, Urin oder Speichel. Das Ziel ist es, ein Ungleichgewicht zu identifizieren, das möglicherweise mit Stress oder ADHS-Symptomen in Verbindung steht.

  • Histamin- und DAO-Test (Diaminoxidase-Aktivität): Dieser Test misst die Aktivität des Enzyms Diaminoxidase, das für den Abbau von Histamin verantwortlich ist. Eine verminderte DAO-Aktivität könnte zu einer Histaminintoleranz führen, die mit neurologischen Symptomen assoziiert wird.

  • Oxidativer Stress-Test: Hierbei werden Marker im Blut untersucht, die auf oxidativen Stress hinweisen, ein Zustand, bei dem freie Radikale die Zellen schädigen können. Es wird angenommen, dass oxidativer Stress zur Verschlimmerung von ADHS-Symptomen beitragen könnte.

  • Genetische Tests: Einige Anbieter untersuchen genetische Varianten, die angeblich mit einer erhöhten Anfälligkeit für ADHS, Histaminintoleranz oder Mikronährstoffmängel verbunden sind.

2. Interpretation und Aussagekraft der Ergebnisse

Die Ergebnisse dieser Tests werden häufig in umfassenden Berichten dargestellt, die komplexe biochemische Daten und Interpretationen enthalten. Für Laien ist es oft schwierig, diese Daten zu verstehen, und auch viele Ärzte, die nicht auf diese speziellen Bereiche spezialisiert sind, könnten Schwierigkeiten haben, die Relevanz der Ergebnisse einzuordnen. Typische Auswertungsergebnisse könnten folgendermaßen aussehen:

  • Nährstoffmängel: Ein Bericht könnte zeigen, dass bestimmte Mikronährstoffe unterhalb der Referenzwerte liegen. Es wird dann empfohlen, gezielte Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen, um diese Mängel auszugleichen.

  • Neurotransmitter-Ungleichgewichte: Wenn zum Beispiel ein niedriges Serotonin-Level festgestellt wird, könnte dies als Hinweis auf eine depressive Verstimmung oder erhöhte Stressanfälligkeit gedeutet werden, was jedoch oft spekulativ bleibt.

  • Histaminabbaustörung: Eine niedrige DAO-Aktivität könnte als Beweis für eine Histaminintoleranz angesehen werden, was jedoch in der Schulmedizin umstritten ist. Die empfohlene Therapie könnte die Einnahme von DAO-Präparaten oder eine histaminarme Diät umfassen.

  • Oxidativer Stress: Hohe Werte für oxidative Stressmarker könnten als Hinweis auf eine erhöhte Belastung des Körpers gewertet werden, was zur Empfehlung von Antioxidantien führen könnte.

  • Genetische Prädispositionen: Bei Auffälligkeiten in genetischen Tests könnten spezifische Ernährungs- oder Lebensstiländerungen vorgeschlagen werden, die auf den individuellen genetischen Profilen basieren.

3. Kritische Betrachtung der Evidenz

Die wissenschaftliche Grundlage für diese Diagnostikverfahren ist sehr unterschiedlich:

  • Mikronährstoffe: Es gibt eine gewisse Evidenz dafür, dass Mikronährstoffe wie Omega-3-Fettsäuren bei ADHS eine unterstützende Rolle spielen können. Allerdings ist der Zusammenhang nicht eindeutig, und die Wirkung ist in der Regel moderat. Es gibt keine allgemein akzeptierte Empfehlung, bei ADHS routinemäßig Mikronährstoffmängel zu testen und zu behandeln.

  • Neurotransmitter und Stresshormone: Die Messung von Neurotransmittern und Stresshormonen wird in der klinischen Praxis selten verwendet, da die Ergebnisse stark schwanken können und nicht immer zuverlässig Rückschlüsse auf den psychischen Zustand erlauben. Diese Tests sind oft eher experimentell und nicht standardisiert.

  • Histaminabbaustörung: Die Idee, dass Histaminabbaustörungen eine bedeutende Rolle bei ADHS spielen, ist spekulativ und wird in der Schulmedizin nicht anerkannt. Es fehlen qualitativ hochwertige Studien, die diese Hypothese unterstützen.

  • Oxidativer Stress: Oxidativer Stress ist ein unspezifischer Marker, der in vielen Krankheitsbildern erhöht sein kann. Seine direkte Relevanz für ADHS ist unklar und wird nicht als diagnostisches Kriterium anerkannt.

  • Genetische Tests: Obwohl genetische Faktoren bei ADHS eine Rolle spielen, ist die Interpretation genetischer Tests in Bezug auf konkrete Therapieempfehlungen noch in einem frühen Stadium und wird in der Schulmedizin nicht als primäre Diagnosemethode angesehen.

4. Schulmedizinische Perspektive

Die Schulmedizin betrachtet ADHS als eine neurobiologische Störung, deren Diagnose sich auf klinische Kriterien stützt, wie sie in den gängigen Klassifikationssystemen (DSM-5, ICD-10) beschrieben sind. Die Behandlung von ADHS erfolgt in der Regel durch eine Kombination von Verhaltenstherapie und medikamentöser Therapie, z.B. mit Stimulanzien wie Methylphenidat.

Die schulmedizinische Perspektive auf die von Biogxxx angebotenen Tests ist skeptisch. Es wird kritisiert, dass diese Tests oft nicht ausreichend validiert sind und dass ihre Ergebnisse möglicherweise überinterpretiert werden. Es besteht die Gefahr, dass Patienten durch solche Diagnostiken von bewährten Therapieformen abgelenkt werden.

5. Kostenaspekte

Die Kosten für die diagnostischen Verfahren und die daraus resultierenden Therapien bei Biogxxx sind erheblich. Ein umfassender Mikronährstoff- und Stress-Test kann mehrere hundert Euro kosten. Hinzu kommen die laufenden Kosten für Nahrungsergänzungsmittel, die empfohlen werden, um die diagnostizierten Mängel zu beheben. Die monatlichen Ausgaben können leicht dreistellige Beträge erreichen, insbesondere wenn mehrere Präparate empfohlen werden. Diese Kosten werden in der Regel nicht von der Krankenkasse übernommen und müssen privat getragen werden.

Viele Unternehmen, die solche Diagnostik- und Therapieangebote vertreiben, nutzen ein MLM-System, bei dem Berater nicht nur Produkte verkaufen, sondern auch weitere Verkäufer rekrutieren. Dies schafft Anreize, weniger auf die medizinische Notwendigkeit und die wissenschaftliche Evidenz der Produkte zu achten, sondern vielmehr auf den finanziellen Gewinn durch Verkauf und Rekrutierung.

  • MLM-Strukturen: In diesen Systemen erhalten Berater Provisionen sowohl für den direkten Verkauf von Produkten als auch für die Rekrutierung neuer Berater. Dies führt zu einer Vermischung von medizinischer Beratung und wirtschaftlichen Interessen, was ethisch problematisch ist. Die Berater haben oft kein ausreichendes medizinisches Fachwissen, um die empfohlenen Diagnostiken und Therapien fundiert zu beurteilen, sondern folgen Verkaufszielen, die durch das MLM-System vorgegeben werden.

  • Clubsysteme: Diese Systeme beinhalten oft Mitgliedschaften, bei denen Kunden regelmäßig Produkte beziehen und exklusive "Vorteile" erhalten sollen. Die vermeintlichen Vorteile sind jedoch häufig überteuert, und die Mitgliedschaft bindet die Kunden langfristig an die teuren Produkte. Dies steht in starkem Kontrast zu den ethischen Standards der Schulmedizin, wo wirtschaftliche Interessen strikt von der medizinischen Beratung getrennt sein sollten.

Mangelnde Transparenz und ethische Bedenken

Die fehlende Trennung zwischen medizinischer Diagnostik und wirtschaftlichen Interessen in diesen Systemen ist ein gravierendes Problem. Patienten, die sich in einer vulnerablen Lage befinden, wie z.B. Eltern von Kindern mit ADHS, könnten leicht dazu verleitet werden, in teure und fragwürdige Diagnostiken und Therapien zu investieren, die ihnen von scheinbar vertrauenswürdigen Beratern empfohlen werden.

  • Mangelnde Transparenz: Oftmals ist den Kunden nicht bewusst, dass die Berater Provisionen verdienen, was das Vertrauen in die empfohlene Diagnostik und Therapie untergräbt. Diese Intransparenz ist problematisch, da sie den Anschein erweckt, die Empfehlungen seien rein im Interesse der Gesundheit des Patienten, obwohl sie in Wirklichkeit stark von wirtschaftlichen Motiven beeinflusst sind.

  • Ethische Bedenken: In der Schulmedizin ist es ein grundlegendes Prinzip, dass die medizinische Beratung unabhängig von finanziellen Anreizen erfolgen muss. Das in MLM-Strukturen und Clubsystemen verbreitete Modell widerspricht diesem Grundsatz und kann dazu führen, dass Patienten unnötigen und kostspieligen Diagnostiken sowie fragwürdigen Therapien ausgesetzt werden, die ihnen wenig bis keinen gesundheitlichen Nutzen bringen.

Auswirkungen auf Patienten und Selbsthilfegruppen

Weder in Selbsthilfegruppen noch unter ADHS-Experten finden sich positive Berichte über eine nachhaltige Wirkung der von Biogxxx angebotenen Diagnostik und Therapien. Vielmehr berichten viele Betroffene von Enttäuschungen und finanziellen Belastungen, die durch diese Systeme verursacht werden.

  • Enttäuschungen und fehlende Wirksamkeit: Patienten und Angehörige, die auf der Suche nach Lösungen für ADHS oder Konzentrationsprobleme sind, investieren häufig große Summen in diese Diagnostik- und Therapieangebote, nur um festzustellen, dass die erhofften Verbesserungen ausbleiben. Dies führt nicht nur zu finanziellen Verlusten, sondern kann auch das Vertrauen in wirklich wirksame medizinische Behandlungen untergraben.

  • Manipulation von Bedürfnissen: MLM-Berater können durch geschickte Verkaufsstrategien das Gefühl vermitteln, dass die angebotenen Produkte eine essentielle Lösung für die gesundheitlichen Probleme der Patienten darstellen, obwohl es keine solide wissenschaftliche Grundlage für diese Behauptungen gibt. Dies kann dazu führen, dass Patienten wichtige schulmedizinische Behandlungen vernachlässigen oder gar ablehnen.

    Fazit aus meiner Sicht : Finger weg (zumindest nicht mehr als 200 Euro dafür investieren, was aber auch schon viel zu viel wäre).

10 Fragen an….

In dieser Rubrik möchte ich anderen Anbietern / Experten aus dem Bereich Neurodivergenz die Möglichkeit geben, sich vorzustellen. Das kann durchaus auch werbend sein. Ich greife hier bewusst nicht in den Inhalt ein, so dass die Meinungen vielleicht nicht immer meiner persönlichen Überzeugung entsprechen. Aber darum geht es hierbei auch gar nicht.

Ich möchte eher die Vielfalt der Sichtweisen und Erfahrungen darstellen.

Los geht es mit dem “Diamantischen Lebensgefühl”

10 Fragen an Stephanie Heldmann

Wie bist du auf das Thema Resilienz und Mobbing für Kinder und ihre Eltern aus dem Neurodivergenz-Spektrum gekommen?

Im Bezug auf Neurodivergenz habe ich vor allem Erfahrungen mit ADS/ADHS. Diese Kinder, die ständig vor sich hinträumen und unkonzentriert sind oder schon im Kindergarten getrieben, hektisch und impulsiv als Zappelphilipp bezeichnet werden, erleben fast täglich, dass sie bewertet und als „falsch“ und „nicht gut genug“ beurteilt werden. Dieses Übermaß an oft negativen Urteilen wird von ihnen angenommen und sie malen ihr eigenes Selbstbild dunkel und düster.

In fast jeder Klasse, die ich als Selbstbehauptungs- und Resilienztrainerin gestärkt habe, fand ich ein Kind, das sehr aufgedreht und immer auf Achse war, und ich bekam live mit, wie schwer es war, nicht aggressiv auf Beleidigungen zu reagieren. Viele kennen nur diese Strategie, weil diese vermeintlich Kraft gibt – leider oftmals auf die Kosten von anderen.

Wir Eltern wünschen uns, dass unsere Kinder über sich hinauswachsen. Doch wenn eine Angst da ist, beim Erkunden von Neuem Fehler zu machen (was ja normal ist), gehen viele Kinder in die Vermeidungsstrategie und starten vielleicht erst gar nicht.

Egal wie – es brannte mir jedes Mal in der Seele zu sehen, dass sich ein Kind so viel kleiner macht und nicht an sich glaubt – und somit auch seine einzigartigen Potentiale nicht erkennt und leben kann. Ich wusste, das muss einfacher gehen.

Wie bist du auf den Diamanten gekommen und was symbolisiert er für dich?

Auch ich gehörte bis vor 4 Jahren zu den Menschen, die sich selbst klein gemacht hat. Fühlte mich selten wertvoll. Ich empfand mich nur gut genug, wenn ich gelobt und anerkannt wurde. Und wenn ich beurteilt und kritisiert wurde, fühlte ich mich als Opfer meiner Umwelt. Ich weiß also, wie sich das Gefühl von „abhängig, fehlerhaft und seltsam“ anfühlt.

„Wann ist ein Mensch eigentlich wertvoll?“ – diese Frage triggerte mich. Babys sind wertvoll, auch wenn sie nur schlafen, schreien und die Windel voll machen können. Wodurch? Sie leisten doch nichts… Und was passiert im Laufe des Lebens, dass sich das ändert?

Für mich hat jeder mit Geburt eine unendliche Seele mit auf die Welt bekommen. Dieses Licht ist und bleibt wertvoll, egal was im Leben passiert.

Da mir das mit Licht und Seele im Familienalltag zu wenig greifbar war und ich es gerne pragmatisch und handfest habe, war irgendwann mein Bild des Diamanten geboren. Für mich wohnt im Herzen eines jeden Menschen ein einzigartiger, klarer Diamant (= die Seele). Dieser Diamant ist und bleibt wertvoll, auch wenn er kilometertief in Dreck und Erde vergraben ist.

Wenn ich jedoch ich bin, wenn ich glücklich bin und das tue, was mich glücklich macht, dann strahle ich von innen heraus – so wie Kinder, die zum Beispiel tiefversunken malen und dann stolz ihr Kunstwerk präsentieren.

So fand ich meinen Halt im Glauben und im Diamanten und habe erlebt, dass dieses Bild auch andere berührt. Jeder, egal ob erwachsen oder Kind, kann sich meiner Meinung nach entscheiden, auf diesen Diamanten = seinen Selbstwert aufzupassen. Will ich eingepackt in Dreck oder strahlend leben?

Wie definierst du das „diamantastische Lebensgefühl“ und wie kann es Kindern und Eltern helfen, die mit Mobbing konfrontiert sind?

Diamantastisch zu leben bedeutet für mich nicht, dass alles stets Friede, Freude, Eierkuchen sein muss. Für mich bedeutet diamantastisch zu leben, wertschätzend und selbstverantwortlich für sich und sein Leben zu handeln, ohne den Diamanten des anderen zu „beschmutzen“.

Wenn Kinder gemobbt werden, gibt es oft Leid, Anklage und Beschuldigungen. Der Mobber wird bestraft – und ändern tut sich wenig.

Mobbing ist für mich die Strategie eines Menschen, der sich selbst nicht mag, sich nicht wertvoll erachtet oder sich in emotionaler Not befindet, und andere deshalb durch Worte oder Taten noch kleiner machen will, als er sich selbst gerade fühlt – weil er diese Schwäche nicht eingestehen kann. Denn für mich sagen Beleidigungen und Bewertungen viel mehr über den aus, der sie ausspricht, als über den, zu dem sie gesprochen werden.

Es ist eine Strategie von vielen, mit belastenden Situationen umzugehen. Wenn ich als Erwachsene nun:

  • das gemobbte Kind nicht nur als das arme Opfer sehe, sondern die Stärke, die in ihm und seinem Diamanten steckt, übermittle ich ihm emotional ein ganz anderes Mindset.

  • im mobbenden Kind dennoch den Diamanten sehe (der vielleicht ganz tief vergraben ist), kann ich leichter die Hintergründe wahrnehmen. Was wäre, wenn der Täter in seinem bisherigen Leben selbst wenig Wertschätzung erfahren hat und auf diese bizarre Weise versucht, seine Bedürfnisse zu erfüllen?

Ich kann dann leichter diamantenklar und gleichzeitig wertschätzend für mich und mein Kind eintreten. Es gilt aufzuzeigen „So nicht“ und gleichzeitig zum Beispiel über die Gewaltfreie Kommunikation zu antworten: „Wie denn dann?“

  • das mobbende Kind nicht abstrafe, sondern zum Beispiel mit dem „No-Blame-Approach“ eine neue Umgebung für alle schaffen kann, in der gegenseitiger Respekt herrscht, ist eine nachhaltige Klärung der Situation so viel wahrscheinlicher.

Was sind die größten Herausforderungen, denen neurodivergente Kinder und ihre Eltern im Umgang mit Mobbing gegenüberstehen?

Neurodivergente Kinder denken anders und fühlen anders – und handeln anders. Oft werden die Kinder und dann auch deren Eltern von ihrer „normalen“ Umwelt genau deswegen bewertet und beurteilt. Sie werden vom normalen Umfeld gemieden und ausgeschlossen. Eltern eines impulsiven und leicht erregbaren ADHS-Kindes werden schief angeschaut und nicht selten offen maßgeregelt, dass sie hier doch besser durchgreifen sollen. Und so fühlen sich neurodivergente Kinder oftmals genauso stigmatisiert und hilflos wie deren Eltern.

Neurodivergente Kinder können meist die Signale von anderen schlechter deuten, was leicht zu Missverständnissen führen kann. Fehlinformationen über Neurodivergenz führen zudem oft zu Vorurteilen, was wiederum Mobbing begünstigt. Wenn dann das Kind noch ein geringes Selbstwertgefühl hat, da es ständig erfährt, nicht „normal“ zu sein, kann Mobbing dieses Gefühl noch verstärken und es weiter entmutigen. Wenn das Kind Schwierigkeiten hat, seine Gefühle und Erlebnisse zu äußern, ist es schwer, das Ausmaß von Mobbing zu erkennen und zu handeln. Auch haben Schulen oft noch nicht genug Bewusstsein oder das Geld für Programme, um Mobbing effektiv vorzubeugen und Kinder wirklich in ihrer Persönlichkeit zu stärken.

Welche Strategien empfiehlst du Eltern, um die Resilienz ihrer Kinder zu stärken, insbesondere in einer Umgebung, die möglicherweise wenig Verständnis für Neurodivergenz zeigt?

Wir leben in einer Welt von Beurteilungen. Eltern neurodivergenter Kinder lade ich ein, in der Schwere und Frustration der Situation mit spielerischen Mitteln zu agieren und in der Frage zu bleiben: Was, wenn die Neurodivergenz eigentlich Talente sind?

Was wird möglich, wenn Eltern ihre neurodivergenten Kinder anerkennen und sie versuchen zu verstehen? Respekt bedeutet für mich: Ich sehe dich und mich interessiert, was bei dir gerade los ist. Und Respekt ist keine Einbahnstraße. Wenn Kinder erleben, dass ihre Eltern für ein paar Minuten mit in ihre Welt einsteigen, in ihr Spiel versinken, füllt dies einen oft leeren Empathietank. Auch ein einfaches „Danke“ oder ein Benennen einer Tätigkeit, wie Müllrausbringen, kann für die Kinder stärkend sein – endlich sieht jemand mal was Positives an mir.

Wenn die Kinder mal austicken, dann heißt es greifbare Grenzen aufzustellen und im Nachgang über die überschwänglichen Gefühle zu sprechen. Sie können den Kindern bewusst machen, dass viele sie nicht im Ansatz erkennen und irgendwelche Schablonen über sie legen. Und ihnen so helfen, in die so oft kommenden Bewertungen eine Leichtigkeit reinzubringen.

Wichtig ist vor allem die Selbstfürsorge der Eltern. Wenn ihr Nervenkostüm dünn ist, dann ist es schwierig ruhig zu bleiben. Kinder schauen sich viele Verhaltensweisen von ihren Eltern ab.

Wenn die Umgebung mal wieder urteilt und Meinungen verteilt, dann ist eine essentielle Strategie, diese in Frage zu stellen – Eltern wie auch Kind: „Interessant, was hier gerade abgeht.“ und sich an sich selbst zu erinnern: „Will ich diese wirklich bei mir behalten? Tut die mir und meinem Diamanten gut?“

Das Ziel muss sein, den Fokus im Alltag immer wieder auf das Positive zu lenken. Wir haben als Erwachsene bereits viele Erfahrungen gemacht, die sich im Moment schlimm gefühlt haben und erst im Nachgang Sinn ergeben haben.

Was wird möglich, wenn wir in dem Anderssein der Neurodivergenz eine Chance erkennen, wir uns auf die Stärken, die diese mit sich bringt, besinnen und uns fragen: Was ist jetzt sonst noch möglich?

Wie beeinflusst deine persönliche Erfahrung mit Neurodivergenz oder die deiner Klienten deine Herangehensweise an Resilienz und Mobbingprävention?

Ich selbst erlebe so oft im Alltag, dass ich so viel mehr wahrnehme als neurotypische Menschen. Die Gefühle, Gedanken und Emotionen von anderen sind für mich und meine neurodiversen Coachees leicht wahrzunehmen und oft spüre ich diese wie meine eigenen.

Meinen Coachees erkläre ich es mit folgendem Bild: Was wäre, wenn du wie ein Radio die Gedanken und Gefühle deiner Mitmenschen wahrnimmst? Und nicht nur eine Frequenz, sondern 100 auf einmal? Es spürt sich so echt an, aber wie viel davon gehört wirklich dir?

Es beginnt und endet alles im Kopf, im Gehirn bei den Gefühlen und Gedanken. Resilienz bedeutet für mich daher:

  • Bei mir zu bleiben, den Blick nach innen zu richten und meinen Diamanten zu fragen, wem das gehört, was ich gerade wahrnehme. Denn nicht alles, was ich spüre, ist auch meins.

  • ein positives Selbstbild von mir zu formen und täglich zu leben. Nach so vielen Jahren von Selbstzweifeln habe ich es in der Hand, Tag für Tag mehr auf mich zu vertrauen und mich an meinen realistischen Wert zu erinnern.

  • mich selbst wichtig zu nehmen und gut für mich zu sorgen. Nur so habe ich die Kraft, herausfordernde Situationen selbstwirksam zu meistern und für meine Familie da zu sein.

  • Auf mich und meine Gedanken zu achten.

  • liebevolle Selbstgespräche mit mir zu führen.

  • so oft es geht zu üben, das Licht in meinem Diamanten groß zu machen, damit es dann im Stressfall auch gelingen kann.

Und wenn ich so gestärkt in schwierige Situationen gehe, gibt es wenig, was mich wirklich aus der Bahn wirft, und ich bin unempfindlicher gegen Mobbing. Ganz beispielhaft: Wenn mein Nachbar meine Brille doof findet, ich mir die aber mit einer lieben Freundin ausgesucht habe und ich die Brille wirklich toll finde, dann treffen mich diese Worte nicht. Ich kann sie einfach an mir abprallen lassen.

Und sollte mich jemand nicht nur mit Worten traktieren, sondern sogar drohen oder handgreiflich werden, habe ich die innere Kraft, mir richtig Hilfe zu holen und mich selbst zu verteidigen.

Welchen Tipp kannst du Eltern geben, damit sich ihre Kinder wie ein „Diamant“ fühlen – stark und unzerbrechlich?

Hier kann ich klar sagen: Be-Ziehung statt Er-Ziehung. Eine der wichtigsten Grundlagen für eine dauerhaft gute Verbindung auch in die Teenagerzeit ist das Denken über die Kinder.

Wenn neurodivergente Kinder so viel mehr Gedanken um sich herum wahrnehmen, dann ist es wichtig, dass deren Eltern ein stärkendes und wohlwollendes Mindset leben. Die Kinder spüren, wer sie als Problem im Leben oder als Opfer irgendeiner Krankheit sieht. Ebenso spüren sie auch, ob die Eltern sie als starke Seele erkennen, die alles schaffen kann.

Wie stärkend ist es für die Kinder, wenn sie energetisch und mit Worten und Taten von ihren Eltern gesagt bekommen: „Du bist und bleibst wertvoll. Mich interessiert, wie es dir geht und wie du die Welt erlebst. Egal, was passiert, du wirst meine Liebe niemals loswerden. Du bist liebenswert und einzigartig, genau so wie du bist! Ich glaube an dich.“

Und wichtig: Auch wenn Eltern diesen Diamanten im Kind sehen, werden Fehler passieren. Auch ich werde mal laut, auch ich treffe meine Kinder mit Worten. Dann ist es für mich ein Zeichen von Größe, sich bei meinen Kindern zu entschuldigen und ihnen zu sagen: „Dein Verhalten hat gerade einen Knopf bei mir gedrückt. Es tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe. Ich werde da mal hinschauen, was da los ist bei mir.“

Zudem bitte ich die Eltern, wieder mehr mit ihren Kindern zu spielen. Die Kinder mal einen Tag – offline – entscheiden lassen, was sie zusammen erleben wollen. Zeit in der Natur, Zeit mit Tieren, Qualitätszeit – das tut beiden Parteien gut und verbindet.

Diese Liebe ist der sichere Hafen, in den sie sich zurückziehen können, wenn es draußen mal wieder sehr stürmisch zuging.

Wie gehst du in deiner Beratung speziell auf die Bedürfnisse und Stärken neurodivergenter Kinder ein, um ihnen zu helfen, sich gegen Mobbing zu behaupten?

Neurodivergente Kinder sind meist viel schneller – zum einen von den Eindrücken der Umgebung überladen und überreizt, zum anderen in der Ideenfindung und Umsetzung.

Um stark gegen Mobbing zu sein, braucht es eine starke Basis. Viele Kinder haben sich jedoch leider noch nie mit ihren Stärken beschäftigt. Sie diese mal aufschreiben zu lassen oder die Eltern zu bitten, ihnen zu sagen, was sie warum an ihnen schätzen, ist für viele tief berührend. TeamPLAY ist hier zum Beispiel ein so mega Hilfsmittel, den Blickwinkel im Alltag neu auszurichten. Viel zu selten sagen wir dem anderen, was wir an ihm mögen, oder?

Durch meine Coachings bediene ich die emotionale und soziale Unterstützung und versuche, Eltern und Kind einen bewertungsfreien Raum zu schaffen. Natürlich gibt es einfache und gleichzeitig effektive Ideen, die sie in ihren Werkzeugkasten bekommen, um sie ganz individuell einsetzen zu können, wenn sie sich mal wieder klein fühlen:

  • Atemtechniken

  • Einsatz von Entspannungsmethoden, um wieder echte Ruhe in den Kopf zu bekommen (Cool, dass die so kinderleicht zu lernen sind, dass die Kinder diese sogar bei ihren Eltern anwenden können). Ich liebe es zu sehen, wie sie innerhalb von 20 Minuten quasi auf Knopfdruck tief entspannen.

  • Den Blick nach innen richten, sich an seinen Diamanten erinnern und sich vorstellen, dass sie mit einem „Sssssd“ (wie bei einem Drehschalter) dessen Licht anmachen.

  • Einladung zu Selbstgesprächen: Stell dir vor, dein Diamant sei dein bester Freund. Was braucht er, um hier weiterhin strahlen zu können?

  • Die Karten selbst in die Hand zu nehmen und mit sich in Kontakt zu kommen.

Zudem bekommen sie von mir natürlich viele kleine Diamanten in die Hand, die sie immer in der Hosentasche haben als Erinnerung.

Was sind einige Erfolgsgeschichten, bei denen das diamantastische Lebensgefühl eine entscheidende Rolle im Umgang mit schwierigen Situationen gespielt hat?

Ein 10-jähriges Mädchen, das mit ADHS diagnostiziert ist und bei mir im Training war, erzählte mir, dass sie, wenn sie geärgert wird, an ihren Diamanten denkt, sich innerlich sagt „Interessant, was hier gerade abgeht – danke für dieses Wortgeschenk – das leg ich mir aber nicht auf meinen Diamanten“ und sich dann viel leichter umdreht und sich ihren Freundinnen zuwendet. Das war ein echter Meilenstein für sie.

Ein 8-jähriger Junge berichtete mir, dass er es nach dem Coaching endlich geschafft hat, im Sportverein auf einen anderen Jungen zuzugehen und ihn gefragt hat, ob sie miteinander schwimmen gehen wollen. Vorher hat er sich dies nicht getraut, da er Angst hatte, ein Nein zu bekommen. Es freute mich und die Eltern sehr, dass er jetzt Schritt für Schritt über sich hinauswächst und hinein ins Growth Mindset geht.

In den Schultrainings ärgere ich die Kinder als Stressi. Am Ende des Kurses erkennt Stressi, dass das so keinen Sinn mehr macht und sie entschuldigt sich für ihr Verhalten. Durch das Bild des Diamanten schaffen es die Kinder alle, Stressi zu verzeihen und es wieder mitspielen zu lassen. „Stressi, ich seh deinen Diamanten, auch wenn du ihn anscheinend nicht siehst.“

Wenn ich im Elternabend die Erwachsenen in die Erinnerung an ihr kleines Baby zurückbringe und ihnen das realistische Bild mitgebe, dass dieser Wert niemals sinken kann – ich liebe diese Momente der Verbundenheit.

Welche Ratschläge gibst du Eltern, die das diamantastische Lebensgefühl nachhaltiger in den Alltag ihrer Familie integrieren möchten, um ihre Kinder zu unterstützen?

Für mich ist eins offensichtlich: Kinder lernen oft am Vorbild durch Nachahmung. Wenn Eltern sich selbst oder andere klein machen („Bin ich dumm!“ oder „Was ist das für ein Idiot“), dann ist es für die Kinder schwierig, sich anders zu verhalten.

Daher empfehle ich klar:

  • Beginne bei dir und deinem Diamanten.

Sich selbst mit seinen Stärken und Schwächen zu akzeptieren und das ohne Schuldgefühle, dass es bisher anders war. Für mich gibt jeder sein Bestes, mit den Werkzeugen und Informationen, die sie im jeweiligen Moment zur Verfügung haben. Gerne stehe ich Eltern an der Seite, um sich auf diese Reise zu begeben und den Werkzeugkoffer neu zu füllen.

  • Biete emotionale Unterstützung.

Höre aktiv zu, damit das Kind offen über seine Gefühle sprechen kann und hilf dem Kind, mit diesen umzugehen.

  • Lege den Fokus auf die Stärken und kleine Fortschritte.

Diamantastisch zu leben bedeutet für mich, mit Wertschätzung sich selbst und anderen gegenüber zu agieren.

  • Sorge gut für dich selbst.

Achte auf deine Bedürfnisse und sorge gut für dich, nur wenn du ausgeglichen bist, kannst du dein Kind optimal unterstützen. Dabei hilft es klar, sich Hilfe zu holen und Hilfe anzunehmen.

Dieser Weg ist kein Sprint, sondern ein Ultra-Marathon. Mit mehr Leichtigkeit und weniger Stress im Alltag werden auch die größten Hürden machbar.

Ich wünsche mir, dass Eltern ihre Kinder so ermächtigen, auf sich zu vertrauen. Ich stehe auf, damit Eltern und Kinder die so fordernde Zeit der Schule überstehen, ohne dass die Beziehung durch Bewertungen im System kaputt geht und das Kind den Glauben an sich und seinen Wert verliert.

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