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Hochwasserhilfe der Bundeswehr in Sachsen-Anhalt

Was steckt (rechtlich gesehen) dahinter?

Seit gestern ist die Bundeswehr in Sachsen-Anhalt beim Befüllen und Verteilen von Sandsäcken eingesetzt, wie die Tagesschau (Opens in a new window) vermeldete. Der Landkreis Mansfeld-Südharz hatte um Hilfe gebeten, u.a. um einen Deichabschnitt zu stabilisieren. Zuvor wurde der Eintritt des Katastrophenfalls (Opens in a new window) im Sinne des § 1 Abs. 2 des Katastrophenschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (KatSG-LSA) (Opens in a new window) nach § 16 KatSG-LSA festgestellt.

Nun hatte ich den Bevölkerungsschutz, den Zivilschutz und den Katastrophenschutz (Opens in a new window) bereits vorgestellt. Daraus ergibt sich die verständliche Frage: Warum kann in Friedenszeiten die Bundeswehr im Katastrophenschutz eingesetzt werden?

ZMZ

Zunächst kann hier noch einmal auf das gesamtstaatliche Hilfeleistungssystem im Bevölkerungsschutz (Opens in a new window) verwiesen werden. Das umfasst ebenfalls die sog. Zivil-Militärische Zusammenarbeit (Opens in a new window) (ZMZ). ZMZ steht für das Zusammenwirken von staatlichen oder nichtstaatlichen zivilen Organisationen mit den Streitkräften, insbesondere, aber nicht nur im Bereich der Bündnis- und Landesverteidigung, in der Gefahrenabwehr und bei Hilfeleistungen im Katastrophenfall.

Amtshilfe

Die Amtshilfe in der Verfassung

Nach Art. 35 des Grundgesetzes (GG) (Opens in a new window), also unserer Verfassung als ranghöchstes Gesetz, leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe (Art. 35 Abs. 1 GG). Hiernach ist auch die Anforderung der Streitkräfte durch ein Bundesland zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall (Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG) möglich. Zudem kann die Bundesregierung bei mehreren von Naturkatastrophe oder Unglücksfall betroffenen Bundesländern die Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen (Art. 35 Abs. 3 GG).

Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG erscheint hier schon einmal treffend.

Art. 35 GG insgesamt ist allerdings sichtlich knapp und wird durch rangniedrigere Gesetze konkretisiert, insbesondere durch die Verwaltungsverfahrensgesetze. Hier gibt es ein Bundesgesetz und wieder 16 Landesverwaltungsverfahrensgesetze. Die Verwaltungsverfahrensgesetze regeln, vereinfacht gesagt, ob und wie Behörden arbeiten müssen.

Das bedeutet, einfach bei der Bundeswehr anrufen und auf Art. 35 Abs. 2 S. 2 GG pochen geht nicht. Hier gibt es ein paar Regeln zu beachten.

Die Amtshilfe in den weiteren Gesetzen

§ 19 KatSG-LSA (Opens in a new window) sieht lediglich vor, dass die Katastrophenschutzbehörde Hilfe der Bundeswehr bei den dafür vorgesehenen Stellen anfordert und die eingesetzten Kräfte der Katastrophenschutzbehörde bei der Erfüllung ihrer Aufgaben helfen. Diese Norm hilft nicht bei der Frage des “Ob”; also ob Bundeswehrsoldat:innen zum Sandsäckebefüllen und -verteilen antreten müssen. Daher schauen wir in das Bundesverwaltungsverfahrensgesetz (BVwVfG) (Opens in a new window), auf welches das Verwaltungsverfahrensgesetz von Sachsen-Anhalt (Opens in a new window) verweist.

§ 4 Abs. 1 BVwVfG bestimmt zunächst, in Anlehnung an Art. 35 Abs. 1 GG, dass jede Behörde anderen Behörden auf Ersuchen ergänzende Hilfe (Amtshilfe) leistet. Zusammen mit den §§ 5-8 BVwVfG bildet § 4 BVwVfG sozusagen das Kochrezept für Katastrophenschutzbehörden, die im Sinne des Art. 35 GG die Bundeswehr zur Unterstützung anfordern wollen.

Kochrezept für Amtshilfe (ein Auszug)

1. Die Amtshilfe ist “subsidiär”

“Amtshilfe” ist in § 4 Abs. 1 BVwVfG (Opens in a new window) definiert als “ergänzende Hilfe”.

Das bedeutet: Hier geht es nicht um das Delegieren von Aufgaben, sondern um zusätzliche (aber eng begrenzte) Unterstützung, weil die eigenen Kräfte und Mittel zur Aufgabenbewältigung nicht ausreichen. Unter Fachleuten wird das Subsidiaritätsprinzip genannt.

Daraus ergibt sich zwar nicht, dass eine Katastrophenschutzbehörde vor dem Amtshilfeersuchen an die Bundeswehr zunächst Katastrophenschutzbehörden von Nachbargemeinden oder gar, wie z.B. über das Katastrophenschutzverfahren der EU (Opens in a new window), andere EU-Mitgliedstaaten durch das Landesinnenministerium erfolglos angefragt haben muss. Ausreichend ist insoweit die fehlende Fähigkeit, die Aufgabenbewältigung aus eigenen Kräften und Mitteln stemmen zu können.

Das bedeutet jedoch, die im eigenen Zuständigkeitsbereich verfügbaren Kräfte und Mittel voll ausgeschöpft zu haben. Dazu gehört z.B. auch das Heranziehen von Bürgerinnen und Bürgern nach § 21 KatSG-LSA (Opens in a new window). Danach ist in einem Katastrophenfall jedermann - einschließlich jederfrau - verpflichtet, bei Abwehrmaßnahmen Hilfe zu leisten, wenn er oder sie von der Katastrophenschutzbehörde oder einem von ihr Beauftragten dazu aufgefordert wird.

2. Wann kann Amtshilfe erbeten oder abgelehnt werden?

§ 5 Abs. 1 BVwVfG (Opens in a new window) bestimmt, wann eine Behörde ergänzende Hilfe durch eine andere Behörde erbitten kann. Nämlich dann und nicht nur dann (weniger juristisch formuliert),

  • wenn sie rechtlich nicht dazu in der Lage ist;

  • wenn sie sich nicht selbst helfen kann, etwa weil die (Einsatz-)Kräfte und Mittel fehlen;

  • wenn ihr für die Aufgabenerfüllung Wissen fehlt;

  • wenn ihr für die Aufgabenerfüllung Unterlagen fehlen, die die angefragte Behörde hat;

  • wenn der eigene Aufwand viel höher wäre als der der angefragten Behörde.

—> Hier könnte der zweitgenannte Fall vorgelegen haben, dass also Kräfte zur Sandsäckebefüllung und -verteilung fehlten.

§ 5 Abs. 2 BVwVfG (Opens in a new window) bestimmt, wann die um ergänzende Hilfe ersuchte Behörde nicht helfen darf und ablehnen muss. Nämlich dann,

  • wenn sie rechtlich nicht dazu in der Lage ist;

  • wenn die Hilfeleistung erhebliche Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes zur Folge hätte.

—> Da Sandsäckebefüllen und -verteilen für sich allein rechtlich machbar ist, stellte sich vor allem die Frage, ob die Bundeswehrkräfte deswegen an anderer Stelle fehlen, wodurch ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Bundes oder eines Landes entstünde. Das vermag ich hier nicht zu beantworten. Allerdings gehe ich davon aus, dass die entscheidende Stelle bei der Bundeswehr im Einklang mit § 5 Abs. 2 BVwVfG über den Einsatz entschieden hat.

§ 5 Abs. 3 BVwVfG (Opens in a new window) sieht daneben Gründe vor, wann die ersuchte Behörde die Hilfeleistung ablehnen kann, aber nicht muss. Nämlich dann,

  • wenn eine andere Behörde die Hilfe wesentlich einfacher oder mit wesentlich geringerem Aufwand leisten kann;

  • wenn sie die Hilfe nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand leisten könnte;

  • wenn sie unter Berücksichtigung der Aufgaben der ersuchenden Behörde durch die Hilfeleistung die Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben ernstlich gefährden würde.

Eine Ablehnung der erbetenen Hilfeleistung des Sandsäckebefüllens und -verteilens durch die Bundeswehr ist ausweislich der Berichterstattung nicht geschehen. In diesem Fall wäre das Amtshilfeersuchen abgelehnt worden mit einer Begründung, warum eine Verpflichtung zur Hilfe nicht erkannt wird (siehe § 5 Abs. 5 S. 1 BVwVfG).

Fazit

Zwar fehlen Einzelheiten, um den Fall prüfen und bewerten zu können. Dennoch lässt sich an diesem Beispiel des Bundeswehreinsatzes ohne Weiteres ableiten, dass der Katastrophenschutz (Opens in a new window) in lokaler Verantwortung wieder einmal an seine Grenzen gelangt ist.

Ein unzureichendes Katastrophenmanagement ist zwar kein gesetzlich vorgesehener Grund für die Bundeswehr, die erbetene Hilfe abzulehnen. Der vorliegende Fall sollte jedoch einen (weiteren) Grund für Bund und Länder darstellen, den Katastrophenschutz (Opens in a new window) sowie den Bevölkerungsschutz (Opens in a new window) insgesamt auf Schwächen zu prüfen und diese zu beheben. Allein mit Blick auf die personelle (Opens in a new window) bzw. materielle Ausstattung der Bundeswehr und die zu erwartenden Einsätze z.B. in Litauen (Opens in a new window) in immer unruhiger werdenden Zeiten, ist damit zu rechnen, dass die Bundeswehr Amtshilfeersuchen in Zukunft womöglich ablehnen muss, weil sie nicht helfen kann oder darf. So könnten die benötigten Hilfskräfte schlicht unentbehrlich sein oder rechtliche Verpflichtungen anderen gegenüber verletzt werden.

Der Bundeswehr und allen helfenden Soldatinnen und Soldaten spreche ich auch und gerade deshalb meinen herzlichsten Dank für ihre Hochwasserhilfe aus.

Topic Wissenswertes

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