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„DAS ERBRECHEN IST IHNEN NICHT GESTATTET!“

FILM-KRITIK

Lecker, lecker, denkt sich doch ein*e Jede*r direkt bei dieser Überschrift. #sorrynotsorry

Passt sie doch zu gut zum betreffenden Film, aus dem sie stammt. Dieser kommt, inszeniert vom italienisch-schweizerischen Regisseur (Brot & Tulpen), mit dem zunächst einmal unverfänglich klingenden Titel DIE VORKOSTERINNEN daher. Allein ist nichts unverfänglich an der Geschichte, die auf dem Roman Le Assaggiatrici der italienischen Autorin Rosella Postorino basiert, der wiederum auf einem Interview mit Margot Woelk beruht, das diese 94-jährig 2012 der Berliner Zeitung gab.

Rosa Sauer (Elisa Schlott) und andere Frauen des Ortes werden 1943 von der SS zwangsverpflichtet, als Vorkoster für Hitler die Speisen in der Wolfsschanze auf Gift zu prüfen
Foto: Luca Zontini / © Busch Media Group
Rosa Sauer (Elisa Schlott) und andere Frauen des Ortes werden 1943 von der SS zwangsverpflichtet, als Vorkoster für Hitler die Speisen in der Wolfsschanze auf Gift zu prüfen // Foto: Luca Zontini / © Busch Media Group

In diesem erzählte sie eine schier unglaubliche (und von Historiker*innen angezweifelte) Geschichte. Nämlich jene, dass sie gemeinsam mit einer Gruppe anderer Frauen in den Jahren 1943 und 1944 als Vorkosterin für Adolf Hitler nahe der Wolfsschanze in Ostpreußen tätig gewesen sei. Außer ihr hatte/habe keine der anderen Frauen den Krieg überlebt, erfahren wir am Ende des Films. Schicksalshaft, möchte mensch da dezent garstig denken. Andererseits: Wer sind wir hier, um dies zu beurteilen?!

Autokraten und Diktatoren sowie sonstige Herrscher*innen ließen ihr Futter schon immer gern auf Toxine vorkosten, wie wir in frühester Kindheit über die ganze alte Zeit schon bei Asterix lernen konnten. Putin tut es, Muammar al-Gaddafi und Saddam Hussein taten es dem Vernehmen nach ebenso und der Herr Hitler galt doch immerhin als recht (und zurecht) paranoid. Verkroch sich ja nicht umsonst auf dem Obersalzberg und in der Wolfsschanze, ne?!?!

https://steadyhq.com/de/thelittlequeerreview/posts/029bcdfd-6b1b-4fde-b4f3-7d68a910ce62 (Opens in a new window)

Sei‘s drum: Historisches Kino (wie auch historische Romane) erheben nun eher selten den Anspruch auf absolute Wahrheit, was durchaus genehm ist, solange es nicht in totale Geschichtsklitterung, Verklärung und/oder Propaganda und Lügen mündet. All das kann dem solide dramatisch und teils schwer im Magen liegenden DIE VORKOSTERINNEN nicht unterstellt werden.

Im Zentrum steht Rosa Sauer (stark: Elisa Schlott), die nach dem Tod ihrer Mutter aus dem bereits teils ausgebombten Berlin zu ihren Schwiegereltern (Esther Gemsch, Jürgen Wink) nach Groß-Partsch flieht/übersiedelt. Dort wartet sie auf ihren in der Sowjetunion eingesetzten Gatten Gregor, der vielleicht, vielleicht aber auch nicht, im Laufe des Films gefallen ist – die Neugierde der Zuschauer*innen wird nicht gestillt. Schon kurz nach ihrer Ankunft wird sie von einem austauschbaren SS-Schergen abgeholt und mit anderen jungen, deutschen, (hoffentlich) gesunden Frauen in Richtung „Führerhauptquartier Wolfsschanze“ gefahren.

Nach einiger Verwirrung wird sieben von ihnen bedeutet zu essen. Zunächst herrscht Freude, auch weil der Koch „Krümel“ (zurückhaltend: Boris Aljinović) so einen knuffigen Vibe hat. Da fühlen sie es noch. Doch als es heißt, sie müssten nun eine Stunde sitzen bleiben, damit festgestellt werden könne, ob das Essen vergiftet sei, weicht die Entspannung dezenter Anspannung. Von nun haben sie dort täglich des Führers Mittags- und Abendspeisen vorzukosten. Immerhin in Zeiten absoluter Nahrungsmittelknappheit und mit einem Salär von 200 Reichsmark (sollte heute gut um die 1.000 Euro sein).

Soldini und seine fünf (!) Drehbuch-Co-Autor*innen geben einige der üblichen, althergebrachten Zutaten in ihren mit deutsch(sprachigen) Schauspielerinnen belegten belgisch-italienisch-schweizerischen Nationalsozialismus-Story-Auflauf: Blasse Bilder (Renato Berta) angereichert mit Unheil verkündender Musik (Mauro Pagani), einen ganz bösen, brüllenden, prügelneden Nazi und einen pflichtbewussten, aber nicht ganz so bösen, Zigaretten ausgebenden SS-ler namens Gunter (Nicolo Pasetti, ab kommender Woche in THE BITTER TASTE zu sehen), eine möglicherweise verhängnisvolle Affäre mit Stalking-SS-Offizier Ziegler (Max Riemelt), eine „heimliche Jüdin“ (stark gespielt von Alma Hasun), den Russen vor der Tür, eine ungewollte Schwangerschaft etc. pp.

Alber Ziegler (Max Riemelt) kennt keine Gnade
Foto: Luca Zontini / © Busch Media Group
Albert Ziegler (Max Riemelt) kennt keine Gnade // Foto: Luca Zontini / © Busch Media Group

Einiges davon fügt sich ganz gut zum historischen Nazifilm-Grundrezept, das mit der neuen Perspektive aus Sicht ausschließlich von Frauen und mit Rosa speziell einer sowie der eher unbekannten, eventuell wahren Geschichte um Vorkosterinnen ohnehin etwas Pfiff hat. Anderes, wie die unangenehme, schwierige, heimliche Affäre auf Scheunen-Heu, oder das Spannungs-Drama (Opens in a new window), das DIE VORKOSTERINNEN nach einigem Dahinplätschern am Ende aus dem Gewürzregal zaubern, weniger.

Zudem bleibt die Frage im Raum, ob die in jeder einzelnen Sekunde, mit jedem Bild und jedem Klang vermittelte Schmand-Schwere des Films hätte sein müssen. Womöglich sind es die Einflüsse der ebenfalls in dieser Woche startenden Filme BLINDGÄNGER (Opens in a new window), DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH (Opens in a new window) sowie CLOWN IN A CORNFIELD (Opens in a new window) auf mich, doch ein wenig Humor oder Lakonik hätten sicher nicht nur mir geschmeckt (Opens in a new window) wie dem Führer seine Süßspeisen.

https://www.youtube.com/watch?v=ZSsrJ_OiyN4 (Opens in a new window)

Die drei anderen Filme erzählen im Kern ernste, teils tragische Geschichten, wissen aber gleichwohl um ihre mitunter absurden Ausgangssituationen und wohl ebenfalls, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Dass die Grundlage der VORKOSTERINNEN durchaus grotesk ist – ob wahr oder nicht – lässt sich nicht von der Hand weisen. Das hätten die Macher*innen nutzen können. Die absolute Ernsthaftigkeit steht dem ambitionierten Drama nicht, dafür hat es am Ende doch zu wenig (Neues) zu sagen.

AS

PS: Koch-Geplänkel: Wenn's stimmt, dass Adolf Hitler zum Vegetarier wurde, weil er das Kadaver-Blutplätschern nach einem Besuch im Schlachthaus nicht vergessen konnte, wäre das eine arg bittere Ironie der Geschichte, die Walter Moers oder Timur Vermes wohl sehr gefiele.

PPS: Apropos lukkulisch: Zwei Neuerscheinungen befassen sich aktuell mit Essen (also sicher einige mehr, aber wir meinen keine reinen Kochbücher): Markus Bennemanns DER ANFANG ALLER KÖSTLICHKEITEN. Wie die Natur unsere liebsten Speisen, Getränke und Gifte erfand (Goldmann Verlag) und HINTER DEM TELLERRAND. Warum uns erst Essen zu Menschen macht von Sira Huwiler-Flamm (Westend Verlag). Beide Titel werden in Bälde rezensiert.

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Die Vorkosterinnen ist seit dem 29. Mai 2025 im Kino zu sehen.

Die Vorkosterinnen; Italien, Belgien, Schweiz, 2025; Regie: Silvio Soldini; Drehbuch: Doriana Leondeff, Silvio Soldini, Cristina Comencini, Giulia Calenda, Ilaria Macchia, Lucio Ricca; Bildgestaltung: Renato Berta; Musik: Mauro Pagani; Darsteller*innen: Elisa Schlott, Max Riemelt, Alma Hasun, Emma Falck, Boris Aljinović, Olga von Luckwald, Thea Rasche, Berit Vander, Nicolo Pasetti, Peter Schorn, Esther Gemsch, Jürgen Wink, u. a.; Laufzeit ca. 123 Minuten; FSK: 12; im Kino

Topic Film

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