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STREICH DURCH DIE RECHNUNG

FILM-KRITIK

Bombenstimmung in dieser Woche im Kino: In Kerstin Poltes eindrücklichem, queerem Ensemble-Drama BLINDGÄNGER geht eben dieser hoffentlich nicht hoch (Öffnet in neuem Fenster). Dafür kracht es direkt zu Beginn des neuen Wes Anderson-Streichs DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH gewaltig und ungewohnt blutig (noch blutiger – und queerer – ist da nur der CLOWN IN THE CORNFIELD (Öffnet in neuem Fenster)). Im Jahr 1950 überlebt der reichste Mann Europas Zsa-Zsa Korda (Benicio del Toro) einen neuerlichen Anschlag auf sein Leben und steht plötzlich zu unerwartet wie schwer verletzt neben dem Piloten seiner soeben abgestürzten Maschine vor dem TV-Reporter inmitten eines – Achtung! – Maisfeldes.

Angeschlagen aber am Leben: Zsa-Zsa Korba (Benicio del Toro) // Courtesy of TPS Productions/Focus Features © 2025 All Rights Reserved

Dieser kleine Vorfall bringt den Mann, der irgendwo zwischen Aristoteles Onassis, Dr. No und Peter Thiel angelegt ist, dazu sich allmählich um seinen Nachlass sowie die Umsetzung des letzten großen Coups beziehungsweise Schemes kümmern zu wollen (The Phoenician Scheme heißt der Film im Original). Erben sollen nicht seine neun (Adoptiv-)Söhne, die in einer Art Internat neben seinem eigenen Anwesen leben, sondern die entfremdete Tochter Liesl (Kate Winslets Tochter Mia Threapleton), die sich jedoch anschickt Nonne zu werden und zudem den Verdacht hegt, dass der Herr Papa die Frau Mama ermordet hat.

Da das Gerücht umgeht, dass der eiskalte Zsa-Zsa alle drei seiner Frauen auf dem Gewissen hat, würde das nur Sinn ergeben. In einer ersten Konfrontation fragt sie ihn auch direkt danach, er verneint energisch und verspricht ihr, ihr dabei zu helfen, den Täter zu finden (er ist sich gewiss, wer es war) und ihm die gerechte Strafe zukommen zu lassen. Dies allerdings nur, wenn Liesl dafür zumindest in Erwägung zöge, das Erbe des Vaters – viel Geld, diverse Immobilien und eine Menge Sammlerstücke – anzunehmen und ihm ebenso dabei zu helfen, den „Korda Land and Sea Phoenician Infrastructure Scheme” umzusetzen.

Benicio Del Toro als Zsa-Zsa Korda, Riz Ahmed als Prince Farouk, Michael Cera als Bjorn und Mia Threapleton als Liesl in Wes Andersons DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH // Courtesy of TPS Productions/Focus Features © 2025 All Rights Reserved.

Bei diesem geht es um eine Art riesiges Infrastrukturprojekt im Nahen Osten (in den 1950er-Jahren eine solide Idee; in den 50ern spielt übrigens das queere Drama ON SWIFT HORSES, der ebenfalls heute startet und den wir euch bald vorstellen) im fiktiven Staat Phönizien (wer hätts gedacht, was?!), alles fein säuberlich geplant und notiert in neun Schuhboxen. Dem entgegen stehen diverse Nationen, die dem menschlichen Geist Zsa-Zsa einen Strich durch den Streich machen wollen und sich unter Leitung Exkaliburs (Rupert Friend) zusammentun, um die Börsenkurse derart zu manipulieren, dass dessen Kalkulation in sich zusammenbricht. So muss er nun also mit der widerwilligen Liesl zu seinen nicht minder windigen Geschäftspartner*innen reisen, um deren Beteiligung aufstocken zu lassen.

Liesl

How much is the gap?”

Zsa-zsa:

The gap? The gap’s complicated. Yes: it’s partly a deficit in funding against total projected revenue; but, more precariously, it’s a missing slice of a pie that was baked too big for the pan.”

Liesl:

I mean the amount.”

Zsa-zsa:

Everything we got (our entire fortune) — plus a little bit more.”

Mit von der Partie ist der Insektenkunde-Tutor Bjørn Lund (Michael Cena), der sich natürlich prompt in die keusche Liesl verliebt und womöglich, wie so oft in Heist-Thrillern, nicht exakt der ist, der zu sein er vorgibt, Lügendetektortest hin oder her.

Benedict Cumberbatch als Uncle Nubar Wes Andersons THE PHOENICIAN SCHEME
Benedict Cumberbatch chillt als Uncle Nubar Wes Andersons THE PHOENICIAN SCHEME // Courtesy of TPS Productions/Focus Features © 2025 All Rights Reserved.

So bunt und wild sieht es also aus in Wes Andersons buntem und wildem DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH, der in der Tat eine Menge Spaß macht und den Zuschauer*innen diverse Streiche spielt. Gehört er doch nach einiger Zeit zu den überraschenderen und wendungsreicheren Anderson-Filmen. Natürlich überraschen uns nicht die Set Pieces (gedreht wurde komplett im Studio Babelsberg), die symmetrische Bildanordnung, der Retro-Look, die teils knalligen Farben etc. pp. Ebensowenig der star-gespickte Cast, der selbst einen F. Murray Abraham oder Willem Dafoe nur für die kleinsten Momente einspannt. Dies gehört zu Wes Anderson wie die olle Perlenkette zu Alice Weidel. Allein dafür rennen manche ins Kino – Handlung egal, Hauptsache plötzlich winkt vor eigenwilliger Kulisse ein Bill Murray in die Kamera.

So gab es vor einiger Zeit einen großen Hype, Anderson-Look-A-Like-Bilder via KI zu erstellen (oder gibt es nun möglicherweise wieder). Gar nicht KI, dafür umso besonderer sind übrigens die Fotografien in Accidentally Wes Anderson, einer Art Community-Projekt, bei dem Menschen aus aller Welt Orte bereisten und fotografierten, an denen Anderson zwar nie drehte, die aber in seine Filme passen würden. In Buchform ist dieser abenteuerliche Reiseführer bereits im Jahr 2020 im Dumont Verlag erschienen. Mehr dazu in Kürze.

Mathieu Amalric als Marseille Bob, Michael Cera als Bjorn, Benicio Del Toro als Zsa-Zsa Korda, Mia Threapleton als Liesl und Jeffrey Wright als Marty in Wes Andersons THE PHOENICIAN SCHEME
Mathieu Amalric als Marseille Bob, Michael Cera als Bjorn, Benicio Del Toro als Zsa-Zsa Korda, Mia Threapleton als Liesl und Jeffrey Wright als Marty in Wes Andersons THE PHOENICIAN SCHEME // Credit: Courtesy of TPS Productions/Focus Features © 2025 All Rights Reserved.

Abenteuerlich und reichlich rasant geht es nun auch im phönizischen Meisterstreich zu, der nicht nur durch Sets, sondern auch Bildkomposition und ein wirklich feinsinnig-garstiges sowie gefühlvolles, ja empathisches Drehbuch zu überzeugen weiß. Absurde Ideen, famose, bittere Running Gags und Menschlichkeit wie Einsicht wechseln sich in so solidem Rhythmus ab, wie die diversen Stars (wenn die Schlusswendung auch allzu plötzlich kommt).

Da wären unter anderem Tom Hanks und Bryan Cranston als Leland und Reagan vom Sacramento Consortium, Riz Ahmed als der Prinz von Phönizien, Mathieu Amalric als Marseille Bob (Casablanca lässt grüßen), Jeffrey Wright als Marty, Scarlett Johansson als Cousine Hilda, Benedict Cumberbatch als Zsa-Zsas Halbbruder/Liesls Onkel Nubar, Richard Ayoade als Sergio oder Hope Davis als Mother Superior. Und das sind nur die mit Dialog!

https://www.youtube.com/watch?v=GEuMnPl2WI4 (Öffnet in neuem Fenster)

Da nicht zu viel verraten werden soll – der Film lebt wirklich von manch einer Überraschung – sei nur gesagt, dass für jene, die der Mätzchen eines Wes Anderson zuletzt ein wenig müde geworden waren, DER PHÖNIZISCHE MEISTERSTREICH eine solide Option ist, um wieder einzusteigen. Zumal mensch Benicio del Toro selten so stark gesehen haben dürfte und auch Threapleton und Cena große Spielfreude mitbringen.

Ein durchweg unterhaltsamer, teils arg spannender, sehr kurzweiliger, kreativer Film, der zeigt, dass Wes Anderson doch noch Spaß daran hat, seine sich selbst gesetzten, schillernden Grenzen ein wenig zu verschieben.

AS

PS: Wir empfehlen unbedingt die englischsprachige Fassung, allein schon des lustigen schwedischen Akzents Michael Cenas wegen und del Toros Stimme ist in jeder Synchronisation einfach nicht das Wahre. Gibt ja Untertitel und so.

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Der phönizische Meisterstreich ist ab heute im Kino zu sehen.

Der phönizische Meisterstreich; USA, Deutschland, 2025; Regie: Wes Anderson; Drehbuch: Wes Anderson, Roman Coppola; Bildgestaltung: Bruno Delbonnel; Musik: Alexandre Desplat, Igor Stravinsky; Darsteller*innen: Benicio del Toro, Mia Threapleton. Michael Cena, Tom Hanks, Bryan Cranston, Riz Ahmed, Mathieu Amalric, Jeffrey Wright, Scarlett Johansson, Richard Ayoade, Rupert Friend, Hope Davis, Benedict Cumberbatch, Willem Dafoe, F. Murray Abraham, Charlotte Gainsbourg; Laufzeit ca. 105 Minuten; FSK: 12; im Kino

Kategorie Film

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