„Content skaliert nicht“
Mein Membership-Newsletter "Blaupause" hilft dir, dich unabhängig zu machen, indem du erfolgreich Mitgliedschaften anbietest. Diese Woche schreibe ich über den Rummel um's Gründen. Und wie für Medien-Gründer:innen (wie dich?) die Wirklichkeit aussieht.
Hallo!
Gründen übt eine merkwürdige Faszination aus heutzutage. Es sind die Erfolgsgeschichten der Startups aus Kalifornien, die dazu geführt haben, dass heute etwas als cool gilt, das früher Selbstständig Machen hieß.
Gemeint waren zum Beispiel Finanzbeamte, die ein Buchhaltungsbüro eröffneten, Köchinnen, die ein Restaurant übernahmen, oder Cleverles, die mit einer schlauen Idee ein innovatives Produkt herstellten. So jemand ging mit einem möglichst risikoarmen Szenario zur örtlichen Sparkasse, um einen Kredit aufzunehmen, und stotterte ihn über die dann folgenden Jahrzehnte ab. Die Selbstständigen klotzten ran und gaben alles, um nicht "pleite zu gehen". Ein Konkurs war ein gesellschaftliches Stigma, eine Schmach, die für Unternehmer und ihre Familien kaum zu verwinden war. Herzinfarkte, Schlaganfälle und gescheiterte Ehen waren häufige Begleiterscheinung von Selbstständigkeit. Aber auch Erfolg. Den deutschen Wohlstand haben Menschen geschaffen, die bereit waren, diese Risiken zu tragen.
Der Weg zum Burnout
Ganz anders heute. Leitbild ist der "Gründer" (Frauen sind noch immer nicht wirklich vorgesehen) eines "Startups", das "skaliert". Gemeint ist eine rasant wachsende Firma mit einem Geschäftsmodell, das auf Software basiert, möglichst wenige Mitarbeitende beschäftigt, und sich über das Internet vermarktet. Dadurch steigen die Kosten kaum, selbst wenn die Zahl der Kund:innen exponentiell steigt. Dieses exponentielle Wachstum ist das Ziel von Startups: Ein sogenannter Hockey stick (darum das Emoji oben), eine plötzliche und extrem schnelle Erfolgsexplosion nach einer ersten Periode linearer Entwicklung.
Finanziert wird das Startup durch vermögende Investor:innen oder Risikokapital-Firmen, die bereit sind, ein hohes Risiko einzugehen, dass ihr Geld futsch ist, denn sie wissen: Das eine funktionierende Startup wird mehr Geld einbringen, als die neun Pleiten verbrennen werden. 9:1 ist rein rechnerisch eine akzeptable Erfolgsquote.
Der VC-Dino: Die wenigen wirklich erfolgreichen Investments müssen so spektakulär erfolgreich sein, dass sie viele Verluste kompensieren. (Quelle (Opens in a new window))
Gründer haften normalerweise nicht selbst – sie sollen Risiken eingehen, um möglichst schnell und steil zu skalieren. Sie investieren allerdings ihre Gesundheit und die ihrer Mitarbeitenden, denn sie arbeiten idealerweise ohne Unterlass. Bis zum Burnout.
Klingt wenig attraktiv, und ganz so schlimm ist es vielleicht auch nicht. Ich selbst bin von Burnouts bisher verschont geblieben. Aber ein schlechter Ruf eilt der Selbstständigkeit anscheinend voraus. Jedenfalls wollen sich erstaunlich wenige Menschen selbstständig machen oder ein Startup gründen. Unter "Entrepreneurial Intentions" ragiert Deutschland auf Platz 44 von 47 des Global Entrepreneurship Monitor (PDF) (Opens in a new window). Fast nirgendwo auf der Welt haben die Leute so wenig Unternehmergeist wie bei uns.
Ganz besonders selten sind Medien-Gründer:innen, also Leute wie du und ich. “Content skaliert nicht”, das gilt als ausgemacht. Zwar ist zwar die Distribution von Texten, Tönen und Filmen vernachlässigenswert billig. Eine Webseite, ein Podcast oder ein Newsletter kosten so gut wie nichts. Inhalte allerdings verderben schnell. Wir müssen sie immer neu erzeugen, und das ist nicht besonders billig, denn nur Menschen können das tun. Unser Menschsein ist die wichtigste Zutat dieses Produkts. Community und Authentizität sind das, was Medien voneinander unterscheidet und vermarktbar macht. Computer helfen, aber sie ersetzen uns nicht. Ohne teuren Mensch kein Produkt.
Aus diesem Grund steht der Klischee-Startup-Weg für Medien-Gründer:innen gar nicht zur Verfügung. Creators arbeiten wie Bauern. Sie bestellen täglich ihr Feld und produzieren Waren, die sie Tag für auf dem Marktplatz Stammkund:innen feilbieten. Eine gute Beziehung zwischen Produzent:innen und Käufer:innen ist die Basis des Geschäftsmodells. Es basiert auf Beziehungen, Vertrauen und verlässlicher Qualität. Frische Informationen sind wichtig, sie sind Geld wert. Aber nichts ist so alt wie die Startseite von vor einer Stunde.
Content skaliert nicht
Welcher rational handelnde Risikokapitalgeber investiert in ein Unternehmen, das nicht skalieren kann? Niemand, lautet die Antwort, und das habe ich am eigenen Leib erfahren. Das Wort “Medien” bedeutet in der Welt des Venture Capital: Finger weg.
Man kann darüber streiten, ob es stimmt, dass Inhalte nicht skalieren. Denn natürlich kann man einen einmal geschriebenen Artikel theoretisch an eine große Zahl von Menschen verkaufen, ohne relevant zusätzliche Kosten zu verursachen. Bisher klappt das aber einfach nicht. Unter anderem, weil Medienmärkte zu klein sind, sogar der englischsprachige. Neben der Sprache sind ja auch Kultur und Politik Voraussetzung für erfolgreiche Medien. In den vergangenen Jahren haben sich VCs jedenfalls einige blutige Nasen geholt mit dem Versuch, digitale Journalismus-Unternehmen durch die Investition von manchmal hunderten Millionen Dollar zum Skalieren zu bringen: Buzzfeed, Vice, Ozy, Vox, Medium, Huffington Post … irgendwann spricht sich herum, dass so ein Investment meistens schief geht.
Um Steady zu finanzieren, musste mein Mitgründer Gabriel Yoran, ein geduldiger Mann, mehrere hundert Investoren kontaktieren. Wir haben 82 Pitch-Gespräche geführt. Wir Gründer bekamen unseren Pitch manchmal kaum ohne Lachanfall raus, so albern kommen einem die dutzendfach durchgelutschen Phrasen irgendwann vor. Es war frustrierend. Unser Problem: Steadys Geschäftsmodell ist irgendwas zwischen Medien und “Software as a Service”. Aber “Medien” ist eben pfui, und für ein SaaS-Unternehmen hatten wir die falschen Zahlen. Niemand konnte uns in eine Schublade stecken. Das Risiko war schwer einzuschätzen. So trauten sich anfangs nur wenige mutige Business Angels, zu investieren. Wir sind ihnen bis heute sehr dankbar.
Du brauchst Geld
Falls du also überlegst, dich selbstständig zu machen und ein Medien-Startup zu gründen, stellt sich dir folgendes Problem: Du brauchst Geld. Klingt erstmal logisch. Aber häufig habe ich erlebt, dass Gründer:innen so sehr an ihren Plan glauben, dass sie die oben erwähnten niedrigen Distributionskosten zu Grunde legen, und sich vornehmen, sich selbst zu investieren. Sie arbeiten ohne Bezahlung. Fachbegriff Bootstrapping, oder auch Selbstausbeutung.
Klar, eine Weile hältst du es vielleicht ohne essen aus. Du kannst auch wieder bei deine Eltern einziehen. Deine Klamotten halten sicher noch ein paar Jahre. Aber offen gesprochen würde ich von dieser Strategie grundsätzlich abraten. Tatsächlich heißt dieser Weg nämlich, dass du irgendwas anderes gleichzeitig arbeiten wirst, um über die Runden zu kommen. Das ist anstrengend. Du kümmerst Dich nicht wirklich um dein neues Unternehmen, sondern bist mit Improvisieren beschäftigt. Das führt nirgendwo hin. Tu es nicht.
Jetzt habe ich ausführlich erklärt, was alles nicht klappen wird. Aber woher kommt das Investment? Woher nehmen und nicht stehlen? Das ist das Thema für eine andere Blaupause.
Bis nächsten Montag,
👋 Sebastian
PS: Die Blaupause der vergangenen Woche (Sucht deine Lösung eine Problem? (Opens in a new window)) hatte die höchste Öffnungsrate bisher, 65 Prozent. Wie cool!
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