Skip to main content

Aufstand im Lummerland

Von Hasnain Kazim - Augsburger Puppenkiste / Offizierschule / Jonathan Franzen

Liebe Leserin, lieber Leser,

eine interessante, etwas militärlastige Woche liegt hinter mir, davon erzähle ich Ihnen heute. Das Wochenende verbringe ich nun zu Hause in Wien, es ist leider Regen angekündigt, na ja, was heißt leider, für die Natur ist es gut. In meiner idealen Welt würde es natürlich nur zwischen 2 und 5 Uhr nachts regnen, und möglicht nicht am Wochenende, aber ich will nicht meckern. Also bleibe ich, bis auf die Gassirunden mit Frau Dr. Bohne, meiner Jagdterrierhündin, drinnen, schreibe jetzt die “Erbaulichen Unterredungen”, werde Zeit mit der Familie verbringen, lesen und schreiben, das nächste Buch muss ja vorankommen, und ach ja, in die Ausstellung von Damien Hirst in der Albertina Modern, Sie wissen schon, dieser durchgeknallte, faszinierende britische Künstler mit dem mit Diamanten besetzten Totenkopf, wollte ich auch noch.

Schiffstaufe der Korvette “Augsburg”

Vergangene Woche schickte mir ein Freund aus meinem Marinejahrgang ein Video, und zwar von der Taufe der Korvette “Augsburg” in Hamburg. Das Marinemusikkorps war angetreten und spielte dazu: “Eine Insel mit zwei Bergen”, aus Michael Endes “Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer”. Das Lied wie eine Hymne meiner Kindheit, nämlich aus der “Augsburger Puppenkiste”, hier kann man die Originalversion hören (Opens in a new window). Deshalb passte es so wunderbar: genau dieses Lied zu spielen, wenn ein Schiff auf den Namen “Augsburg” getauft wird. Das Video mit der Marineversion anlässlich der Schiffstaufe findet sich zum Beispiel hier (Opens in a new window) oder hier (Opens in a new window).

Weil ich diesen Humor mag, fragte ich den Kameraden, ob ich das Video posten darf - und er gab grünes Licht. Ich postete es also auf mehrere Kanälen, und es erhielt mehrere Hunderttausend Abrufe und viele Tausend “Likes”. Dieses Lummerland-Lied weckt offensichtlich nostalgische Gefühle bei einer bestimmten Generation. Es ist für meine Altersgruppe ein kultureller Referenzpunkt, ein ikonographisches Kindheitsmotiv, vergleichbar mit Pippi Langstrump oder der Sesamstraße. Und es ist eine Chiffre für Fernweh und Aufbruch und Neugier und Abenteuerlust.

Es gab aber auch wütende Reaktionen: Ich würde “ein Mordinstrument verharmlosen”, “Waffen geil finden”, “Krieg verherrlichen”.

Ich habe mit solchen Kommentaren gerechnet. Ein Stück weit kann ich nachvollziehen, dass man Militär und Kinderlied nicht zusammenbringt. Der Soldatenberuf ist ja ein archaischer. Der Waffen tragende, bisweilen auch Waffen einsetzende Mann (es waren die meiste Zeit ja ausschließlich Männer und sind immer noch mehrheitlich Männer) hat nicht selten Unheil gebracht. Andererseits: Wir wollen doch den “Staatsbürger in Uniform”, wir wollen, dass unsere Streitkräfte Teil unserer Gesellschaft sind und eben nicht, wie in anderen Teilen der Welt, “Staat im Staate”, sie sollen eingebunden sein und Teil unserer Gesellschaft, so wie sich die Soldatinnen und Soldaten aus unserer Gesellschaft heraus rekrutieren.

Es kann doch nicht wünschenswert sein, dass Militär sich versteckt oder, wenn es sich der Öffentlichkeit zeigt, sich martialisch präsentiert. Sondern es soll zeigen, wie es ist (beziehungsweise sein soll): natürlich kriegstüchtig und kampfstark (und ob es das derzeit ist, darüber kann man trefflich streiten…), aber eben auch bestehend aus Menschen aus unserer Mitte. Zum Teil sogar bemerkenswert humorvollen Menschen.

Unter grünen Soldaten

Noch ein militärisches Thema, ich verspreche, es wird bald wieder anders. Aber diese Woche war ich eingeladen an die Offizierschule des Heeres, kurz: OSH. Dort, in Dresden, durfte ich an einer Podiumsdiskussion teilnehmen. Es ging um Auslandseinsätze und Tradition der Bundeswehr. Ich war eingeladen, weil meine Perspektive als Beobachter von außen gefragt war, aber auch, weil ich selbst mal Offizier war, wenn auch bei der Marine, nicht beim Heer.

Ich nahm die Einladung sehr gerne an, denn bis dahin kannte ich die OSH noch nicht und war neugierig, wie es dort zugeht. Meine eigene Ausbildung habe ich an der Offizierschule der Marine, der Marineschule Mürwik, nahe Flensburg, absolviert. Wer diese Schule - “die Burg” - kennt, weiß, dass sie Hogwarts’schen Charakter hat.

Die OSH ist anders. Sie besteht zum Teil zwar auch aus alten Gebäuden noch aus der Zeit, als Sachsen Königreich war, zum Teil aber aus modernen Komplexen. Bis Ende der 1990er Jahre gab es in Deutschland drei Offizierschulen des Heeres, die dann aber zusammengelegt wurden zu einer, eben jener in Dresden. Zentraler Ort an dieser Einrichtung ist der von den Schülern “Roter Platz” genannte lichtdurchflutete Raum, dessen Boden aus rotem Linoleum besteht. Flaggen der Nato-Staaten schmücken die Halle, an der Wand steht in großen Lettern der Leitspruch der Bundeswehr: “Wir. Dienen. Deutschland.”

Zu Gast an der Offizierschule des Heeres in Dresden: "Wir. Dienen. Deutschland."

Ich habe die Gelegenheit nutzen können, mit Soldaten über ihren Dienst zu sprechen. Darüber, was “Wir dienen Deutschland” heißt. Was Auslandseinsätze bedeuten und wie sie die öffentliche Stimmung wahrnehmen. Sie erzählten es mir im Vertrauen, daher hier keine Worte dazu. Ein paar Gedanken zur Debatte über Wehrpflicht und zur Bundeswehr habe ich diese Woche in einem Text für die “Süddeutsche Zeitung” zusammengefasst, Sie können ihn hier nachlesen (Opens in a new window) (mit Paywall).

Franzen in Wien

Seit Veröffentlichung des Romans “Die Korrekturen” im Jahr 2001 bin ich ein Fan des Schriftstellers Jonathan Franzen. Ich weiß, dass ich das Buch damals nicht zu Ende lesen mochte, weil es mir zu düster war. Inzwischen habe ich es noch einmal gelesen, nun in Gänze.

Franzen war diese Woche zu Gast in Wien, er ist durch Europa getourt und hat in sechs Städten gelesen. In Wien war er das erste Mal seit zwanzig Jahren wieder. Ich bin, aus Dresden nach Hause kommend, direkt ins Gartenbaukino gefahren, wo etwa 600 Gäste Franzen im Gespräch mit dem Journalisten Neil Young lauschten. “An Evening With Jonathan Franzen”, lautete der Titel der Veranstaltung.

Im Gartenbaukino sitzt man auf plüschigen Klappsitzen, und wann immer jemand vorbei möchte, um an seinen Platz zu gelangen, muss man aufstehen. Kein Problem. Aber wenn Leute vorbeigehen und dabei nicht “Guten Abend”, “Hallo”, “Danke”, “Entschuldigung” oder irgendetwas sagen, finde ich das - nennen Sie mich altmodisch - unhöflich. Nicht, dass ich mich über solch ein unmanierliches Benehmen ärgere, aber mir fällt so etwas auf und ich notiere es in meinem geistigen Notizbuch.

Umso charmanter, aber durchaus kritisch: Franzen. Er verlor ein paar Worte über Trump, ohne den Namen in den Mund zu nehmen, erzählte etwas von einer seiner Lieblingsbands, “The Mekons” (Opens in a new window), von der noch niemand im Saal je gehört hatte, erzählte über Karl Kraus und beantwortete eine Frage, die sich mir seit dem ersten Lesen der “Korrekturen” stellte: Hätte er dieses Buch auch geschrieben, wenn seine Eltern noch gelebt hätten? (Das Elternpaar in dem Roman, insbesondere die Mutter, Enid Lambert, kommt nicht gut weg…) Seine Antwort: Nein, hätte er nicht. Er habe es erst schreiben können, weil er in relativ jungem Alter - er war noch keine 40 - beide Eltern verloren hatte.

Am Montag, 19. Mai 2025, ab 22.30 Uhr ist Franzen im “Kulturmontag” auf ORF2 zu hören.

Notiz an mich selbst: Noch einmal “Die Korrekturen” lesen - und seinen jüngsten Roman, von 2022: “Crossroads”.

Grüezi!

Der Journalist Christian Seiler, mit dem ich befreundet bin, hat in seinem Newsletter “Seiler kocht” (Opens in a new window) die “Erbaulichen Unterredungen” empfohlen, was dazu geführt hat, dass mir seit dieser Woche etwa die halbe Schweiz folgt. Sehr schön! Ein herzliches Grüezi! Ich freue mich, dass Sie dabei sind!

Ihnen allen eine schöne, interessante, vielleicht nicht unbedingt militärisch geprägte Woche! Sollten Sie am Mittwoch zufälligerweise in Münster sein, kommen Sie doch zu meiner Lesung aus “Deutschlandtour”! Da werde ich nämlich in dieser schönen Stadt sein, alle Infos zur Lesung finden Sie hier. (Opens in a new window) Empfehlen Sie die “Erbaulichen Unterredungen” gerne weiter und unterstützen Sie mein Schreiben gerne durch eine Mitgliedschaft.

Bis zur kommenden Woche, herzliche Grüße aus Wien,

Ihr Hasnain Kazim

P. S.: Ich danke Ihnen für die vielen Zuschriften, die ich von Ihnen bekomme! Es sind mittlerweile so viele, dass ich sie leider nicht alle beantworten kann, ich bitte um Verständnis. Auf jeden Fall lese ich aber alles, und wenn es nicht gleich mit Beschimpfungen losgeht, lese ich auch alles bis zum Ende. Wirklich! Hin und wieder wird künftig vielleicht auch Frau Dr. Bohne antworten, ich habe ihr jedenfalls Prokura erteilt.

1 comment

Would you like to see the comments?
Become a member of Erbauliche Unterredungen to join the discussion.
Become a member