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Mach Dein Ding

Mein Membership-Newsletter „Blaupause“ hilft dir, dich unabhängig zu machen, indem du erfolgreich Mitgliedschaften anbietest. Diese Woche: Wie ich einmal gekündigt und mein Leben geändert habe.

Vielleicht ist es dir mal ähnlich gegangen: Du träumst einen Traum. Aber als er endlich wahr wird, ist alles ganz anders. 

In der vergangenen Woche war ich in Leipzig auf einer Konferenz namens Remarkable Ideas Summit zu Gast. Die netten Leute dort hatten mich eingeladen, „Meine Gründer-Story“ zu erzählen. Ein zwiespältige Angelegenheit, denn einerseits ist es natürlich schmeichelhaft, andererseits ist die Versuchung groß, eine Heldengeschichte zu erfinden. Ich erspare euch deswegen den zweiten Teil mit den Gründungen von Spredder, KR1, Krautreporter und Steady und schreibe heute lieber etwas über den Anfang meines Berufslebens. 

Mein Traum war der Journalismus der alten Schule. Ich wollte die Welt politisch betrachten und der Öffentlichkeit meine persönliche Perspektive auf das allgemeine Geschehen mitteilen. Kulturkritik als self expression. Ich wollte nah dran sein und meinen Namen in der Zeitung gedruckt sehen. Ich wollte so sein, wie Journalisten damals waren: Schlaue Männer, mitten im Geschehen, dem Rest erklärend, wie der Hase läuft. Finde ich heute unsympathisch. Damals war es irgendwie mein Traum. Dieser typisch journalistische Größenwahn, der gefiel mir wohl. 

Ich tat das Nötige, um einen Fuß in die Tür zu bekommen. Lokalzeitung für 50 Pfennig Zeilengeld. Studium, Ausland, Praktika bei DPA, ARD, FAZ et cetera. Journalistenschule. Aber schon während dieser diversen Medienjobs und der Ausbildung schwante mir, dass es den Journalismus, wie ich ihn mir erträumt hatte, nicht mehr gab. Als ich 2004 auf den Arbeitsmarkt gespült wurden, flogen bei Spiegel, FAZ, SZ, Zeit und so weiter hunderte Journalist:innen raus. Die Financial Times Deutschland wurde gleich ganz eingestellt. Es war ein großes Medien-Massaker im Gange.

Bei Linkedin hat sich neulich Antonia Götsch, Chefredakteurin des Harvard Business Manager, an die Stimmung dieser Zeit so erinnert (Opens in a new window):  

Genau so war es bei mir – auch wenn Antonia die inzwischen verblichene Berliner Journalisten-Schule (BJS) ein Jahr nach mir besucht hat. Ich war Mitte 20 und endlich bereit. Die Welt sollte sich mir öffnen. Stattdessen schlug sie mir die Tür vor der Nase zu. Ich war schon desillusioniert, bevor ich richtig angefangen hatte. Und ich war wütend. Auf wen eigentlich? 

Wider Erwarten fand ich eine Festanstellung bei einem kleinen Fachverlag. Für 1.200 Euro war ich der einzige Redakteur eines noch zu gründenden  Medienmagazins namens V.i.S.d.P. Ich habe in den beiden folgenden Jahren in den Produktionswochen monatlich Wadenkrämpfe bekommen von dem Stress.

Aber … ich fand es geil. Der Herausgeber war Hajo Schumacher (Opens in a new window), ehemaliger Spiegel-Hauptstadtbüro-Leiter und Max-Chefredakteur. Der hatte hatte genauso viel Lust wie ich, der Medienindustrie auf die Nerven zu gehen. Er ließ mich wirklich alles machen, was ich wollte, oft zur Verzweiflung des Verlags. Einmal hatte ich Johannes B. Kerner am Telefon, fast ein halbe Stunde auf mich einschimpfend. Ein bekannter Medienanwalt schickte Abmahnungen nach einer Titelgeschichte über seine Zunft („Achtung Ärger! Deutschlands gefährlichste Medienanwälte“). Auf einen Verriss hin („Wer liest eigentlich den Stern?“) kündigte Gruner+Jahr sämtliche Anzeigen.    

Wir hatten so wenig Budget, dass wir mit dem PR-Fotomaterial irgendwie kreativ umgehen mussten. Die Wiener Gestalterin Veronika Neubauer (Opens in a new window) schnitt diese Retortenfotos mit der Schere zusammen zu einem Sex-Pistols-artigen Layout.

Alle Beteiligten hatten Lust, ihr Ding zu machen. Nach den ersten Praktikant:innen Patrick Weisbrod und Carolin Jochum – kamen später Wendelin Hübner und erst Carolyn Braun, dann Sonja Niemann dazu. Nur gute Leute. 

Als ich mir letzte Woche die V.i.S.d.P.-Ausgaben durchblätterte, habe ich gemerkt: Das Heft war ein Stinkefinger an die Medienindustrie. Beim Blattmachen praktizierte ich Distanzierung durch Ironie. Von der Porno-Persiflage „Sommer, Sonne, Sauereien – alles, was sie nie über Sex in den Medien wissen wollten“ über den Bunte-Hommage „Journalisten-Liebe – 21 Love-Storys aus deutschen Redaktionen“: Jede neue Ausgabe war ein Witz auf Kosten der überkommenen Magazin-Genres um uns herum. In „103 Dinge, die Sie schon immer über das Internet wissen wollten, aber nie zu fragen wagten“ beschäftigten uns mit Blogs und Podcasts aus einer „Internet für Dummies“-Perspektive, denn das brauchten unsere hoffnungslos in der vordigitalen Welt verharrenden Branchen-Leser:innen – die vorhin noch meine Vorbilder gewesen waren. 

Man findet in den Heften neben Laune am Magazinmachen auch den Frust: „Kein' Bock mehr? Gute Nachricht: Es gibt ein Leben nach dem Journalismus. Glückliche Aussteiger berichten“. Meinen Traum begann ich zu ironisieren, wenn auch wehmütig. „Die gute alte Zeit – Als Journalisten noch Abenteurer waren, die Porsche fuhren“. Diese Zeit war definitiv vorbei.

Ich war zwar kein Hauptstadtjournalist wie der legendäre Hans Ulrich Kempski oder der damals von mir verehrte Kurt Kister. Aber ich konnte mein eigenes Ding machen. Ich war schon Creator, nur in der Print-Welt. Ich wollte alles am liebsten selbst machen, und das durfte ich auch. Im Nachhinein mein Lieblingsheft: „Mach Dein Ding – wie man ein eigenes Magazin gründet in zehn Schritten“. (Grüße an Philipp Köster, Florian Illies und Oliver Gehrs.) 

Ich treffe heute immer noch Leute, die mich auf das Magazin ansprechen. Ich verstand es zwar nicht: Aber ich war genau da, wo ich hingehörte. Stattdessen träumte ich immer noch den anderen Traum. Be careful what you wish for, denn zu diesen internen Struggles kamen nun die externen: V.i.S.d.P. wurde trotz Kult-Following eingestellt – Anzeigenkrise. Wirtschaftlich vernünftig war das Projekt wahrscheinlich nie (danke für die Geduld, Rudolf und Torben). 

Ich galt jetzt immerhin als irgendwie interessant. Ulf Poschardt stellt mich ein als Politikredakteur in der Gründungsredaktion von Vanity Fair Deutschland. Heute fast vergessen, war das Wochenmagazin das ambitionierteste verlegerische Projekt seiner Zeit. Angeblich 80 Millionen Euro und mehr soll der Condé Nast Verlag versenkt haben. Die gesamte Berliner Charité wurde zum Launch mit Werbung für „Das neue Magazin für Deutschland“ verdeckt, das Politik, Style und Unterhaltung zu verbinden versuchte. 

Das bin ich, in New York, fotografiert von Jonathan Becker (Opens in a new window), einem der absolut legendären Fotografen der amerikanischen Vanity Fair. Ich hatte ein ordentliches Gehalt, berichtete aus dem Regierungsviertel über die Grünen, flog durch die Gegend, stand mit wichtigen Leuten herum. Große Reportagen und Interviews. Mein Traum war Wirklichkeit.

Es war absolut schrecklich 🙃. Ich merkte, dass ich das gar nicht besonders gut kann: Small Talk, Abendtermine in Lobby-Repräsentanzen, Netzwerken mit Politiker:innen, Rumtelefonieren ohne besonderes Ziel, aus Nebensätzen Geschichten konstruieren, Zitate einholen, um eine Meldung zu drechseln. Ich möchte mich an dieser Stelle bei beim damaligen CDU-Generalsekretär Roland Pofalla entschuldigen, den ich einmal sonntags nachmittags auf dem Handy angerufen habe (er hat verständlicherweise aufgelegt). 

Es war natürlich auch irre spannend, ich hatte interessante Kolleg:innen, und wir haben oft ein solides bis gutes Produkt abgeliefert. Aber ich war todunglücklich. Ich wollte selbst Magazin machen, aber das konnte ich da nicht. Dazu kamen die offensichtlichen wirtschaftlichen Probleme: Die Leute kauften das Heft nicht. Printmedien hatten schon damals schlicht kein Geschäftsmodell mehr. Ich hatte nicht den Eindruck, auf eine vielversprechende Zukunft hinzuarbeiten. Die Zukunft war – natürlich – digital. 

Und nicht nur das business model, auch das Verhältnis von Journalist:innen und Publikum war in der Magazin-Welt anachronistisch. Wir haben nie mit Leser:innen geredet, dafür aber ständig mit anderen Journalist:innen. Ich wusste: Das ist Quatsch. Das war zwar der Journalismus, von dem ich geträumt hatte. Aber den wollte ich nicht.

Meine Freundin war schwanger mit Zwillingen, unsere Hochzeit stand bevor, ich hatte einen festen Job bei einem renommierten Verlag. Es war einigermaßen unverantwortlich – aber ich habe gekündigt. Unmittelbarer Auslöser, aber nicht der eigentliche Grund: Der Chef wurde ausgewechselt gegen Leute, die nicht mehr dem Stern Konkurrenz machen, sondern über Sternchen berichten sollten. Das ging nur noch ein halbes Jahr gut, dann war Vanity Fair Geschichte.  

Das ist ein Bild aus dieser Zeit: nicht von Jonathan Becker, sondern aus dem Fotoautomaten in der Schönhauser Allee. Ich war ganz grundsätzlich fertig mit der Verlagswelt. Ich wollte mein eigenes Ding machen. Mein neuer Plan: Ich mache Medien unabhängig. Unabhängig von der Medienindustrie, unabhängig von Werbung, unabhängig von den Plattformen, so gut es geht. So arbeite ich seitdem, also etwa 2008. Ich habe es nie bereut. 

Ich hätte wahrscheinlich nicht gekündigt und meinen Lebensplan auf den Kopf gestellt, wenn nicht jemand an mich geglaubt  hätte. Hajo Schumacher hat mich rausgeführt aus dem System und einen Weg gezeigt zu allem, was danach kam. Er wusste, dass wir gemeinsam gut darin sind, verrückte Ideen auf die Straße zu kriegen. Und verrückte Ideen hat Hajo genug. 

Es ist so toll, wenn es Leute gibt, die an dich glauben. Ich versuche heute selbst, so jemand zu sein.

Bis nächsten Montag!   
👋 Sebastian

PS: 

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