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Ernst des Lebens?

Über die Frage, wann wir verlernt haben zu spielen und wie wir uns aus dieser ernsten Angelegenheit wieder hinaus manövrieren können.

Zu Ostern telefonierte ich mit meinem Papa, Jahrgang 1960. Er liest diesen Blog regelmäßig, hat auch mein zweites Büchlein bereits bestellt und bestärkte mich wie in jedem Gespräch in meinem Tun. Und das, obwohl er selbst sein ganzes Leben lang in ein und demselben Job verbrachte und mit Kreativität nicht unbedingt viel am Hut hat, soweit ich weiß. Allerdings habe ich ihm große Teile meines Musikgeschmacks zu verdanken und erinnere mich noch gut an die Schallplatten mit den Gesichtern von Reinhard Mey und Herbert Grönemeyer auf dem Cover im Regal. Jedenfalls war dieses Gespräch nur eines von vielen, wenngleich ein mir persönlich sehr wichtiges, in dem ich von einem Menschen, der bereits ein paar Jahre länger auf der Welt ist als ich höre, dass ich das schon ganz richtig mache. Aber was denn eigentlich?

Durch die Vernunftsbrille sieht das, was ich hier veranstalte, nicht gerade sinnvoll aus und der Ernst des Lebens schlägt sicher mit einem entsetzten Gesichtsausdruck die Hände über dem Kopf zusammen. Das mache ich ja selbst manchmal. Und irgendwie dachte ich, dass meine Eltern genauso auf mein Lebenskonzept, wenn man es so nennen möchte, reagieren würden. Keine Karriereleiter, die mir Stufe für Stufe das Haus mit Garten finanziert oder ein großer Jobtitel, der irgendwie wichtig klingt. Und keinerlei Absicht, irgendwas davon zu erreichen. Stattdessen schreibe ich kleine und größere Geschichten, sammle Jobs als wären sie Bücher, die ich mal an einem Wochenende, mal in mehreren Etappen lese und danach zurück zur Bibliothek bringe. Dazwischen entsteht mein Roman, der es irgendwann in die Regale der hiesigen Buchhandlungen schaffen wird, daran gibt es keinen Zweifel. Bei etwa Gleichaltrigen oder gar jüngeren Menschen, die mir unterbreiten, sie bewundern, wie ich mein Leben führe und ab und an sogar zugeben ein wenig neidisch zu sein, obwohl es natürlich keinesfalls perfekt ist, stellt sich bei mir (mittlerweile) ein Gefühl der Zufriedenheit ein. Gleiches gilt für Situationen, in denen ich gefragt werde, wann ich denn „etwas Richtiges arbeiten“ möchte. Wenn meine Arbeit meine Rechnungen bezahlt, dann erscheint mir das durchaus richtig, ist meine übliche Antwort darauf. Denn ja, ich bin eben glücklich mit meiner Situation und irgendwie denke ich, dass es ja auch meine Pflicht ist, mein Leben so zu führen, wie ich es für richtig halte. Wie denn auch sonst?

Für Kinder ist es eine völlig normale Sache, dass sie die Welt entdecken, neugierig sind, Dinge ausprobieren, die Richtung wechseln, Spaß daran haben, zu zeigen, was sie Neues gelernt haben und nach einem Schläfchen wieder bereit für die nächsten Abenteuer sind. Wann verlernen wir das eigentlich? Die Fähigkeit zu spielen, sich in Geschichten zu verlieren und Fragen zu stellen? Bei mir fand die Austreibung dieser Fähigkeit statt, als ich aufs Gymnasium kam, worauf ich mich im Alter von elf Jahren unglaublich freute. Ich war so neugierig und freute mich wie eine Schneekönigin darauf, Latein zu lernen und Aufsätze zu schreiben, doch bevor ich mich versah, schüttelte mir der Ernst des Lebens die Hand. Jede Lehrkraft, die ich mit wissbegierigen Augen anblickte, stellte ihn mir erneut vor, bis er ein guter Vertrauter wurde. Nur einen Wimpernschlag später verdiente ich mein erstes eigenes Geld mit dem Austragen von Zeitungen, ich verstand, dass es im Unterricht nicht darum ging, Dinge zu verstehen und war plötzlich erwachsen. Ich fühlte mich beraubt, das konnte doch so nicht richtig sein. Doch mit Blick auf die Menschen in meinem Umfeld schien alles seine Richtigkeit zu haben, sie alle waren erwachsen, immer erschöpft und konnten immer viel über das Leben schimpfen. Ja, nur weil alle das so machen muss es nicht richtig sein, heute weiß ich das auch. Und ich bin sehr froh darüber, jetzt den Mut zu haben, da wieder hinauszufinden.

Als Schriftsteller:in ist oder anderweitig kreativ schaffende Person hat man es in dieser Sache vielleicht ein wenig leichter als viele andere Menschen. Denn unsere Aufgabe ist es ja schließlich Geschichten zu erzählen, ob auf Papier oder durch Musik, in Bildern, Worten oder Bewegung. Dafür müssen wir uns ausprobieren, scheitern, neu anfangen, in eine andere Richtung gehen, kurz aufgeben, weitermachen… So wie wir es als Kinder ganz intuitiv gemacht haben. Wer es trotz allem schafft, seiner Kreativität diesen Raum zu geben, egal wie klein er auch sein mag, der hat schon gewonnen. Und ich behaupte einmal ganz grob verallgemeinert, dass wir alle wieder zumindest einen Teil unserer kindlichen Unbefangenheit zurückerobern können. Heute sieht das Ganze vielleicht ein bisschen anders aus, aber es geht um das Gefühl, die Freiheit zu haben, das zu tun, was sich für uns richtig anfühlt. Unser Leben muss nicht gut aussehen, es muss sich gut anfühlen. Und diese Einstellung hilft mir auch beim Schreiben ungemein, denn so erlaube ich mir auch schlechte Texte zu schreiben oder Worte zu Papier zu bringen, die ich bisher eher höflich zurückhielt. Und so entsteht endlich unzensierte Kunst. Man könnte sagen: Ein gewisser „Egal-Faktor“ muss her.

Es gibt zwei Dinge, die mir enorm dabei helfen, den Ernst fernzuhalten. Zum einen versuche ich nicht mehr cool zu sein. Früher war mir mein Coolnessfaktor äußerst wichtig, aber das ist natürlich Blödsinn. Damit meine ich vor allem Dinge wie über gewisse Themen oder in einem bestimmten Stil zu schreiben, weil es cool ist und meine eigentliche Leidenschaft für Poesie und Romantik links liegenzulassen, obwohl mir diese Art zu schreiben viel mehr liegt. Welch herzzerreißende Liebesgeschichten oder wärmende Wohlfühl-Lektüre wohl in uns steckt, wenn sich nur dieser Coolness-Panzer einmal lösen könnte? Die andere Sache klingt zugegebenermaßen sehr nach Instagram-Trend, aber es wirkt nun mal: das Leben romantisieren. Und zwar radikal. Und ich meine nicht, dass man den ganzen Tag im Morgenmantel rumlaufen, rauchen wie ein Schlot und Unmengen an Rotwein trinken soll, damit man sich wie ein:e echte:r Schriftsteller:in zu fühlt. Davon abgesehen, dass das für mich nicht romantisch klingt, befürworte ich diese Suchtmittelmethode persönlich keineswegs. Im Grunde geht es hier um Achtsamkeit. Ich saß heute Abend ewig auf dem Sofa und wusste, ich möchte diesen Beitrag hier schreiben, aber die Stimmung war einfach nicht richtig und die Gedanken konnten sich auch nicht entscheiden wohin. Ich schaltete meine Netflix-Serie aus, schaute aus dem Fenster und lauschte dem abendlichen Vogelzwitschern. Durch das gekippte Fenster ließ der Wind den Vorhang leise tanzen und dann begann das Gewitter. Ich erhaschte einen Blick auf einen gleißenden Blitz und zählte die Sekunden, bis ich das herannahende Donnern spürte. Es war perfekt. Ich schaltete die Lichterkette an der Wand ein, zündete die guten Kerzen an und klappte den Laptop auf. Ich wusste sofort, was ich euch heute schreiben möchte. Meine aktuelle Schreibplaylist heißt „Parisian Mood“, die wunderbar zu den rosa 1,99 Euro Tulpen passt, die ich einmal die Woche durch frische ersetze.

Diese Blumen und auch die guten Kerzen machen einen Unterschied, insbesondere aber weil ich sie bewusst beachte. Vielleicht sorgt bei dir ein bestimmtes Getränk oder ein besonderer Duft für diesen Effekt. Es geht schlichtweg darum, dass wir uns erlauben uns wohlzufühlen und uns schöne Dinge nicht für den einen besonderen Anlass oder gar als Belohnung für Produktivität vorbehalten sind - denn jeder Tag in unserem Leben ist so besonders wie wir ihn machen. Die kleinen Dinge, das Alltägliche zu zelebrieren und dadurch besonders zu machen, darum geht es hierbei. Falls dir das jetzt gerade zu abgedroschen klingt, kann ich das durchaus nachvollziehen, gleichzeitig sage ich dir aber: Da ist was dran.

Bis nächste Woche!

Alles Liebe

deine Sarah

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