#42 Bedarfsgerechte Verteilung von Wohnraum
IST-Zustand
Der Wohnraum in Deutschland ist nicht generationengerecht verteilt. Senior:innen leben allein in freistehenden Einfamilien- oder Reihenhäusern. Die Kinder sind längst ausgezogen und haben kein Interesse an einer Rückkehr. Der Partner/die Partnerin ist verstorben. Die Wohnung ist selten barrierefrei. Der/die Zurückgebliebene fühlt sich einsam. Diese Situationsbeschreibung gilt bereits für die Nachkriegsgeneration. Sie wird sich mit den geburtenstarken Jahrgängen verstärken.
Gleichzeitig leben junge Familien auf engstem Raum, weil sie keine Chance haben, eine größere, bezahlbare Wohnung zu finden oder ein Eigenheim zu finanzieren.
Die Fragestelle ist eingebettet in das Megathema "Wohnungsmarkt". Gerne nachhören bei "Stadtrederei" des Institut für Städtebau und Wohnungswesen München Folge #23
Immer mehr neue Wohnungen (in bestimmten Städte / Regionen) zu bauen, kann nicht die Lösung sein.
Was ist noch denkbar?
Lösungsansatz (Miete)
Wohnungstausch innerhalb einer Genossenschaft oder kommunalen Wohnungsgesellschaft ist noch relativ einfach. Manchmal werden die Umzugskosten von der Gemeinde übernommen. Problematisch sind die unterschiedlichen Mietzinsenhöhen für langjährige Bestandsmieten oder für Neubauten. Ein sozialengagierter Vermieter könnte freiwillig vorübergehend die „alte Konditionen" für den neuen Mietvertrag garantieren.
Für Interessierte gibt es digitale Vermittlungsangebote. Für Senior:innen sind zugehende niederschwellige Beratungsstellen über die Kommune, Kirche oder Verband eine bessere Option. Den Senior:innen muss ein gutes Gesamtangebot gemacht werden, damit es einen Anreiz zum Wohnungstausch gibt.
Lösungsansatz (Eigentum)
Senior:innen können ihre übergroße Immobilie verkaufen und in eine kleine barrierefreie Wohnung umziehen.
Als Modell „Jung kauft Alt“ ist dies auch im „Bündnis für bezahlbarer Wohnenraum“ (Opens in a new window) unter 1.20 formuliert:
Erarbeitung eines Konzepts für den verstärkten Eigentumserwerb im Bestand zur Förderung des Instruments "Jung kauft Alt" (Qualifizierte Förderung von Bestandsnutzung und Sanierung in Verbindung mit Eigentumsförderung junger Familien) sowie für die Mobilisierung von im Alter in Teilen nicht mehr genutzten Wohneigentum
Das ist leichter gesagt als getan.
Der Verkauf der lieb gewonnenen Immobilie und der Umzug in eine neue Umgebung erfordern ein Höchstmaß an Aktivität und Entscheidungsfreude.
Ab einem gewissen Alter ist das nicht mehr möglich. Dann gilt es, die Zurückgebliebenen bestmöglich zu versorgen und den Umzug in ein Pflegeheim zu vermeiden.
Eine Verkleinerung der Wohnung ist leider selten finanziell vorteilhaft. Während im abbezahlten Einfamilienhaus „nur" geringe laufende Kosten anfallen, sind die laufenden Kosten im Neubau auch bei geringerer Wohnfläche deutlich höher. Betriebskosten wie z.B. Hausmeister- und Winterdienst, Aufzug, technische Anlagen und Gemeinschaftsraum bringen Lebensqualität - müssen im eigenen Bestand nicht bezahlt werden. Es gilt gut abzuwägen.
Die Errichtung eines Tinyhauses im Garten, während das Bestandsgebäude von einer Familie genutzt wird, könnte eine weitere Alternative sein:
Post #51 Wie viel Potential haben Tinyhäuser? (Opens in a new window)
Lösungsansatz (Untervermietung)
Senior:innen können einen Teil ihrer Immobilie vermieten.
Neben möglichen Umbaukosten hat die Vermietung von Teilflächen des bisher selbstgenutzten Eigenheims weitere Konsequenzen: die Einnahmen sind zu versteuern.
Eine kreative Lösung wäre „Wohnen für Hilfe". Dabei handelt es sich nicht um eine Vermietung. Entscheidend ist natürlich die konkrete Vertragsgestaltung. Dies schafft zumindest temporären Wohnraum (meist für Studentinnen) und hilft den Senior:innen.
Mein genereller Vorschlag
Eine frühzeitige Absprache in der eigenen Familie ist empfehlenswert. So sind ein Wohnungstausch innerhalb der eigenen Familie oder eine Eigentumsübertragung zu Lebzeiten denkbar. Die jüngere Generation erhält die Immobilie, um sie zu modernisieren und barrierefreien Wohnraum für die Eltern zu schaffen. Verträge mit gegenseitiger Absicherung sind möglich und führen zu einer WIN-WIN-Situation für alle Beteiligten.
Dies lässt sich gut kombinieren mit erbrechtlichen Lösungen.
Dies gehört auch zu meinen Beratungsleistungen.
Forderung an die Politik
Quartierskonzepte, Nachbarschaftshilfe zur Unterstützung Alleinstehender im Quartier mildern die Folgen der IST-Situation (Vereinsamung, Hilfe durch gegenseitige Unterstützung) und werden in Zukunft immer wichtiger. Ohne Mithilfe der Kommune ist das nicht leistbar.
In einigen Regionen / Orte gibt es bereits Strukturen, die weiterhelfen können:
https://www.grueneliga.de/index.php/de/themen-projekte/wohnen/datenbank (Opens in a new window)Das immer größer werdende Verteilungsproblem von Wohneigentum wird jedoch nicht angegangen. Hier sind grundsätzliche strategische Änderungen (z.B. im Steuerrecht, Mietrecht) anzudenken. Hemmnisse müssen abgebaut und Anreize geschaffen werden.
Dies ist natürlich ein längerer Prozess, der aus demografischen Gründen und zur Bestandsaktivierung im Sinne des Klima- und Ressourcenschutzes dringend angegangen werden muss.
Letztlich bringt er uns allen aber mehr Lebensqualität durch bedarfsgerechten Wohnraum für alle Lebensphasen.
Ihre
Angelika Majchrzak-Rummel
Rechtsanwältin, Projektberaterin