Skip to main content

Newsletter 09 / 23

Liebe Leser:innen,

in Bayern haben wir noch Ferien. Ich hoffe, Sie hatten oder haben noch einige erholsame Tage zum Durchschnaufen und Erholen.

Im heutigen Newsletter geht es um "Genossenschaften"

Genossenschaften sind demokratisch (nicht unbedingt basisdemokratisch), müssen keinen Profit machen und sind (im Vergleich zu anderen Rechtsformen) krisensicherer. Die Genossenschaft haben es wohl auch deshalb als erster Eintrag Deutschlands auf die Liste des immateriellen UNESCO-Weltkulturerbes (Opens in a new window) geschafft.
Gleichzeitig sind sie extrem erfolgreich: In Deutschland sind 23,4 Millionen Menschen im Jahr 2023 (Opens in a new window) Mitglied einer Genossenschaft, das ist jede:r vierte Deutsche und ungefähr so viel, wie die katholische Kirche Mitglieder hat. Aber Genossenschaften sind längst ein globales Phänomen. Ich will dich nicht mit Zahlen bombardieren, aber die hier fand ich besonders beeindruckend: Zehn Prozent der arbeitenden Weltbevölkerung ist in einer Genossenschaft  angestellt (Opens in a new window). Und auch bei einigen der großen Unternehmen Deutschlands handelt es sich um Genossenschaften: bei den Raiffeisenbanken zum Beispiel, aber auch aber bei EDEKA und DATEV. Genossenschaften sind nicht zwangsläufig großartige, soziale Unternehmen aus Sicht aller Beteiligten. Denn eine Genossenschaft soll vor allem ihre Mitglieder fördern und sie in ihren Interessen unterstützen. Bei EDEKA sind das die selbstständigen Kaufleute, die die einzelnen Supermärkte leiten. Für EDEKA stehen also deren Interessen im Vordergrund – und nicht die der Konsument:innen oder der Umwelt. Und auch die KPMG, einer der vier großen Wirtschaftsprüfungsverbände der Welt, ist eine Genossenschaft. Ihre Mitglieder sind die Wirtschaftsprüfer, aus denen sie hervorgegangen ist. Und deren Interessen dürften sich deutlich von den Mitgliedern einer als Genossenschaft geführten solidarischen Landwirtschaft unterscheiden. 
Aber trotzdem machen zwei Dinge die Genossenschaften so besonders: Erstens sind sie auf das Wohl ihrer Mitglieder ausgerichtet und nicht auf Profit. Das zeigt sich zum Beispiel auch darin, dass es für Mitglieder ein längerer Prozess ist, aus einer Genossenschaft wieder auszutreten und die „Einlage“ zurückzubekommen. Sie sollen der Genossenschaft langfristig verbunden sein – und ihre Anteile nicht einfach wieder verkaufen, wenn der "Wert" ein bisschen sinkt, wie dies bei Aktionär:innen üblich ist. Und zweitens sind sie insoweit demokratisch, dass alle Mitglieder das gleiche Stimmrecht haben – egal, wie viel Kapital sie in die Genossenschaft gesteckt haben.

Auch bei Genossenschaften gibt es schwarze Schafe oder junge Start-ups „mit Webfehler“.

Über eine beliebte Masche muss ich heute mal reden:
Ein Architekt oder Projektsteuerer gründet eine neue Wohnungs-baugenossenschaft. In der neuen Genossenschaft (drei Mitglieder genügen) übernimmt der Architekt / Projektsteuerer die Position des Vorstands. Die Genossenschaft bewirbt sich im Rahmen eines Konzeptvergabeverfahrens um ein Grundstück. Das Konzept klingt sehr attraktiv - "zu schön, um wahr zu sein" - unabhängig von der wirtschaftlichen und tatsächlichen Realisierbarkeit. Je sozialer das Konzept scheint, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Genossenschaft den Zuschlag für das Grundstück erhält. Je mehr das Konzept die Visionen der Interessierten widerspiegelt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass aus Interessierte auch Genossen werden. Diese sind - in Erwartung des Wunschprojektes - gerne bereit, über qualifizierte Nachrangdarlehen mit Rangrücktritt viel Geld in die Planungsphase des Projektes zu investieren.

Neben der Genossenschaft gibt es das Architekturbüro und / oder eine GmbH, die gegen Honorar Planungs- und Serviceleistungen für die Genossenschaft übernimmt. Der ehrenamtliche Vorstand der Genossenschaft beauftragt das Architekturbüro und die GmbH mit Leistungen. Von der Genossenschaft fließt Kapital in Form von üppigen Honoraren an den Architekten bzw. Projektsteuerer. Der Architekt / Projektsteuerer hat sich also selbst gute Aufträge verschafft.

Ob das versprochene Projekt tatsächlich so realisiert wird oder die Genossen das investierte Kapital zurückerhalten, ist ungewiss. Bei der Vertragsgestaltung (Insichgeschäft zwischen Vorstand der Genossenschaft und Geschäftsführer der GmbH) wird jede Haftung für den Erfolg ausgeschlossen. Über Verschwiegenheitsklauseln der Aufsichtsratmitglieder funktioniert das interne Warnsystem nicht. Architekt / Projektsteuerer werden zwar irgendwann als Vorstand abberufen, aber Schadenersatzklagen haben selten Aussicht auf Erfolg.

Mit dieser Masche agieren immer wieder die gleichen Personen (ich kenne nur Männer). Es empfiehlt sich daher, die Firmenkonstruktion von Projektinitiator und Vorstandsmitglieder der Genossenschaft zu betrachten. Je mehr Firmen jemand betreibt, desto größer ist die Gefahr, dass Gelder legal verschoben werden.
Die Prüfung durch den Genossenschaftsverband ist dennoch unauffällig, da in erster Linie die Formalitäten und der Businessplan geprüft werden. Was hinter den Kulissen läuft, bleibt unbemerkt.
Im Konzeptvergabeverfahren wollen die Kommunen natürlich die Umgehung eines Bauträgergeschäftes verhindern. Deshalb werden die Anforderungen, Anträge und Verträge immer komplexer. Egoismus und Profitsucht einzelner, die an den Schalthebeln sitzen, sind dennoch kaum zu verhindern.

In meiner Beratungstätigkeit erlebe ich obige Masche in zwei Situationen:
a) Interessenten wollen von mir wissen, ob eine Beteiligung an der neuen Genossenschaft oder eine Beteiligung an dem Projekt rechtlich korrekt ist. Wenn ich ihnen aus dem Gesamtkontext von der Beteiligung abrate, erscheine ich als missgünstige Spielverderberin. Dann kann ich nur die Kontaktaufnahme zu früheren Projekten empfehlen, die von ihren Erfahrungen mit Herrn XX berichten.
b) Neue Vorstände von Bestandsgenossenschaften wenden sich verzweifelt an mich: einzelnen Genossen wurden von Herrn XX Sondervorteile eingeräumt, die sich im Nachhinein für die Genossenschaft als rechtlich falsch oder steuerlichschädlich herausstellen. Besonders beliebt war die heimliche Reduzierung des individuellen Nutzungsentgeltes für die Gewährung von hohen Nachrangdarlehen. Mitunter droht später die Insolvenz der Genossenschaft, wenn die Seifenblase platzt.

Die Probleme ergeben sich nicht aus der Rechtsform "Genossenschaft", sondern aus der "Energie" einzelner.

Eine Genossenschaft (Opens in a new window) kann ihr Potential dann entfalten, wenn der Zusammenschluss aus der Gruppe selbst entsteht und vielfältige neutrale Schulungs- und Beratungsangebote genutzt werden. Gerne verweise ich auf einen Gründer:innen Workshop in Hamburg im November 2023 (Opens in a new window).

In Ostdeutschland zeigt sich ein anderes Problem, auf das meine geschätzte Kollegin Dorothea Heintze hinweist. Ganze Dörfer können aufgekauft werden und unter dem Deckmantel einer "Bürgergenossenschaft" als Parallelwelt zu unserem Staatssystem etabliert werden.
Lesen Sie dazu den Post unter https://chrismon.evangelisch.de/kolumnen/wohnlage/genossenschaft-in-sachsen-missbraucht-die-idee-von-friedrich-wilhelm-raiffeisen (Opens in a new window)

Maßnahmen gegen unseriöse Genossenschaften müssen also verstärkt werden.

Geplant sind hier insbesondere:

  • Regelung bei Förderzweckverfehlung verbessern

  • Ausweitung der Rechte und Pflichten des Prüfungsverbandes und

  • Stärkung der Staatsaufsicht über genossenschaftliche Prüfungsverbände

Ausblick auf Neuerungen im Genossenschaftsrecht

Schon ab dem 1.9.2022 regelt das Genossenschaftsgesetz im neuen § 43b alle möglichen Formen der Generalversammlung:

  • als Präsenzversammlung an einem Ort, an dem die Mitglieder gemeinsam physisch anwesend sind,

  • als virtuelle Versammlung ohne gemeinsame physische Anwesenheit der Mitglieder an einem Ort,

  • als hybride Versammlung, an der die Mitglieder wahlweise am Ort der Versammlung physisch anwesend oder ohne physische Anwesenheit an diesem Ort teilnehmen können,

  • als Versammlung im gestreckten Verfahren, aufgespalten in
    a) eine Erörterungsphase, die abgehalten wird
                 - als virtuelle Versammlung oder
                 - als hybride Versammlung 

  • und b) eine zeitlich nachgelagerte Abstimmungsphase.

Für diese Varianten ist keine Satzungsänderung notwendig.
Alle Gegenstände sind in jedem Format möglich, d.h. auch Wahlen sind virtuell möglich. Damit werde „die Gleichwertigkeit des virtuellen Formats mit der Präsenzversammlung hervorgehoben“, heißt es zur Gesetzesbegründung.

Vorstand und Aufsichtsrat (bzw. Bevollmächtigte) entscheiden gemeinsam nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Interessen der Mitglieder über die Form der Versammlung.

Im Zuge einer Satzungsänderung gibt es noch weitere Kombinations-möglichkeiten. So könnten beispielsweise auch bei einer Präsenzversammlung Beschlüsse der Mitglieder schriftlich oder im Wege der elektronischen Kommunikation gefasst werden. Die Satzung kann die Einzelheiten dazu regeln, ob die Rede-, Antrags-, Auskunfts- und Stimmrechte schriftlich oder im Wege der elektronischen Kommunikation ausgeübt werden können.

und die Digitalisierung schreitet voran, mehr unter ...

https://www.zdk-hamburg.de/blog/2023/08/das-bmj-legt-eckpunkte-zur-aenderung-des-genossenschaftsgesetzes-vor/ (Opens in a new window)

Lesenswert

Sehr interessant ist folgender Beitrag über „selbstverwaltetes Wohnen in Projektgenossenschaften“. Dachgenossenschaften und Hausgruppen sollten diesen unbedingt lesen.

https://www.zdk-hamburg.de/blog/2023/07/zur-debatte-selbstverwaltetes-wohnen-in-projektgenossenschaften/ (Opens in a new window)

Genossenschaften mit inklusivem Ansatz lesen weiter unter ...

https://steadyhq.com/de/projekt-wohnen/posts/0b15c2ae-e549-4ec8-b6ed-4c9c6e12b3fa?secret_token=ttTlXj-2-6hAJEzJVWqWs68dLIBi44vWdvwiclSZpZlM4XGljnuE2AKSvB-r2y4o (Opens in a new window)

Ein Blick zurück auf meine bisherigen Beiträge lohnt sich immer. Sie müssen keine Mails sammeln, über den Browser können Sie alles - in der aktuellen Version - nachlesen. Die Posts können sogar sortiert werden!


Als Mitglieder der Community erhalten Sie druckfrisch und ohne paywall meine Fachbeiträge.
Seit dem letzten Newsletter habe ich als kleine Reihe - insbesondere für Mietprojekte - veröffentlicht:

  • #45 Der Verein als Rechtsform (2024)

  • #44 Zusammenschluss von Bewohner:innen zu einem gemeinsamen Zweck

  • #28a Der Bewohner:innen Verein (2023) - ÜBERARBEITUNG

  • #20a Die gesamtschuldnerische Haftung (GbR) - ÜBERARBEITUNG

Sie können jederzeit Mitglied werden und dann alle Posts in Ruhe nachlesen.

Wir sehen uns bei folgenden Veranstaltungen im Herbst

Jahrestagung des Bundesverbandes Baugemeinschaften e.V. (Opens in a new window)in Leipzig

22./23. September 2023

Wenn ein Mitglied der Community ebenfalls in Leipzig ist, freue ich mich über den persönlichen Austausch.

FORUM ONLINE! „Akteurs-Börse“ –
(Anders) Wohnen, Gemeinschaft und mehr. Organisationen aus dem Netzwerk stellen sich vor

Die zweiteilige digitale Veranstaltung im Rahmen des „FORUM ONLINE!“ möchte den Teilnehmenden die Möglichkeit geben, etablierte und neue Organisationen im Feld des gemeinschaftlichen Wohnens kennenzulernen und sich mit den Akteurinnen und Akteuren auszutauschen.

Am 28.09.2023 stellen sich vor:

  • FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e.V., Bundesvereinigung, mit WIN für Gemeinschaftliches Wohnen als bundesweites Koordinierungsangebot und Informationsplattform für Gemeinschaftliches Wohnen (plus),

  • bring-together als Matching Plattform, Netzwerk und Akademie,

  • Neulandia als soziales Unternehmen und Netzwerk im ländlichen Raum,

  • Netzwerk Zukunftsorte als Plattform für Praxis-Wissen für Zukunftsorte auf dem Land sowie

  • WOHN:SINN für inklusive Projekte und Wohngemeinschaften.

Am 19.10.2023 stellen sich vor:

  • Stiftung trias als gemeinnützige Trägerin zur Förderung Dritter in den Bereichen Boden, Ökologie und Wohnen,

  • Netzwerk Immovielien als Bündnis für mehr Gemeinwohlorientierung in der Immobilien- und Quartiersentwicklung,

  • Bundesverband Baugemeinschaften e.V. als Interessenvertretung rund um das gemeinschaftliche Planen und Bauen,

  • wohnbund e.V. als Verband zur Förderung wohnpolitischer Initiativen sowie

  • Innova eG als Partnerin und Bildungsanbieterin für genossenschaftliche Lösungen.

Eine Anmeldung beim Forum Gemeinschaftliches Wohnen (Opens in a new window) ist erforderlich. Das ausführliche Programm mit Kurzvorstellung der Organisationen finden Sie hier (Opens in a new window).

Wohnprojekte-Tage in München

Fachtag am 06.10.23 (Opens in a new window) + Vernetzungstag am 07.10.23 (Opens in a new window)

https://www.mitbauzentrale-muenchen.de/termine-detail/wohnprojekttage-2023-fachtag-am-6-10-2023.html (Opens in a new window)

Flyer als PDF (Opens in a new window)

Wenn Sie meinen monatlichen Newsletter mögen, leiten Sie diese E-Mail gerne an Ihre Freund:innen oder die Familie weiter. Sollten Sie ihn zum ersten Mal erhalten, kann er gerne abonniert werden.

Übrigens, … wenn Sie eine ältere Mail nachlesen möchten, sollten Sie besser die Browser - Ansicht nutzen. Diese zeigt immer die aktuelle Version, da ich meine Posts öfter aktualisiere.


Ich wünsche Ihnen weiterhin einen guten Start in den Herbst

Ihre Angelika Majchrzak-Rummel
Rechtsanwältin und Projektberaterin


Topic Neuigkeiten

0 comments

Would you like to be the first to write a comment?
Become a member of projekt-wohnen von Rechtsanwältin Majchrzak-Rummel and start the conversation.
Become a member