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Warum Menschen nicht AN Drogengebrauch sterben

Liebe Leser*innen, willkommen liebe Neuen!

Der heutige Artikel ist ursprünglich am 27.7.2024 für Förder*innen des Drogenpolitik Briefings (Opens in a new window) erschienen. Dies ist die Version ohne Paywall, die ich zeitverzögert versende – Danke für Deine/Ihre Anmeldung und das Interesse! Wer diesen Artikel weitergeleitet bekommen hat oder ihn im Web liest: Gerne hier kostenlos abonnieren (Opens in a new window).

Das Thema “Drogentod” hat seine jährliche Konjunktur immer im Frühjahr, wenn die Zahlen der Todesfälle von der Bundesregierung bekannt gegeben werden. Das Leid für Hinterbliebene ist natürlich dauerpräsent und es ist von einer weiterhin steigenden Zahl von Todesfällen auszugehen.

In Berlin waren es 2023 271 Menschen, die im Zusammenhang mit Drogengebrauch vorzeitig verstorben und gezählt worden sind, es ist immer eine Mindestanzahl. Es sind doppelt so viele wie noch vor 10 Jahren. Dass die Drogen “schuld” seien, sagt sich leicht. Alternativ wird “dem Drogenhandel” “Schuld” zugeschrieben. Diese “Schuld”-Suche ist wenig produktiv, wird den Menschen nicht oder höchstens teilweise gerecht, und stört eine würdevolle Trauer der Angehörigen. Nicht nur das Leben gilt als “verspielt”, sondern auch der Tod wird beschämt.

Die Berlin-Kreuzberger Bürger*innen-Jury hat dieses Jahr einen Antrag von JES Berlin (Opens in a new window), den Hauptorganisator*innen des Berliner Gedenktags am 21. Juli, auf ein paar Hundert Euro Förderung bewilligt. Seit 2020 trage ich mit Redebeiträgen zur jährlichen Kundgebung bei; dieses Jahr war ich Teil des Organisationsteams und habe am Donnerstag die Projekt-Leiterin Martina Hoffmann (JES Berlin) im Rathaus Kreuzberg vertreten, um zusammen mit Marc Seidel (JES Berlin) die also vom Berliner Senat über die Bezirke finanziell geförderte Aktion bei der Abschlusssitzung der Bürger*innen-Jury (Opens in a new window) vorzustellen. Ebenfalls anwesend waren weitere Vertreter*innen von ehrenamtlichen, lokalen Projekten.

Gruppenbild von etwa 20 Personen im Rathaus Kreuzberg

Wir haben, sowohl von der Jury als auch von den anderen Bewilligten (die eher im Bereich Klima-Soziales-Kinder unterwegs sind) sehr positive Resonanz erfahren. Offiziell also unter Projekten und engagierten Personen wertschätzend eingebunden zu sein, die alle daran arbeiten, die Kieze (noch) lebenswerter zu machen, war wirklich schön.

Mein Beitrag zum Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende 21. Juli am Kottbusser-Tor:

Warum es irreführend und kontraproduktiv ist, Drogengebrauch als alleinigen oder hauptsächlichen Grund für die Todesfälle zu benennen.

Von der Formulierung, Menschen würden AN Drogengebrauch sterben, rate ich ab. Denn Menschen versterben im Zusammenhang mit Drogengebrauch, aber auch im Zusammenhang mit anderen Faktoren und es ist wichtig, diese ins Bild zu rücken. Nicht zuletzt auch im Sinne der Würde der Verstorbenen, die unter unterschiedlichen Umständen von uns gegangen sind und die es wert sind, erzählt zu werden. Im bestmöglichen Sinne der Verstorbenen, ihrer Hinterbliebenen und um dazuzulernen.

Wenn man unter Leuten ist, die sich mit den realen und diversen Lebenssituationen, in denen der Gebrauch illegalisierter Substanzen stattfindet, auskennen, ist die ein oder andere Formulierung in meinen Augen nicht so entscheidet. Aber wenn es darum geht, Unbeteiligte und die Öffentlichkeit über “Drogentod” aufzuklären, kommt die Formulierung, Menschen würden AN Drogengebrauch versterben, mit 2 Problemen:

Zu ungenau, um die Realität zu beschreiben

Die Aussage “Menschen sind AM Konsum von Drogen gestorben” ist für Unbeteiligte zu ungenau, um ihnen die Realität geeignet zu vermitteln. Denn wir müssen erklären können, warum dieselben Drogen, mit denen Menschen sterben, für die meisten Konsumierenden nicht tödlich sind und auch für die Verstorbenen, sollten sie schon länger konsumiert haben, zuvor nicht tödlich waren. Zum Tod führt nicht die Droge an sich. Sondern die Dosis macht das Gift. Und vor allem, die Dosis nicht zu kennen, macht das Gift. Substanzen vom illegalen Markt kommen mit keiner verlässlichen Verpackungsangabe. Hinzu kommen einige der Streckmittel, die überhaupt erst zu schweren körperlichen Schäden führen, wie es zum Beispiel beim Straßenheroin der Fall ist.

Individualisierung eines systematischen Problems

Die Aussage “Menschen sind AM Konsum von Drogen gestorben” individualisiert das Problem. Bei der Formulierung erzeugt man ein Bild im Kopf, dass eine Person eine Droge nimmt und stirbt und Punkt. Dabei findet der Drogengebrauch unter gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Voraussetzungen statt. Illegalisierte Drogen sind im Strafrecht(!) geregelt. Das ist ein enorm scharfes Schwert. Hinzu kommen die chronische Unterfinanzierung des Hilfe- und Gesundheitssystems, im öffentlichen Raum die Verdrängung der Menschen in dunkle Ecken, was den Konsum riskanter und gefährlicher macht, die Qualität des illegalen Marktes, wie unter Punkt 1 besprochen, die Strafverfolgung, die Wohnungspolitik, das alles sind politische Entscheidungen, die Einfluss auf den Drogengebrauch nehmen. Das mit zu betrachten, soll nicht davon ablenken, dass manche der Verstorbenen sicherlich auch einen schweren Kampf gegen eine Substanz geführt haben und sie loswerden wollten. Aber Drogen und Sucht sind durch ihre besondere politische Stellung nicht von der Politik lösbar. Menschen sterben beim Gebrauch illegaler Drogen oder durch Langzeitfolgen des eines schädlichen Drogengebrauchs, aber der politische Umgang spielt eine Rolle und diese ist viel zu selten Thema in öffentlichen Debatten. Wenn wir den Kontext erzählen, können wir eine große Last von den Schultern der Einzelnen und Angehörigen nehmen.

“Drogentod” ist ein politisches Problem

Den Erkenntnissen aus der Jahr für Jahr steigenden Anzahl von Todesfällen müssten politische Taten folgen. Nicht nur Aufrufe zu “mehr Prävention”, sondern man muss an die gesamten politischen Rahmenbedingungen ran. Das heißt:

  1. Alle drogengebrauchenden Menschen entkriminalisieren.

  2. Den Drogenmarkt legalisieren. Wir müssen eine legale Regulierung auf den Weg bringen. Legale Märkte zu regulieren ist nicht leicht, denn auch legale Märkte haben ihre Probleme, aber bloß weil es schwierig ist, heißt das nicht, dass wir es nicht tun müssen. Die Illegalität ist inakzeptabel.

Dies ist keine radikale Forderung mehr. Der international höchstrangige Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen, der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Völker Türk, hat letztes Jahr in seinem Bericht deutlich das politische Problem im Umgang mit Drogen und Sucht dargelegt. Die Drogenpolitik ist ein schwerwiegendes, strukturelles Problem, das Menschen systematisch benachteiligt und ihnen ihre Lebensqualität verschlechtert. Dafür gibt es keinen guten Grund. Die “Drogenbekämpfung” richtet sich gegen arme und marginalisierte Bevölkerungen ungleich härter. Auch dieses Jahr hat der UN-Hochkommissar weiter an die Mitglieder der UN, also auch Deutschland und die EU, appelliert, die Menschen zu entkriminalisieren und eine Weg der legalen Marktregulierung eiligst zu gehen. (UN-Bericht (Opens in a new window))

Über 100 Menschen waren bei der Kundgebung am Kottbusser Tor.

Die Öffentlichkeit als Raum für alle?

In der Vorbereitung zum Berlin-Kreuzberger Gedenktag haben wir O-Töne von Menschen, die in der Öffentlichkeit konsumieren oder konsumiert haben, gesammelt und geschnitten. 23 Minuten Stimmen von Menschen, die den Alltag von Strafverfolgung, illegalem Markt und Verdrängung kennen. Hört sie euch an und teilt sie bitte mit allen, die einseitig und abwertend über Menschen im öffentlichen Raum sprechen!

https://mybrainmychoice.de/die-bunte-bank-am-oranienplatz/#o-toene (Opens in a new window)

Mit besten Grüßen
Eure Philine

PS: Wenn ihr Rückfragen oder Kommentare habt, meldet euch gerne. Außerdem: Die Ortsgruppen des JES Bundesverbands (Opens in a new window) sind offen für neue Mitglieder oder können manchmal auch Tipps für Angehörigen-Hilfe geben. Eine Gast-Autorin im MBMC-Blog ist Beate Stör (Opens in a new window), die als hinterbliebene Mutter über den Tod und das Stigma schreibt. Die Organisator*innen der lokalen Gedenk- und Aktionsveranstaltungen (Opens in a new window) (in der Regel JES Ortsgruppen) suchen oft nach weiterer Unterstützung!

Über mich & Anstehende Termine

Seit 2015 setze ich mich für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Drogenpolitik ein. 2017 habe ich die My Brain My Choice Initiative als ehrenamtliche Plattform und Thinktank mitbegründet und vertrete unsere Konzepte und Kampagnen gegenüber Medien und Politik. Als Schildower Kreis-Mitglied stehe ich auch nach meinem Studium der Regionalwissenschaften (M.A.) im Austausch mit Expert*innen aus der Wissenschaft.

Die My Brain My Choice Initiative

My Brain My Choice (MBMC) ist eine zivilgesellschaftliche Initiative, die sich der Vertretung der Interessen von Menschen widmet, die Drogen gebrauchen. Wir setzen uns dafür ein, dass deren Perspektiven gehört und respektiert werden. Mit unseren Projekten und Kampagnen arbeiten wir seit 2017 daran, die Stigmatisierung und Diskriminierung von illegalem Drogengebrauch zu verringern und eine aufgeklärte, menschliche Drogenpolitik zu fördern, welche die gescheiterte Drogenprohibition überwindet.

Das Drogenpolitik Briefing

Danke fürs Lesen des Briefings! Die gesellschaftpolitische Aufklärung ist mir ein wichtiges Anliegen, weil wir nur so bessere Entscheidungen über dieses stark stigmatisierte Thema treffen können.

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Topic Diskursanalyse

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