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Speak no Evil (Christian Tafdrup)

Speak No Evil ist ein Horrorfilm, der christliche Tugenden und deren paradoxe Rolle in unserer heutigen westlichen Gesellschaft thematisiert. Tafdrup quält uns und das dänische Paar Björn und Louise über 70 Minuten hinweg langsam und zermürbend, bevor er uns in den letzten 20 Minuten völlig überwältigt. Wie oft bei guten Horrorfilmen können wir einiges über unsere Werte und unsere Welt erfahren.

Bibel

Obwohl in Speak No Evil der christliche Glaube nie explizit erwähnt wird, bietet sich eine biblische Interpretation an. Schon allein der Titel zieht eine Verbindung zur Bibel. In Titus 3 steht unter der Überschrift The Right Way to Live: "Remind the believers to yield to the authority of rulers and government leaders, to obey them, to be ready to do good, to speak no evil about anyone, to live in peace, and to be gentle and polite to all people."

Die christliche Tugend wird hier als Grund für das Scheitern der dänischen Familie herausgearbeitet. Björn und Louise sind in ihrem Denk- und Handlungsmuster gefangen, stets höflich und nett zu sein. Dies geht so weit, bis sie dazu gebracht werden, ihr eigenes Kind zu opfern. Die eigentliche Tugend wird umgekehrt und gilt im Haus der niederländischen Gastgeberfamilie als Sünde, die am Ende mit dem Tod durch Steinigung bestraft wird. Getreu dem biblischen Motto: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie", haben Patrick und Karin nicht gesündigt.

Abel, der (vermeintliche) Sohn von Patrick und Karin, deutet darauf hin, dass Patrick und Karin die Rollen von Adam und Eva verkörpern. Eigentlich der Inbegriff der Ursünde, haben sich Adam und Eva aus dem System Gottes und damit auch aus seinen Zwängen befreit. Dadurch sind sie nicht mehr an das Gebot des "Speak no Evil" gebunden und können es für sich als Sünde umdeuten. Agnes, die Tochter von Björn und Louise, bedeutet im Lateinischen "Lamm" und gilt in der Bibel als die ultimative Märtyrerin. Entsprechend wird sie am Ende geopfert.

Gesellschaftliche Ordnung

Der zivile Ungehorsam ist ein Akt der politischen Partizipation. Aus erfahrenem Unrecht entsteht die Pflicht des Bürgers, sich dagegen aufzulehnen. Im Zuge des Bahnstreiks der GDL, aber auch während der Klimaproteste der Letzten Generation, kam immer wieder die Debatte auf, ob man nicht das Streikrecht einschränken solle oder ob diese Form der Proteste noch verhältnismäßig sei. Der Film bietet uns hier die Antwort, dass diese Form des Widerstands nicht nur rechtmäßig ist, sondern dass wir als mündige Bürger in der Pflicht stehen, uns gegen den Staat oder den Arbeitgeber zu wehren.

Absurderweise wurden die sogenannten Klimakleber am härtesten angegangen von jenen, die einfach nur befürchteten, zu spät zur Arbeit zu erscheinen und dort - wahrscheinlich zu Recht - mit entsprechenden Sanktionen vom Chef rechnen mussten. Hätten sie sich allerdings Speak No Evil vorher angeschaut, hätten sie nicht auf die Klimakleber eingedroschen, sondern im selben Atemzug zum Streik gegen den Arbeitgeber aufgerufen.

Im Kapitalismus wurde jeder soziale Fortschritt durch zivilen Ungehorsam erkämpft. Das Frauenwahlrecht oder die 40-Stunden-Woche wären nicht möglich gewesen, wenn die entsprechenden Menschen nicht dafür auf die Straße gegangen wären. Mit höflichem Abnicken wären wir hier niemals so weit gekommen. Unzweifelhaft besteht die Pflicht zum zivilen Ungehorsam, ansonsten geht es uns am Ende wie Björn, wenn er verzweifelt fragt: "Why are you doing this to me?" "Because you let me."

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