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Longlegs (Osgood Perkins)

Von Beginn an wurden Vergleiche gezogen: "Der neue Silence of the Lambs". Die Parallelen sind offensichtlich: Eine junge FBI-Agentin jagt im suburbanen Amerika einen Serienmörder. Doch hier enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Während Silence of the Lambs Psychoanalyse und faktenbasierte Forensik in den Mittelpunkt stellt, widmet sich Longlegs gänzlich dem Okkulten. Auch auf ideologischer Ebene unterscheiden sich die Filme: Wo Silence of the Lambs klare feministische Aussagen trifft, spielt dieses Thema in Longlegs keine Rolle. Generell fällt es schwer, Longlegs ideologisch einzuordnen.

Einsamkeit

Ein zentrales Thema des Films ist die Einsamkeit im suburbanen Amerika. Lees Mutter Ruth erklärt, dass sie nie Besuch bekommt - weder von Familie noch von Fremden. Als zu Beginn Longlegs vorfährt, nimmt die junge Lee dies sofort als Anomalie wahr, fast als Bruch mit der Realität. Entsprechend verlässt sie umgehend das Haus, um das Auto näher zu inspizieren, anstatt wie erwartet auf das Klopfen des Besuchers zu warten.

Die Morde wären nicht möglich gewesen, wären die Familien nicht völlig isoliert gewesen. Nicht nur fehlt jeglicher Besuch (etwa zu dem Kindergeburtstag), sondern es herrscht eine vollständige Abwesenheit anderen Lebens. Wenn wir am Ende Ruth mit blutverschmiertem Gesicht in ihrem Auto sitzen sehen, wissen wir instinktiv, dass ihr keine Gefahr durch zufällige Passanten droht. Es gibt schlichtweg keine.

Der Film geht so weit, dass wir als Zuschauer selbst menschliche Interaktion als unwirklich wahrnehmen. In der Barszene zwischen Carter und Lee werden andere Gäste nur kurz gezeigt, bevor die Kamera sich auf die Gesichter der Protagonisten fokussiert. Dies verfremdet nicht nur die Umgebung, sondern auch die Interaktion der beiden selbst. Ihre Positionierung auf der Couch wirkt in der Schuss-Gegenschuss-Technik surreal. Am Ende sind wir uns nicht sicher, mit wem die Agenten eigentlich sprechen.

Letztlich bringen sich die Familien selbst um, weil es für Fremde unmöglich ist, ihnen nahezukommen. Longlegs' größte Herausforderung besteht darin, die Familien dazu zu bringen, ihm die Tür zu öffnen. Als Lee ihre Mutter anruft und das Telefon unerwartet lange klingelt, kann sie ihre Verwunderung nicht verbergen. "Warst du beschäftigt?" "Nein, ich arbeite ja nicht mehr. Was soll ich denn gemacht haben?" Freunde treffen kommt offensichtlich nicht in Frage.

Satanistisches Potpourri

Carter kommentiert Lees Erkenntnisse mit den Worten: "Er wird sie ja nicht durch Hexenkunst getötet haben". Doch genau das geschieht. Osgood Perkins zeigt kein Interesse daran, den Meilensteinen der 90er (Silence of the Lambs, Se7en) zu folgen und eine irdische Erklärung zu bieten. Stattdessen präsentiert er ein okkultes Allerlei, das verdeutlicht, dass wir hier mit Logik nicht weiterkommen.

Was Perkins jedoch verkennt: Logik ist nicht gleichbedeutend mit Kohärenz. Anders ausgedrückt: Nur weil wir keine naturwissenschaftliche Erklärung erhalten, bedeutet das nicht, dass wir gänzlich auf Stringenz verzichten müssen. Die Handlung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Longlegs, ein begabter Puppenmacher, fertigt lebensechte Puppen nach dem Vorbild von Mädchen, die am 14. eines Monats Geburtstag haben. In diese setzt er eine Kugel ein, die seinen Geist enthält. Sobald diese Puppe über Ruth, verkleidet als Kirchenmitglied, in die jeweilige Familie gelangt, wird diese vom bösen Geist Longlegs' besessen, woraufhin der Vater alle umbringt.

Longlegs und Ruth bezeichnen sich selbst wiederholt als "Freund eines Freundes" und negieren damit ihre individuelle Bedeutung. Es geht um Satan und nur um ihn. Warum sich der Film dennoch so sehr auf Longlegs als Charakter konzentriert und ihn bei seinen Ausrastern sowie in einer wirren Tankstellenszene zeigt, bleibt unklar. Damit erreicht er das Gegenteil des Beabsichtigten: Der Teufel rückt in den Hintergrund, während Nicholas Cages Charakter unser Interesse fesselt. Auch die Idee, dass Longlegs' Essenz in der Kugel das Böse hervorruft, steht im Widerspruch zur Prämisse. Sollte der Teufel nicht vielmehr in uns allen stecken? Laut Longlegs lebt er bereits unter uns. Warum bedarf es dann einer solchen Essenz des irren Einsiedlers?

Die Bedeutung des 14. als Geburtstag der Kinder bleibt ungeklärt. Zudem hat jede relevante Figur im Film praktischerweise am 14. Geburtstag. Die Zeitspanne von plus/minus sechs Tagen zu den Morden wird mit einem vagen Hinweis auf ein sich im Kalender bildendes Dreieck abgetan.

Die Relevanz der Kinder und der Geburt wird zwar angedeutet, bleibt aber nebulös. Warum sind die Puppen den Töchtern nachempfunden? Weshalb begeht stets der Vater die Morde? Die Geburt selbst wird oft thematisiert: "So viel Blut" oder durch einen Schnitt am eigenen Bauch, der den Kaiserschnitt symbolisiert. Wir erfahren zu wenig über die anderen Familien, um ein kohärentes Bild zu zeichnen.

Fazit

Trotz starker Kameraarbeit scheitert Longlegs an inhaltlichen Schwächen. Statt sich auf eine klare Gesellschaftsanalyse oder Charakterstudien zu konzentrieren, bombardiert uns Perkins scheinbar wahllos mit Plattitüden aus dem okkulten Horrorgenre, die sich nie zu einem kohärenten Ganzen fügen. Das Resultat ist eine unbefriedigende Auflösung und ein überdrehter Nicholas Cage, dessen Szenen in der Retrospektive oft überflüssig erscheinen.

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