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Leipziger Fragmente XIV

Leipzig, Alfred-Kästner-Straße, 21.09.


09.38 Uhr


Krach! Es ist Krach und ich kann mich nicht konzentrieren. Da unten steht ein verrückt gewordener Hausmeister und raspelt alles Grün vom Hof, das da nicht sein darf. Der Motor seines Freischneiders rattert, während der Hausmeister prüft, ob alles Grün geschnitten ist, heult dann auf, als wehre er sich gegen seine Pflicht, zu mähen, zu schneiden, zu lärmen, dass mir die Ohren rasseln, wie der Motor, wenn er kurz Pauase hat…


Und ich will Villon Worte abwandeln: Man, schlagt diesem Lump mit einem Hammer, den Freischneider kurz und klein! Ich bin ein Schreibender! Muss der Krach denn wirklich sein?


Warum kann man das Grün nicht einfach stehen lassen? Die Stadt hat schon zu viel Beton, zu viel Grau, zu viel harte Farblosigkeit, die betrübt. Wie kann dieser Celine sagen, dass er die Natur verachtet? Ein Stadtmensch sei er, sagt er, und könne mit den Parks in Paris nichts anfangen. Das sagt er. Aber ich glaube ihm nicht. Der Mensch braucht doch die Natur. Sie ist ihm Wiege, seine Wurzeln sind in ihr, wie sie in ihm ist.


Oder ich wandele Erich Mühsam ab: Lasst das Grün doch steh’n, ich bitt! Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!


Und als wolle er bestätigen, was ich denk und gerade schreibe, setzt sich ein Spatz vor mich hin, auf die Schale mit dem Vogelfutter, die wir täglich füllen, lässt sich nicht beirren, nicht von meiner Anwesenheit, nicht von meinen Bewegungen im Schreiben, im Abaschen, setzt sich, frisst, Korn für Korn, behält mich im Auge, ist wachsam, denn Hunger ist stärker als Angst. Ich denke an einen Witz: Was macht ein dreißig Kilo schwerer Spatz auf einem Baum? …. TSCHÜÜÜLP TSCHÜÜÜLP


Nicht mehr witzig… das war vor Jahren mal witzig … heute ist es nicht mehr witz… ich soll ja die „Bernhardtschen Redundanzen“ lassen, sagt mein Verleger. Der soll sich leiber mal um all die verrückt gewordenen Hausmeister kümmern! Thomas Bernahrdt hätte ihm eins auf den Helm gegeben, diesem verrückt gewordenen Hausmeister. Oder, wie Georg Schramm einst eins seiner Programme nannte: „Thomas Bernhard hätte geschossen“ …

Zumindest einen Brandbrief hätte er geschrieben. An die Stadt … oder an seinen Verleger. Der war ja auch immer an allem Schuld.


Die Zeit tippt mir auf die Schulter. Ich hab sie gar nicht kommen hören, im Krach des verrückt gewordenen Hausmeisters und seinem Freischneider, der wie ein verlängerter, motorisierter Arm alles Grün im Innenhof des Hauses vernichtet. »Hab gar nicht gemerkt, dass du da bist.« sage ich und sie sagt: »Junge, es spät geworden. Du muss langsam los.«

»Ja und der Eintrag? Der Text?Der täglich Text? Was ist damit?«

Aber sie hat ja Recht die Zeit. Ich singe ein altes Lied, nehme der Partei die Stimme und gebe sie der Zeit: „Ja die Zeit, ja die Zeit, die hat im-mer Recht!“ Entschuldigen Sie, Herr Louis Fürnberg, dass ich ihren Text missbrauche. Aber Ihre Partei hat ja auch missbraucht. Ihren Text vielleicht? Die Menschen auf jeden Fall.


„Wenn das mal nicht endlcih mal wirkliche Fragmente sind, was du hier verzapfst…“ denke ich … ja, Fragmente, die ich aus dem Jetzt meißele, weil die Zeit ja neben mir sitzt und mir beharrlich auf die Schulter klopft, wie Sheldon an die Tür die Nachbarin …


Der Spatz ist zurück … glotzt mich an, als wolle er mich zum Essen einladen. »Keine Zeit Herr Spatz.« sage ich … »… keine Zeit.« und die Zeit fühlt sich gekränkt, denn sie sitzt ja neben mir … und drängelt… »och … entschuldigense bitte .. das sagt man so … als Mensch sagt man das so…« obwohl wir Menschen ja immer Zeit haben. Nur nicht für die richtigen Dinge. Und wenn wir die richtigen Dinge gerade nicht vollbringen können, sagen wir, dass wir keine Zeit haben, obwohl wir immer Zeit haben … seltsame Geschöpfe sind wir, wir Menschen …


Naja, jedenfalls muss ich los. Bin mal wieder viel zu spät … „Eines Tages, werd’ ich mich rächen, ich werde alle Rasenmäher brechen. Und dann ist es zu spät, dann mähst du hier nicht mehr!“


Ach die Zitate… vielleicht sollte ich daraus mal einen Text machen … jetzt aber, muss ich los, denn die Zeit hat mir soeben böse in die Wade gekniffen …

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