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MCP — Der Newsletter #30 im Juli

Liebe Leser:innen,

dieser Newsletter wird feinerweise wieder vom Suhrkamp-Verlag unterstützt. Ich freue mich so sehr, euch das nigelnagelneue Buch einer der wichtigsten Autorinnen in meinem Regal präsentieren zu dürfen, in der Übersetzung von Eva Bonné erscheint am 15. Juli Parade, der neue Roman von Rachel Cusk:

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In wenigen Tagen erscheint der neue Roman von einer Autorin, die ihr hoffentlich längst alle kennt: Rachel Cusk. In Parade erzählt sie eindringlich und aufrüttelnd von einem Leben, das viele andere Leben enthält – von Weiblichkeit, Kunst und Macht, Familie und Freiheit, und davon, woraus wir uns immer wieder aufs Neue erfinden. Übersetzt von Eva Bonné. Ab Mittwoch bei Suhrkamp: http://shrk.vg/Parade-P (Opens in a new window)

Stimmen zu Themen

Zwei wichtige Anthologien sind in den vergangenen Wochen erschienen, die sich mit dringlichen Fragen beschäftigen, zu denen wir uns verhalten (lernen) sollten, wofür uns aber vielleicht Wissen und Impulse, Denkanstöße und Perspektiven fehlen. Ich nutze den Sommer, um mich mit Hilfe zweier Bücher besser verorten zu können, in zwei Komplexen, die mir wichtig sind, aber mir bisher auch schwer durchdringbar schienen. Beide Sammlungen sind zu ganz verschiedene Themen erschienen, in beiden geht es um Kommunikation und Demokratie.

Claudia Hamm hat Anfang Juni den Doppelband des Hanser Akzente Heftes Automatensprache herausgegeben. Ich möchte hier noch einmal auf das sehr interessante Instagram-Gespräch (Opens in a new window)hinweisen, das ich mit Claudia Hamm im Februar führen durfte. Ich habe mit der Übersetzerin darüber gesprochen, wie KI ihre Arbeit gerade verändert — und auch bedroht. Mit Automatensprache hat sie nun einen Band herausgegeben, der einerseits eine sehr gute Informationsgrundlage bietet und erklärt, was Maschinensprache eigentlich so grundsätzlich von Menschensprache unterscheidet, wer davon profitiert und wer hier beraubt wird, wie das uns Lesende, Gesellschaft, Politik, ja die Welt verändert und was auf dem Spiel steht. Andererseits macht der Band mit Beiträgen von Emmanuel Carrère, Isabel Fargo Cole, Nina George, Johann Wolfgang von Goethe und DeepL, Claudia Hamm, Annette Hug, Peter Kirchschläger, Annie Le Brun, Gary Marcus, Mophat Okinyi, Bernhard Pörksen, Monika Rinck, Michael Seemann, Anette Selg, Christian Uetz, Elizabeth Weil und Joseph Weizenbaum auch enorm viel Spaß, weil er fundiert, aber mit Leichtfüßigkeit das Abstrakte begreifbar und unsere Verantwortung sichtbar macht.

Lena Gorelik, Miryam Schellbach und Mirjam Zadoff haben trotzdem sprechen herausgegeben. Dass um demokratische Grundsätze unendlich hart gerungen werden muss, ist sicher nicht nur ein Phänomen unserer Zeit, aber gerade absolut nicht mehr zu ignorieren und so, so viel steht auf dem Spiel. Nicht nur nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und allem Grauen, was das bedeutete und daraus resultierte. Auch nach den letzten Europawahlen (und allem was auch international noch am Horizont dräut) müssen wir erst recht alles daran setzen, den Austausch nicht zu verlieren. Wie kann man miteinander im Gespräch bleiben, trotz unterschiedlicher Positionen von denen aus gedacht und gesprochen wird, trotz unterschiedlicher Erfahrungen. Wie sich nicht vereinzeln, auch im Angesicht der Angst vor Antisemitismus und Rassismus? Diese Anthologie schaut genau hin und zeigt doch Wege ins Helle. Mit Beiträgen von Julia Alfandari, Michael Brenner, Asal Dardan, Carolin Emcke, Durs Grünbein, Hadija Haruna-Oelker, Sandra Hetzl, Per Leo, Meron Mendel, Nazih Musharbash, Joana Osman, Monika Rinck, Kathrin Röggla, Hannan Salamat, Sasha Marianna Salzmann, Nahed Samour, Paula-Irene Villa Braslavsky und Maryam Zaree.

Perle im Juni

Ihr alle kennt die Schlagworte, mit denen Literatur in Rezensionen opulent aufgeblasen werden soll, Parforceritt und ähnlich Großes wird da gern mal bemüht. Ich hab um solche Zuschreibungen immer einen Bogen gemacht und doch, wenn es einen Kessel mit den kraftvollsten Adjektiven gäbe, mit denen man einen grandiosen Roman beschreiben kann, ich würde jetzt mit voller Kelle daraus schöpfen. Michelle Steinbeck hat mit Favorita eine Geschichte geschrieben, die alle guten Worte verdient hätte, die von Begeisterung und Wucht nur so strotzen für dieses Buch. Tour de Force und ähnliches wird der Verspieltheit und Eleganz dieses Romans aber nicht gerecht. Es geht um Fila. Fila ist bei ihrer italienischen Großmutter Lavinia in der Schweiz aufgewachsen. Die Mutter Magdalena war nie eine Konstante in ihrem Leben, zu selbstbestimmt, auch wenn ihr gerade das nicht immer Glück gebracht hat. Jetzt ist Magdalena tot. Ermordet? Oder war es doch die Schrumpfleber. Fila macht sich auf den Weg nach Italien, um genau das herauszufinden und wir gehen mit ihr auf eine Reise, die unter anderem zu sich in einer Salamifabrik verbarrikadierenden Sexarbeiterinnen und einer faschistischen Geheimgesellschaft in einem abgelegenen Jagdschloss führt — und irgendwo dazwischen sind überall Spuren von Filas Mutter. Michelle Steinbeck hat 2016 im Lenos Verlag ihren ersten Roman veröffentlicht: Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch. Schon dieses Buch hat polarisiert, mich hat es damals aber sofort von Michelle Steinbecks Sprachvermögen und ihrem literarischen Mut überzeugt. Es folgte der Lyrikband: Eingesperrte Vögel singen nicht mehr — gedichtet und geträumt und spätestens hier bin ich ihrem Stil vollends verfallen. Im neuen Roman geht es um Femizide, es geht um Traum und Herkunft, Mütter- und Großmütterbeziehungen. Es geht darum, wie das Patriarchat uns prägt und unser Leben ramponiert. Und trotzdem schafft die Schweizer Autorin absolut beeindruckend, diese harten Themen mit grandiosen (Sprach)Bildern abzumischen, mit Sätzen, deren Schönheit man laut lesen will (und das auf über 450 Seiten), mit gewitzten Ideen, einem krimihaften Sog und einer wunderbar unzuverlässigen Erzählerin. Wenn ihr in diesem Sommer nur einen kunstvoll kühnen Roman lesen wollt: Favorita! Und falls das nicht reicht, Michelle Steinbeck beginnt ihren Roman mit Zitaten von Goliarda Sapienza und Johanne Lykke Holm, ich könnte kaum verliebter sein.

Zuhause in Büchern

Ein keiner Gegengedanke zur aktuellen Feriensaison: Wenn danach gefragt wird, in welchen Büchern ich mich zuhause fühle, schiebt sich gerade immer stärker Olivia Laing in den Vordergrund meines Regals. Begonnen hat für mich meine Liebe zu ihrer Sprache und ihrem Blick auf die Welt mit der großartigen Übersetzung von Zum Fluss von Thomas Mohr. Hier geht Olivia Laing, kurz nachdem ihr Beziehung und Job abhanden gekommen sind, in ein paar hellen Sommerwochen den Fluss Ouze im Süden Englands ab, folgt ihm von der Quelle bis zur Mündung, beobachtet Natur und Kultur und erzählt auch das Leben von Virginia Woolf in diese Landschaft, die sechzig Jahre zuvor in diesem Fluss ertrunken ist.

In Die einsame Stadt (ebenfalls genial übersetzt von Thomas Mohr), erzählt sie davon, wie sie mit dreißig Jahren für eine Liebe nach New York kam, die dann ebenfalls verschwand. Sie stellt sich also dem Abenteuer des Alleinseins, so der Untertitel des Buches, und beobachtet, wie die Einsamkeit gerade in Städten, in denen man bei allein ist, in denen es nie still ist, zu einer Gefährtin wird, die viele Künstler:innen vor und in ihrer Zeit inspiriert hat.

Ich wollte auch hier auf die Übersetzung von Thomas Mohr warten, aber zum ersten Mal bin ich schwach oder schlicht zu ungeduldig geworden: In The Garden Against Time nimmt uns die grandiose Essayistin Olivia Laing mit auf eine Reise durch die (fiktiven und geheimen) Gärten der Geschichte. Während sie sich in Suffolk um einen mit seltenen Gewächsen überwucherten Garten kümmert, ist sie für uns mit uns in search of a common paradise, beschreibt in allerschönster Sprache und mit wachem Blick und viel Wissen Pflanzen und Biografien und die Ursprünge und Auswüchse unseres Wunsches nach einem Ort voll blühenden Zaubers. Es gibt auf BBC 3 die wunderbare Radiosendung Private Passions, hier verlinke ich euch die Folge mit Olivia Laing (Opens in a new window), die ich gehört habe, wie ein kostbares Geschenk.

(Wieder)Entdeckungen

Zwei großartige Werke sind nach Jahrzehnten erstmals ins Deutsche übertragen worden und haben mich in den vergangenen Wochen schwer begeistert.

Die seligen Jahre der Züchtigung von Fleur Jaeggy, aus dem Italienischen übersetzt von Barbara Schaden, erschien 1989 und erzählt die Abgründe einer Obsession aus einem Schweizer Mädcheninternat in den Sechziger Jahren. Ein Taschenbuch von etwas mehr als hundert Seiten, das wirklich noch in jedes Reisegepäck passt und trotz schneller Lektüre lange nachhallt. Ich habe es direkt zwei Mal hintereinander gelesen und widme mich jetzt dem weiteren Werk dieser Ausnahmeautorin.

Sex & Rage von Eve Babitz aus dem Jahr 1979 liegt jetzt in der feinen Übersetzung von Hanna Hesse vor. Ich kannte Eve Babitz nur vom Bild, das auf dem Cover einer Ausgabe von Joan Didions Play It As It Lays zu sehen ist. Hier spielt Eve Babitz nackt Schach, mit Marcel Duchamp. Dass sie auch Künstlerin und Schriftstellerin ist, wusste ich nicht. Ihr Werk geriet bereits zu ihren Lebzeiten immer mal wieder in Vergessenheit und wurde diesem Vergessen entrissen. Nach einer letzten Neuauflage starb Eve Babitz tragisch 2021 in Los Angeles, wo sie auch immer gelebt hat. Der Roman erzählt spritzig von der jungen Jacaranda, die es im Hollywood der Siebziger Jahre aus dem Schatten (großer Männer) und ins Licht der Kunst schaffen will. Ich will autofiktionale Parallelen gar nicht unnötig bemühen. Es ist ein rauschhaftes Lesevergnügen, dieses Buch.

Erscheint im Juli

Es gibt vier Bücher, die jetzt im Juli erscheinen werden und von denen ich euch und ihnen wünsche, dass ihr sie auf keinen Fall verpasst. Ich werde vermutlich zu gegebener Zeit und nach dem Erscheinen noch zu allen etwas sagen, auf welchem Kanal auch immer. Für jetzt soll erstmal die Information reichen, dass ich mich in alle nur einlesen wollte und dann begeistert festgelesen habe. Alle vier: wow!

11.7. Stay True von Hua Hsu, aus dem Englischen übersetzt von Anette Grube. Der wunderbare Aki-Verlag (Opens in a new window) startet sein viertes Programm mit einem pulitzerpreisgekrönten Memoir über Herkunft, Freundschaft und Verlust. Ich konnte und wollte diesen Schatz keine Sekunde aus der Hand legen.

11.7. Von Norden rollt ein Donner von Markus Thielemann. Ich bin so gebannt von der Geschichte (Opens in a new window) und vor allem so unendlich begeistert und beeindruckt von der Sprache dieses Romans. Meine Güte! Musste dem Autor direkt schreiben, wie großartig er das gemacht hat.

13.7. Hey guten Morgen, wie geht es dir? von Martina Hefter erzählt von Sorge und Sehnsucht auf eine Weise (Opens in a new window), wie ich es noch nie gelesen habe. So intensiv, so geistreich. So gut!

16.7. Die schönste Version von Ruth-Maria Thomas war in den letzten Wochen auch ein Roman (Opens in a new window), zu dem ich der Autorin sofort gratulieren musste. Die schmerzhafte Geschichte, die dort beschrieben wird und vor allem wie sie beschrieben wird, hat mich so an meine Eindrücke nach dem Lesen von Emilie Pine (Botschaften an mich selbst) erinnert, hat so dieses endlich schreibt es mal eine-Gefühl ausgelöst. Die Liste der Frauen und Männer, die dieses Buch lesen müssen ist endlos.

Ihr Lieben, ich habe letztens eine Sommerausgabe dieses Newsletters in Aussicht gestellt und wollte euch eigentlich Reise- oder Meeresliteratur empfehlen, jetzt hat mich aber die Begeisterung für so viele neue Bücher hingerissen, das dafür heute kein Platz mehr ist. Das war jetzt einfach dringender für mich.

Nötig sind auch Pausen. Es wird also den nächsten Newsletter erst im September geben. Immer am ersten Sonntag des Monats, das ist ja gleich der 1.9. — auch die Literatursprechstunde auf Instagram wird im August pausieren. Es gibt aber wie gewohnt Texte auf Steady. (Opens in a new window)

Zum Abschluss darf ich euch noch einmal auf die nächsten Termine hinweisen. Die Livestream-Pause auf Instagram hat ja bereits leise begonnen. Im Hintergrund gibt es noch einiges zu tun für all die schönen on- und offline-Moderationen, die dann kommen werden.

Und auch eine blauschwarzberlin-Podcastfolge gibt es noch jetzt im Juli und zwar am 16.7. um 20 Uhr Live auf Instagram und dann zum Nachhören, wo und wann immer ihr mögt

Termine

Das allerschönste Projekt in diesem Jahr ist natürlich die Anthologie

Und ich — (das Buch erscheint am 26.9. bei park x ullstein (Opens in a new window)).

Und endlich steht auch die Buchpremiere fest: Wir feiern am Montag, den 23.9. um 20 Uhr im Heimathafen Neukölln. Tickets dafür gibt es hier (Opens in a new window).

Es werden viele Autorinnen aus dem Band auf der Bühne dabei sein, wir veröffentlichen die Namen demnächst, aber: es lohnt sich so sehr.

Und ich freue mich so unfassbar, dass Melina Brüggemann, deren Klugheit, Kenntnis und charmante Art auf der Bühne ich so schätze, und die als Lektorin so vertraut mit den Texten ist und gemeinsam mit Programmleiterin Ricarda Saul so wundervolle Arbeit an dem und für das Buch geleistet hat, den Abend moderieren wird. So dass ich mich ganz aufs Miterzählen und Mitfeiern konzentrieren darf. Das wird ein tolles Fest. Bitte kommt alle!

Außerdem freue ich mich auf diese Moderationen direkt nach der Sommerpause:

Am 28.8. um 20 Uhr treffe ich Rasha Khayat im Instagram-Livestream für ein Gespräch zu ihrem neuen Roman Ich komme nicht zurück (Opens in a new window).

Am 3.9. um 20 Uhr geht der Diogenes Tapir-Talk bereits in die dritte Runde. Ich treffe Anne Reinecke im Instagram-Livestream zu einem Gespräch über ihr Hinter den Mauern der Ozean (Opens in a new window).

Am 4.9. um 19 Uhr moderiere ich die Buchpremiere von Alte Eltern. Über das Kümmern und die Zeit, die uns bleibt (Opens in a new window) von Volker Kitz bei Dussmann.

Am 10.9. um 20 Uhr treffe ich Marica Bodrožić im Instagram-Livestream für ein Gespräch zu ihrem neuen Roman Das Herzflorett (Opens in a new window).

Am 16.9. um 20 Uhr treffe ich die Regisseurin Julia von Heinz im Instagram-Livestream zu einem Gespräch über ihren Film Treasure (Opens in a new window), der auf dem Buch Zu viele Männer von Lily Brett beruht.

Und natürlich gibt es den blauschwarzberlin (Opens in a new window) Literaturpodcast Folge #66 am 17.9.2024 mit wunderschönen Neuigkeiten.

Und am 23.9. feiern wir ja dann alle Und ich —.

So, und jetzt verabschiede ich mich schlicht doch noch mit einem Strauß Sommerbücher von euch. Mit neu erlesenen und lang geliebten. Habt ein schönes Sommern.

Und ein gutes Lesen!

Eure Maria

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