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Zeichnen statt schreiben?

Von Hasnain Kazim - Österreich / Karikaturen / “Charlie Hebdo” / Maß und Mitte

Liebe Leserin, lieber Leser,

seit bald neun Jahren lebe ich in Österreich. Nirgendwo habe ich aus eigener Entscheidung länger gelebt als in Wien. Nur in Hollern-Twielenfleth habe ich mehr Lebenszeit verbracht, dort bin ich aufgewachsen, im Alten Land, in Niedersachsen.

Ich lebe gerne in Österreich. Ich mag Wien, ich mag dieses Land, die Menschen, die Kultur, das Essen, und, ach, die Sprache! Die unterschiedlichen Dialekte! Vor allem das Wienerische: In keiner anderen Sprache kann man auf so charmante Weise bösartig sein beziehungsweise auf so bösartige Weise charmant. Anfangs war es so, dass ich mich bisweilen gelobt und geschmeichelt fühlte, um kurze Zeit später zu denken: Moment mal, hat der mich gerade beleidigt?

In den zurückliegenden Tagen haben mich mehrere gefagt, ob ich aus Österreich wegzuziehen gedenke. Dazu kann ich nur sagen: Das wäre ja noch schöner!

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat nämlich am Montag gesagt: “Ich habe Herbert Kickl beauftragt, mit der ÖVP Gespräche zur Bildung einer Bundesregierung zu bilden.” Es sieht also so aus, dass Herr Kickl von der rechtspopulistischen bis rechtsextremen FPÖ Bundeskanzler von Österreich wird. Große Güte! Dieser Typ! Der einstige Redenschreiber vom Haider Jörgerl!

Aber ich und wegziehen? Vergesst es! Bin ich gelassen? Nein. Habe ich Angst, gar Panik? Auch nicht. Aber ich mache mir Sorgen. Kickl & Co. haben oft genug einer ethnisch homogenen Gesellschaft das Wort geredet, haben menschenfeindlich, rassistisch, und gerne doppeldeutig formuliert, dass die Grenzen zwischen - demokratisch akzeptablem - Konservatismus und - inakzeptablem, da undemokratischem - Rechtsextremismus verwischen. Werden hier bald die Fackelfuzzis mit ihren Schärpen durch die Stadt ziehen, hohl und stolz? Man weiß es nicht.

Kickl nennt sich “Volkskanzler”, ein Begriff, den man oberflächlich betrachtet nicht schlimm finden mag, der aber historisch belastet ist. Kickl weiß, warum er diesen Begriff nutzt. Er kämpft gegen “die Eliten”, zu der er sich selbst, natürlich, nicht zählt. Er hat das Pferde-Entwurmungsmittel Ivermectin als Alternative zur Covid-Impfung empfohlen. Und er hat keine Berührungsängste mit “Identitären”, die vom “Bevölkerungsaustausch” faseln, “millionenfache Remigration” fordern und immer schön auf Ethnie und Hautfarbe abzielen.

Natürlich kann und darf man Migration und die heutige Migrationspolitik kritisch sehen. Aber so?

Die FPÖ ist bei der Wahl im September 2024 stärkste Kraft geworden. Sollten die Koalitionsverhandlungen mit der bürgerlich-konservativen ÖVP scheitern, gäbe es wahrscheinlich Neuwahlen - und die FPÖ würde noch weiter zulegen, jedenfalls deuten Umfragen darauf hin. Entsprechend breitbeinig tritt Kickl derzeit auf. Seine politischen Gegner nannte er vorher schon “Systemlinge” und “Volksverräter”.

Ich jedenfalls bleibe und beobachte und staune und mache mir Sorgen. Aber wer weiß… In den zurückliegenden neun Jahren in Österreich habe ich mehr politische Überraschungen erlebt als in meinen 41 Lebensjahren zuvor. Vielleicht kommt ja doch noch alles anders. Abwarten und Punschkrapfen essen.

Lieber zeichnen statt schreiben?

Was beim Aufräumen so alles auftaucht. Vor zwei Jahren, nach einem Besuch der Caricatura Kassel, habe ich diese Zeichnungen angefertigt. Ich habe sie dem Karikaturisten Til Mette gewidmet, mit dem ich dort auf einem Podium gesessen hatte und der mir am Abend beim Bier erzählte, dass man als Zeichner eigentlich gar kein Talent brauche.

Til Mette antwortete mit dieser Zeichnung:

Schön, oder?

Der Rasierschaumtortenangriff

Wo ich gerade bei Zeichnungen bin: Am 7. Jänner jährte sich zum zehnten Mal der Terroranschlag auf das Pariser Satiremagazin “Charlie Hebdo”. Damals, 2015, drangen zwei islamistische Terroristen in die Redaktionsräume ein und erschossen elf Menschen. Es sollte ein Racheakt sein, weil das Magazin zuvor wieder einmal Karikaturen des Propheten Mohammed abgedruckt hatte. Für viele Muslime gilt das als “Blasphemie”, als “Gotteslästerung”.

In der Folge gingen Millionen Menschen auf die Straße, zeigten sich solidarisch mit “Charlie Hebdo” und demonstrierten für die Meinungsfreiheit und auch für das Recht auf Gotteslästerung.

Ich habe “Charlie Hebdo” nie gelesen, hin und wieder aber wahrgenommen, wenn sie mal wieder ein Skandälchen produziert hatten. Ehrlich gesagt, fand ich das Magazin oft unterirdisch: menschenverachtend, rassistisch, islamophob, antisemitisch. Mir war aber aufgefallen, dass sie, immerhin, in alle Richtungen austeilen.

Das mochten viele nicht, aber es war das gute Recht des Magazins, es dennoch zu tun. Und man konnte - und kann auch heute noch, wenn einem etwas nicht gefällt - dagegen demonstrieren, Leserbriefe schreiben, man konnte auch einfach das Abo kündigen oder zu einem Boykott aufrufen. All das geht.

Aber was nie, nie, nie geht: In die Redaktion zu marschieren und Menschen umzubringen. Von da an galt selbstverständlich, auch für mich: “Je suis Charlie”.

Körperliche Gewalt gegen Andersdenkende ist inakzeptabel: bei all den Rechtsextremisten, die Politikerinnen und Politiker einschüchtern oder vermeintliche oder tatsächliche Ausländer angreifen und glauben, dies sei eine “Meinungsäußerung” gegen Migrationspolitik; bei Linksextremisten wie Lina E. und ihre Kumpanen, die der Auffassung sind, sie könnten Neonazis bekämpfen, indem sie sie überfallen und zusammenschlagen; bei religiösen Fanatikern, die sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen und glauben, das berechtige sie, zu Gewalt zu greifen; sie ist grundsätzlich inakzeptabel, für alle.

Das fiel mir diese Woche nicht nur beim Jahrestag des Terroranschlags auf “Charlie Hebdo” ein, sondern auch bei dem - mit dem Terror überhaupt nicht vergleichbaren, gleichwohl idiotischen - Rasierschaumtortenangriff auf Christian Lindner in Greifswald durch eine junge Frau, der die Ausführungen Lindners zum Bürgergeld nicht gefielen. Man mag Linder nicht mögen, man mag seine Politik kritisieren oder die FDP doof finden, alles in Ordnung - aber so etwas geht nicht. Denn was kommt als nächstes, nach der Rasierschaumtorte? Eine Ohrfeige? Ein Steinwurf? Ein Messerstich?

Mitte bitte!

Irre, welche Schlussfolgerungen manche aus dem Erstarken von Extremismus ziehen.

Die einen sagen, man solle “den Rechten nicht hinterherlaufen”, sie “nicht rechts überholen” und auch “nicht so reden wie die Rechten”, denn: “Warum sollten Wähler zum Schmiedl gehen, wenn sie den Schmied haben können?”, sprich: Wer Extremisten wählen will, wählt das Original, nicht die Kopie.

Die anderen schweigen zu allem und jedem, das den Extremisten gefallen könnte. Bloß kein Applaus von rechts! Bloß keine Zustimmung! Bloß nichts sagen oder gar programmatisch verfolgen, was in irgendeiner Weise auch von den Rechten unterstützt werden könnte! Lieber stumm bleiben, als sich den Vorwurf gefallen lassen, man würde “gemeinsame Sache” mit den Rechten machen!

Ich glaube, dass beides falsch ist. Ich bin davon überzeugt, dass nur richtig sein kann, das zu vertreten, wovon man inhaltlich überzeugt ist, und zwar unabhängig davon, was Extremisten sagen.

Leider läuft es aber oft so, wie oben beschrieben: Manche rennen den Extremen hinterher, andere tun das Richtige und Notwendige nicht, um bloß nicht in der Nähe der Extremen zu stehen.

Das ist auf internationaler Ebene so: Der ehemalige und baldige US-Präsident Donald Trump fordert seit langem von den Nato-Partnern, die Ausgaben für ihre jeweiligen Wehretats deutlich zu erhöhen.

Nun mag man von Trump halten, was man will, seine Ausfälle, seine Menschenverachtung, seine feindselige Sprache und seine grotesken bis gefährlichen Äußerungen kritisieren. Aber in dieser Sache zum Beispiel hat er nun mal Recht. In den heutigen Zeiten mit einigen ziemlich aggressiven Akteuren auf der Weltbühne (und möglicherweise Trump selbst) täte Deutschland, täte Europa gut daran, selbst verteidigungsfähig zu sein.

Deutschland ist dem jahrzehntelang nicht nachgekommen und hat erstmals seit vielen, vielen Jahren 2024 das Ziel erreicht, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den Wehretat zu stecken.

Jetzt fordert Trump fünf Prozent. Wie er ausgerechnet auf fünf Prozent kommt, nun ja… Aber ich befürchte, er hat wieder Recht: Es muss mehr sein als bisher. Kanzlerkandidat der Grünen, Robert Habeck, sagt im “Spiegel”: “Nach Berechnungen von Experten sind in den nächsten Jahren etwa dreieinhalb Prozent unserer Wirtschaftsleistung für Verteidigung nötig. Das teile ich.”

Sag bloß. Hätte man das nicht vorher sehen und machen können? Schon vor Jahren vielleicht? Experten sagen es nämlich schon seit langem. Aber jetzt sieht es so aus, als rennten wir Trump hinterher. Blöd.

(Bemerkenswert übrigens auch, wie still es aus jener Gruppe nach dieser Aussage Habecks war, aus der es, hätte das jemand aus der Union, aus der FDP oder aus der SPD gesagt, “Kriegstreiber!” geheißen hätte. Aber das nur am Rande.)

Aber auch auf nationaler (und auch Länder- und kommunaler Ebene) sollten wir genau hinschauen und hinhören und Argumente durchdenken, anstatt vorschnell Etiketten anzuheften und in Schubladen zu stecken.

Der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, hat zum Beispiel gefordert, straffällig gewordenen, eingebürgerten Menschen die Staatsangehörigkeit wieder abzuerkennen.

Was für ein Geschrei danach!

Das Grundgesetz sagt es ziemlich klar: “Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.” So steht es in Artikel 16, Absatz 1.

Sprich: Grundsätzlich darf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht aberkannt werden, aber man kann dann schon Gesetze formulieren und beschließen, wonach es doch geht, aber gegen den Willen des Betroffenen nur, wenn er eben nicht staatenlos wird.

Wenn also jemand zwei - oder mehr - Staatsangehörigkeiten hat und man ein Gesetz verabschiedet, wonach jemand, der zu dieser Gruppe zählt und ein Verbrechen begeht (und dazu zählt jetzt nicht das Missachten einer roten Ampel, auch kein Ladendiebstahl), die deutsche Staatsangehörigkeit verliert, wird das vermutlich grundgesetzkonform sein.

Die Hürde ist schon hoch. Man kann das natürlich trotzdem ablehnen und es eine “Schaffung von Staatsbürgern zweiter Klasse” finden. Man kann auch der Auffasung sein, dass das richtig ist. Man kann der Meinung sein, dass das “der Willkommenskultur widerspricht” - oder der Meinung, dass man gegenüber solchen Typen ja gar keinerlei Willkommenskultur an den Tag legen will.

Ich persönlich möchte so einen Typen wie den Terroristen von Magdeburg nicht als Nachbarn haben. Aber wie kann ich sicherstellen, dass diese Haltung nicht bei anderen dazu führt, dass sie wie der “AfD”-Politiker Gauland sagen, man wolle “einen Boateng nicht als Nachbarn haben”? (Das war Jahre vor den Gewaltvorwürfen gegenüber Boateng.) Dass also plötzlich nicht mehr das Kriterium “hat ein Verbrechen begangen” zählt, sondern “hat eine dunkle Hautfarbe” oder “hat die falsche Religion”?

Und reicht diese Befürchtung, dass der Plan von Merz zu rassistischen Zwecken missbraucht werden könnte, ihn gar nicht erst anzugehen? Man kann der Auffassung sein: nein. Man kann aber auch sagen: Denkt daran, wer alles von den Nationalsozialisten ausgebürgert wurde, weil er oder sie ihnen nicht in den Kram passte. Eine “Verordnung zum Reichsbürgergesetz” legte im November 1941 fest, dass Emigranten automatisch ausgebürgert wurden - und damit auch alle deportierten Jüdinnen und Juden. Die Liste der Ausgebürgerten ist lang, auch die der Prominenten und Intellektuellen. (Opens in a new window)

Vielleicht ist es dehalb nicht klug, diesen Weg zu beschreiten im - dringend nötigen - Kampf gegen Terrorismus und Gewalt. Weil der Firnis der Zivilisation dünn ist und wir nicht wissen, ob die Gefahr des Missbrauchs doch groß ist. Und weil man vielleicht keine Sollbruchstelle schaffen sollte für solch einen Dammbruch.

Man kann es also so sehen oder so.

Nur sind CDU/CSU wegen dieser Forderung keine “völkischen” Parteien, Merz kein “Nazi”, wie ich in dieser Woche mehrfach gelesen habe. Meine Güte! Ich glaube, wenn wir so reden und schubladisieren, verhärten wir die Fronten und vergrößern das Problem.

Und ach, übrigens: Die Sache, dass Wähler nicht zum Schmiedl gehen, sondern direkt zum Schmied, stimmt so nicht. Das hat der frühere österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, der vor einigen Jahren mit rechtspopulistischen Sprüchen Wahlkampf gemacht und der FPÖ das Wasser abgegraben hat, ziemlich deutlich gezeigt.

Kommende Woche bin ich erstmals in diesem Jahr auf Lesereise: Frankfurt, Düsseldorf, Berlin (alle Lesungstermine hier (Opens in a new window)). Die nächsten “Erbaulichen Unterredungen” werde ich also unterwegs schreiben.

Eine schöne Woche, herzliche Grüße aus Wien,

Ihr Hasnain Kazim

P. S.: Lassen wir uns keine dünne Suppe als dicken Eintopf verkaufen. Nirgendwo.

P. P. S.: Machen wir uns nichts vor, morgen läuft ‘ne andere Sau durchs Dorf.

P. P. P. S.: Danke allen, die den Newsletter abonniert haben! Und Dank vor allem allen, die das Schreiben der wöchentlichen “Erbaulichen Unterredungen” mit einem Betrag finanziell unterstützen! Euch werden Milch und Honig (oder, für die Veganer:innen unter euch: Hafer-/Mandel-/Sojamilch und Agavendicksaft, hihi) ewiglich fließen!

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