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KzH bei der Bundestagswahl

Von Hasnain Kazim - Bundestagswahl / Import und Export / Anständige Leute / KzH

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute ist ein besonderer Tag: Wir wählen einen Bundestag und damit auch eine Bundesregierung. Und anders als in Autokratien und Diktaturen, wo es manchmal auch Wahlen, nun ja, “Wahlen” gibt und wo das Ergebnis natürlich schon im Vorfeld feststeht und der Gewählte - es ist immer ein Mann! - manchmal fast 100 Prozent oder manchmal sogar exakt 100 Prozent der Stimmen bekommt, ist bei uns alles ungewiss.

Wie schön!

Ich meine das völlig ernst. Diese Ungewissheit mag die eine oder den anderen von uns beunruhigen, aber: That’s the beauty of democracy! Es gibt einen Favoriten, aber dass der alleine regieren kann, ist so gut wie ausgeschlossen, also wird verhandelt werden müssen. Ja, mir macht auch Sorge, was da am Ende rauskommt und ob das ein beschluss- und damit handlungsfähiges Konstrukt wird. Ich lebe ja in Österreich, und wie Sie vielleicht mitbekommen haben, gestaltet sich das hier alles schwierig. Und doch ist es gut, nein, hervorragend, dass Politikerinnen und Politiker sich zusammenraufen und verhandeln und Kompromisse finden und Interessen ausgleichen und alle irgendwie berücksichtigen müssen. Das Ergebnis mag nicht immer für alle befriedigend sein, vielleicht verhandeln manche auch besonders schlecht, aber am Ende ist das besser als alles andere, was es gibt.

Man mag Herrschaft schlecht finden, sie ist aber notwendig. Für ein funktionierendes Miteinander vieler Menschen braucht es “Bestimmer”. Die Frage ist: Wie bestimmt man diese Bestimmer? Und da ist Demokratie die beste aller Herrschaftsformen. Das geringste Übel, sozusagen.

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Falls Sie die “Erbaulichen Nachrichten” zu einem Zeitpunkt lesen, wo die Wahllokale noch geöffnet haben, und Sie wahlberechtigt sind, aber noch nicht gewählt haben, habe ich eine dringende Bitte: Gehen Sie wählen! Ich erspare Ihnen jetzt das Vorrechnen, aber mathematische Tatsache ist: Wenn Sie nicht wählen, haben die anderen mehr Gewicht! Je mehr Menschen also wählen, desto besser und wahrscheinlich desto geringer der Einfluss von Extremisten, und zwar an allen Rändern.

Und sowieso: Man stimmt mit keiner Partei zu 100 Prozent überein. Man kann sich im Normalfall auch nicht mit einem Politiker oder einer Politikerin zu 100 Prozent identifizieren. Fragen Sie sich lieber: Wem traue ich am ehesten zu, das Land in schwierigen Zeiten zu lenken? Bei wem fühle ich mich am wenigsten unsicher, wenn es mal hart auf hart kommt? Mit welcher Partei habe ich in den politischen Feldern, die mich interessieren und die für mich relevant sind, die größten Übereinstimmungen? Und da machen Sie dann Ihr Kreuz.

Ich bin gespannt, wie die politische Landschaft Deutschlands heute Abend aussehen wird! Machen wir das Beste draus!

Anständige Leute

Es gibt Momente, da wünsche ich mir, es gäbe eine anständige liberale Partei. Eine, in der sich Freiheit nicht nur auf die Freiheit von Tempolimit und irgendwelchen Lobbyinteressen begrenzt, sondern in der es um Bürgerrechte, überhaupt: die großen Freiheitsrechte geht. Und die Freiheit und Sicherheit klug austariert. Wann, wenn nicht jetzt, in Zeiten von Post-Pandemie, Rechtspopulisten und -extremisten, von immer mehr Autokratien und Krieg vor unserer Haustür wäre es an der Zeit dafür?

Es gibt Momente, da wünsche ich mir, es gäbe eine anständige grüne Partei. Eine, die pragmatisch ökologische Interessen vorantreibt, dabei das Machbare im Blick behält, nicht in Ideologien verfällt und viel größere Anstrengungen unternimmt, ihre Politik zu erklären und den Menschen schmackhaft zu machen, anstatt mit Geboten und Verboten zu arbeiten.

Dann gibt es Momente, da wünsche ich mir, es gäbe eine anständige konservative Partei. Eine, die das Gute bewahren will, ohne sich dem Neuen zu verschließen. Die, wenn sie kritisiert und Dinge bemängelt, nicht ausgrenzende, menschenfeindliche Sprache verwendet und sich immer mal wieder an ihre Werte - christliche? - erinnert.

Schließlich gibt es Momente, da wünsche ich mir, es gäbe eine anständige sozialdemokratische Partei. Eine, die sich nicht in irgendwelchen alten Klassenkämpfen verliert, sondern das Wohl aller Menschen im Blick hat, realistische Ziele formuliert und durchsetzt und dabei darauf achtet, dass ihre eigene Führung nicht in die Toskana abhebt.

Am Ende merke ich, dass es mir gar nicht an einer liberalen, grünen, konservativen, sozialdemokratischen Partei fehlt. Sondern dass ich mir überall mehr Anstand wünsche. Schwierig in Zeiten, wenn ein höchst unanständiger Typen überall in der Welt den Ton angeben.

Import oder Schmuggel

In den vergangenen Tagen war ich wieder häufiger in Deutschland, zu Lesungen. Ich nehme immer einen Koffer mit, damit ich Platz habe, Dinge nach Hause, nach Wien, mitzunehmen.

Wer im Ausland wohnt, lernt Dinge in Deutschland zu schätzen. Und bringt, wenn er zu Besuch ist, Sachen aus der neuen Heimat mit und nimmt andere Dinge aus der alten Heimat wieder mit.

Aus Pakistan haben wir oft Gewürze mitgebracht, auch bestimmte Kosmetika, die es in Deutschland nicht gibt, Tücher und Stoffe, außerdem Kunsthandwerk. Dort sowie während meiner Zeit in der Türkei haben wir kofferweise Bücher in Deutschland gekauft und mitgenommen.

Aus Österreich bringe ich natürlich Punschkrapfen mit, diese rosafarbenen Würfen, die der Psychologe Erwin Ringe mal auf Kärnten bezog: “Was ist Kärnten? Antwort: Ein Punschkrapferl, außen rosa, innen braun und immer unter Alkohol.” Später wurde der Witz dem österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard zugeschrieben: “Die Mentalität der Österreicher ist wie ein Punschkrapfen: Außen rot, innen braun und immer ein bisschen betrunken.” Ich weiß nicht, wer sich den Spruch ausgedacht hat, aber er ist ein bisschen böse und sehr lustig. Leider bleiben Punschkrapfen nicht lange frisch, und deshalb bringen wir auch Mozartkugeln mit oder a Marillenschnapserl.

Aus Deutschland importiere ich immer, ich schrieb es schon einmal, Grünkohl in Dosen. Und Remouladensauce. Meine Frau mag Remouladensauce, und in Österreich ist Remouladensauce unbekannt. Man könnte sie natürlich auch selbst zubereiten, so schwierig ist das nicht, aber meine Frau mag eine ganz bestimmte Marke. Also: Remouladensauce in den Koffer! Ich importiere auch Unmengen eines Käses einer bestimmten Marke in meinem Koffer, außerdem oft Lakritz, obwohl es Lakritz in Wien, zumindest in ausgewählten, sehr schönen Bonbonläden gibt. Ich würde auch Zwiebelmett importieren, ich mag Zwiebelmett nämlich sehr, und in Wien ist das schlicht unbekannt, aber leider ist das keine haltbare Ware und damit ungeeignet für den Import. Jetzt auch noch eigens Kühlpacks dafür in den Koffer zu legen, das wäre dann doch etwas übertrieben…

Meine Mutter erzählte mir, dass sie, als ich ein Säugling war und sie mit mir nach Pakistan reiste, um Verwandte in Karatschi zu besuchen, den halben Koffer mit Windeln für mich füllte. Das war Mitte der Siebzigerjahre. Als meine Frau und ich in den Zehnerjahren in Pakistan lebten und mein Sohn klein war, gab es schon Windeln in Pakistan zu kaufen, allerdings zu horrenden Preisen. Wir haben ein Vermögen für Windeln ausgegeben.

KzH

Derzeit bin ich “kzH”, die militärische Abkürzung für “krank zu Hause”. Fieber, Erkältung, Kopfweh, das Übliche. Geht hier rum. Zum Glück beherrscht meine Hündin Frau Dr. Bohne das Zwei-Pfoten-Tippsystem, sodass ich ihr diesen Text diktieren kann. Ich hoffe, sie schreibt auch wirklich, was ich ihr sage, sie ist nämlich manchmal ganz schön eigenwillig. [Wie bitte? Wir leben im Jahr 2025, Herr Kazim! Anm. Frau Dr. Bohne]

Frau Dr. Bohne, zum Diktat im Büro.

Eigentlich wollte ich deshalb an dieser Stelle über Hühnersuppe schreiben, aber das hat diese Woche schon mein Freund und Kollege Christian Seiler in seinem Newsletter “Seiler kocht” getan, ein Newsletter, den ich Ihnen sehr ans Herz lege (Opens in a new window).

Auch er war krank, und so schrieb er eben über dieses Gericht. Ich kenne Christian seit 2019. Damals entdeckte ich in einer Buchhandlung sein Buch “Alles Gute. Die Welt als Speisekarte”, das mich sehr für ihn einnahm. Das Schöne am Autorendasein ist, dass man in solchen Fällen seine berufliche Neugier vorschieben kann, um Leute kennenzulernen. Ich traf also Christian und schrieb über ihn und sein Buch im “Spiegel” (Opens in a new window). Auch wenn wir uns nur selten sehen, schätze ich ihn sehr.

Lesen Sie also über Hühnersuppe bei ihm. Ich schreibe dann eben über etwas anderes. Als ich als Kind krank war, durfte ich tagsüber dick eingekuschelt auf dem Sofa im Wohnzimmer liegen, ein grünes Ding mit braunen und orangenen Streifen, todschick, der Stil seiner Zeit. Meine Eltern besorgten bei Bäcker Holst, der einen winzigen Edeka-Laden im Dorf betrieb, Cola und Salzstangen für mich - und ab und zu eine Zeitschrift: “Ein Herz für Tiere”. Das machte das Kranksein gleich erträglicher.

Aber ich möchte nicht über Salzstangen und Cola schreiben, sondern über ein Getränk, das bei Erkrankungen wie meiner jetzigen durchaus helfen kann und über das ich auch schon in “Mein Kalifats-Kochbuch” geschriebe habe (Opens in a new window): den Zaubertrank.

Man benötigt für eine Kanne von diesem köstlichen Gebräu ein etwa daumengroßes Stück frischen Ingwer (ich würde sagen, zwischen zehn und zwanzig Gramm, je nach gewünschter Schärfe), den man kleinhackt und in einen Topf mit einem Liter kaltem Wasser gibt. Das bringt man nun zum Sieden und lässt das bei niedriger Hitze zehn Minuten köcheln. Derweil presst man den Saft einer Zitrone aus. Wenn die zehn Minuten vorbei sind, gebe man das nun herrlich gelbgoldene Ingwerwasser durch ein Sieb in eine Kanne. Nun füge man, je nach gewünschter Süße, einen Löffel Honig oder zwei dazu (ich mag eher einen knappen Löffel, also nicht zu süß) und rühre zudem den Zitronensaft dazu. Am besten heiß trinken, es ist ein scharfes, süß-saures Getränk, das wunderbar im Hals kratzt und guttut bei Husten und Erkältung. Man kann das aber auch kalt als Ingwerlimonade trinken.

So. Da ich schon vor ein paar Tagen gewählt habe, schlafe ich jetzt einfach weiter und kuriere mich aus.

Herzliche Grüße aus Wien, [auch von Frau Dr. Bohne, das vergisst der Typ leider allzuoft; Anm.Frau Dr. Bohne],

Ihr Hasnain Kazim

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