Ein Lied, ein Stift, ein Quiz!
Von Hasnain Kazim - Nationalhymnen / Füllfederhalter / Gottschalk / Helga Ahmad / Quiz
Liebe Leserin, lieber Leser,
dies ist nun die dritte Ausgabe der “Erbaulichen Unterredungen”, und ich muss sagen, es macht mir Spaß: keine Kolumne, die irgendwelchen Zwängen (Platz! Länge! Thema!) unterliegt, sondern etwas, das ich so frei wie nur möglich schreibe. Und ich bekomme viele Nachrichten von Ihnen, auf unterschiedlichen Wegen, mit Anregungen und Anmerkungen. Viele haben die “Unterredungen” abonniert, manche unterstützen mich auch finanziell - herzlichen Dank dafür! Um das langfristig machen und mir die Zeit dafür freihalten zu können, ist diese Unterstützung erforderlich - ich freue mich also darüber, wenn Sie sich dafür entscheiden!
Eine Hymne auf die Hymne
Für Nationalhymnen, ich gebe es zu, kann ich mich seit meiner Kindheit begeistern. Diese Lieder sind eben nicht irgendwelche Songs, sondern sie repräsentieren, wie zum Beispiel die Nationalflagge, ein Land. Die Melodie, ihr Charakter, der Text – das alles sagt viel aus über das jeweilige Land. Manche sind in der Sprache gewaltvoll, sogar blutrünstig, andere melancholisch, wieder andere voller Drama, dann wieder manche monarchistisch und noch andere einfach staatstragend – und einige äußerst poetisch.
Ich habe, als ich vor vielen Jahren noch Redakteur bei SPIEGEL ONLINE in Hamburg war, ab und zu das Großraumbüro in voller Lautstärke mit unterschiedlichen Hymnen beschallt, was mir den Ruf einbrachte, nun ja, ein wenig seltsam zu sein. (Ich gebe zu, ich habe manchmal auch Marschmusik und Marinelieder gespielt, was meinen Ruf weiter gefestigt hat.) Aber ich kam ja als Offizier von der Bundeswehr, wo Hymnen und Märsche unser (fast) tägliches Geschäft sind, auch wenn bei der deutschen Nationalhymne, oh Gott oh Gott, nicht alle mitsingen.
In Österreich wurde vergangene Woche einem aus der Ukraine stammenden Mann bei der zeremoniellen Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft eben jene wieder aberkannt, weil er sich weigerte, bei der Feier die österreichische Nationalhymne mitzusingen. Darüber berichteten ein paar österreichische Medien, und die Aufregung war natürlich groß. Finde ich auch a Stückerl bekloppt. Also nicht das Berichten, sondern die ganze Angelegenheit.
Ich bin deutscher Staatsbürger, lebe aber in Österreich, und um meinem möglichen Rauswurf etwas entgegenzusetzen und österreichischen Integrationswillen zu zeigen, habe ich die Hymne auf Blockflöte gespielt:
https://www.youtube.com/watch?v=JsfQFxaoWLI (Opens in a new window)Mit dem Spielen von Nationalhymnen auf Blockflöte habe ich meine Erfahrung. Im Jahr 2017 schrieb mir ein Georg aus Zwickau: “Beweisen Sie, dass Sie Deutscher sind!!! Ein deutscher Pass genügt nicht!!!” Ich antwortete ihm damals mit einem Video, in dem ich die deutsche Nationalhymne mit der Blockflöte spielte (Opens in a new window). Das Video ging um die Welt, ich wurde von US-amerikanischen (Opens in a new window) und japanischen Medien interviewt. Verrückt.
Jetzt, nach meinem Video mit der österreichischen Hymne, schrieb mir jemand: “Sie sind doch ein differenziert denkender Mensch! Warum können Sie das Thema nicht mal ernsthaft behandeln?”
Also gut. In der Tat finde ich, dass man jemandem, der die Staatsbürgerschaft erlangen will, etwas abverlangen kann, was aber per Gesetz definiert sein muss. Das ist hier der Fall - im österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetz heißt es in Paragraf 21: “Die Verleihung der Staatsbürgerschaft hat in einem diesem Anlass angemessenen, feierlichen Rahmen zu erfolgen, dem durch das gemeinsame Absingen der Bundeshymne und das sichtbare Vorhandensein der Fahnen der Republik Österreich, des jeweiligen Bundeslandes und der Europäischen Union Ausdruck verliehen wird.”
Klar ist: Vorsingen muss niemand, schon gar nicht alleine auf weiter Bühne, sondern einfach nur mitsingen, in der Herde beziehungsweise: im Chor, wie man unter Musikern sagt. Es hätte möglicherweise genügt, nur den Mund zu bewegen. Der Mensch hat aber verweigert, angeblich, so steht es in der Presse, unter Verweis auf seine Religion. Er sei “Zeuge Jehovas”, und diese Religionsgemeinschaft respektiere zwar staatliche Autorität, doch seien Treueschwüre auf den Staat oder das Singen von Nationalhymnen “nicht vereinbar” mit biblischen Lehren und den Prinzipien der Gemeinschaft.
Dem kann man dann auch nicht helfen.
Viel wichtiger als das Mitsingen der Nationalhymne finde ich aber, und da bin ich dann wieder bei der von mir vom Leser geforderten Ernsthaftigkeit: dass man die Sprache lernt, sich ein Stück weit mit Kultur und Geschichte und Politik und Staatswesen des jeweiligen Landes auseinandersetzt, kurz: den Willen erkennen lässt, dazugehören zu wollen.
Nun mag man einwenden: ‘Wir haben doch auch Eigenbrötler unter uns, warum soll man also nicht auch einen ausländischen Eigenbrötler einbürgern?!’ Stimmt schon. Ich kann aber der Haltung, dass wir, wenn wir schon so viele eigene Eigenbrötler haben, keine weiteren aus dem Ausland brauchen, durchaus etwas abgewinnen. Aber vermutlich gibt es einen Verband ausländischer Eigenbrötler (VaE) e. V., der das anders sieht.
Eine sehr schöne, aussagekräftige Nationalhymne fand ich als Kind übrigens die russische (damals: sowjetische). Meine Lieblingshymne heute ist die von Neuseeland: auf Maori und auf Englisch! Hören Sie mal:
https://www.youtube.com/watch?v=_dPcj_aC8fk (Opens in a new window)Ich hätte mir ja gewünscht, dass man 1990 aus “Freude schöner Götterfunken”, Beethovens Neunte Sinfonie, die neue deutsche Nationalhymne gemacht hätte. Man hätte sogar “Einigkeit und Recht und Freiheit” darauf singen können, Text und Melodie passen perfekt zusammen, singen Sie es mal. (Es nimmt Ihnen auch niemand einen Pass weg.)
Jeden Tag ein anderer Stift!
Falls Sie noch ein Geschenk für Weihnachten suchen, hab ich da eine Idee. Ebenfalls seit meiner Kindheit begeistere ich mich nämlich für Füllfederhalter. Als Kind der Achtzigerjahre teilte sich unsere Schulklasse in zwei Gruppen: die Pelikan-Leute und die Geha-Typen. Zwar führte Lamy 1980 den Safari ein, aber der war deutlich teurer als der Pelikano von Pelikan und das Geha-Modell und spielte damals kaum eine Rolle. Damals hatten nur ein paar Kinder aus wohlhabenderen Familien mit Volvo-Eltern einen Lamy Safari. Ich gehörte zur Pelikan-Fraktion. Pelikan war wie Volkswagen: ein bisschen bieder, aber ordentlich und solide. Geha war eher Opel.
Später, es muss in der zehnten Klasse gewesen sein, kaufte ich mir von meinem Taschengeld einen etwas edleren Pelikan-Füller, den es gerade im Angebot gab. Von Füllmechanismen, Federbreiten, Federarten, und Feder- und Stiftmaterial und Papiersorten hatte ich noch keine Ahnung, ich fand ihn einfach schön und, da gerade zum halben Preis, halbwegs leistbar. Es war ein Kolbenfüller und hatte eine B-Feder aus Stahl - und passte perfekt zu meiner Handschrift. Der Stift begleitet mich bis heute.
Zum Abitur bekam ich von meinen Eltern einen Füller von Montblanc, und als ich während meiner Bundeswehrzeit in West Point war, kaufte ich mir einen von Waterman. (US-Soldaten verwenden, wie die meisten US-Präsidenten, Füller der Marke Cross, aber ich fand den von Waterman damals schöner.) Auch diese Stifte habe ich natürlich noch alle.
Und als ich schließlich im Jahr 2000 mein erstes Volontärsgehalt bekam, wollte ich mir davon einen Füller kaufen, der nicht von Montblanc oder einer der anderen in Deutschland bekannten Marken ist, sondern etwas Außergewöhnliches. Kein Angeberding, sondern ein echtes Schreibwerkzeug. In einem Schreibwarenladen fand ich drei wunderschöne Füller, einen von Aurora, einen von Omas, einen von Visconti. Alle drei gefielen mir, jeder davon war ziemlich teuer. Die Schreibwarenhändlerin sagte: “Nehmen Sie doch alle drei mit, probieren Sie sie in Ruhe aus, und dann entscheiden Sie sich.”
Nun ja, ich habe damals viel Geld für Füller ausgegeben - ich habe alle drei behalten. Seither sammele ich Füller, obwohl ich überhaupt kein Sammlertyp bin. Ich habe zum Teil sehr exotische Füller, manche sehr ungewöhnliche. Jeden Tag suche ich mir einen anderen Stift aus meinem Schrank, befülle ihn mit einer anderen Tinte (auch da ist meine Sammlung ziemlich, nun ja, umfassend) und reinige ihn nach der Benutzung wieder, um ihn sorgsam wieder zu verstauen. Wahrscheinlich finden Sie das ähnlich schrullig wie meine Vorliebe für Nationalhymnen, aber so ist das eben.
Ich hingegen finde, dass die Menschen wieder mehr von Hand schreiben sollten. Keine Ausreden! Die Handschrift kann man verbessern, indem man übt. Klar kann man argumentieren, man brauche keinen Füller mehr, heute tippe man alles ins Handy (oder spreche es, wozu überhaupt noch schreiben?). Aber dann bräuchte man auch keine Armbanduhren mehr, denn jeder hat eine Uhr auf dem Smartphone.
Ich finde: Das Schreiben von Hand ist eine wichtige Kulturtechnik. Und jeder und jede braucht einen Füllfederhalter! Man bekommt sie schon für recht wenig Geld. Der 1980 eingeführte Lamy Safari ist übrigens inzwischen der weltweit am meisten verkaufte Füller, in Europa ein Schul- und Einsteigerfüller, in Asien eher im mittelpreisigen Segment angesiedelt (und in Japan, Korea und China gibt es eigens nur dort vertriebene Safari-Variationen). Den Pelikano gibt es auch noch, er sieht heute nur völlig anders aus als vor 40 Jahren. Geha hingegen existiert nicht mehr, das Unternehmen aus Hannover wurde 1990 von Pelikan, ebenfalls aus Hannover, übernommen.
Holen Sie also Ihren alten Füller aus der Schublade, reinigen Sie ihn (es gibt im Internet viele Anleitungen dafür), befüllen Sie ihn mit guter Tinte und schreiben Sie jemandem einen Brief, bei dem Sie sich schon lange mal wieder melden wollten. Oder gehen Sie in ein schönes Schreibwarengeschäft, probieren Sie die Stifte, die Ihnen gefallen, vor Ort aus, kaufen Sie für sich und/oder Ihre Liebsten jeweils einen Füller und eine gute Tinte dazu. Wenn sich der oder die Beschenkte darüber nicht freut, sagen Sie ihm oder ihr, er oder sie solle sich bei mir beschweren. Aber bitte handschriftlich, mit blauer Tinte (aber nicht Königsblau!), auf anständigem Briefpapier.
Gottschalk und die Deutungshoheit
Da ich schon dabei bin zu schreiben, was ich als Kind alles mochte: Thomas Gottschalk und “Wetten, dass..?” fand ich natürlich auch super. Wie für sehr viele meiner Generation war diese Sendung ein Familienereignis am Samstagabend. Mit, oh Gott oh Gott, Chips und Cola, ausnahmsweise. Gottschalk mag ich bis heute. Klar sind manche Sprüche, manche Dinge, die er raushaut, eher Achtzigerjahre-Style, unpassend, inkorrekt, aber er ist eben ein Kind seiner Zeit.
Natürlich kann und darf man ihn kritisieren. Ich empfinde Kritik an ihm keineswegs als Sakrileg. Was mich aber prinzipiell und immer stört, ist Doppelmoral. Und die wird in diesem SPIEGEL-Interview mit ihm deutlich. (Opens in a new window) Einerseits legt man da Wert auf Selbstbestimmung (siehe Passagen zum Thema Selbstbezeichnung, “dumme Kuh” und so weiter), andererseits klingt diese Aussage der Interviewerin fast wie ein Vorwurf: “Es war zu spüren, wie wichtig es ihm ist, die Deutungshoheit über sein Lebenswerk und seine Person zu behalten.”
Ähm, ja, natürlich ist es ihm wichtig. Und?
Die Fragen triefen nur so von Mitleid, aber kein Mitleid im Sinne von Empathie, sondern in Form eines herablassenden Tons gegenüber dem armen, irren Alten. Mich stört das. Übrigens auch viele junge Leute, mit denen ich über solche Themen rede.
Helga und der Apfelkuchen in Islamabad
In den zurückliegenden Jahren bin ich, beruflich bedingt, sehr vielen Menschen begegnet. Mit den meisten bleibt man nicht dauerhaft in Kontakt, aber manche bleiben in Erinnerung. Und nach einiger Zeit frage ich mich, was wohl aus ihnen geworden ist. Ich schaue dann ins Netz, in die sozialen Medien oder auch in klassische, wenn es bekanntere Personen sind, über die berichtet wird.
Vor mehr als zehn Jahren schrieb ich einen Artikel über den pakistanischen Romanautor Jamil Ahmad. Ahmad war sein Berufsleben lang pakistanischer Beamter und arbeitete in der zivilen Verwaltung verschiedener Regionen. Im hohen Alter veröffentlichte er einen wunderbaren Roman, der auch auf Deutsch erschien. Ich besuchte Ahmad in seinem Haus in Islamabad und schrieb über ihn. (Opens in a new window)
Dabei lernte ich auch seine Frau kennen: Helga Ahmad. Helga war im Deutschland des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen, zog dann zum Studium nach London. Dort lernte sie Jamil kennen, den pakistanischen Studenten. Anstatt ein familiengeführtes Hotel in Bayern zu übernehmen, entschied Helga sich, Jamil nach Pakistan zu begleiten. 1957 zog sie nach Pakistan - und lebte seither dort, und zwar in allen möglichen Provinzen, wo ihr Mann in der jeweiligen Verwaltung arbeitete. Den größten Teil ihres Lebens verbrachte sie also in Pakistan. Sie engagierte sich ehrenamtlich, förderte Bildung für Frauen und Umweltschutz und unterstützte in Dörfern Biogasprojekte.
Ich besuchte die Ahmads noch ein paar Mal, und immer gab es selbstgebackenen Apfelkuchen für mich. Ab und zu traf ich Helga bei Empfängen und Partys, oft sah man sie in ihrem Suzuki-Pickup Hilfsgüter durch die Gegend fahren. 2013 zog ich weg aus Pakistan, und wir verloren uns aus den Augen.
Jamil Ahmad starb 2014 im Alter von 83 Jahren. Das erfuhr ich damals noch von gemeinsamen Freunden. Und jetzt - erst jetzt - sehe ich im Netz, dass auch Helga Ahmad gestorben ist, und zwar bereits 2021, 84-jährig. Eine Frau, die mehr als ein halbes Jahrhundert in Pakistan gelebt hat, meist in ländlichen Regionen, und die Deutsch mit bayerischem Zungenschlag sprach.
Und so nehme ich das Buch ihres Mannes zur Hand, lese wieder darin und denke an Jamil und Helga Ahmad und sende ihnen Grüße, wo auch immer sie jetzt sein mögen. Und Ihnen lege ich dieses Buch sehr ans Herz: “Der Weg des Falken”, erschienen 2013 bei Hoffmann und Campe. Oder das Original auf Englisch: “The Wandering Falcon”.
Fröhliche Weihnachten, ein Quiz – und “Deutschlandtour” als Preis!
Da es in diesen “Erbaulichen Unterredungen” um Nationalhymnen ging – hier ist eine sehr schöne! (Opens in a new window) Zu welchem Land gehört sie? Wer genau hinhört…
https://www.youtube.com/shorts/sJILzyGbpjY (Opens in a new window)Schreiben Sie mir die Antwort per E-Mail via Kontaktformular auf meiner Homepage www.hasnainkazim.com (Opens in a new window) - die ersten drei mit der richtigen Antwort erhalten ein signiertes Exemplar meines Buches “Deutschlandtour”.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes, fröhliches Weihnachtsfest und schöne, erholsame Feiertage!
Herzliche Grüße
Ihr Hasnain Kazim