Vantablack
Aufwachen. Sekunde im Nichts. Wer bin ich? Wo bin ich? Was ist mein Leben? Ach ja. Körper schmerzt. Druck im Kopf. Keine Verdienstaussichten. Egal. Aufstehen. Katzi füttern. Bär ist tot (Opens in a new window). Wasserkocher. Teelöffel Getreidekaffee. Teelöffel Instantkaffee. Halber Teelöffel Zucker. Aufgießen. Balkon. Zigarette.
Keine Verdienstmöglichkeiten. Aussicht endet an einer Wand. „Ich kenne niemanden, der davon leben kann“, sagte der Agent vor einer Weile. „Die haben alle einen Job, der sie ernährt.“ Kein Job, der mich ernährt. Kann nichts. Bin nichts. Bin natürlich etwas. Ein Mensch mit reichem Innenleben. Fantasie. Gefühle. Vielseitigkeit. Sprache. Leidenschaft. Depressionen. Doktortitel. Keine Lohnarbeit.
Reise zurück in der Zeit. „Female Choice“ (Opens in a new window) erscheint. Twitter noch lebendig. Leute erinnern sich noch an mich als „Frau von“. Interesse groß. Bestseller. Blühende Landschaften. Unendliche Möglichkeiten. Zuversicht. Pandemie. Keine Lesungen. Keine Vorträge. Verdienstmöglichkeit entfällt. Verkäufe der gebundenen Ausgabe stagnieren kurz bevor ich einen an die Verkäufe gekoppelten Bonus erreiche. Verdienstmöglichkeit entfällt. Immer noch Pandemie. Interesse lässt nach. Andere Themen sind wichtig. Brauche Urlaub. Schreibe Skarabäus Lampe (Opens in a new window). Für Liebhaber. Bisschen Nische. Vielleicht eine, die mir ein regelmäßiges Einkommen beschert? Verlag kauft ein zweites Manuskript von mir. Wieder ein verkaufszahlengekoppelter Bonus. Erstes Buch ein Ladenhüter. Verdienstmöglichkeit entfällt. Aussicht, weitere Fälle für Skarabäus Lampe zu schreiben, schwindet.
Pandemie vorbei. Jetzt durchstarten. „Female Choice“ lange her. Ehe lange her. Kein Interesse mehr. Kaum Vortragsanfragen. Verdienstmöglichkeit entfällt. Bugwelle von fünfzehn Minuten Ruhm verebbt. One Hit Wonder der Herzen. Werde überholt. Andere Steady-Projekte hunderte AbonnentInnen. Andere Autorinnen mit Lesereise. Folgeprojekte. Pandemie persönliches Pech. Nicht die Einzige, die Umsatzausfälle hatte. Irritiert. Verunsichert. Eingeschüchtert. Selbstbewusstsein nach der Trennung zu einer kleinen Pfütze verdunstet. „Ich kenne niemanden, der davon leben kann.“
Im Kopf kramen. Was kann ich? Kann nichts, nur schreiben. Und reden. Beginne wieder zu bloggen. Steady (Opens in a new window)? Medium (Opens in a new window)? Hoffnung. Klarmachen, dass die Ehe mich mehr definiert hat, als ich dachte. Mann weg, Multiplikatoren weg, Reichweite weg. Kaum Abos. Dankbar für jedes einzelne. Likes zahlen keine Miete. Verdienstmöglichkeit viel kleiner als gehofft. Elon Musk. Der emotionale Abschied der Vielen von Twitter. Kaum noch Retweets. Bei Mastodon noch nicht genug. Soziale Medien als Verbreitungsplattform immer irrelevanter. Keine Aussicht. Reicht nicht.
Passe nirgendwohin und überallhin. Kernkompetenz von allem ein bisschen. Nicht seriös genug, um öffentliche Stimme zu sein. Nicht lustig genug, um Gagschreiberin zu werden wie gefühlt die Hälfte aller Twitterer. Nicht monothematisch genug, um Expertin zu sein. Bauchladen der Herzen. Bunte Tüte ab drei Euro (Opens in a new window). Brenne für zu vieles. Tausend Ideen im Kopf. Romane und Sachbücher. Fritz Haarmann. Angststörungen. Kapitalismus. Sexualität. Weimarer Republik. Jack the Ripper. Das Floß der Medusa. Gesellschaftsbücher. Vergangenheitsbücher. Zukunftsbücher. Absenderkompetenz?, fragte mein Verleger mich einst. Alles aufgeben und mich selbst reduzieren? Gehirn begrenzen. Ideen begrenzen. Interessen begrenzen. Wie?
Der Agent und ich haben uns auseinandergelebt. Versuch, Agentur zu wechseln, scheitert an der Agentur, die nach einem ersten vielversprechenden Treffen einfach nicht mehr auf Nachrichten reagiert. Versuch, berufliche Kontakte zu knüpfen, scheitert an einem „Ja, klar, lass uns gerne treffen“, nach dem nichts mehr kommt. Mache gerne den ersten Schritt. Frage nochmal nach. Aber wer dann keinen Termin ausmacht, will nicht. Bin kein Stalker. Neues Buchprojekt. Verlag ist offen, aber Applaus verhalten. Womöglich Verdienstmöglichkeit, aber sicher geringer als benötigt. „Alle haben einen Job, der sie ernährt.“
Glaube. Auch so ein Hirngespinst. Geglaubt, es würde schon werden. Türen schließen sich. Türen öffnen sich. Wird schon. Plietsches Mädchen. Steh-auf-Mädchen. Richtungswechslerin. Lebensgestalterin. Wird schon. Wird es? Depression. Schlägt zu, wann sie will. Hormone auch. Nicht arbeitsfähig. Noch nie gewesen. Gleichbleibende Leistungsfähigkeit ein Mythos. 9-to-5 keine Option. Denke an meinen Vater, den Underachiever (Opens in a new window).
Bär ist tot. Hätte mir einen Peptalk gegeben, der sich gewaschen hat. Entscheidung, ihn gehen zu lassen, und Trauer waren Hölle. Haben das letzte bisschen Kraft aus mir geholt. Ach ja, eine romantische Enttäuschung. Bin allein. Alleinsein besteht aus zwei Komponenten: lieben und geliebt werden. Nicht geliebt zu werden, ist hart, aber wirkliche Einsamkeit beginnt da, wo man selber nicht liebt. Nichts hat noch eine Bedeutung. Niemand hat eine Bedeutung. Kann ohne alles und alle sein. Das ist Einsamkeit. Einzelgängerin der Herzen. Immer schon. „Meike ist zu ernst, zu viel allein, muss lernen, mehr in der Gruppe zu arbeiten.“ Zeugnis Grundschule. Teil einer Gruppe zu sein, beginnt im Innen. Gefühl der Verbundenheit. Nie empfunden, außer in romantischer Liebe.
Versprengte Seele, mein Leben lang. Selbstmitleid und Pathos. Müssen sein, weil ich das sonst nicht aushalte. Humor ist weg. Lächeln auch. Keine Aussicht. Reicht nicht. Zwischendurch Tränen. Bisschen Erleichterung. Hörspiele, aber als Eskapismus. Bett. Immer wieder Bett. Kann nicht mehr. Will nicht mehr. Nicht aufgeben. Siebzig Prozent der Schwärze in mir sind Depression. Hallo, alter Hund. Nicht auf Dich gewartet. Sonne wäre schön. Wärme. Innen drin allein sein macht nichts aus bei Sonne und Wärme. Frieden dann. Genug Stärke in mir, um für mich selbst da zu sein. Hebe mich auf. Gebe mir Peptalks. Selbstvertrauen. Zuversicht. Sehe immer einen Weg. Brauche dann niemanden.
Jetzt? Brauche ich. Keine Likes mehr, keine warmen Worte, keine Herz-Emojis. Hilfe von jemandem, der an mich glaubt. An mein Gehirn. Meine Vielseitigkeit. Meine bunte Mischung. Nicht gut darin, um Hilfe zu bitten. Wahr. Nur selten versucht. Keine ermutigende Erfahrung. Überforderung. Schweigen. Ratlosigkeit. Mangelnde Hilfsmöglichkeit. Wahnsinn beginnt da, wo man immer wieder das gleiche tut und andere Ergebnisse erwartet. Albert Einstein. Unzweifelhaft etwas seltsam im Kopf, aber nicht wahnsinnig. Trotzdem. Hilfe. Jedes Abo hilft mir. Jeder Retweet vergrößert meine Sichtbarkeit und schafft die Aussicht auf Verdienstmöglichkeit. Wenigstens das. Habe keinen Plan B.
Antidepressivum wieder aufdosieren. Nicht aufgeben. Morgen wieder.
Aufwachen. Sekunde im Nichts. Wer bin ich? Wo bin ich? Was ist mein Leben? Ach ja. Körper schmerzt. Druck im Kopf. Keine Verdienstaussichten. Egal. Aufstehen. Katzi füttern. Bär ist tot. Wasserkocher. Teelöffel Getreidekaffee. Teelöffel Instantkaffee. Halber Teelöffel Zucker. Aufgießen. Balkon. Zigarette.
Vantablack.
(Artikelbild von Surrey Nanosystems)
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