Das feministische Erbe aus Schweden
Gleichberechtigung auf dem Prüfstand
Als erstes Land der Welt erklärte Schweden 2014 eine feministische Außenpolitik. Damit sollten die Rechte von Frauen und Mädchen sowie Gleichberechtigung im Fokus stehen. Im März 2023 zog auch die deutsche Regierung nach. Doch was hat sich in Schweden durch die feministische Ausrichtung geändert?
Von Regine Glaß, Göteborg
Im Oktober 2014 verkündete die damalige schwedische Außenministerin Margot Wallström, sie wolle sich stärker für Frauen, Frieden und Sicherheit einsetzen. Als erste Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für sexuelle Gewalt in Konflikten hatte sie von 2010 bis 2012 erlebt, welche Auswirkungen Krieg gerade auf Frauen und Mädchen hat. Es war die Geburtsstunde der feministischen Außenpolitik, die Wallström wie keine andere zuvor prägte.
Konkret setzte sich ihr Ministerium drei Ziele, wie feministische Perspektiven in die Entwicklungspolitik einfließen sollen: 1. Gesundheit und das Recht auf Selbstbestimmung des Körpers bei Mädchen mitzubedenken. 2. Die Rechte von geflüchteten Frauen und Migrantinnen zu stärken. 3. Gleichberechtigung und ein Vorgehen gegen sexuelle Gewalt sollte in humanitäre Einsätze und Reformprozesse mit einbezogen werden.
Die Perspektive, die Rechte von Frauen und Mädchen zu stärken, sollte in allen Aspekten im eigenen Land und im Umgang mit anderen Ländern berücksichtigt werden. Seine Ziele hat Schweden zumindest teilweise erreicht: Die Ausgaben für die Entwicklungshilfe für sexuelle Gesundheit und Aufklärung sind gestiegen. Darunter ist auch ein Programm, das sich gezielt gegen sexuelle Gewalt im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen richtet.
Deutschland zieht nach
Nun ist auch das Auswärtige Amt in Deutschland dem Beispiel Schwedens und mittlerweile einigen anderen Ländern wie Mexiko, Spanien, Kanada und Libyen gefolgt. Anfang März stellte Außenministerin Annalena Baerbock ihre zehn Leitlinien (Opens in a new window) vor. Diese lauten unter anderem: Die Perspektiven von Frauen und marginalisierten Gruppen weltweit in die Arbeit für Frieden und Sicherheit einzubeziehen; humanitäre Hilfe soll zu 100 Prozent die Rechte von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen mitdenken. Wo die Klimakrise Ungleichheiten verstärkt, soll sich die Klima- und Energiepolitik dagegen einsetzen.
Die Teilhabe von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen soll eine stärkere Rolle in der Wirtschaft spielen. Zudem sollen sie in der Gesellschaft weltweit stärker repräsentiert werden. Kristina Lunz, Gründerin des Think Tanks „Center for Feminist Foreign Policy“ und Autorin des Buches „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“, machte das Konzept in Deutschland bekannt. Sie hat die Ministerin auch bei der Strategie beraten. Im Interview mit DEINE KORRESPONDENTIN erklärt sie:
„Feministische Außenpolitik ist am Ende der Versuch, ein Werkzeug zu haben, eine Analysemöglichkeit, um sie dann auf bestehendes Handeln anzuwenden. Als Deutschland gemeinsam mit Island eine Resolution in den UN-Menschenrechtsrat einbrachte, zur Dokumentation und zur Rechenschaftspflicht der Gewalttaten des iranischen Regimes gegenüber der protestierenden Zivilgesellschaft vor Ort, war das ein ganz klares Beispiel für feministische Außenpolitik.“
Der Resolutionstext enthielt nämlich explizit einen Hinweis auf die „Gender-Dimension“ der Gewalttaten. So hatten die Vereinten Nationen (UN) im November 2022 einem Antrag (Opens in a new window) Islands und Deutschlands stattgegeben, dass die Gewalt des iranischen Regimes gegenüber Demonstrierenden von unabhängigen Expert*innen untersucht werden sollte.
Ein weiteres konkretes Beispiel seien Gelder für die Bekämpfung von internationalen antifeministischen Netzwerken, so Lunz. Zusammen mit Aktivist*innen und Expert*innen aus unterschiedlichen Ländern besprachen sie gemeinsam, wie eine internationale Bewegung die Rechte von Frauen und LGBTI-Personen bedrohe und wie sie dagegen vorgehen könnten. So erklärte eine Expertin aus Irland, wie Aktivist*innen dort 2019 das Recht auf Abtreibung durchsetzten.
Kehrtwende in Schweden
Auch in Schweden war die feministische Außenpolitik als ein Werkzeug gedacht. Das Land hat weltweit oft den Ruf, eine Vorreiterrolle zum Thema Gleichberechtigung einzunehmen. Doch war das wirklich ausschlaggebend dafür, auch in der Zusammenarbeit mit anderen Ländern Frauen und Mädchen stärker in den Fokus zu nehmen? Ann Towns hat als Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Göteborg zu feministischer Außenpolitik in der internationalen Politik explizit in Bezug auf Schweden im Umgang mit anderen Ländern geforscht.
Warum gerade ihr Heimatland Frauen und Mädchen als Ausgangspunkt für politische Entscheidungen und die Zusammenarbeit mit anderen Ländern besonders berücksichtigte, erklärt sie so: „Es war auch Teil der sozialdemokratischen Regierung. Sie waren laut des damaligen Staatsministers Stefan Löfven ausdrücklich eine feministische Regierung.“ Diese Beobachtung wird durch die Tatsache gestützt, dass die neue schwedische Regierung – ein konservatives Bündnis unter Führung der moderaten Partei mit Unterstützung der rechten Schwedendemokraten – bereits kurz nach der Wahl im Herbst 2022 das Wort „feministisch“ aus ihrer Politik gestrichen hat.
Towns hat schon bemerkt, dass die Regierung „die Terminologie sehr schnell entfernt hat.“ Als Beispiel nennt sie: „Die Botschafterin für die Gleichstellung der Geschlechter und Koordinatorin der feministischen Außenpolitik wird jetzt einfach Botschafterin für Geschlechtergleichstellung genannt.“ Und dabei sei es kein Zufall, dass der Begriff Feminismus wegfalle. Ihrer Meinung nach wäre es in der Politik nicht salonfähig zu sagen, man sei gegen die Gleichstellung der Geschlechter.
Stattdessen könne man sich gegen feministische Politik, gegen Feminismus oder gegen eine feministische Außenpolitik positionieren. Das gehöre noch immer in den Bereich der umstrittenen Politik, meint Towns. Auch Kristina Lunz bereitete die Entscheidung der schwedischen Regierung Bauchschmerzen. In einem Debattenbeitrag (Opens in a new window), der in mehreren Medien in Deutschland publiziert worden ist, verurteilte sie dieses scharf. Im Interview sagte sie dazu:
„Das ist ein typischer Teil des Rechtsrucks, dass zuerst Frauenrechte und Feminismus niedergemacht werden. Es kann nicht sein, dass Schweden das macht. Das ist ein großer Verlust. Aber es ist nicht das Ende der feministischen Außenpolitik. Im vergangenen Jahr gab es auf Staatsebene die erste Konferenz zu feministischer Außenpolitik in Deutschland. Dieses Jahr wird sie in den Niederlanden stattfinden. Wir hören von weiteren Regierungen wie wahrscheinlich Argentinien, dass sie eine feministische Außenpolitik bekanntgeben wollen. Die Sorge ist berechtigt, aber das Ende sehe ich momentan nicht.“
Unterschiedliche Meinungen zu Krieg und Frieden
Schwedische Aktivistinnen hatten die feministische Außenpolitik oft mit der Friedensbewegung verknüpft. Das größte Land des Nordens sollte demnach eine Rolle in der Welt einnehmen, in der es zuhört und sich diplomatisch einsetzt, erklärt Gabrielle Irsten, schwedische Friedensaktivistin beim Verein „Svenska freds“. Diese eher vermittelnde Rolle ist für sie Teil der weniger patriarchalen Außenpolitik. Die Entwicklung Schwedens von der neutralen Position hin zu einer stärkeren Verteidigungsmacht passt für sie zum jüngsten Wahlergebnis: „Nationalismus, Sexismus und Militarismus gehen oft Hand in Hand.“
Während Militärausgaben erhöht würden, würden sie für Geflüchtete gesenkt, fehlten sie beim Gesundheitssystem und Klimaschutz. Ihrer Meinung nach würde durch einen Nato-Beitritt Schwedens Funktion als sogenanntes allianzfreies Land, das in Kriegen auf keiner Seite stehen möchte, verlorengehen. Für Kristina Lunz ist es kein Widerspruch zur feministischen Außenpolitik, sich kurzfristig auf die Seite der Ukraine zu stellen und sie bei der Selbstverteidigung zu unterstützen, Denn diese gehe über das kurzfristige Denken hinaus.
Langfristig wollen die Akteur*innen der feministischen internationalen Zusammenarbeit mit ihrer Politik aber eine Transformation erreichen, dank der die Gesellschaft auf der ganzen Welt ohne Gewalt auskommt. Weiterhin fordern sie eine Unterstützung der geflüchteten Frauen beim Wiederaufbau und eine Form der humanitären Hilfe, die Probleme von Frauen explizit im Blick hat. Dazu gehören zum Beispiel Vergewaltigung als Kriegswaffe oder häusliche Gewalt nach Kriegen. Oder Geflüchteten-Unterkünfte nach Bedürfnissen stillender Mütter einzurichten und dafür zu sorgen, dass es dort friedlich zugehe. Also all das, was auch Wallström ursprünglich anstrebte.
In Schweden scheint ihr Erbe, trotz neuer Regierung, weiter zu bestehen. Für Gabrielle Irsten bleibt es mehr als ein PR-Gag: „Es ist so viel mehr Geld an Frauenrechtsorganisationen geflossen, man fing an, innerhalb der feministischen Bewegung die Rolle des Mannes und andere Gender-Rollen zu diskutieren, es gab tatsächlich Veränderungen – wer das als PR-Gag abtut, möchte selbst nur Aufmerksamkeit.“ Auch Towns gibt sich nicht nur pessimistisch. Schließlich habe man acht Jahre lang eine feministische Außenpolitik betrieben. Das heißt auch, dass es im Ministerium ein stark verankertes Bewusstsein für Ungerechtigkeiten gibt. Sie glaubt nicht, dass man „jetzt sofort eine Kehrtwende machen“ könne. Ein versöhnlicher Ausblick.