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Liebe Leserin, lieber Leser,

wie steht Gott zur Natur? Seit jeher ist diese Frage im Christentum umstritten. Ist er ein Gott, der von der Natur völlig geschieden werden muss, gar ihr Gegenteil verkörpert? Ist er ein Gott, der mit der Natur zusammenfällt, dessen Wirken in den Prozessen der Natur betrachtet und verstanden werden kann? Und nicht zuletzt: Spricht Gott durch die Natur? Was könnten wir hören, wenn dies der Fall ist? Das heutige Evangelium entfaltet eine Antwort, die zwischen diesen Extremen, einem exklusiven Theismus und einem exklusiven Pantheismus, zu vermitteln versucht.

II)

Am Abend nach seinen Gleichnisreden machen sich Jesus und die Jünger auf, den See Genezareth mit dem Boot zu überqueren:

„Sie schickten die Leute fort und fuhren mit ihm in dem Boot, in dem er saß, weg; einige andere Boote begleiteten ihn. Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass es sich mit Wasser zu füllen begann. Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief. Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“ (Mk 4,36-38)

Die Natur ist hier kein freundliches Gewässer, sondern feindliches Terrain. Sie stellt sich gegen die um Jesus versammelte Mannschaft und droht, diese zu verschlingen. Den Heiland scheinen diese Entwicklungen allerdings kaum zu kümmern, er überhört schlafend den Sturm. Erst ein Hinweis der Jünger erregt seine Aufmerksamkeit.

„Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich und es trat völlige Stille ein. Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? Da ergriff sie große Furcht und sie sagten zueinander: Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar der Wind und der See gehorchen?“ (Mk 4,39-41)

Rembrandt van Rijn, Christus im Sturm auf dem See Genezareth, 1633 (Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rembrandt_Christ_in_the_Storm_on_the_Lake_of_Galilee.jpg)

Auf Geheiß Jesu wird die feindliche Natur pazifiziert, der Sturm wird zur Stille. Der Heiland will dieses Wunder aber nicht als Demonstration göttlicher Macht verstanden wissen. Vielmehr weist er auf die durch den Sturm entblößte Glaubensschwäche der Jünger hin. Im Angesicht der feindlich gewordenen Natur haben sie ihr Vertrauen in die lenkende Macht Gottes verloren und erwarten einen Eingriff in die Ordnung der Natur, der sie aus der Gefahr erlöst. Dieser Eingriff löst in den Jüngern allerdings keine weiterführende Reflexion, keine ethische Wende aus. Vielmehr bestätigt die Bändigung des Sturms ihre Überzeugung von der Gotteskindschaft Jesu: Nur ein Mensch, der nicht nur Mensch ist, kann Derartiges vollbringen. Gott zeigt sich auf diese Weise als von der Natur getrennter sowie unwilliger Gebieter, der nicht den unmittelbaren Eingriff, sondern die Erkenntnis göttlichen Willens, das Vertrauen auf die Wirkung der Gnade, präferiert. Im Buch Ijob äußert sich Gott wiederum unumwunden zu dieser Macht:

„Da antwortete der Herr dem Ijob aus dem Wettersturm und sprach: […] Wer verschloss das Meer mit Toren, als schäumend es dem Mutterschoß entquoll, als Wolken ich zum Kleid ihm machte, ihm zur Windel dunklen Dunst, als ich ihm ausbrach meine Grenze, ihm Tor und Riegel setzte und sprach: Bis hierher darfst du und nicht weiter, hier muss sich legen deiner Wogen Stolz?“ (Ijob 38,1.8-11)

Gott betont hier gegenüber Ijob, dem Menschen in seiner Gefallenheit, dass selbst die Naturgewalten sich dem göttlichen Befehl beugen müssen. Die ursprüngliche Wildheit der Elemente, ihre Feindlichkeit, wird durch göttliche Intervention besiegt. Aber auch hier ist nicht die Intervention selbst entscheidend. Vielmehr weist der Dialog zwischen Gott und Ijob auf die Notwendigkeit einer differenzierten Bestimmung des Verhältnisses von Schöpfer und Schöpfer hin: Zwar ist der Schöpfer nicht unmittelbar mit der Schöpfung identifizierbar, gleichwohl ist sie Zeichen, das auf Gott hinweist. Die gebändigten Gewalten verweisen als Spuren auf den göttlichen Willen, der in sie hineingelegt wurde. Ihnen folgend kann Ijob nicht nur diesen erkennen, sondern sich atastend dem Schöpfer selbst zu wenden. Die Natur und ihr wechselhaftes Wirken machen lesbar, was an Gott, der sich erst in einer apokalyptischen Zukunft von Angesicht zu Angesicht zeigen soll, unlesbar ist. An der Reaktion der Jünger ist nicht sofort erkennbar, dass mit dieser Lesbarkeit auch eine ethische Umwendung, eine Lesbarkeit des Selbst verbunden ist. Die Selbstbiographie (Athansius Kircher: Selbstbiographie, Petersberg 2011) des barocken Universalgelehrten Athanasius Kircher (1602-1680) macht dies sichtbar.

III)

Der Jesuit befand sich am 27. März 1638 eigenen Angaben zufolge in einer ähnlichen Situation. Auf einer Schiffsfahrt sollen ihm sowohl die Gewalt des Meeres als auch die vulkanischen Aktivitäten von Ätna und Stromboli so zugesetzt haben, dass sich eine nie gekannte Beklemmung in ihm einstellte. Dieser turbulenten Überfahrt gesellte sich schließlich noch ein Erdbeben hinzu, dass Kircher verängstigte, einer tödlichen Gefahr aussetzte und ihn dazu bewegte, seine Seele Gott anzuempfehlen:

„Ach, wie verächtlich erschienen mir in dieser Bedrängnis alle Freuden der Welt. Ehre, Würden, einflussreiche Stellen, Gelehrsamkeit verschwanden da in einem Augenblick wie Rauch, wie Seifenblasen, wie vom Wind weggefegte Streu. Da ich glaubte an der Pforte des Todes zu stehen, suchte ich meine Seele von allem Irdischen loszuschälen und für den Eintritt in die andere Welt vorzubereiten. Jener Augenblick wäre auch wirklich mein letzter gewesen, wenn mich Gott nicht aus besonderer Gnade vor dem vor dem Einsturz der Mauern bewahrt haben würde. Es scheint, als wollte er mich am Leben erhalten, damit ich zur Ehre und Verherrlichung seines Namens noch Härters erdulde.“ (S. 20)

Kircher wird diese Rettung gar als Fügung Gottes bezeichnen. Wie den Jüngern gilt dem Polymathen der überwundene Schiffbrauch, die überwundene Katastrophe als Beweis göttlicher Gnade. Auch für ihn ist das erlittene Unglück Zeichen, Spur einer engen Verbindung von Schöpfer und Schöpfung. Allerdings geht Kircher weiter: Abseits dieser allgemeinen Deutung der Zeichen versucht er auch sein eigenes Schicksal aus ihnen abzuleiten. Die Zeichen der Natur sind Beweis der ethischen Mission Kirchers, der „besonderen Gnade,“ die ihm von Gott zugeteilt wird.

Zuletzt gilt mein besonderer Dank wieder denjenigen Mitgliedern, die diesen Newsletter nun seit knapp einem Monat finanziell mit Scherflein, Gabe oder Geschenk unterstützen, sowie allen interessierten Leserinnen und Lesern oder Kommentatorinnen und Kommentatoren auf Twitter.

Herzlichst

Louis Berger

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