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Liebe Leserin, lieber Leser,

Pfingsten ist zwar ein hohes Fest des Christentums, gilt aber zuweilen als sperrig. Während Weihnachten und Ostern mit säkularisierbarem Brauchtum glänzen, zeichnet sich das Pfingstfest durch einen geistigen Charakter aus, der lebensweltlich zuweilen schwer nachvollziehbar ist. Wer ist dieser Teil der Dreiheit, der fern des Fleisches und des Wortes die Schöpfung heimsucht? Warum kommt er im Anschluss an die Himmelfahrt des Heilands über Maria und die Jünger? Wohin führt dieser Geist, der als die Erde „wüst und wirr“ (Gen 1,2) über den weiten Wassern der Urflut schwebte? Die an Pfingsten versammelten, das eigentliche Ereignis in der Apostelgeschichte rahmenden Evangeliumspassagen geben eine gar nicht mehr so ,geistige‘ Antwort.

II.

Vergegenwärtigen wir uns aber zunächst das Maria und die Jünger in Jerusalem heimsuchende Ereignis:

„Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ (Apg 2,2-4)

(Our Lady’s Island Church of the Assumption, Kirchenfenster, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Our_Lady%27s_Island_Church_of_the_Assumption_East_Aisle_Window_Pentecost_2010_09_26.jpg)

Bereits hier wird deutlich, dass das geschilderte Ereignis nur begrenzt vergeistigt werden kann, dass die berichteten Geschehnisse nur bis zu einem gewissen Grad rationalisierbar sind. Ähnlich wie zu Beginn der Welt weht der Geist, fährt in die Materie und gibt ihr eine neue Richtung. Die ,Spiritualisierung‘ der Anwesenden ist Verfeinerung, punktuelle Aufhebung ihrer ,Ichheit,‘ die auf eine andere Gemeinschaft jenseits von Individuum und Kollektiv zielt. Diese verdeutlicht wiederum die im wahrsten Sinne des Wortes enthusiastische Reaktion zahlreicher Einwohner Jerusalems auf das Ereignis:

„Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. Sie waren fassungslos vor Staunen und sagten: Seht! Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadokien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Kyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber - wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden. Alle gerieten außer sich und waren ratlos. Die einen sagten zueinander: Was hat das zu bedeuten? Andere aber spotteten: Sie sind vom süßen Wein betrunken.“ (Apg 2,6-13)

Die von Gott als Strafe für menschliche Hybris verhängte Verwirrung von Babel wird aufgehoben. Plötzlich können sich gar sprachlich weit voneinander entfernte Völker verständigen und bilden auf diese Weise - wie in der vergangenen Woche angedeutet - eine durch göttliche Vermittlung gestiftete Gemeinschaft. Diese Aufhebung ähnelt einem durch Rauschmittel induzierten raptus, einem platonischen furor poeticus, der den Dichter aus der irdischen in die göttliche Welt entrückt. Auf unsere Passage aus der Apostelgeschichte gemünzt: Der Mensch sprengt durch seine Begegnung mit dem Heiligen Geist menschliche Grenzen und verbindet sich mit der ganzen Menschheit.

Während die sonntägliche Lesung aus dem Johannesevangelium noch einmal das mit einer Spiritualisierung verbundene Vergebungsversprechen wiederholt, versucht Jesus im Lukasevangelium den Gedanken der fleischlichen Wirkung des Geistes zu vertiefen. Zunächst richtet der Heiland seinen Dank in rätselhaften Worten an Gottvater:

„In dieser Stunde rief Jesus, vom Heiligen Geist erfüllt, voll Freude aus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen.  Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater, und niemand weiß, wer der Vater ist, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.“ (Lk 10,21-22)

Die Spiritualisierung wird von Jesus so auf die epistemologische Ebene gehoben. Wissen empfangen durch den Geist in erster Linie diejenigen, die als „im Geiste arm“ gelten können - Gott ist im strengen Sinne unwissbar. Nur seine Mitteilung, sein Abstieg in die Welt durch die drei Personen, offenbart ihn. Dieser skeptische Zug des Christentums, der in den Evangelien vielfach in Bezug auf die Sicht und das Sehen erörtert wird, erfährt schließlich in der folgenden Seligpreisung seine Zuspitzung:

„Jesus wandte sich an die Jünger und sagte zu ihnen allein: Selig sind die, deren Augen sehen, was ihr seht. Ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen und wollten hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.“ (Lk 10,23-24)

Die Tätigkeit des Geistes darf damit nicht rein geistig verstanden oder auf ein im aufklärerischen Sinne erleuchtendes ,Licht der Wahrheit‘ reduziert werden. Vielmehr affiziert sie die Körper, hebt den Einzelnen aus seiner Vereinzelung und eröffnet eine Gemeinschaft jenseits herkömmlichen Wissens.

III.

Bob Dylan, der heute seinen 80. Geburtstag feiert, hat diesen Gedanken in einem auf seinem letzten Album Rough and Rowdy Ways (2020) veröffentlichten Song in anderer Weise fruchtbar gemacht. Im Ausgang von einem der Sammlung Leaves of Grass entnommenen Walt Whitman-Zitat („I am large....I contain multitudes.“):

„I’m just like Anne Frank, like Indiana Jones and them British bad boys, The Rolling Stones. I go right to the edge, I go right to the end. I go right where all things lost are made good again.“

Wie der Geist viele unterschiedlichste Sprachen miteinander zu vermitteln weiß, blendet Dylan zahlreiche literarische Anspielungen, Referenzen und Bilder ineinander: Fakt und Fiktion, aber auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fließen ineinander und verweisen in ihrer Vermittlung auf ein Höheres. Eine Geschichte, die in sich die Möglichkeit multipler, sich möglicherweise gar widersprechender Geschichte birgt.

„I’ll keep the path open, the path in my mind. I’ll see to it that there’s no love left behind. I’ll play Beethoven’s sonatas, and Chopin’s preludes. I contain multitudes.“

Als ,Parteigänger verlorener Sachen‘ versammelt Dylan wie der Heilige Geist in sich das Verschiedene und macht es so einem Wissen zugänglich, das über reine Wissbarkeit hinausgeht: Einem Wissen, das sich nicht rein sprachlich, nicht rein geistig, sondern über die Affektion durch Musik erfahren lässt.

Zuletzt gilt mein besonderer Dank wieder denjenigen Mitgliedern, die diesen Newsletter nun seit knapp einem Monat finanziell mit Scherflein, Gabe oder Geschenk unterstützen, sowie allen interessierten Leserinnen und Lesern oder Kommentatorinnen und Kommentatoren auf Twitter.

Herzlichst

Louis Berger

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