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Liebe Leserin, lieber Leser,

wir alle tragen einen Namen, wurden benannt und damit ins Sein gerufen. Er eröffnet uns die Möglichkeit, unser Leben selbst zu führen, beschränkt aber gleichsam unsere Freiheit. Der Name ist Ermächtigung und Entmächtigung, oszilliert zwischen Aktivität und Passivität. Auch das heutige Evangelium spricht von einem Namen - dem Namen Gottes, der sich in die Welt abbildet.

II)

Kurz vor seiner Verhaftung richtet Jesus das Wort an Gottvater und vertraut ihm die durch ihn bisher geleitete Menschheit im Gebet an:

„Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast.“ (Joh 17,6a)

Gottes Name, der den Geschöpfen bereits seit Anbeginn der Schöpfung bekannt war, zeigt sich nun auf ganz andere Weise, materialisiert sich in Fleisch und Tat des Heilands. Gleichzeitig werden so „Maß, Zahl und Gewicht der Schöpfung“ (Weish 11,21) auf eine Weise aktualisiert, die die Beziehung zwischen Schöpfer und menschlichem Geschöpf auf ungeahnte Weise verändert. Der Mensch ist - wie ich bereits in der letzten Woche näher ausgeführt habe - nicht mehr Sklave, sondern Freund. Durch die Verkündigung seines göttlichen Namens knüpft Gott ein Band der Freundschaft, das seine direkte Ansprache erlaubt. Das häufig als  hohepriesterlich bezeichnete Gebet Jesu versucht den Höchsten in kreisenden, nicht-prädizierenden Bewegungen zu fassen und kann deshalb als erste Probe dieser neuen Freundschaft gelten. Abseits menschlicher Zuschreibungen überschreitet es im beständigen Rekurs auf Analogien, durch prominente Hervorhebung der Differenz zwischen Gott und Mensch die Grenzen herkömmlicher Gottesrede. Der Name benennt hier nicht mehr, erzeugt vielmehr eine ethische Verbindung, die die Trennung zwischen sub- und supralunarer Sphäre aufhebt:

„Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir! Solange ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast. Und ich habe sie behütet und keiner von ihnen ging verloren, außer dem Sohn des Verderbens, damit sich die Schrift erfüllte.“ (Joh 17,11b-12)

Eugène Burnand, Das hohepriesterliche Gebet, 1900 (Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Eugene_Burnand_-_Das_hohepriesterliche_Gebet.jpg)

Er stiftet so wieder eine Einheit zwischen Schöpfer und Schöpfung, holt in seiner Verkündigung den Menschen zurück ins Heil. Als Gegenbild fungiert hier Judas Iskariot, der Jesus durch die Nennung seines Namens verriet und derart das Band der Freundschaft zerschnitt. Eine Passage aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher,  die ebenfalls vom „Sohn des Verderbens“ spricht, verdeutlicht, dass der Name eine zentrale, über das Schicksal des Menschen hinausgehende Kraft besitzt:

„Lasst euch durch niemanden und auf keine Weise täuschen! Denn zuerst muss der Abfall von Gott kommen und der Mensch der Gesetzwidrigkeit offenbar werden, der Sohn des Verderbens, der Widersacher, der sich über alles, was Gott oder Heiligtum heißt, so sehr erhebt, dass er sich sogar in den Tempel Gottes setzt und sich als Gott ausgibt.“ (2 Thess 2,3)

Erst das Auftreten des falschen Gottesnamens, der Beginn seiner Herrschaft und die damit einsetzende Verwirrung unter den Gläubigen zeigen den Anbruch des jüngsten Tages an. Die Welt ist gespalten:

„Aber jetzt komme ich zu dir und rede dies noch in der Welt, damit sie meine Freude in Fülle in sich haben. Ich habe ihnen dein Wort gegeben und die Welt hat sie gehasst, weil sie nicht von der Welt sind, wie auch ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst. Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. Und ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind.“ (Joh 17,13-19)

Während die eine Hälfte der Schöpfung noch dem falschen Gottesnamen verpflichtet ist und Gott feindlich gegenübersteht, wird die andere Hälfte der Schöpfung durch den wahren Gottesnamen aus der Welt gelöst. Letzterer ist auf diese Weise Schutz vor dem Bösen und Bürde, die das Gute gegenüber dem Bösen auszeichnet, es diesem aber auch aussetzt. Indem Gott als Christus in die Welt hinabsteigt, seinen Namen offenbart, teilt er zugleich Macht und Ohnmacht zu. Eine Ermächtigung zum Leben in der Wahrheit, die aber gleichzeitig entfremdende Entmächtigung darstellt.

III) 

Der deutsch-jüdische Philosoph Walter Benjamin (1892-1940) wird in seinem skizzenhaften Essay Über die Sprache des überhaupt und die Sprache des Menschen (1916) (Walter Benjamin: Sprache und Geschichte. Philosophische Essays, Stuttgart 1992) in Auseinandersetzung mit biblischen Motiven, kabbalistischen Spekulationen und romantischer Sprachphilosophie versuchen, diese Ambivalenz des Namens zu ergründen:

„In Gott ist der Name schöpferisch, weil er Wort ist, und Gottes Wort ist erkennend, weil es Name ist. […] Das absolute Verhältnis des Namens zur Erkenntnis besteht allein in Gott, nur dort ist der Name, weil er im innersten mit dem schaffenden Wort identisch ist, das reine Medium der Erkenntnis. Das heißt: Gott machte die Dinge in ihrem Namen erkennbar. Der Mensch aber benennt sie maßen der Erkenntnis.“ (S. 39)

Göttlicher und menschlicher - vielleicht gar falscher? - Name sind damit inkommensurabel. Während der göttliche Name tatsächlich schöpferisch ist, eine neue ethische Verbindung erzeugt, bleibt der menschliche Name nur im eingeschränktem Sinne Benennung, Prädikation. Allerdings bildet der Eigenname für Benjamin eine göttliche Spur im Bereich des Menschlichen, die die schöpferische Kraft zu bewahren vermag.

„Mit der Gebung des Namens weihen die Eltern ihre Kinder Gott; dem Namen, den sie hier geben, entspricht – metaphysisch nicht etymologisch verstanden – keine Erkenntnis, wie sie die Kinder ja auch neugeboren benennen. Es sollte im strengen Geist auch kein Mensch dem Namen (nach seiner etymologischen Bedeutung) entsprechen, denn der Eigenname ist Wort Gottes in menschlichen lauten. Mit ihm wird jedem Menschen seine Erschaffung durch Gott verbürgt, und in diesem Sinne ist er selbst schaffend […]. Der Eigenname ist die Gemeinschaft des Menschen mit dem schöpferischen Wort Gottes.“ (S. 40-41)

Im Eigennamen leuchtet damit die ethische Kraft des Gottesnamens wieder auf. Da letzterer auf die Prädikation verzichtet und die kreative Potenz der Benennung in den Vordergrund rückt, knüpft er ein freundschaftliches Band zwischen Gott und Mensch, das die Gemeinschaft zwischen beiden Sphären wiederherstellt. Oder wie es bereits der Prophet Jesaja verkündet: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir!“ (Jes 43,1)

Zuletzt gilt mein besonderer Dank wieder denjenigen Mitgliedern, die diesen Newsletter nun seit knapp einem Monat finanziell mit Scherflein, Gabe oder Geschenk unterstützen, sowie allen interessierten Leserinnen und Lesern oder Kommentatorinnen und Kommentatoren auf Twitter.

Herzlichst

Louis Berger

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