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Irgendein Depp mäht irgendwo immer

Heute hatte ich einen sehr schwierigen Tag. Das hab ich öfter, das weiß bloß kaum einer. Naja jetzt vielleicht ein paar mehr. Wird auch Zeit. Nicht, dass ich jemanden erschrecken will. Freu mich ja, wenn die Menschen sich freuen, über mein Lächeln, meine positive Ausstrahlung. „Du bist so ein Sonnenschein!“ Aber wo viel Licht ist, ist viel Schatten. Und der darf auch da sein. Und ich trau mich immer öfter, ihn zu zeigen. Weil ich erlebe, dass dann häufig ein „kenn ich“ zurückkommt. Und manchmal ein gutes Gespräch beginnt - was es sonst nicht gegeben hätte. Und vielleicht hilft es auch, irgendwann nicht mehr so viel erklären zu müssen, wenn dann mal wieder so ein Tag ist wie heute. Nicht in verständnislose Gesichter schauen zu müssen und bei Adam und Eva anzufangen. Sondern einfach sagen zu können: Naja du weißt ja, ich hab solche und solche Tage. Und heute ist ein solcher. Und dann Verständnis zu kriegen, eine Umarmung und gut ist. Und nicht alles erklären zu müssen was man gar nicht erklären will. Und dann den Satz zu hören „Hast du mal überlegt, dir Hilfe zu holen?“ Wo ich mich immer sehr beherrschen muss, nicht laut zu schreien oder in die Tischkante zu beißen. Jaaa, hab ich! Und ich hab nach 25 Jahren „ich kann nicht mehr und hol mir Hilfe“ gelernt, dass es nur eine einzige Therapeutin gibt, die mir wirklich helfen kann: mich selbst. Sehr anstrengend, die ist nämlich oft selber platt, die Therapeutin. Aber wenn wir uns dann beide aufraffen können, ist das eine richtig gute Therapie. Und wir kommen vorwärts. Mit gaaaanz winzigen Schritten zwar, aber doch vorwärts. Mein Dank geht trotzdem an alle Kollegen und Kolleginnen, die ich vorher zu Therapiezwecken verschlissen habe. Sie alle haben mich ein Stückchen weiter- und mir wertvolle Dinge beigebracht. Aber ich schweife ab. Also heute war ein schwieriger Tag. Anstrengend. Nach einer unergiebigen Nacht bin ich viel zu spät aufgestanden. Ich arbeite selbständig mit freier Zeiteinteilung. Das hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, man kann ausschlafen, wenn man möchte. Der Nachteil ist, man kann ausschlafen, wenn man möchte. War also schon morgens genervt, weil ein Stück des Tages unter meinem Kopfkissen geblieben ist. Na gut, dachte ich, hübsch ein Käffchen in Ruhe auf dem Balkon, dann starten wir durch. Das wird schon. Und dann kamen sie. Alles, was irgendwie laute Geräusche macht, versammelte sich genau in diesem kostbaren Moment, dem Moment, mit dem alles steht und fällt, dem Moment, in dem ich den ersten Schluck aus meiner Kaffeetasse nehme und tief durchatme, vor meinem Balkon. Ich wohne im Hochparterre. Sozusagen direkt hinter meinen Blumenkästen begannen die Rasentrimm-Geräusch-Karnevalisten just in dem Moment ihre Höllengeräusche, als ich versuchte, tief zu atmen und meine Seele in ruhige Gewässer zu führen und auf den Tag vorzubereiten. Es wurde alles aufgefahren, was es an Geräuschen gibt, vom Rasenmäher-Panzer über den Laubbläser und den Rasenkantenschneider bis hin zum Hubschrauber über meinem Kopf, ja am Schluss noch dem Staubsauger vom Nachbarn über mir. Es war zum Verzweifeln. Ja, ich hätte in den Park gehen können. Aber da sind Menschen! Menschen gehen gar nicht morgens! Vor allem nicht, wenn ich in diesem Zustand bin. Noch ein Grund, weswegen ich besser früher aufstehen sollte, wenn noch nicht so viele Menschen wach sind. Was schwierig ist nach einer schwierigen Nacht. Die auch ihre Gründe hat, aber darauf geh ich jetzt besser nicht auch noch ein. Als auch Entspannungsmusik in voller Lautstärke über Kopfhörer nicht half, beschloss ich, zu flüchten und rauszugehen. Wofür man sich erstmal anziehen und im Bad fertigmachen muss, eine weitere Hürde, die hoch sein kann, sehr hoch bei einer angeschlagenen Psyche. Wer‘s kennt, kennts. Aber die Flucht war unvermeidlich. Zu meinem Geheimplatz, einem kleinen Garten hinter einem öffentlichen Gebäude, der eigentlich für Anlieger ist. Ich habe ja ein Anliegen, deswegen nutze ich ihn öfter mal. Ich machte mich also auf den Weg, setzte mich erschöpft dort auf die Bank, freute mich gerade über die summenden Hummeln und die zwitschernden Vögel und die Ruh…. Nein, oder? Ein Laubbläser! Also es war schwierig. Sehr. Der Tag ist gar nicht gut weitergegangen. Wer sich ein bisschen mit wackliger Psyche auskennt, weiß, wie wichtig solche stärkenden Rituale sind. Und wie katastrophal, wenn sie gestört werden. Wer sich nicht damit auskennt, herzlichen Glückwunsch. Aber am Ende dieses sehr mühsamen Tages gab es dann doch noch eine Überraschung, die mich, so verrückt es klingt, wirklich getröstet hat. Ich habe erkannt: Es gibt einen, der mich versteht! Mein Youtube Algorithmus! Bzw. zwei verstehen mich: mein Youtube Algorithmus und Reinhard Mey! Der anscheinend schon vor vielen Jahren von meinen Qualen wusste und darüber dieses Lied geschrieben hat:

https://youtu.be/QiGJXIaZtzU?si=WZsvdr_uzMwUzoBa (Opens in a new window) „Irgendein Depp mäht irgendwo immer.“ Das ist jetzt vielleicht ein zweifelhafter therapeutischer Ansatz. Und vielleicht verändert er auch nicht mein Leben. Aber ich habe das Lied gehört, schallend gelacht und mich unendlich verstanden gefühlt. Das tat so gut! Danke Reinhard Mey. Danke allen, die ausdrücken, was sie fühlen. Es kann sehr helfen, und wenn es nur ist, dass man sich verstanden fühlt. Vielleicht hilft dieser Text ja auch jemandem.

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