😩 „Warten macht mich wahnsinnig!“
Warum Langeweile bei ADHS so belastend ist – und wie du verzögerungsaversivem Verhalten besser begegnest
Kinder mit ADHS gelten als ungeduldig, impulsiv und unaufmerksam. Doch was, wenn dahinter eine tiefere Ursache steckt – eine regelrechte Abneigung gegen das Warten? Eine neue Studie zeigt: Es ist nicht das Warten selbst, das stresst – sondern die quälende Leere, die dabei entsteht.
🧠 Der stille Stress: Warum Kinder mit ADHS das Warten nicht aushalten
Warten, Pausen, „noch ein bisschen Geduld“… Was für viele Kinder nervig, aber erträglich ist, wird für viele Kinder mit ADHS zum inneren Ausnahmezustand. Sie brechen Aufgaben ab, platzen in Gespräche, reagieren über – nicht aus Unhöflichkeit oder Desinteresse, sondern weil sie das Gefühl haben, innerlich zu zerfallen, wenn nichts passiert.
Der Begriff dafür: Delay Aversion, auf Deutsch am besten übersetzt mit verzögerungsaversivem Verhalten.
📊 Neue Studie zeigt: Es ist die Langeweile, die die Aufmerksamkeit frisst

Die aktuelle Studie von Hsu et al. (2025), erschienen in Frontiers in Psychiatry, untersuchte über 180 Kinder mit und ohne ADHS. Die Ergebnisse sind eindeutig:
Kinder mit ADHS zeigten signifikant höhere Werte bei:
Langeweileanfälligkeit (boredom proneness)
verzögerungsaversivem Verhalten (Delay Aversion)
Unaufmerksamkeit (Inattention)
Das Spannende: Die Abneigung gegen Warten vermittelt den Zusammenhang zwischen Langeweile und Unaufmerksamkeit.
Mit anderen Worten:
👉 Wer sich schnell langweilt, entwickelt eine starke Abneigung gegen alles, was dauert – und wird dadurch unaufmerksam.
🧬 Warum Belohnung später nicht zieht – das ADHS-Gehirn will es jetzt
ADHS geht mit einer veränderten Dopaminregulation einher. Das bedeutet:
Späte Belohnungen verlieren ihren Reiz
Das Gehirn braucht sofortige Rückmeldung, um motiviert zu bleiben
Lange Pausen, leere Zeit oder Aufgaben ohne direktes Feedback erzeugen inneren Stress
In solchen Momenten dominiert das Default Mode Network im Gehirn – ein Bereich, der bei ADHS überaktiv ist und zu Grübelschleifen, Gedankenrasen oder innerer Leere führt. Kinder sind dann nicht entspannt, sondern orientierungslos.
⏳ Warten fühlt sich an wie Kontrollverlust
Verzögerungsaversives Verhalten zeigt sich oft so:
Aufgaben werden nicht begonnen, weil der Erfolg zu spät kommt
Kinder brechen Projekte ab, obwohl sie interessiert waren
Sie lenken sich ab, um das unangenehme Gefühl beim Warten zu vermeiden
Die Studie zeigt: Langeweile ist nicht das Problem – sie ist der Auslöser für einen inneren Notfall.
👨🏫 Was du als Elternteil, Lehrkraft oder Coach tun kannst
Gut gemeinte Tipps wie „Bleib einfach dran“ oder „Das dauert doch nicht lang“ helfen hier nicht.
Stattdessen braucht es Strategien, die das ADHS-Gehirn ernst nehmen – und die emotionale Not beim Warten abfedern.
✅ 1. Sofortige Rückmeldung einbauen
Fortschrittsanzeigen, Sticker, Sichtbalken
Belohnung direkt nach einem kleinen Schritt, nicht am Ende
📌 Warum das wirkt: Dopamin wird sofort freigesetzt, nicht erst „später irgendwann“
✅ 2. Aufgaben in kleine Zeithäppchen verpacken
Timeboxing: z. B. 8 Minuten konzentriert – 2 Minuten Pause
Timer sichtbar stellen
Ergebnis sofort besprechen
📌 Warum das wirkt: Weniger Wartezeit = weniger Frustration
✅ 3. Wahlmöglichkeiten geben
„Willst du mit Deutsch oder Mathe anfangen?“
„Willst du schreiben oder mir erst erzählen, was du denkst?“
📌 Warum das wirkt: Autonomie reduziert das Gefühl von Ausgeliefertsein
✅ 4. Pausen aktiv überbrücken
Knetball, Hörspiel, Malblatt, Bewegung
Vorbereitetes „Warte-Ritual“, das Struktur gibt
📌 Warum das wirkt: Sensorische Reize regulieren das Nervensystem
✅ 5. Offene Gespräche über das „Wartegefühl“
„Was ist für dich das Schlimmste beim Warten?“
„Was hilft dir, wenn du weißt, dass etwas noch dauert?“
📌 Warum das wirkt: Kinder lernen, ihre eigenen Reaktionsmuster besser zu verstehen – und neue Wege zu finden
📎 Fazit: Kinder mit ADHS leiden nicht an Faulheit – sondern an einer Welt, die zu langsam tickt
Die Studie zeigt klar:
👉 Langeweile und das Warten auf später sind für viele Kinder mit ADHS nicht belanglos – sondern emotional belastend
👉 Verzögerungsaversives Verhalten ist kein Trotz, sondern ein Schutz vor der Überforderung durch leere Zeit
Wer das erkennt, kann helfen – mit Struktur, kleinen Erfolgen, sensorischer Unterstützung und echtem Verständnis.
🔍 Quellen:
Hsu et al. (2025). Boredom proneness and inattention in children with and without ADHD: the mediating role of delay aversion. Frontiers in Psychiatry. DOI: 10.3389/fpsyt.2025.1526089 (Opens in a new window)