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Sexy Schnecken aus dem Meer

Cindy O’Brien züchtet Abalone

Die US-Amerikanerin Cindy O’Brien lebt seit den 90er Jahren in Connemara, ganz im Westen von Irland und züchtet seltene Seeschnecken. Die sogenannten japanischen Abalone gedeihen an der irischen Küste gut. Sie gelten als Delikatesse und Aphrodisiakum, kosten bis zu 44 Euro pro Kilo – und sehen aus wie Vulven.

Zusammenfassung

Cindy O’Brien züchtet in Irland die seltenen Abalone-Seeschnecken, die als Delikatesse und Aphrodisiakum geschätzt werden. Ihre nachhaltige Farm, betrieben mit ihrer Tochter, vereint Meeresbiologie und Klimabewusstsein. O’Brien kämpft gegen Bürokratie und Genderungleichheit und macht auf ökologische Herausforderungen aufmerksam. Abalone sind nicht nur kulinarisch wertvoll, sondern auch ein Frühwarnsystem für das Gleichgewicht in der Natur.

Von Mareike Graepel, Irland

„Männer werden immer nervös, wenn ich ihnen bei Führungen über unsere Farm eine Abalone in die Hand gebe“, lacht Cindy O’Brien. Die Seitenblicke der Frauen angesichts der Unsicherheit der Männer seien unbezahlbar. Sie lässt ihre Augen blitzen und zieht eine Braue hoch: „Naja, wer nicht hingucken möchte, wo die Fühler bei einer Seeschnecke sind…“ Cindy O‘Brien lässt das Ende des Satzes bedeutungsschwanger in der Luft hängen und dreht die Schale der Schnecke um.

Von oben sind die Abalone graublau und dunkel, innen ist die harte, ohrenförmige Abalone-Hülle perlmuttfarbend, bunt und glänzend. Diese schillernde Schicht – oft werden sie deswegen auch Irismuscheln genannt, obwohl sie offiziell Schnecken sind – ist jedoch nur zu sehen, wenn die Abalone aus ihrem Haus gelöst wird. Die Seeschnecke ist mit Oktopus und Tintenfisch verwandt und hat einen großen Saugmuskel, mit dem sie sich bei Bedrohung so dicht wie möglich an felsigen Grund drücken kann.

„Abalone sind in vielen Kulturen auf der ganzen Welt eine hoch geschätzte Delikatesse und sehr gefragt“, erklärt die Züchterin. In ihren heimischen Gewässern – vorwiegend in Asien – seien Abalone aber stark überfischt. „Dort sind sie fast ausgestorben.“ In Aquakultur-Tanks können die Seeschnecken – in Irland sind es die „Haliotis discus hannai“, die japanischen Abalone – allerdings gezüchtet werden.

So wie auf ihrer Mungo-Murphy-Farm (Opens in a new window) mit Blick auf die hübschen Felsenufer der Cashla-Bucht. Zusammen mit ihrer Tochter Sinéad, die hier Meeresgemüse erntet, um es zu Kosmetika und Lebensmittel weiter zu verarbeiten, verkauft die Frau aus Florida neben den Abalone-Schnecken zehn verschiedene Algen in ganz Irland, an Restaurants in London und an asiatische Supermärkte.

Nur drei von zehn Unternehmer*innen in Irland sind weiblich 

Dahin zu kommen, war jedoch ein langer, zäher Weg. Und im Business zu bleiben – vor allem auch in Zeiten von Brexit und der Covid-19-Pandemie – ist nach wie vor nicht einfach. „Der bürokratische Aufwand, um Genehmigungen für Gebäude oder den Lebensmittelversand bekommen, war von Anfang enorm zeitaufwändig“, sagt Cindy O’Brien, die sich selbst für recht geduldig hält.

„Als irischer weißer Mann hätte sie so manche Genehmigung sicher eher bekommen,“ bemerkt ihre Tochter Sinéad und runzelt die Stirn. Tatsächlich waren 2023 dem irischen „Central Statistics Office“ zufolge nur knapp drei von zehn der Unternehmer*innen auf der grünen Insel weiblich. Laut des europäischen Gleichstellungsindex liegt Irland mit 73,0 von 100 Punkten aber generell auf Platz neun in der Europäischen Union. 

„Von der Zeit hat der liebe Gott jede Menge gemacht“, sagt ein altes irisches Sprichwort. Und ob Cindy O’Brien geduldig ist oder nicht: „Mit Blick auf die Klimakatastrophe läuft uns die Zeit davon.“ Muscheln und Schnecken seien wie die Kanarienvögel in den Kohlebergwerken, erklärt die Schneckenzüchterin – sie funktionierten wie ein Warnsystem. „Wenn es denen schlecht geht, geht es auch anderen schlecht, hier also statt den Bergleuten den Fischen, den Meerespflanzen, und eben uns allen.“

Darüber werde in den irischen Medien viel zu wenig berichtet. Die Temperatur der Meeresoberfläche in irischen Gewässern ist laut der irischen Umweltschutzbehörde seit 1994 um etwa 0,6 Grad Celsius pro Jahrzehnt gestiegen, was in den 150 Jahren, in denen diese Beobachtungen durchgeführt werden, beispiellos und besorgniserregend sei. „Nervös macht das in der Politik aber scheinbar niemanden. Selbst wenn es um die berühmten irischen Austern geht.“

Die britische Tageszeitung „The Guardian“ schrieb im Oktober 2024, dass es in Europa nur noch eine Handvoll natürlicher Austernriffe gebe, höchstens einige Quadratmeter groß, die sich nach ihrer Ausrottung durch Überfischung, Ausbaggern und Umweltverschmutzung noch an den europäischen Küsten festhielten. Früher seien diese Riffe so hoch wie ein Haus gewesen und hätten sich mehr als 1,7 Millionen Hektar von Norwegen bis zum Mittelmeer erstreckt – eine Fläche, die größer gewesen sei als Nordirland.

„Austern sind dennoch immer noch beliebter in Gastronomie und Gesellschaft als Abalone. Es wäre schön, wenn wir die Seeschnecken populärer machen könnten“, wünscht sich Cindy O’Brien. Mit einem Bachelor of Science-Abschluss in Meeresbiologie von der California State University 1988 in der Tasche lernte sie als junge Frau, Abalone zu züchten. Sie arbeitete als Meeresbiologin in Miami, Florida, in einer Zucht für Versuchsfische und zog dort unter anderem Fische wie Gelbschwanzschnapper, Schnapper und Neon-Grundeln für Experimente in der Biscayne Bay auf. 

1996 kam sie nach Irland und hörte, dass Abalone gerade in Irland eingeführt worden waren. „Die Bedingungen für die Zucht dieser Art Seeschnecken waren vor 30, 40 Jahren an der Westküste Irlands aufgrund der ausgezeichneten Wasserqualität, Temperatur und des Überflusses an großen Algen wie Kelp als Futter für die Tiere ideal.“ Studien aus dieser Zeit über die Zucht an Land und im Meer und ihre lange Aquakultur-Erfahrung halfen, die Grundlage für ihr Unternehmen zu schaffen und eine Farm bauen zu können.

Die Tiere sind lichtempfindlich „wie Teenager“

Die Seeschnecken leben in einem landgestützten Kreislauf-Aquakultursystem, in das Meerwasser an Land gepumpt, gefiltert und in die Tanks transportiert wird, in denen die Abalone untergebracht sind. „Das Meerwasser zirkuliert dann einige Male durch das System, bevor es wieder ins Meer zurückfließt“, erklärt O’Brien. „Das ständige Pumpen des Meerwassers kostet viel Energie, darum setzen wir eine Windturbine zur Verbesserung der Energieeffizienz ein.“

Sie vermehrt den Schneckenbestand in einer sogenannten Brüterei, um Millionen von Abalone-Jungtieren zu züchten. Diese Mini-Abalone werden in Absetzbecken mit Mikroalgen gefüttert, bevor sie in die Aufzucht umziehen. Dort werden sie mit ihrer bevorzugten Makroalge – Kelp – gefüttert. „In diesem Stadium werden sie wie Teenager lichtempfindlich und leben monatelang im Schatten unter schwarzen Kegeln. Dann sind sie bereit, in die großen schattigen Becken umgesetzt zu werden und futtern weiter eifrig Kelp.“

Die Frage, warum nicht mehr Menschen Abalone züchten, wenn sie doch so köstlich, hübsch und wertvoll seien, beantwortet die Pionierin so: „Die meisten Menschen sind eben nicht so geduldig wie meine Mutter.“ Denn bis die Abalone verkauft werden können, kümmert sich Cindy O’Brien jahrelang um die Tiere, je nachdem, wann sie zum Verzehr verkauft werden sollen. Nacht fünf Jahren können die Schnecken eine volle Größe von zehn bis elf Zentimetern erreichen.

„Wir berühren sie aber meistens erst, wenn sie marktreif sind, um Schäden an ihren Körpern so gering wie möglich zu halten.“ Abalone sind Bluter und können kleine Blutgerinnsel bilden. Daher kann jede noch so kleine Wunde und jeder Schnitt zum Tod der Tiere führen. „So empfindlich sind menschliche weibliche Geschlechtsorgane in der Regel nicht,“ greift sie die Form der Seeschnecken noch einmal auf, immer noch amüsiert. „Kein Grund also für die Männer, nervös zu sein.“

Dass Schnecken und Muscheln als Aphrodisiakum gelten, sei sicher kein Geheimnis mehr. Auch das Zeichen der griechischen Liebesgöttin Aphrodite war das einer Muschel. In Europa werden meist Austern als eine sexuell anregende Speise beschrieben. In Ländern wie China gelten jedoch Abalone als besonders wirksames Aphrodisiakum. Liebhaber*innen zahlen nahezu jeden Preis, um an die Meeresschnecken heranzukommen: Ein Kilo erstklassiger Abalone kostet dort bis zu 200 Euro.

Gegessen wird übrigens der Saugmuskel, der Fuß der Schnecke, der aus der Schale gelöst und vor dem Verzehr üblicherweise weichgeklopft wird, um die zähe Struktur etwas aufzulockern. Das Abalone-Fleisch ist fest, kernig und sehr mager. Meist wird es kurz angebraten, in Japan auch hauchdünn geschnitten wie Sashimi, als Alternative zu rohem Fisch, serviert. Dann lässt sich die Vulva-Form zwar nicht mehr erkennen, aber es bleibt ein delikates Essen – ganz ohne Nervosität.

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