Skip to main content

Frauenbildung ermöglichen

Stille Revolution in Japan

Umeko Tsuda ziert den neuen 5000 Yen-Schein in Japan, umgerechnet 31 Euro. Die Pädagogin setzte sich im 19. Jahrhundert gegen große Widerstände für eine bessere Bildung von Mädchen und Frauen ein. Diese hatten damals kaum Rechte und Möglichkeiten, frei zu leben.

Zusammenfassung

Umeko Tsuda, die 1864 geborene Pionierin der Frauenbildung in Japan, setzte sich trotz vieler Widerstände für die Schulbildung von Mädchen ein. Nach einer westlichen Ausbildung in den USA gründete sie 1900 die Joshi Eigaku Juku, eine der ersten Schulen für Frauen in Japan. Tsuda förderte individuelles Denken und Unabhängigkeit, blieb jedoch in einer patriarchalischen Gesellschaft isoliert. Heute trägt ihre Arbeit Früchte, doch Japans Geschlechtergleichstellung bleibt eine Herausforderung.

Von Eva Casper, Kyoto

Japan hat die Motive auf seinen 1.000 Yen-, 5.000 Yen- und 10.000 Yen-Geldscheinen geändert. Auf einem davon, dem 5.000-Yen-Schein, ist eine Frau abgebildet: Umeko Tsuda. Sie lebte von 1864 bis 1929 und setze sich dafür ein, dass Frauen eine bessere Schulbildung bekommen. Japanerinnen durften damals keine Universitäten besuchen, selbst Mittelschulen für Mädchen waren selten. Für die große Mehrheit endete die Schulbildung nach der Grundschule.

Tsudas Eltern, die aus der hohen Gesellschaftsklasse der Samurai stammten, gingen in dieser Zeit einen äußert ungewöhnlichen Weg: Sie schickten ihre Tochter in die USA als Teil einer Mission der japanischen Regierung, die darauf abzielte, westliches Wissen zu erlangen. Tsudas Vater hatte selbst großes Interesse am Westen und war schon einmal in die USA gereist. Japan hatte sich damals lange Zeit von der Außenwelt isoliert. Auf Druck der USA öffnete sich das Land dem Handel mit anderen Nationen.

Eine westliche Schulbildung erhalten 

Zu sehen, wie andere Länder sich in Japans Zeit der Abschottung entwickelt haben, ließ in der japanischen Regierung die Sorge wachsen, dass ihre Heimat den Anschluss verloren hatte. Die Mission war Teil der Anstrengung, wieder aufzuholen. Tsuda war eines von fünf Mädchen in der Gruppe und mit sechs Jahren die jüngste unter ihnen. Sie sollten als erste Japanerin überhaupt eine westliche Schulbildung erhalten. Zwar hatte die Regierung schon zuvor für Bildungszwecke Kinder ins Ausland geschickt, jedoch ausschließlich Jungen. 

Tsuda wurde von einem Ehepaar in Washington, D.C., aufgenommen und besuchte eine örtliche Schule. Während des Jahrzehnts, das Tsuda in den USA verbrachte, reifte der Wunsch in ihr, die Bildung für Japanerinnen zu verbessern und eine eigene Schule in ihrem Heimatland zu gründen. 1882 – im Alter von 17 Jahren – kehrte Tsuda nach Japan zurück und erlebte zunächst einen Kulturschock. Tsuda sprach kaum noch Japanisch und fremdelte mit vielen Regeln und Gebräuchen ihrer Heimat.

Aufgewachsen in den damals vergleichsweise progressiven USA schockierte sie die Position der Frauen in der japanischen Gesellschaft. In einem Brief an ihre US-Gastmutter Adeline Lanman schrieb Tsuda: „Die Frauen sind komplett abhängig, haben keine Möglichkeit, sich selbst zu unterstützen, da ihnen keine Beschäftigung oder Tätigkeit offensteht, außer dem Lehrberuf, und nur wenige sind für das Lehren ausgebildet oder dazu fähig. Eine Frau kann kein Eigentum besitzen, und ihre Identität wird mit der des Vaters, Ehemanns oder eines männlichen Verwandten verschmolzen. Daher fehlt es völlig an einem unabhängigen Geist.“ 

Unterdrückung der Frauen

Die große Ungleichheit zwischen den Geschlechtern behinderte Tsudas Plan, eine eigene Schule für Mädchen zu gründen. Zudem hatten sich die Verhältnisse in ihrer Abwesenheit verändert. Der anfängliche Wille der japanischen Herrscherklasse nach Reformen war einer Skepsis gegenüber allem gewichen, was als westliche Werte wahrgenommen wurde – darunter auch die Gleichberechtigung der Frau. 

Tsuda ging ihren ungewöhnlichen Weg jedoch weiter, auch wenn sich ihre Hoffnung, aufgrund ihrer Bildung eine hohe Position in der Regierung zu bekommen, nicht erfüllte. Stattdessen arbeitete sie in den kommenden Jahren als Lehrerin und verdiente ihren eigenen Lebensunterhalt. 1885 erhielt Tsuda eine prestigeträchtige Stellung an einer Schule für Mädchen des Hochadels. Doch auch die dortige Arbeit erfüllte sie auf lange Sicht nicht.

Sie kehrte in die USA zurück, um zu studieren und machte 1892 ihren Abschluss in Biologie und Erziehungswissenschaft. Während ihrer Zeit dort baute sie ein Stipendienprogramm auf, das Japanerinnen eine Bildung in den USA ermöglichen sollte. Auch eine Karriere als Forscherin stand ihr offen. Doch Tsuda kehrte nach Japan zurück, um ihren Plan umzusetzen.

Mehr als Englisch lernen

Zur Jahrhundertwende gründete sie schließlich ihre eigene Schule: die Joshi Eigaku Juku (Englischschule für Frauen). Eine Gesetzänderung hatte damals den stärkeren Aufbau von Mittelschulen für Mädchen vorgeschrieben. Es war eine erneute Zeit des Umbruchs. An Tsudas Schule sollten die jungen Frauen in drei Jahren ihren Mittelschulabschluss machen und sich für die staatliche Prüfung vorbereiten können, um Englisch an öffentlichen Schulen zu unterrichten. Doch ging es nicht nur um das Vermitteln der englischen Sprache.

Tsuda verwendete den gleichen Lehrplan wie an Jungenschulen. Ebenso ungewöhnlich war die Lehrmethode: Die Mädchen sollten nicht auswendig lernen, sondern ihre eigene Meinung äußern und mit den Lehrkräften diskutieren. Durch die hohen Ansprüche erlangte Tsudas Schule bald einen guten Ruf. Viele Mädchen bewarben sich um die wenigen Plätze. Dennoch kämpfte die Schule immer wieder mit finanziellen Problemen und Lehrer*innenmangel, was für Tsuda oft Stress und lange Arbeitstage bedeutete. Im Alter von 64 Jahren starb sie. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt ihre Schule den Rang einer Universität, Frauen dürfen in Japan nun studieren und erhalten das Recht zu wählen. 

Auch wenn Tsuda sich für die Bildung von Frauen einsetzte und forderte, diese sollte die gleiche Qualität haben wie die für Männer, war sie keine Verfechterin einer völligen Gleichberechtigung. Sie sprach sich gegen ein Wahlrecht für Frauen aus und vertrat die Ansicht, diese sollten Politik meiden. Tsuda nahm an, dass Frauen politische Rechte erhalten würden, sobald sich sie dafür „würdig erwiesen haben“, schreibt Barbara Rose in ihrem Buch „Tsuda Umeko and women’s education in Japan“.

Einen lauten, aggressiven Protest wie ihn die Suffragetten in den USA und Großbritannien machten, lehnte Tsuda als unjapanisch ab. Die Frauen in Japan arbeiteten „an stillen Orten, in einer ruhigen Art, und sie erreichen dennoch ihr Ziel“, schrieb sie in einem Essay. Tsuda, die selbst nie heiratete und keine Kinder bekam, stellte die Institution der Ehe nicht infrage. Sie wollte, dass Frauen keine Bedienstete ihrer Ehemänner sind, sondern gleichwertige Partnerinnen.

Festhalten an der Institution Ehe

Bildung sollte individuelles Denken bei Frauen fördern. Doch sie bewarb dies auch als einen Nutzen für die Ehe. Eine Ehefrau mit höherer Bildung könne ihre Kinder besser erziehen, glaubte sie. Jedoch war die japanische Gesellschaft damals noch stark landwirtschaftlich geprägt. Je mehr die Industrialisierung und das System der Lohnarbeit in Japan an Bedeutung gewannen, desto mehr betonte Tsuda auch die Wichtigkeit, dass Frauen ihren eigenen Lebensunterhalt verdienten. 

Den Grund für diese ambivalente Sichtweise bei Frauenrechten sieht Rose in Tsudas Standesdenken. Die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten war damals noch sehr ausgeprägt: „Anstatt die bestehende soziale Ordnung herauszufordern, versuchte sie den Einfluss von Frauen aus der Mittelschicht zu vergrößern. Dabei verwechselte sie Einfluss mit echter Macht und Privilegien mit wirklicher Veränderung.“

Die Tsuda Universität in Tokio gibt es noch heute. Auf ihrer Webseite wirbt die Uni mit berühmten Absolventinnen, darunter Toshiko Yamane, Japans erste weibliche Diplomatin, oder Mayumi Moriyama, die erste weibliche Regierungssprecherin. Es ist weiterhin eine reine Frauenuniversität. Mädchen- und Jungenschulen gibt es vor allem in muslimisch geprägten Ländern, aber unter anderem auch in Chile, Großbritannien und Südkorea, so eine Studie des GEM Reports aus dem Jahr 2015 (Opens in a new window).

Dennoch sind auch in Japan gemischtgeschlechtliche Bildungseinrichtungen Standard. Einer Studie vom Education Research Institute of Mukogawa Women’s University zufolge ist die Zahl der Frauenuniverstäten in Japan von 98 im Jahr 1998 auf 75 im Jahr 2021 gesunken. Insgesamt gibt es in Japan knapp 800 Universtäten. Japan hinkt bei der Gleichberechtigung nach wie vor hinterher. Im Index zur Geschlechtergleichstellung des Weltwirtschaftsforums (Opens in a new window) landet es auf Platz 118 von insgesamt 146 Ländern. Deutschland liegt auf Platz sieben.

Grund für Japans schlechtes Abschneiden ist vor allem die ungleiche Verteilung von Macht und Geld. Im Parlament halten Frauen nur rund elf Prozent der Sitze. Japanerinnen verdienen laut OECD (Opens in a new window) im Schnitt mehr als 21 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Im Bereich Bildung schneidet Japan mit einer Parität von 99,3 Prozent jedoch gut ab und landet sogar vor Deutschland. Für Tsuda dürfte das eine gute Nachricht sein. Auch, wenn sie für ihr Engagement einen hohen Preis bezahlen musste.

Ein einsames Leben

Zeit ihres Lebens war sie eine Fremde in ihrer eigenen Heimat – bedingt durch ihre Auslandserfahrung, ihre Bildung, ihre Berufstätigkeit. Auch mit der japanischen Sprache hatte sie Schwierigkeiten, ihr Tagebuch schrieb sie bis zu ihrem Tod auf Englisch. Ihre Familie unterstütze sie und sie habe treue Schüler*innen, schreibt Yoshiko Furuki in ihrer Tsuda-Biografie „The white plum“. „Doch japanische Freund*innen hatte sie nicht.“ Um ihre Ideen und Gedanken zu teilen, habe sie sich stets an Amerikaner*innen gewandt. In Japan führte sie „ein einsames Leben“. 

Der Titel von Furukis Buch verweist auf Tsudas Vornamen: Ume heißt Pflaume auf Japanisch. Ihre Mutter soll ihr den Namen gegeben haben, nachdem sie einen blühenden Pflaumenbaum gesehen hatte. Tsudas Asche wurde auf dem Campus ihrer Schule begraben. Auf dem Grabstein steht ihr Name nicht wie üblich in japanischer Schrift: 津田 梅, sondern in lateinischer: Ume Tsuda.

0 comments

Would you like to be the first to write a comment?
Become a member of DEINE KORRESPONDENTIN and start the conversation.
Become a member