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Thalaris Almanach - Buch 1: Oylien

Teil 16 - Akin

Gartys saß mir gegenüber und verscheuchte die aufgeregte Fina. Sie war herbeigeeilt, kaum dass sich der Staub gelegt hatte, kümmerte sich um die Verletzten und verarztete gerade seine Kopfwunde.

„Schon gut, Fina, mir geht es wunderbar!“, versuchte er es wieder. Fina ließ sich davon nicht beirren.

„Gartys, jetzt bleib ruhig beim brennenden Tagstern. Das blutet noch immer.“

Fina duldete keine Widerworte, also fügte der Sha‘Pan sich.

„Was ist da gerade passiert?“, fragte ich, meine staubige Lunge ignorierend, die meine Worte in einem Hustenreiz enden lassen wollte. Ein weiterer Aspekt dieses Spiels, der mich faszinierte. Ich trank einen Schluck Wasser, eine Wohltat und wartete.

„Das ist eine … lange Geschichte und ich weiß nicht …“, setzte Gartys an. Trotz der anderen Mimik des Vogelmannes, konnte ich sehen, dass ihm dieses Thema sichtlich unangenehm war.

Er versuchte seinen langen Hals regelrecht einzuziehen.

„Asgon war los!“, mischte Fina sich ärgerlich ein. „Der Junge macht nur Unsinn. Seit er da ist, vergeht kein Umlauf, an dem nichts passiert. Überall steckt er seine Nase hinein und prompt geht etwas kaputt.“

„Fina, habe etwas Nachsicht. Du kennst seine Vergangenheit. Was er mit Meleya zusammen durchgemacht hat“, beschwichtigte Gartys. Fina polterte herum, hantierte an seinen Verband und warf dann die Arme in die Luft.

„Mag sein, doch das ist keine Ausrede, sich immer so zu benehmen, wie es beliebt. Hier leben auch andere. Die Vogelfeste ist eine Zuflucht.“

Sie wandte sich zu mir.

„Asgon hat, wie bereits erwähnt, eine schwere Zeit hinter sich. Er war schon immer ein merkwürdiger Junge, das hängt wohl mit seiner Blutlinie zusammen. Als Meleya mit ihm von ihrer Reise zurückkam, nahmen wir ihn auf. Doch eines Tages verschwand er. Als wir ihn fanden, hatte er sich tief in den Tunneln der Vogelfeste verirrt. Beinahe verdurstet war er. Faselte etwas von einer Tür. Das war der Moment, an dem er begann, in der Bibliothek zu suchen. Er schlief dort, er aß dort. Als hätte er zu oft an der Thik‘lash-Brause genuckelt.“

Gartys sprang auf. „Fina, bitte!“

Er wollte noch etwas sagen, doch im Gang draussen ertönten Stimmen. Die Tür wurde aufgeschoben und ein sichtlich außer Puste geratener Uthys trat ein. Er schnappte nach Luft.

„Gartys, Rupert … bitte folgt mir!“

So schnell wie er da war, war er auch wieder verschwunden. Ich stützte den schwankenden Gartys. Zusammen folgten wir dem obersten Bibliothekar.

Die Gänge waren entsetzlich zugerichtet. Risse in Boden und Wänden. Benommene Leuchtkäfer, die flackernd in Nischen hockten. Staub, der nach wie vor von der Decke rieselte. Schutt, der alle paar Schritte zu Bergen aufgehäuft lag. Doch das Schlimmste waren die Leute, die überall herumliefen. Einige wie Zombies, andere panisch. Letztere oft dort, wo Verschüttete vermutet wurden. Das alles war gerade passiert?

Und anstatt helfen zu können, rannte ich Uthys hinterher, darauf hoffend, dass ich endlich loslegen konnte. Bisher hatte ich mehr geredet und zugehört, als das in anderen Spielen der Fall war. Uthys hielt so abrupt vor einer Tür, dass ich fast in ihn hinein gelaufen wäre. Kreisrund und mit Beschlägen, die rot schimmerten und mit schwarzen Adern durchsetzt waren, lag sie tief im Fels verborgen.

„Bitte, geht hinein. Und seid aufgeschlossen für das, was ihr erfahrt.“

Ohne Abschied verschwand der Mann und wir beide standen verloren im Gang. Gartys sah zu mir und löste sich dann aus meiner Stützhilfe. Er drückte leicht gegen die Tür, die geräuschlos aufschwang.

Es war düster. Ein feiner Dunst schwebte über den von Fellen bedeckten Boden. Ansonsten war der Raum leer. „Weißt du, was hier ist?“, fragte ich. Gartys schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nicht einmal, woher diese Tür kommt.“

Das war bemerkenswert. Als Bewohner seiner Heimat, sollte er doch alles kennen, oder?

Vorsichtig traten wir ein, darauf vertrauend, dass Uthys bereits wusste, was uns hier erwartete. Kaum waren wir drin, schwang die Tür zu. Beide schraken wir zusammen und blickten uns unsicher um. Der Raum war ebenso rund wie die Tür. Ich nahm an, dass dies mit der Grundstruktur der Vogelfeste zusammenhing.

„Schuhe aus.“, schnarrte es aus der Dunkelheit. Ich schnappte nach Luft und Gartys krächzte leise. Schnell entledigte ich mich meines Schuhwerks. Gartys hatte nichts dergleichen, weshalb er weiter in den Raum hinein ging.

Der Dunst am Boden wurde von seinen Schritten verwirbelt. Die Dunkelheit an den Rändern des Raumes war ähnlich beschaffen. Wie Nebel, der mal hier und dort durchschaubar wurde.

„Bitte nehmt Platz“, erklang erneut die Stimme, diesmal etwas freundlicher. Ich schloss zu Gartys auf und wir ließen uns auf den Boden sinken. Kaum geschehen, trat eine Gestalt von links aus der Dunkelheit und marschierte würdevoll an uns vorbei. Sie nahm einige Schritte entfernt ebenfalls Platz und starrte uns mit feurig gelben Augen an.

„Das ist nicht möglich!“, schnarrte Gartys.

Die Gestalt schmunzelte. Groß gewachsen, größer als alle hier in der Feste, überragte sie uns selbst im Sitzen. Das lange Haar schlängelte sich kräuselnd über ihre Schultern nach unten und bildete einen kleinen See am Boden. Sie beugte sich nach vorn, was ihr togaähnliches Gewand rascheln ließ.

„Doch, Gartys, es ist wahr!“, antwortete sie. 

„Verehrte Akin, wie … wie kommt ihr hierher?“

Ich riss die Augen auf.

Gartys kannte die Gestalt?

„Oh, ich bin nicht wirklich hier. Genauso wie dieser Raum. Ich habe von Uthys erfahren, was geschehen ist. Und gespürt wurde es auch. An anderen Orten, weniger guten. Ich muss euch etwas mitteilen, nur angesichts dessen nehme ich diesen beschwerlichen Weg auf mich.“

Gartys wippte zustimmend mit dem Kopf.

„Ich verstehe. Das heißt, ihr habt das, was auch immer Asgon getan hat, gespürt?“

Die Akin hob die Hand und deutete auf mich.

„Nicht nur das. Ich habe auch seine Ankunft vernommen.“

Mir fiel beinahe die Kinnlade herunter.

Wie bitte?

„Dürfen … darf … können wir die erfahren, warum Uthys uns hierher brachte?“, stotterte ich. Ich brannte innerlich darauf, endlich weitermachen zu können. Zudem machte mich diese riesige Gestalt nervös. Ich verstand die Zusammenhänge nicht und konnte die Hintergründe nur mühevoll erahnen.

Die Akin lachte.

„Keine Angst, Ruphart. Es gibt keinen Grund, mich zu fürchten. Du wirst deinen Weg erkennen. Doch zuerst möchte ich Gartys etwas mitteilen. Zugegeben, mich hat diese Information selbst überrascht.“

Sie wandte sich dem Vogelmann zu.

„Du bist einer der drei letzten Sha‘Pan, nicht wahr?“

Ihre Stimme wurde leise und sanft, voller Mitgefühl.

Gartys sackte zusammen. Ein krächzender Laut entfuhr seinem Schnabel.

„So ist es, verehrte Akin. Unser Volk hat es nicht geschafft, sich am Leben zu erhalten.“

Tränen funkelten in seinen großen Augen. Gartys senkte den Kopf. Seine Traurigkeit schwappte auf mich über. Ich konnte nicht fühlen, wie es war, sein Volk zu verlieren. Zusehen zu müssen, wie man selbst zu den letzten gehörte. Doch sein Schmerz über diese Tatsache war für mich spürbar.

„Auch meine Zeit wird bald vorüber sein. Dann darf ich die anderen wieder sehen. Zusammen werden wir dann auf dem großen Wind zu unserem Schöpfer Krrakk-kurr reisen und an seiner Seite die Geschicke der Welt beobachten“, wisperte er.

Die Akin beugte sich leicht nach vorn.

„Bis es so weit ist, vergehen noch einige Zyklen. Zuvor kommt dir noch eine Aufgabe zu. Jene, mit welcher ich selbst nicht gerechnet habe.“

Sie schwieg kurz, wartete, bis Gartys sich gesammelt hatte.

„Wie meint ihr das?“, fragte er dann.

„Du, Gartys, wirst der Träger der Botschaft des Krrai-tuoorr“

Es war, als hätte jemand die Luft aus dem Raum gesaugt und würde sie nun mit aller Macht wieder hineinpressen. Gartys richtete sich wie unter Strom stehend auf.

„Das … das ist unmöglich. Verehrte Akin, das könnt ihr nicht ernst meinen! Wir sind die letzten drei. Ohne die Sha‘Jur ist das nicht machbar.“

Die Akin hob die Hand. Allein diese Geste ließ mein Herz rasen. Die Macht, die von diesem Wesen ausging, war unheimlich.

„Es wird passieren. Ich verzeihe, dass du meine Worte anzweifelst. Doch sei gewiss, du wirst die Reise antreten. In zwei Zyklen wirst du beginnen. Die Wanderung wird nicht ohne Verluste einhergehen. Doch du wirst nicht allein sein. Dein Volk muss auferstehen. Es wird dringend benötigt. Du wirst dafür sorgen, dass es bereitsteht.“

Mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich verstand nur die Hälfte von dem Gesagten. Was mir aber klar war: hier wurde gerade ein großes Abenteuer gestartet. Nur wo blieb ich dabei?

Als hätte sie meine Gedanken gelesen, wandte die Akin sich mir zu. Im Augenwinkel sah ich, wie Gartys sich erhob, den Kopf neigte und mir zunickte. Dann verlies er den Raum.

„Es wird sich alles fügen!“, hörte ich seine Stimme plötzlich in meinem Kopf. Die Kraft, die er dabei aussandte, stand jener der Akin in nichts nach. Die lächelte, als ich mir erschrocken an den Kopf fasste. 

Ich sah zu ihr auf.

„Ja, er ist mächtig. Mehr, als er glaubt und andere erfahren sollten“, sagte sie, bevor ich den Mund öffnen konnte.

„Nun zu dir, Ruphart!“

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