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Thalaris Almanach - Buch 1: Oylien

Teil 17 - Systemeingriff

Die Akin starrte mich an, sie erwartete eine Antwort. Die ich ihr gerade aufgrund meines Entsetzens schuldig blieb.

„Ich soll was?“, entfleuchte es mir stattdessen.

In den letzten Minuten hatte sie mir in weitreichenden Details und durchsetzt mit allerlei Rätsel erklärt, was auf mich zukommen würde. Wie meine Aufgabe genau aussah. Alles zusammen besagte, dass ich den Spuren Oylien’s folgen sollte. Die Graubrut wäre erwacht oder zumindest kurz davor. Sie glaubte der Schrift in der Höhle nicht ganz. Aber das, was Asgon ausgelöst haben musste, schien stärker als alles, was sie und alle Akin davor jemals wahrgenommen hatten. Außerdem sollte ich am besten gleich ein Mittel gegen die aufkommende Plage finden. Ganz einfach!

Natürlich klang das alles leicht, es war auch nur gesagt. Worte, gesprochen von einer riesenhaften Frau mit zu langem Haar und gelb glühenden Augen. Ich war derjenige, der alles ausführen müsste.

Eine neue Bannmauer errichten sollte.

All das, mit der Inbrunst der Akin bestätigt, die meinte, was einmal klappte, würde es auch wieder tun.

Ich erfuhr auch, welchen Weg meine persönliche Entwicklung nehmen könnte. Doch die Erschreckendste an allen Erklärungen war die letzte.

„Ich soll sterben?“, wiederholte ich sie laut, um mir der Tragweite vielleicht etwas mehr bewusst zu werden.

Unglaube und Nervosität gepaart mit einer leichten Übelkeit, das gewohnte Gemenge, wenn mir etwas nicht gefiel, breitete sich in mir aus.

Hier galt Permadeath, so hatte es Tutor v1 gesagt. Wieso sollte ich also sterben? Das würde einen Neustart nach sich ziehen. Oder auch nicht. Tutor v1 war da nicht ganz deutlich.

Die Akin nickte.

„So ist es, Ruphart. Du bist bereits verunreinigt. Dein Kontakt mit den Trakk-Spinnen und der Substanz in der Höhle hat dir den weiteren Weg verbaut. Du wirst jedoch alle Kräfte benötigen, für das, was kommt“, erklärte sie.

Sie erhob sich. Ich tat es ihr gleich.

„Nun, wenn ihr euch da sicher seid, wie soll das vonstattengehen?“, fragte ich, vorsichtig zu ihr aufschauend.

„Auf diese Weise.“

Ansatzlos bewegte sie sich, stand plötzlich vor mir und gab mir einen kräftigen Stoß gegen das Brustbein. Ich kippte. Eine Lichtwelle raste durch meinen Körper, ein scharfer Schmerz durchzog meinen Kopf.

Dann übergab ich mich in die Kapsel.

Etwas brannte mir in den Augen, dann in der Stirn. Es fühlte sich an, als hätte ich einen Schlag gegen die Nase bekommen. Mein Gleichgewichtssinn gab auf und ich übergab mich erneut.

Hektisches Klopfen auf der Kapselhülle riss mich wieder nach oben.

„Alles in Ordnung“, krächzte ich heißer.

Das bioaktive Gel löste gerade den Rest meiner Hinterlassenschaft auf und wurde durch den Gitterboden sanft abgesaugt.

Es klickte, die Gurte lösten sich und der Helm fuhr endgültig nach oben. Ich hatte nicht gemerkt, dass er nicht mehr auf meinem Kopf saß. Aber sicher, das Notsystem musste greifen, hatte es auch.

Mein Anzug war fast trocken, als sich die Tür öffnete und mein Team fassungslos zu mir in das Innere starrte.

„Hi Leute, alles klar?“, fragte ich gegen das grelle Laborlicht blinzelnd.

„ARTOS, reduziere das Licht“, wies Tamara die KI an. Es wurde dunkler und meine Augen konnten sich besser an das Licht gewöhnen. Die anderen starrten weiter in die Kapsel, was mich verunsicherte.

„Was ist los? Warum schaut ihr so?“, fragte ich.

„ARTOS, wie lange war Rupert im Spiel?“, rief Sean, der mich leicht besorgt ansah, was für ihn eher ungewöhnlich war.

„Rupert war genau drei Tage und sechs Stunden im Spiel.“

Mir fiel die Kinnlade herunter. Wie konnte das sein? Wir hatten Mechanismen eingebaut, die das verhindern sollten. Die gesundheitlichen Schäden waren noch nicht absehbar. Auch wenn die Raumfahrt anderes versprach.

„ARTOS, die Grundeinstellung besagt, dass die Kapsel eine Zeit von acht Stunden nicht überschreitet. Warum war ich also so lange in der Kapsel?“

Schweigen.

„ARTOS, warum habe ich die Zeit so extrem überschritten?“, versuchte ich es anders.

Wieder nichts. Tamara sah in die Runde, doch alle zuckten die Schultern.

„ARTOS, nach welcher Maßgabe hast du die Verweildauer im Spiel definiert?“, änderte ich meine Strategie.

„Die Verweildauer entspricht der vom Forschungsteam unter dir und Tamara vorgegebenen Zeit“, antwortete die KI endlich. Dass sie falsch lag, war ersichtlich.

„ARTOS, überprüfe deine Fehlerprotokolle, deine Aussagen widersprechen sich.“

„Meine Aussagen sind korrekt. Die Verweildauer wurde nicht konkret eingeschränkt. Wie Tutor v1 dir sagte, wirst du so lange im Spiel belassen, wie deine Vitalparameter keine andere Entscheidung nötig machen“, erwiderte die KI. Langsam beschlich mich ein seltsames Gefühl. Das Gleiche wie vor meinem Start. Etwas stimmte hier nicht, aber ich kam nicht darauf.

„ARTOS, wurden die Richtlinien verändert?“, fragte Sean.

„Darauf kann ich keine Antwort geben“, entgegnete die KI. Wir sahen uns verdutzt an. Tamara schaute zu Wilma, die hektisch am PC arbeitete.

„Wann wurde laut deinen Protokollen ein Systemeintrag vorgenommen, der unseren Richtlinien nicht entspricht?“

Clever, Wilma umging die Ausweichroutine von ARTOS, die uns nicht überraschte. Sozial Interkation beinhaltete leider auch Flunkern und in extremen Fällen lügen. Wie er das machte, das war alles andere als klar. Er hätte niemals auf diesem Weg antworten dürfen.

„Laut den Protokollen ist der erste Systemeintrag am 28. August 2037 zu verzeichnen“, erläuterte ARTOS. Wilma sah auf und runzelte die Stirn. Dann schob sie ihre widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr, ein Markenzeichen von ihr. Nervös auf der Unterlippe kauend, tippte sie etwas ein.

„ARTOS, gibt es einen weiteren Eintrag?“, fragte sie dann.

„Der zweite und letzte Eintrag fand am 16. Januar 2039 statt“, gab die KI zurück.

Ich sprang aus der Kapsel und deutete Sean an, mir zu folgen. Ich schwankte kurz, fing mich aber schnell. Die Aufregung war zu groß, um jetzt Schwächen nachzugeben.

Er winkte die anderen hinter sich her und zusammen verließen wir das Labor. Wir schwiegen, bis wir weit außerhalb der von ARTOS „bewohnten“ Etagen ankamen. In einem leeren Büro versammelten wir uns. Anne, die bisher still gewesen war, brach als Erste ihr Schweigen.

„Das erste Datum war noch in Nevada. Die Abschiedsfeier von unserem dortigen Team. Drei Tage bevor …“

Sie vollendete den Satz nicht. Wir alle wussten, was damals geschah. Oder glaubten es, nachdem, was wir aus dem eben erfahrenen vermuteten.

„Wollt ihr damit andeuten, dass Hiroki damit zu tun hat?“, fuhr ich auf. Ich wollte nicht glauben, was die beiden Angaben mit den Umständen an den Tagen und Hiroki gemein haben könnten.

„Denk doch mal nach, Rupert“, forderte Sean mich auf. „Hiroki war an beiden Tagen nicht anwesend. Wir waren an beiden Tagen nicht in den Laboratorien oder auf dem Gelände. Die Abschiedsfeier und dann der Ausflug vor dem letzte Run für den Marktstart.“

Ich schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein, es durfte nicht sein. Hiroki würde niemals das System manipulieren. Er hätte nicht die Fähigkeiten dazu. Das Problem war jedoch, dass er ebenfalls die Masterfreigabe hatte. Nur er und ich konnten das System aktivieren und Änderungen freigeben. Dank ARTOS’ Sprachsteuerung konnte vieles angewiesen werden, ohne dass ein Spezialist anwesend war. Wir hatten keine Sicherheitsroutine eingebaut, die verhinderte, dass solche Änderungen ohne zweite Bestätigung durchgeführt werden konnten.

„Ich rede mit ihm!“, sagte ich und sprang auf. Wilma hielt mich zurück.

„Wenn du das tust, dann frag ihn, ob die beiden Quantencomputer bereits angeschlossen sind.“

Ich runzelte die Stirn. Wir waren keine Experten für die Technologie, daher hatten wir weder mit den beiden Computern noch mit den Kristallspeichern zu tun. Beides sollte in den Etagen im Keller eingebaut werden, die eine spezielle Abschirmung erhalten hatten.

„Ihr meint wirklich, dass er uns derart hintergangen hat?“

Ungläubig sah ich zwischen meinen Freunden hin und her. Tamara nickte. Sean spielte mit seinem Kugelschreiber. Anne und Wilma verschränkten die Arme und nickten schweigend.

„Euch ist klar, dass er seine Gründe haben könnte? Er ist der Boss dieses Unternehmens. Er trifft die letzte Entscheidung für alles!“, versuchte ich die anderen milde zu stimmen.

„Rupert, keiner verurteilt Hiroki aktuell. Aber du musst zugeben, dass sein Verhalten nicht in Ordnung ist. Er hat bisher alles abgesprochen. Wenn er es war und nur er kann verantwortlich sein, du kennst unser System, dann will ich wissen warum!“

Ich schnappte nach Luft. Alle Anspannung, jeder Widerstand floss aus meinem Körper. Ich hockte mich auf den Stuhl und sackte zusammen. Sie hatten recht, alle hatten sie recht. Ich würde das klären müssen. Ich war am geeignetsten. Schnaubend erhob ich mich, strich meinen Anzug glatt, den ich noch immer trug und ging zur Tür.

„Wir werden sehen, was er zu sagen hat.“

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