21. November - No Music Day - Ist Musik-Konsum ein Privileg?
Dieser Tag wurde von Bill Drummond ins Leben gerufen, um sich selbst und uns zum Nachdenken anzuregen, wie wir Musik konsumieren. Gerade heutzutage werden wir in Läden durchgehend mit Musik beschallt, mittlerweile gibt es sogar einen U-Bahnhof in Berlin, in dem Musik gespielt wird, um uns Stadtneurotiker:innen zu entspannen.
Ich erinnere mich noch gut an meine Zeit als Aushilfe bei Schlecker, Anfang der 2000er, als ich durchschnittlich 6 Stunden lang mit Werbeschleifen und dessen Musik terrorisiert wurde. Gerade zur Weihnachtszeit versuche ich weitestgehend nicht zu shoppen, um bestimmte Titel, die einem nach einmaligem Hören, einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen, zu vermeiden.
Eigentlich hätte ich heute eine weitere Folge meines FLINTA* aus der Musikindustrie Podcasts veröffentlichen müssen, aber ich habe es bisher nicht geschafft. Der 21. Juni ist als Fête de la Musique Tag bekannt, an dem ich meinen Podcast 2022 startete und eigentlich immer am 21. des Monats eine neue Episode veröffentlichte. Nun erfahre ich, dass der 21. November als No Music Day ein antithetischer Akt sei, genau vor dem Fest der Heiligen Cäcilia, der Schutzpatronin der Musik.
Was ist also mein Verhältnis zu Musik? Das selbst Singen und Musik machen hat mir in meinem Leben Kraft gegeben und mich teilweise auch gerettet. Musik war bisher für mich Inspiration und Medizin zugleich. Mein Konsum wurde durch meine Finanzen beschränkt. Ich besaß in den 90ern wenige Kassetten und CDs. Meine ersten drei Kassetten hatte ich mir im Ferienlager in Polen bei einem Marktstand gekauft. Das war solch ein Oktagon-förmiges Häuschen, und in den Fenstern waren alle verfügbaren Kassetten drapiert. Ich kaufte mir ein Jubiläumsalbum von Queen, eine Anthologie von Janis Joplin und das Album »Mama Said« von Lenny Kravitz.
Lange Zeit besaßen wir keinen CD-Player, bis wir eine kleine Anlage geschenkt bekamen. Um irgendeine eigene CD zu besitzen, ging ich zu Saturn und kaufte mir die Single »Beetlebum« von Blur mit vier Liedern, was ich mir von meinem Taschengeld gerade so leisten konnte. Ich weiß noch genau, wie ich vor der Anlage auf dem Teppich im Wohnzimmer saß und diese Single-Auskopplung immer wieder von Neuem hörte.
Alle weiteren CDs, die ich besaß, hatte ich mir zu Feiertagen gewünscht. Ich kann mich noch genau an fünf CDs erinnern, die ich auf Wunsch geschenkt bekam und mich Ende der 90er begleiteten. »Tidal« von Fiona Apple, »Adore« von The Smashing Pumpkins, »One Hot Minute« von den Red Hot Chili Peppers, »Under the Pink« von Tori Amos und der Original Soundtrack des Films Romeo + Julia von 1996.
Trotz allem dominierte die Kassette meinen Musikkonsum, da ich eine Kopie eines Sony Walkmans besaß und mir Lieder, die im Radio gespielt wurden, aufnahm oder Kassetten aus der Bezirksbibliothek kopierte. Ich kann mich noch genau erinnern, das Lied "Jein" von Fettes Brot eine ganze Kassettenseite lang hintereinander aufgenommen zu haben, damit ich das Lied auf meinem Schulweg hören kann, ohne wiederholt zurückspulen zu müssen.
Während des Abiturs kaufte ich mir dann einen Sony Disc-Player und baute mir in meinen ersten Computer ein CD-Brenner Laufwerk ein. Ich leistete mir ein paar Konzertkarten und ging für damalige Verhältnisse in voller Vorfreude zu einem Radiohead-Konzert im Velodrom. Danach schwor ich mir, nie wieder zu Konzerten in dieser Größenordnung zu gehen, um dann die Musiker live auf einem großen Bildschirm zu sehen, weil sie klein wie Ameisen auf der Bühne zu sehen sind.
2001 kaufte ich mir dann gebraucht einen Mini-Disc, um dort mehrere Alben auf einer Mini-Disc zu hören und dann kamen auch schon die ersten MP3 Player. Einen iPod konnte ich mir nicht leisten, also blieb es bei den No-Name-Alternativen. Dann kamen die ersten Streaming-Dienste, bis es uns in Deutschland verboten war hatte ich den Pandora Music Player auf meinem Computer zu laufen.
Im Jahr 2012 wurde ich auf Spotify aufmerksam und bezahlte den Streamingdienst, da ich über die Nachteile für Musik:innen nicht nachdachte. Ich fand es unheimlich inspirierend, Zugriff auf meine Lieblingsmusik der 90er zu haben und Musik vorgeschlagen zu bekommen, die meinem Hörverhalten entspricht.
Ich höre Musik: zum Entspannen; im Hintergrund, wenn Besuch da ist; zur Berieselung bei der Arbeit am Computer (gerade aber nicht, denn heute ist No-Music-Day); als Hörtraining für mich als Sängerin; auf langen Reisen; um in "the sexy mood" zu kommen; mich beim Weinen zu unterstützen, aber auch aus einem emotionalen Tief herauszuholen. Ich höre so gut wie immer Musik, wenn ich in der Stadt unterwegs bin, um die Reize von außen zu reduzieren und somit meinen emotionalen Haushalt zu regulieren. Es gibt auch viele Tage, an denen ich gar keine Musik höre, auch nicht zu Hause, weil ich gar kein Ohr dafür habe, nicht einmal zum Berieseln lassen. Mittlerweile bin ich bei keinem Streaming-Dienst mehr angemeldet, weil ich gern Musiker:innen direkt unterstützen möchte, indem ich ihre Musik kaufe.
Ich höre also wieder vermehrt Radio, allerdings im Internet und leider bestimmte Titel und Musik über YouTube. Wie in den 90ern ist es für mich auch eine finanzielle Frage, ob man und wie man sich das Konsumieren von Musik leisten kann. Ich möchte nämlich eigentlich, dass mein bisher weniges Geld direkt an die Musiker:innen gelangt. Dem bin ich aber offensichtlich nie wirklich gerecht geworden und noch heute schränkt mich meine finanzielle Lage ein. Ist es nicht auch ein Privileg, Musik live oder aus der Dose zu hören und gleichzeitig Musiker:innen für ihre Arbeit bezahlen zu können?
Es fühlt sich richtig mies an, erstens für meine Auftritte Geld einzufordern, selbst aber als Konsumentin nicht die finanzielle Bewegungsfreiheit zu haben, Kolleg:innen gebührend zu entlohnen. Ich bin mir sicher, diesbezüglich nicht allein zu sein.
Ich habe für dieses Dilemma keine sofortige Lösung parat. Das Einzige, was mein Gewissen beruhigt, ist die Gewissheit, dass ich zukünftig, wenn ich das Geld habe, es auch weitergebe. Alben direkt bei den Musikschaffenden auch in digitaler Form kaufe und Konzerte besuche.
Berlin, 21.11.2023 Zoey Zoley