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Millerntor Gallery 2022

„Zeichnet einander“ steht in Englisch über einer runden Öffnung in einer bunten, fotoautomat-ähnlichen Kabine. Auf beiden Seiten der Trennwand innen gibt es einen Stuhl und davor eine Ablage mit Papier und Stiften. Durch die Öffnung kann man das Gesicht der Person auf der anderen Seite sehen. An den Wänden kleben Zeichnungen, die bereits gemacht wurden.

Das war das erste, was ich von der diesjährigen Millerntor Gallery am 23. Juni mitbekommen habe und was sofort Begeisterung ausgelöst hat.

Der Begriff „Millerntor Gallery“ hat bei mir bisher eine Überforderung ausgelöst. Zu viel Musik, zu laut, zu viele Menschen, zu viel Kunst … 2019 war ich auf der Letzten und kann mich kaum daran erinnern. 2022 war es auf einmal ganz anders. Ich weiß nicht, ob meine Einstellung zu solchen großen Events sich durch die Pandemie verändert hat, oder ob ich durch das Reportagen-Schreiben seit fast einem Jahr mich mehr und besser mit Veranstaltungen und ihren Veranstalter:innen auseinandersetze. 

So lief ich dieses Jahr viel aufmerksamer rum, habe Dinge wahrgenommen, versucht, hinter den Sinn der Perfomances oder Aussagen zu kommen und habe zugehört bzw. genauer hingeschaut.

Ein anderes absolutes Highlight für mich – der Poetomat. An der Frontseite eines schwarzen Kastens sind zwei Schlitze eingelassen. In den ersten schiebt man einen Zettel mit einem beliebigen Begriff und drei Euro. Aus dem zweiten kommt etwas später ein handgeschriebenes Gedicht zu dem Begriff. Jemand saß also ca. fünf Stunden darin und hat ununterbrochen Gedichte zu zufälligen Worten improvisiert. Irgendwann klebte Zettel dran "Überforderung", aber der Gedichtsstrom hat nicht nachgelassen. 

Ich habe eine "Feder" in den Eingabeschlitz geschoben. Aus dem Ausgabeschlitz kam etwas später Folgendes:

So weich
So zart
auf deiner Haut
bewegt sie sich neckend
du seufzt entzückend laut.
Du blickst mich an
deine Augen ganz glasig …
men Verstand setzt aus.
Ich schwinge die Feder
so weich
so zart
dieser Abend wird ein Festmahl.

Die Millerntor Gallery wurde 2011 von den Aktivist:innen der Viva-con-Agua-Organisation und vom Fc St.Pauli zum ersten Mal veranstaltet als „die erste soziale Kunstgalerie mit dem Ziel, jungen Künstler:innen eine Plattform zu bieten und einen Teil der Gewinne in sauberes Trinkwasser umzuwandeln.“*

„Kunst, Musik, Fußball und der gute Zweck sind perfekt zu kombinieren.“*

Dazu eine Vorgeschichte: Vor ca. 16 Jahren ist mitten in St.Pauli in einer WG die Idee geboren, Menschen, die keinen sicheren Zugang zu Trinkwasser haben auf der ganzen Welt zu unterstützten.

Aus dieser Idee wird eine weltweit bekannte und erfolgreiche Organisation, die Spenden sammelt um Brunnen, Sanitäranlagen und Verbindungen zu bauen an Orten, die es dringend brauchen: Südamerika, Afrika, Asien, aber auch in den USA und in Europa. Vielleicht hast Du schonmal was von "Go Banyo" gehört, oder einen Linienbus mit der Aufschrift gesehen. Das sind mobile Waschbuse, die obdachlose Menschen zum Duschen nutzen können. Während der Pandemie stand so ein Bus jede Woche auf dem Fischmarkt. 

… oder die Aktion mit Schwarz-Weiß-Fotos, auf denen prominente Leute aus der ganzen Welt ein Pappschild vor sich hinhalten mit einer simplen Aufschrift „Water is a human RIGHT“

… oder vielleicht schon mal Klopapier gekauft mit einem „Freak“ – ein vom hamburger Streetart-Künstler Rebeltzer gestaltetes Charakter – und dem Begriff „Goldeimer“ drauf. Die Einnahmen von dem Verkauf gehen für die Errichtung von Sanitäranlagen in Afrika.

… oder vielleicht hast Du schon die eine oder andere Wasserflasche von Viva con Agua gekauft mit dem typischen blauen Logo – ein Tropfen, in dem sich die Kontinente spiegeln – und der Aufschrift „laut“ oder „leise“ für Sprudel oder Still.

In der letzten Schulwoche hat in der Schule meines achtjährigen Sohnes ein Spendenlauf von Viva con Agua stattgefunden, bei dem mein Kind 77 Euro alleine zusammengelaufen hat. 

2014 liefen die ersten 23.000 Schüler:innen aus 53 Städten für sauberes Wasser.*

Aber Viva con Agua und die Millerntor Gallery  stehen nicht nur für Wasser und sicheren Zugang zu Sanitäranlagen.

„Wir sind für Vielfalt und Gleichberechtigung, gegen Rassismus, Sexismus und alle anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung. Wir glauben an Verbindung, Vernetzung und Solidarität und dass alle davon profitieren können.“*

Die Millerntor Gallery ist ein Teil davon. Und so ist sie organisiert – vernetzend, verbindend, eine Plattform für Menschen, die bisher keine oder kaum hatten.

Das Millerntor-Stadion der FC St.Pauli auf dem Heiligengeistfeld wird für vier Tage zu einem Ort für Kunst, Musik, Lesungen, Talks, Workshops, Essen, Trinken, Sichtreffen, oder -inspirierenlassen, Kickern und viel mehr. 

Meine Überforderung angesichts solcher Fülle ist einer Bewunderung gewichen und der Freude, dass es sowas gibt. Das einzig Blöde dabei – ich habe noch nichts dazu beigetragen, ausser Wasser und Klopapier zu kaufen – das ändere ich jetzt! 

Viva con Agua, ich bin für euch da und unterstütze, wo und wie ich nur kann!

Weisst Du auch etwas über die Millerntor Gallery oder Viva con Agua? Erzähle es mir, ich freue mich über Deine Mail!

Tschüss und bis nächste Woche!

Julia Zeichenkind 

Spendenkonto:
Viva con Agua de Sankt Pauli e.V.
IBAN: DE58 2005 0550 1268 1352 81

* Quellen:
Jubiläumsbuch "Water is life. 15 Jahre Viva con Agua", ISBN: 978-3-8419-0758-5

https://www.youtube.com/watch?v=77daLL8oOek (Öffnet in neuem Fenster)

https://www.millerntorgallery.org/ (Öffnet in neuem Fenster)

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