Ins Weiße Haus dank „Incel Vote”
Liebe Leser:innen,
warum eigentlich geht Donald Trump zum Martial-Arts-Boxkampf und dreht dort Tiktok-Clips (Öffnet in neuem Fenster)? Wieso lässt er sich vom halbrechten Youtuber Adin Ross (Öffnet in neuem Fenster) einen Cybertruck schenken? Und hat er nichts Besseres zu tun, als sich an einem Dienstagabend mit 45 Minuten Verspätung mehr als zwei Stunden lang von Elon Musk auf X (Öffnet in neuem Fenster) bekichern zu lassen, während der Multimilliardär auf dem Niveau eines nervtötenden Elftklässlers im Politikunterricht argumentiert („Hiroshima und Nagasaki sind heute wunderschöne Städte, so furchtbar schlimm sind Atombomben nun nicht.”)?
Die Antwort ist einfach: So erreicht Trump die jungen, unzufriedenen und verunsicherten Männer. Blicken wir heute also darauf, mit welchen Zielgruppen und mit welchen Mitteln Trumps Team glaubt, die Wahl für ihn entscheiden zu können.
Let's go.
VERSTEHEN
Trump und die enttäuschten jungen Männer – ist jeder neunte Wähler Teil des „Incel Vote”?
Die Republikaner-Strategie 2024 funktioniert anders als noch vor wenigen Jahren. Trumps Team weiß, dass die harsche Anti-Abtreibungspolitik viele Vorstadtfrauen vergrault hat – sie haben es aufgegeben, diese Wählerinnen zurückzugewinnen. Ausgleichen sollen es nun junge Männer, gerne auch Schwarze oder mit Latino-Hintergrund.
Wer deren Umgang mit Politik (Ablehnung, Desinteresse und rituelles Pöbeln mit viel Elitenskepsis als „Devil’s Advocate“) und Medienkonsum (nachrichtenmüde, keine Massenmedien, stattdessen Gaming-Umfelder und dubiose Maskulinisten in sozialen Netzwerken) kennt, versteht plötzlich Trumps aktuelle Kommunikationsstrategie.
Er versucht all die Enttäuschten und Verunsicherten anzusprechen, die sich eher auf Twitch als im wahren Leben bewegen und denen Dates verwehrt werden, weil sie das neue Selbstbewusstsein von Frauen ablehnen. Wer sich vom Testosteron-Gerede von Joe Rogan und Jordan Peterson einlullen lässt, für den ist es nicht weit bis zum „Katzenfrauen“-Gejammer von JD Vance.
Die Trump-Kampagne glaubt, dass diese Gruppe riesig ist: Elf Prozent der gesamten Wählerschaft gehöre zu ihnen und sie würden bisher nicht angesprochen, sagten sie zuletzt Journalisten, unter anderem von AP (Öffnet in neuem Fenster). Solange Joe Biden noch an Bord war, hat die Ansprache funktioniert, sie war gut zugeschnitten auf die jungen Männer . „Biden ist schwach, Trump ist stark“, latuete die einfache Botschaft – schaut nur, wie er nach dem Attentat die Faust reckt!
Doch der Aufstieg von Kamala Harris zeigt, welche riskante Wette in dieser Strategie steckt und dass die Republikaner keine Anwort auf Harris haben.
Erstens wirken plötzlich die Demokraten so, als hätten sie das frischere und stärkere Angebot. Die inklusive und warmherzige Männlichkeit von Tim Walz erinnert viele an ihre Lieblingslehrer und Nachbarn. Gemeinsam mit der selbstbewusst-fröhlichen Harris entsteht eine andere Atmosphäre und eine Frage an die noch Erreichbaren: Hättest Du nicht auch lieber Lust, mit Spaß für die Zukunft zu kämpfen, anstatt Dich dauernd ängstlich nach der Vergangenheit zu sehnen?
Zweitens gilt diese Wählergruppe, von Amanda Marcotte bei Salon (Öffnet in neuem Fenster) als „Incel Vote“ bezeichnet, als unzuverlässig. Gerade junge Leute sind schwer zur tatsächlichen Stimmabgabe zu überreden, gehen in anderen Bundesstaaten zum College und sind zum Wahltag nicht daheim oder sie entscheiden sich in letzter Minute eben doch für eine andere Stimmabgabe, weil sie der Kampfgeist von Kamala Harris an geliebte weibliche Vorbilder in ihrer Nachbarschaft und Familie erinnert.
Schon jetzt schaut es so aus, als könnte Trump sein Haus auf Sand gebaut haben: Die von Promis unterstützte Won’t PAC Down wendet sich exakt an diese Altersgruppe und deren Umfrageergebnisse (Öffnet in neuem Fenster) zeigen, dass Harris die Enthusiasmus-Lücke von Biden unter Jüngeren längst aufgeholt hat – und ein zusätzlicher Aufschwung nach der Nominierung von Walz war in den Daten noch gar nicht enthalten. Der New Yorker (Öffnet in neuem Fenster) beobachtet eine ähnliche neue Begeisterung unter jungen Wähler:innen.
VORAUSSCHAUEN
Harris aus der Nähe
US-Traditionsmedien jammern immer lauter darüber, dass ihnen Kamala Harris nicht ausreichend für Fragen zur Verfügung stehe und keine Interviews gebe. Sie hat nun angekündigt, dass es noch vor Ende des Monats ein größeres Gespräch geben soll.
Außerdem will sie am Freitag ihre Ziele in der Wirtschaftspolitik vorstellen. Konkret soll es vor allem um Inflationsbekämpfung und hohe Lebenshaltungskosten gehen, schreibt CBS (Öffnet in neuem Fenster). Auch dieser Termin wird sicher genau unter die Lupe genommen, denn während der vergangenen drei Wochen hatte sich die 59-Jährige kaum Zeit genommen, ihre konkreten Vorhaben zu erläutern.
Spannend wird auch sein, wie Harris kommende Woche ihre Rede beim Nominierungsparteitag aufteilt: mehr Biografisches, um sich bei den Wähler:innen neu vorzustellen oder mehr konkrete Ziele, um vielleicht auch auf inhaltlische Kritik in der Wirtschafts- und Einwanderungspolitik Antworten zu geben?
VERTIEFEN
„What’s Next?“ – Ein neues Buch blickt hinter die Kulissen von „The West Wing“
Es ist nun 25 Jahre her, dass zum ersten Mal die Kameras um Leo McGarry wirbelten und zeigten, wie er durch die endlosen Gänge des Weißen Hauses stürmt, während er unzählige schnelle Gespräche mit seinen Kolleg:innen führt. Die Kamerafahrt (Öffnet in neuem Fenster) rund um den fiktionalen Chief of Staff eines Demokraten-Präsidenten sollte zu einem stilbildenden Mittel werden, das Fans unmissverständlich zeigte: Hier läuft „The West Wing“.
Geprägt von den schnellen, smarten und teils etwas zu selbstbewussten Drehbüchern von Aaron Sorkin zählt die Serie über den von Martin Sheen gespielten Präsidenten Jeb Bartlet noch heute zur Lieblings-Fanfiction von Politikfans auf der ganzen Welt. Kein Wunder, sind hier doch die hochrangigen Mitarbeiter:innen des Präsidenten so ehrbar, witzig und blitzschnell im Kopf , wie man es selbst gerne wäre. „West Wing“ wurde zu einer stilprägenden Show und einem Wegbereiter für heutiges Prestigefernsehen, das eine ganze Generation junger Zuschauer:innen weltweit an Politik herangeführt hat und sogar eine an Barack Obama erinnernde Figur vorweg nahm.
Nun gibt es ein neues Buch (Öffnet in neuem Fenster) zu diesem Meilenstein, geschrieben von Melissa Fitzgerald und Mary McCormack, zwei ständigen Nebenrollen der Serie. Es basiert unter anderem auf mehr als 100 Gesprächen mit Beteiligten, legt einen Schwerpunkt auf die Erinnerungen des Ensembles und beleuchtet ausführlich, wie „The West Wing“ das Gemeinwesen der USA verändert hat – viele der Schauspieler:innen engagieren sich heute haupt- und nebenberuflich in NGOs.
ANDERSWO
Neue Arbeit von mir an anderer Stelle
In der neuesten Podcast-Folge von „Bei Burger und Bier“ (Öffnet in neuem Fenster) blicken Kollege Bastian Hartig und ich ausführlich auf Tim Walz und JD Vance. Wir stellen die Biografien und Ziele der beiden Vize-Kandidaten vor – und fragen uns, wie sie um das vorherrschende Männerbild in den Vereinigten Staaten streiten.
https://burgerundbeer.podbean.com/e/walz-vs-vance-%e2%80%93-was-wollen-die-beiden-vize-manner/ (Öffnet in neuem Fenster)Im neuen US-Radar-Newsletter (Öffnet in neuem Fenster) beim RND denke ich darüber nach, was eigentlich genau für Donald Trump gerade schiefläuft und ich kratze mir am Kopf über den berühmtesten Goldfischteich von New York.
Keine Lebenszeit zurück bekomme ich für die drei Stunden, die ich gestern mit dem verspäteten Gespräch zwischen Donald Trump und Elon Musk verbracht habe. Die knifflige Aufgabe, ebenfalls vom RND (Öffnet in neuem Fenster): Schreib einen Faktencheck!
Weil ja sicher inzwischen alle von uns mit dem erneuten Durchlauf von „Veep“ durch sind und ich schon vergangene Woche „Friday Night Lights“ gewürdigt habe, als Rausschmeißer nun also die absolute Empfehlung von „The West Wing“!
Best from NYC,
Christian
PS: Solltet ihr „WTH, America“ von Freundin oder Feind weitergeleitet bekommen haben, könnt ihr selbst hier den