Über die Freude, Trump in den Hintern zu treten
Liebe Leser:innen,
geht es nach Donald Trump, dann wird Tim Walz „Die Hölle auf Erden loslassen“. Damit meint er diesen Mann:
Kamala Harris zeigt mit ihrer Nominierung von Minnesotas Gouverneur zum Vizepräsidentschaftskandidaten, welchen Ton sie setzen möchte: Bei uns bekommt ihr von Kindern umringte Freude über ein neues Gesetz, das kostenloses Frühstück und Mittagessen an öffentlichen Schulen bereitstellt – und ihr kriegt den Spaß, ein Ferkel zu halten. Die andere Seite bietet Angst, den Kampf, die Vergangenheit wiederzubeleben und düstere Panikmache.
Bisher funktioniert diese Rhetorik fantastisch und ich glaube, dass gerade die oft kindlich begeisterten Amerikaner anfällig für diese Art von frischem Wind sind.
Nachdem es vergangene Woche um die rhetorischen Tricks von Donald Trump ging, widme ich mich heute auch dem neuen Sound der Demokraten. In drei kurzen Gedanken will ich erklären, warum ich Walz für eine gute Wahl halte.
Let's go.
VERSTEHEN
Walz ist noch einer, der lacht
Schon die Fotos zu Beginn zeigen es: Von Tim Walz gibt es verdammt wirksame positive Bilder – wann hat man bitte zuletzt Donald Trump lachen sehen?
Diese Ausstrahlung teilt Walz mit Harris. Bei seinem Auftritt gestern mit Kamala Harris hat Walz mehrfach betont, wie toll es sei, mit einer Frau antreten zu können, die „einfühlsam“ und einfach „voller Freude“ sei. „Thanks for bringing back joy“, hat er gesagt und damit unterstrichen, dass es sehr wohl möglich ist, Begeisterung und ernsthafte Arbeit zu vereinen. Walz verknüpft diese Freude auch noch mit dem für viele Trumphasser attraktiven Gefühl, dass er es kaum abwarten kann, der Gegenseite in den Hintern zu treten.
Journalistin Amanda Marcotte war gestern sowohl bei JD Vance als auch bei Walz und Harris. Sie schrieb hinterher bei Bluesky (Öffnet in neuem Fenster): „Als ob ich eine verbitterte Scheidungs-Selbsthilfegruppe für Männer verlassen hätte, um zu einem Taylor-Swift-Konzert zu gehen.” Ihren kompletten Bericht gibt es bei Salon (Öffnet in neuem Fenster).
Die Demokraten sind damit gerade dabei, die grummelnden und fuchtelndem Männer der Gegenseite mit einem Lächeln und einem Kopfschütteln zu entlarven. Es muss die Republikaner wahnsinnig machen, dass ihrem düsteren Gerede so begegnet wird.
Nach chaotischen Jahren unter Trump, nach der lähmenden Corona-Krise und nach den ernsten Mahnungen Joe Bidens vor dem Ende der Demokratie ist diese kämpferische Freude meines Erachtens das Killer-Argument, das die Demokraten zum Sieg führen kann.
Walz ist ein richtiger Mann – und damit eine Bedrohung der Konservativen
Gestern sind mir zudem mehrere Kommentare aufgefallen, die loben, für welches Männlichkeitsbild Walz steht. Harris hat nicht ohne Grund seine Biografie nachgezeichnet: verdienter Nationalgardist, einfühlsamer Lehrer, erfolgreicher Footballtrainer. „Coach Walz“ (auch so ein smart gewählter Begriff) nehme alle mit und sehe das Potential in ihnen, sagte sie.
Harris erzählte auch, dass Walz an seiner Schule der Verbindungslehrer für die schwullesbische Schülergruppe war. Ich habe mir das hinterher genauer angeschaut und man muss sich das noch einmal klar machen: Wir reden von einer ländlichen Highschool in Minnesota im Jahr 1999, einer Zeit, in der die Mehrheit der Amerikaner gleichgeschlechtliche Liebe für „moralisch falsch“ hält, ein Jahrzehnt bevor Schwule und Lesben im Militär dienen dürfen und drei Jahre nachdem Bill Clinton auf Bundesebene beschlossen hat, dass Bundesstaaten gleichgeschlechtliche Ehen aus anderen Staaten nicht anerkennen müssen. Und dann kommt ausgerechnet der Footballcoach daher und meldet sich dafür, die Gefühle der queeren Schüler ins Lehrerzimmer zu tragen. „Es musste einfach der Football-Trainer sein, der Soldat, heterosexuell und verheiratet”, sagt Walz über diese Rolle.
Dieses inklusive Verständnis einer entspannten Maskulinität zeigt nach Jahren voll mit problematisch alternden weißen Männern, wie es eben auch gehen kann – und es zeichnet ein Männlichkeitsbild vom aufbauenden und sorgenden Onkel von nebenan, der eben auch gedient hat, Sport gut findet und auf Fasanenjagd geht, das besonders auch das ländliche Amerika von seinen Männern haben möchte.
Wie krass das im Widerspruch zum brustkorbklopfenden Proletengehabe und „Pussy“-Gerede bei Nascar-Rennen und Martial-Arts-Boxkämpfen steht, das Trump und Vance verkörpern.
Walz fühlt sich an wie ein Republikaner, aber regiert wie ein Demokrat
Und schließlich ist da noch die sehr smarte politische Positionierung von Walz. Er startete 2006 im US-Repräsentantenhaus mit dem Sieg gegen einen seit sechs Legislaturperioden amtierenden Republikaner. Im Kongress war Walz eher gemäßigt, weil er wusste, dass er seinen konservativen Wahlkreis bei Laune halten muss. Er war erfolgreich: 2016 gewann Donald Trump in dem Bezirk die Präsidentschaftswahl mit einem Prozentpunkt Unterschied zu Clinton, während Walz sein Mandat mit 15 Prozentpunkten Vorsprung für sich entschied. Wer nicht genau hinschaut, glaubt, in Walz einen Republikaner oder zumindest einen Zentristen zu sehen.
Doch wer möchte, entdeckt in der dann folgenden Zeit als Gouverneur auch eine Projektionsfläche für progressive linke Politikträume. Kostenloses Schulessen, staatlich garantiertes Recht auf Abtreibung, Entkriminalisierung von Marihuana, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und eine engagierte Klimapolitik mit Null-Emissionsziel für Strom bis 2040: All das hat Walz umgesetzt, all das gilt in den USA für die aktuellen Republikaner schon als extrem und „radical leftist“. Sie übersehen dabei, dass diese Positionen bei der Bevölkerung sehr beliebt sind und eine Mehrheit der Wähler sie eben längst nicht mehr als radikal wahrnimmt. Dieser blinde Fleck wird ihnen schaden.
VORAUSSCHAUEN
Die Kandidaten tingeln
Bis zum Demokraten-Parteitag ab dem 19. August gibt es keine Top-Termine auf der Agenda. Für die Kandidaten heißt das: Tingeln und die sogenannten „Stump Speeches“ verfeinern, die Standard-Ansprachen, die überall im Land die Leute begeistern sollen. Für Harris und Walz war der Auftritt in Philadelphia gestern der Auftakt zu einer Sieben-Städte-Tour in Swing-State-Bundesstaaten, die durch die Folgen von Hurrikan Debbie durcheinandergewirbelt wird.
Trump dagegen hat lediglich für Samstag einen Auftritt in Montana auf dem Plan und lässt es ansonsten ruhiger angehen. Er rief heute morgen bei „Fox and Friends“ durch, dankenswerterweise wie immer von Aaron Rupar bei X (Öffnet in neuem Fenster) zusammengefasst (leider kann Bluesky Video noch nicht so gut).
Man muss es so deutlich sagen: Trump redet zusammenhanglosen Müll. Über die beiden Kontrahenten sagt er: „Dieses Ticket will, dass das Land sofort kommunistisch wird, wenn nicht früher. (..) Er steht sehr auf transgender. Er findet alles transgender großartig. (..) Ich finde, er ist eine schockierende Wahl. Ich finde, es ist eine Beleidigung für Juden.“
VERTIEFEN
Tim Walz näher kennenlernen bei Ezra Klein
Als gestern die Entscheidung für Tim Walz fiel, beruhte meine Einschätzung von ihm auch auf einem einstündigen und sehr angenehmen Gespräch mit Ezra Klein von der New York Times, gibt es bei Youtube (Öffnet in neuem Fenster) und als Podcast (Öffnet in neuem Fenster). Darin legt Walz nicht nur seine Politik dar, sondern zeigt auch, welche Leadership-Qualität er hat: Zuhören.
Bei Kleins Ausführungen kommt es sehr aufrichtig rüber, wie Walz sagt: „Das finde ich sehr interessant, Ezra, erklär’ mir das genauer.“
ANDERSWO
Neue Arbeit von mir an anderer Stelle
Im Podcast „Bei Burger und Bier“ (Öffnet in neuem Fenster) blicken Kollege Bastian Hartig und ich in der kommenden Folge am Wochenende ebenfalls auf Tim Walz und Männlichkeitsbilder in den USA. Außerdem schauen wir auf den Demokraten-Parteitag voraus. Bis dahin ist weiter die Episode zum Werdegang von Kamala Harris recht frisch.
https://burgerundbeer.podbean.com/e/kamala-mania-wie-kamala-harris-den-us-wahlkampf-umkrempelt/ (Öffnet in neuem Fenster)Ein neuer US-Radar (Öffnet in neuem Fenster) beim RND kommt ebenfalls nächste Woche.
Zum Abschluss lege ich noch allen Unbekehrten die Serie „Friday Night Lights“ ans Herz, weil sie das US-Kleinstadtleben so verdammt realistisch einfängt und zeigt, wie sehr die Amerikaner ihre Coaches lieben. Bei Youtube (Öffnet in neuem Fenster) gibt es einen tollen Trailer für das bessere „Dawsons Creek“.
Best from NYC,
Christian
PS: Solltet ihr „WTH, America“ von Freundin oder Feind weitergeleitet bekommen haben, könnt ihr selbst hier den