Vom Klima zur Umwelt - und zurück
16. Juni 2023
Liebe Lesende,
eines der kontrovers diskutierten Themen beim ersten Wahlkreisel - Gesprächsrunde zur Landratswahl - war Umwelt- und Klimaschutz. Die Diskussion ging sogar in der Facebookgruppe "Wildau uncensored" weiter. Es zeigte sich, dass Landratskandidat Steffen Kotré (AfD) vor Ort und sein Parteikollege Jan Schenk in der Facebook-Debatte einen Tenor pflegen, den auch Wissenschaftler immer wieder beobachtet haben: Umweltschutz werde da "nicht als Teil des Klimaschutzes, sondern als 'Heimatschutz' verstanden", schreiben die Autoren einer Studie (Öffnet in neuem Fenster) des Instituts (Öffnet in neuem Fenster) für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena (IDZ). "Der Notwendigkeit konsequenter Klimaschutzmaßnahmen wird sich hingegen häufig verwehrt und nicht selten der menschgemachte Klimawandel geleugnet", heißt es weiter.
Genau das offenbarte sich in den Debatten. So schrieb etwa Jan Schenk in der Facebookgruppe: "Umwelt ist das, was wir tatsächlich vor Ort schützen können, Klima ist ne Statistik." Und Steffen Kotré sagte beim Wahlkreisel: "Geld für das Klima zu investieren, bringt gar nichts. Besser wäre es, die Land- und Forstwirtschaft fit für die Zukunft zu machen, diese Bereiche gezielt zu unterstützen. Geld auszugeben, nur um CO2 einzusparen, ist Verschwendung von Steuermitteln." Ihm sei nicht klar, sagte Steffen Kotré auch in der Fernseh-Talkshow (Öffnet in neuem Fenster) von Markus Lanz, welchen Einfluss CO2 überhaupt habe, ergo wisse er auch nicht, "was unser Landkreis am globalen Klima ändern könnte".
Beiden konterten die Mitdiskutanten. "Klima ist durchaus ein kommunales Thema und zwar dann, wenn es um konkrete Maßnahmen vor Ort geht", schrieb ein Facebook-Nutzer und zählte auf: "Straßenbäume, Grünflächen, Regenrückhaltebecken / Zisternen, Kleingärten, Beschattung von Kita Schulhöfen oder Parkplätze, Nutzung von Abwärme". Jan Schenk erwiderte: "Das ist Umwelt, nicht Klima", woraufhin der Wildauer CDU-Stadtverordnete Martin Stock bemerkte: "Klima hat mit Umwelt nix zu tun, ist mir neu!" Die Kommunalverwaltungen, stellte Martin Stock fest, seien mit diesem Thema als zusätzlicher Aufgabe "völlig überfordert". "Und wenn nicht die Kommunen - wer dann kann was für das tun, was nicht nur national, sondern auch international auf uns zukommen wird", fragte er. "Wir in Wildau haben die Erfahrung gemacht, dass die Ausgabe für unseren Klimaschutzmanager sich durchaus schon nach wenigen Jahren 'bezahlt' macht!"
Auch Landratskandidatin Susanne Rieckhof (SPD) verwies auf die Arbeit des kreislichen Klimaschutzmanagers, der "rund um die Uhr beschäftigt sei". "Wir wollen unseren Landkreis grün und nachhaltig aufstellen, sodass er auch für folgende Generationen noch lebenswert ist", so die SPD-Kandidatin. Ihr Mitbewerber Sven Herzberger (parteilos, Einzelbewerber) pflichtete ihr bei und verwies darauf, dass große Veränderungen im Kleinen anfingen und Klimaschutz durch jede/n deshalb sinnvoll sei. "Das Frauenwahlrecht beispielsweise fand anfangs auch nicht die ganze Welt toll", sagte er zum Vergleich. Den ersten Wahlkreisel zum Nachlesen gibt es übrigens hier:
https://www.wokreisel.de/news/13/837898/aktuelles/mehr-hauptamt-f%C3%BCrs-ehrenamt.html (Öffnet in neuem Fenster)Steffen Kotré und Jan Schenk sind sich jedoch offenbar einig, dass das Thema Klimaschutz auf Bundes- und internationaler Ebene angepackt werden müsse und nicht in die kommunale Ebene gehöre. Eine Facebook-Nutzerin widersprach: "Weder die internationale Ebene noch die Bundesebene ist in der Lage zu beurteilen, wie vor Ort z. B. Einsparungspotentiale zu finden und umzusetzen sind, sie können nur die Rahmenbedingungen schaffen." Man komme nicht umhin, "dass sich jeder und wirklich jeder damit auseinandersetzt wo was und wie möglich ist. ... Klar kann nur Wildau nicht das Klima der Welt retten, aber wenn alle so denken, wird wieder nichts passieren und noch mehr Zeit verstreicht ungenutzt".
Eine ähnliche Konstellation haben die Forscher des IDZ bei einer Analyse (Öffnet in neuem Fenster) des Kurznachrichtendienstes Twitter festgestellt. Aktuelle Debatten ums Klima, ausgelöst durch den Krieg gegen die Ukraine, verteilten sich häufig einerseits auf eine größere Gruppe, die in sich nicht in allen Argumentationen homogen, jedoch in der Sichtweise einig sei, "dass Russland bzw. Putin der Aggressor und solidarische Hilfe für die Ukraine mittels sofortiger energiepolitischer Maßnahmen notwendig sei". Auf der anderen Seite gebe es eine kleinere Gruppe, die "inhaltlich als tendenziell klimaregressiv, pro-russisch, (rechts-)populistisch und ablehnend gegenüber den Positionen der Regierungspolitik zu charakterisieren" sei. Von dieser Gruppe bestünden, schreiben die Forscher, einige Schnittstellen beispielsweise zu Agierenden mit wirtschafts- und sicherheitspolitischen Argumenten der ersten Gruppe. Damit böten sich "potenzielle Resonanzräume für eine größere Öffentlichkeit". Dass das funktioniert, zeigte eine zeitlich versetzte Datenanalyse: Die erste Gruppe sei im Verlauf der Debatten kleiner, die zweite Gruppe größer geworden.
Insgesamt stellen die Forscher widersprüchliche bis paradoxe Positionen zum Thema Klima- und Umweltschutz bei rechtspopulistischen, rechtsradikalen oder rechtsextremistischen Aktiven, Parteien und Bewegungen fest: Zwar besetze die radikale Rechte Umwelt- und Naturschutzthemen, strebe "dabei aber weder nach mehr Klimagerechtigkeit noch nach verantwortungsbewussten globalen Lösungen. Im Gegenteil: Ihrem Umweltschutz liegt ein völkisches Naturverständnis zugrunde". Dabei gehe es "nicht nur um den Erhalt der Landschaft und regionaler Traditionen, sondern vor allem um eine vermeintlich 'natürliche' gesellschaftliche Ordnung inklusive biologisch begründeter Rollenverständnisse".
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