Krasse Kampagne
30. Dezember 2022
Liebe Lesende,
wann fanden Sie zuletzt etwas krass? Laut Duden bezeichnet dieses Adjektiv wahlweise etwas, das "in seiner Art besonders extrem" oder "in begeisternder Weise gut, schön" oder eben auch "schlecht, furchtbar" ist. Auch die Lausitz ist seit dieser Woche krass - offenbar vereint sie all das, was mit diesem Wort bezeichnet werden kann. Zugeschrieben hat ihr dieses Adjektiv die Berliner Agentur Ressourcenmangel - in Zusammenarbeit mit Lausitzer Marketingfachleuten. "Die Lausitz. Krasse Gegend" ist der Claim für eine Kampagne (Öffnet in neuem Fenster), mit der das Land Brandenburg künftig für die Strukturentwicklung in der Lausitz werben will.
Analog und digital sollen mit dieser Kampagne Fachkräfte in die Region gelockt und die Lausitz bekannter gemacht werden. Immerhin konnten laut einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer Cottbus im Herbst krasse 61 Prozent der Südbrandenburger IHK-Unternehmen offene Stellen längerfristig nicht besetzen. Außerhalb der Lausitz gebe es wenig Wissen über die Region, sagt Ressourcenmangel-Chef Christof Biggeleben. "Die Lausitz ist ein Raum für Möglichkeiten - da können wir etwas gestalten. Dafür wollen wir neue Bilder produzieren und Vorurteile brechen", erklärte er bei der Präsentation am Mittwoch in Potsdam. "Der Claim ist eckig, er überrascht. Er transportiert das Tempo des Wandels. Er transportiert das, was passiert ist, und das, was kommt." Neben Anzeigenschaltungen seien vor allem Social Media- und Dialogmaßnahmen geplant, teilt (Öffnet in neuem Fenster) die Staatskanzlei mit. Das passiert auch in Zusammenarbeit mit Lausitzer Unternehmen. "Hier bahnt sich Deine Karriere an" - damit wird etwa für das neue Bahninstandhaltungswerk in Cottbus geworben. 1,9 Millionen Euro sind für die Kampagne innerhalb von vier Jahren geplant.
Ministerpräsident Dietmar Woidke bei der Präsentation. Foto: Staatskanzlei
Den dringenden Bedarf für eine Imagekampagne hatten Lausitzer Marketingfachleute schon vor längerem erkannt und mit "100% Eigenantrieb", wie sie sagen (Öffnet in neuem Fenster), umgesetzt: "weit. wild. würzig!" - heißt der Slogan von sechs "Markenmachern" und 25 Experten eines offenen Netzwerks der Kreativen Lausitz, des Verbandes der Kultur- und Kreativwirtschaft der Lausitz. "Für einen schnellen Aufwind mit Regionalkompetenz" - damit begründeten sie ihren Kampagnenstart vor rund zwei Jahren. Sie zielen damit auf eine Kritik, derzufolge regionale Kompetenz häufig nicht abgerufen und stattdessen von außen eingekauft werde. Der Wandel, schrieben (Öffnet in neuem Fenster) sie im Lausitz-Magazin 18/2021, laufe "meist aus den Landeshauptstädten und verwaltungsgetrieben an den Kompetenzen der Region" vorbei. "Nachdem sich über Jahre hinweg Institute und Berater aus aller Herren Länder in der Lausitz die Klinke in die Hand gegeben haben und nun einmal mehr jene externen Experten über eine Marke als neue Identität der Lausitz nachdenken, haben diese Lausitzer kurzerhand ihre Kompetenzen gebündelt und in das 'Markenbüro Lausitz' gegossen, das sich fortan um die Vermarktung der Lausitz kümmern wird."
Der bisherige Markenprozess sei als "Vorleistung" in die Entwicklung des Claims "Die Lausitz.Krasse Gegend" einbezogen worden, informiert Heiko Jahn, Geschäftsführer der Wirtschaftsregion Lausitz als Auftraggeber der Kampagne. Andreas Thormann, Chef der beteiligten Spremberger Agentur Chairlines, bestätigt: "Sowohl in die Interview- und Analyse-Phase wie auch in die Kreation waren Kreative aus der Lausitz einbezogen." Besonders die Kreativen seiner Agentur fänden das Ergebnis toll und fühlten sich als Lausitzer:innen sehr wohl damit, teilt Andreas Thormann mit. Die Kampagne wolle sowohl die Region mitnehmen, als auch überregional Sichtbarkeit herstellen. "Wir erhoffen uns davon einen frischen Blick von außen auf die 'Chancen-Region Lausitz', der alte Klischees aufbricht und auf eine Förderung des positiven Selbstbildes vieler Lausitzer:innen", so der Marketingfachmann.
Die Entwicklung einer eigenen Lausitz-Marke ist im weiteren Verlauf der Imagekampagne vorgesehen, informiert Heiko Jahn. Die Aktivitäten des Verbandes der Kreativwirtschaft der Lausitz rund um eine Entwicklung einer möglichen Regionalmarke Lausitz seien laut Andreas Thormann ins Stocken geraten, "da sich für eine Umsetzung keine Finanzierung fand". Derzeit beschäftigten sich Mitglieder der "Kreativen Lausitz" mit einem Marken-Upgrade des damals entwickelten Logos. Die aktuelle Kampagne hält Andreas Thormann für einen "richtigen Schritt zu einem positiven Selbstverständnis und als Plattform bzw. wichtiges Bindeglied zwischen den Akteuren und Kampagnen in der Region".
Marke und Claim des 'Markenbüro Lausitz'
Krasse Gegend oder weit.wild.würzig! oder etwas ganz anderes: Was am Ende wirklich zur Marke Lausitz taugt, also was die Lausitz ist, wird sicher ein Ergebnis des Strukturwandels sein. Bis und nach 2038 wird sich zeigen, ob Nieder- und Oberlausitz zusammenfinden, ob das Lausitzbild die Ländergrenze zwischen Brandenburg und Sachsen (das nicht an der Kampagne beteiligt ist) überstrahlt, wie weit das Selbst- und Fremdbild der Lausitz übereinstimmt und wer eigentlich positiver auf die Region schaut: die Einheimischen oder die Außenstehenden. Die Lausitz auf der Suche nach Identität, nach Selbstverständnis, nach einem Claim: ein krass weiter Weg!
+++ Das Urteil krass! ist bei mir selbst häufig der Gradmesser dafür, ob eine Geschichte für einen journalistischen Text taugt. Wenn ein Sachverhalt krass ist, ist er neu, außergewöhnlich und - positiv oder negativ - überraschend. Idealerweise trägt er, im Sinne von "in begeisternder Weise gut, schön", eine konstruktive Perspektive in sich. Welche Wokreisel-Geschichten in diesem Jahr besonders krass waren, darum geht es nun im Jahresend-Wochenkreisel.
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