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Long Covid Light ohne Longdrinks

Freitagabend. Es ist genau 22:59 Uhr. Der Kleine schläft endlich, der Esstisch ist abgeräumt, die Spülmaschine läuft, der Tag neigt sich dem Ende. Jetzt wäre die perfekte Zeit für einen neuen Netflix-Film mit stabilen 5,7 imdb-Punkten, ein Hörbuch, Musik über Kopfhörer – oder vielleicht auch für einen Tresen-Podcast (Öffnet in neuem Fenster).

Problem: Ich habe noch keinen Newsletter für morgen. Und ehrlich gesagt: Ich werde auch keinen mehr schreiben.

Ich wollte ihn eigentlich gestern Nachmittag schreiben, ließ mich aber von mir selbst in ein viel zu langes Mittagsschläfchen verwickeln. Und dann war auch schon wieder Kitaabholzeit. Folglich: Kein Newsletter. Das mit den Schläfchen passiert mir in letzter Zeit häufiger. Am Dienstag sogar zweimal an einem Nachmittag!! Das könnte an zwei Dingen liegen!

Erstens: Mein Schlafrhythmus ist seit einiger Zeit ganz schön hinüber. Aber gar nicht so recht „schlimm hinüber“. Eigentlich fast unterhaltsam hinüber. Ich wache gerne mal um sechs auf, mache ein Stündchen Internet und schlummre dann wieder ein. Manchmal auch um vier und dann um sieben noch mal. Zusammen mit den Mittagsschläfchen ähnelt mein Tagesablauf so langsam irgendwelchen Genies aus der Geschichte, die pro Tag nur viermal eine Stunde oder so schlafen. Liebe Grüße an meine Buddies Thomas Edison, Winston Churchill, Margaret Thatcher, Nikola Tesla und Leo da Vinci.

Mein Hang zu Schläfchen könnte aber auch daran liegen, dass ich vielleicht meine zweite Covid-Erkrankung noch nicht so ganz überwunden habe. Ich denke nicht, dass es Long Covid ist, dafür geht es mir zu gut, aber ich merke doch sehr, dass ich häufiger erschöpft bin.

Vielleicht, das wäre Erklärung Nummer drei, fehlt mir auch einfach der Treibstoff Alkohol, auf den ich dieses Jahr deutlich mehr verzichten möchte als im letzten. Denn paradoxerweise macht mich Bier und Ähnliches eher wach als müde.

Vielleicht ist es auch alles drei zusammen und ein irrer Schlafrhythmus, Long Covid Light und weniger Rotwein machen mich gemeinsam schläfrig. Ich weiß es nicht.

Nun wird aber der aufmerksame Leser – kurz nachdem die aufmerksame Leserin merkt, dass sie hier mitgemeint ist – anmerken, dass ich den Newsletter ja auch heute, am Freitag, hätte schreiben können. Ja, stimmt. Aber Kind war krank und ist der Kita fern geblieben PLUS zu langer Mittagschlaf. Dazu noch ein bisschen Keinbockirgendwaszumachen, Damenbesuch im Haus, ein langes Bad mit dem Kind, Mittagessen kochen, Abendessen zubereiten und Bewerbung der neuen Folge des Tresenpodcasts. Und nun sitze ich hier. Ohne Newsletter. Um halb zwölf.

Eigentlich wollte ich einen Text darüber verfassen, warum die Regel „Betrunken schreiben, nüchtern redigieren (write drunk, edit sober)“ aus meiner Sicht tendenziell eher Unsinn und welche Regel für gute Texte viel besser ist. Diesen Beitrag gibt es dann vielleicht nächste Woche.

Für heute habe ich mir etwas anderes ausgedacht. Als ich eben neben meinem Sohn im Bett lag und darauf wartete, dass er ENDLICH einschläft und gleichzeitig überlegte, wie ich mich um den Newsletter drücken könnte, fiel mir etwas ein!

Ich bin ja angeblich Autor. Ich habe doch schon viel geschrieben. Warum muss es denn immer etwas Neues sein? Daher wollte ich einfach ein Kapitel aus meinem Buch „Für mich soll es Neurosen regnen“ hier einfügen. Clever, oder? Das ist ja alles schon fertig. Und vor allem lektoriert.

Andererseits muss ich das aber nun gar nicht mehr, da ich bereits mit der Entschuldigung, warum es diese Woche keinen Newsletter gibt, circa eineinhalb Word-Seiten vollbekommen habe. Ein bisschen wie Schrödingers Katze: Der Newsletter diese Woche existiert und existiert gleichzeitig nicht.

Daher schlage ich einen Kompromiss vor. Das sehr persönliche Kapitel aus dem Buch, in dem es unter anderem darum geht, warum ich manchmal ein Arsch bin, findet ihr ganz unten in diesem Newsletter. Und bis nächste Woche besiege ich Covid endgültig oder fange wieder an, mehr zu trinken.

Bis dahin passt auf euch auf! Auch mit Corona und so. So ganz vorbei ist es dann doch noch nicht.

Peter

Nach dem Lesen ist vor dem Hören! Wir haben einen feinen, kleinen Podcast. Er heisst "Außer Tresen nix gewesen". Wir reden sehr persönlich aber nie bitterernst über die großen Themen des Lebens. Bisher gibt es vier Folgen. Und zwar: Dating, Tod, Freundschaft, Geld – und seit gestern Abend ganz neu: Zeitreisen und Aliens. Den Podcast könnt ihr hier hören! (Öffnet in neuem Fenster)

P.S.  Dieser Newsletter hat aktuell exakt 2998 Abonnenten und circa 150 zahlende Mitglieder. Damit er langfristig weiterbetrieben wird, sollten es irgendwann mindestens 200 zahlende Mitglieder werden. Wenn er dir also öfter ein bisschen Freude bereitet und du es dir leisten kannst, werde gerne Mitglied.

Ansonsten hilft es mir aber auch sehr, wenn du diesen Newsletter persönlich oder in den sozialen Medien weiterempfiehlst. Und mir ist noch wichtig zu sagen: Grundsätzlich freue ich mich über jeden, der hier mitliest. Das bleibt dauerhaft absolut kostenlos. Nur wer etwas zahlen kann und möchte, darf das herzlich gerne tun. Es wird aber in Zukunft eventuell kleinere Extras nur für Mitglieder geben.  

Wenn du möchstest, kannst du auch Werbung in diesem Newsletter buchen. Schreibe einfach an kontakt@peterwittkamp.de

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Und hier nun, wie versprochen, das Kapitel aus "Für mich soll es Neurosen regnen". Das Buch ist überall im Buchhandel bestellbar. Und natürlich auch hier (Öffnet in neuem Fenster).

Windeln wechseln

Kurz vor Schluss würde ich gerne noch über etwas sprechen, was ich jahrzehntelang getan habe, aber mit diesem Buch definitiv aufgeben werde: das Verstecken der Krankheit.

Unter einer Zwangsstörung zu leiden, ist ein wenig, wie ein Baby zu haben. Ich denke, ich kann das ganz gut beurteilen, denn ich habe mittlerweile beides. Juchu. Wobei das Kind in etwa achtzehn Jahren aus dem Haus sein wird. Bei der Zwangsstörung bin ich mir da noch nicht so sicher.

Ansonsten aber passt der Vergleich ganz gut: Ein Baby braucht den ganzen Tag Aufmerksamkeit. Ein Baby möchte, dass man sich kümmert. Ein Baby gibt einem immer etwas zu tun. Kurzum: Ein Baby – so wundervoll es ist, eines zu haben – bedeutet eine Menge Arbeit. Bei einer Zwangsstörung ist es ganz ähnlich. Nur ohne »wundervoll«. Auch sie möchte Aufmerksamkeit, möchte jemanden, der sich kümmert, gibt einem ständig etwas zu tun. Immerhin braucht sie im Gegensatz zu dem Baby keinen Kinderwagen für 750 Euro! Ihr reicht die Handwerkerrechnung über 150 Euro.

Das ist alles schon irgendwie okay. Als Zwangskranker gewöhnt man sich daran, deutlich mehr Mühe mit dem Alltag zu haben als andere. Es wird irgendwann fast zu einer Normalität. Man rechnet einfach automatisch ein, dass gewisse Dinge wie Händewaschen oder das Verlassen der Wohnung länger brauchen. Unternimmt man etwas Ungewohntes, plant man einen Puffer für die Zwänge ein. Es kann ja immer was passieren. Aber irgendwann gehört OCD einfach zu deinem Leben dazu.

Vielen Müttern oder Vätern geht es ähnlich: Ist das Baby erst mal auf der Welt, ist zunächst mal alles anders, alles ungewohnt. Aber irgendwann pendeln sich die Dinge ein. Po saubermachen, Windeln wechseln, stillen oder Brei anrühren, spielen, liebkosen, in den Schlaf wiegen. All das wird schnell zu einer neuen Normalität und die meisten Eltern können sich irgendwann nicht mehr vorstellen, dass es ein Leben ohne Baby gab. Was hat man mit der ganzen freien Zeit vorher bloß angefangen?

Ebenso ergeht es dem Zwangskranken. Die Beschäftigung mit Zwängen wird schnell so normal, dass er sich ebenfalls nicht vorstellen kann, wie das Leben früher war. Auch hier die Frage: Was hat man mit der ganzen freien Zeit vorher bloß angefangen? Denn je nach Ausprägung der Krankheit wird der Zwang nach und nach zu einer Aufgabe, die einen von morgens bis abends fordert. Der Zwang entwickelt sich zur tagesfüllenden Beschäftigung.

Leider gibt es bei diesem eigentlich recht guten Vergleich ein Problem: Im Gegensatz zu der Betreuung eines Kleinkindes, die von der Umgebung durchaus als anstrengend und fordernd wahrgenommen wird, bleibt das Baby »Zwangsstörung« in den meisten Fällen unsichtbar. Ein imaginäres Baby.

„Typische Dinge, die junge Eltern gefragt werden: Bekommst du genug Schlaf? Hast du ein bisschen Zeit, um zu entspannen? Wie anstrengend ist es denn gerade? Kann ich dich irgendwie unterstützen? Ist der Stuhl noch flüssig oder schon fest?

Typische Dinge, die Menschen mit Zwangsstörungen gefragt werden: nix.

Dabei könnte man all diese Fragen an junge Eltern auch genauso an Menschen mit Zwangserkrankung stellen. Außer die mit dem Stuhlgang – das ist vielleicht ein bisschen zu intim. Ansonsten aber würden sich viele Menschen mit OCD sicher freuen, eine solche Anteilnahme zu erfahren. Wie anstrengend ist es denn gerade? Hast du ein bisschen Zeit, um zu entspannen? Kann ich dich irgendwie unterstützen?

Das Problem ist nur: Sie werden nicht gefragt, weil die meisten ihre Krankheit möglichst gut verstecken. Der Zwang ist ihnen peinlich, sie wollen nicht als verrückt gelten, sie wissen nicht, wie andere darauf reagieren würden. Also: verstecken, vertuschen, verheimlichen.

„So auch bei mir. Ich habe es schon mehrfach erwähnt: Bis zu diesem Buch wussten nur sehr wenige Menschen von meiner Krankheit. Ich galt immer als der lustige, kreative, leicht überhebliche Typ. Vielleicht ahnte man, dass unter dieser Oberfläche noch andere, kompliziertere Dinge steckten. Manche Menschen, die mir sehr nahekamen, wussten sogar ein klein wenig davon. Aber offen kommuniziert habe ich meine Krankheit nie. Stattdessen habe ich immer versucht, die Zwänge so gut wie möglich zu überspielen oder zu verstecken. Ich war eine Kombination aus Schauspieler und Osterhase. Ein Schauhase, sozusagen.

Schon meinen ersten Zwang, die Sache mit dem extremen Händewaschen, habe ich vor meiner Familie und meinen Freunden verheimlicht. Weil es mir peinlich war und weil ich wusste, dass es nicht normal ist. Entschuldige, Mama, dass du jetzt erst durch dieses Buch davon erfahren musst. Und wo wir gerade miteinander sprechen: Dem Kleinen geht es gut, ich habe beruflich genug Aufträge, und das Wetter ist bei uns ungefähr so wie bei euch.

Auch alle Arten von Zwängen, die danach bei mir auftraten, habe ich versteckt. Ich habe niemals gesagt: »Entschuldigung, ich kann diesen Ort noch nicht verlassen, ich muss vorher noch einmal gründlich überprüfen, ob es hier wirklich hundertprozentig nicht nach Feuer riecht.« Stattdessen habe ich geschwindelt. »Ich komme gleich nach, habe etwas vergessen.« Oder: »Geht schon mal vor, ich muss noch kurz telefonieren.« Oder: »Wisst ihr was, ich bleibe noch ein wenig hier und erledige ein paar Mails.« Wenn mir spontan keine Ausrede eingefallen ist, bin ich später noch einmal an den »Tatort« zurückgekehrt und habe alles so gründlich untersucht, bis mein Zwang endlich beruhigt war.  "Guten Tag, Kommissar Wittkamp von der Abteilung OCD. Ich hätte da noch ein paar Fragen …"

Natürlich habe ich auch die gedanklichen Zwänge verschwiegen. Das magische Denken. Die verrückten Verknüpfungen. Die »Wenn-das-passiert-dann-passiert-als-Folge-daraus-das-Sachen«. 

Es wäre mir sehr unangenehm gewesen, wenn jemand davon erfahren hätte. Vor allem, weil ich in solchen Dingen eigentlich sehr rational bin. Ich habe Soziologie studiert und Statistikvorlesungen besucht. Ich kenne mich mit Zufällen, Wahrscheinlichkeiten und Kausalitäten ziemlich gut aus. Wenn mir jemand erzählt, dass er immer an der längsten Supermarktkasse steht, antworte ich sofort, dass es sich dabei statistisch gesehen um Unsinn handelt. Das Gesetz der großen Zahl sorgt dafür, dass man in seinem Leben ungefähr genauso oft wie alle anderen an der längeren Schlange steht. Es ist wie bei einem Rouletterad. Auch wenn Rot sieben Mal hintereinander drankommen kann, sorgt das Gesetz der großen Zahl auf lange Sicht dafür, dass Rot und Schwarz gleich häufig gespielt werden. „Wenn nicht, wechseln Sie schleunigst Ihr Casino! Was aber tatsächlich dafür verantwortlich ist, dass man denkt, immer an der längeren Kasse zu stehen, nennt man »subjektive Wahrnehmung«. Man merkt sich das Anstehen an der Kasse eher, wenn es länger dauert. Genauso, wie Autofahrer über drei rote Ampeln hintereinander schimpfen, die zehn grünen Ampeln davor aber gar nicht registriert haben.

Oh, ich schweife ein wenig ab. Über Zahlen und Statistik könnte ich stundenlang reden. Was ich eigentlich sagen wollte, war: Weil ich mich eigentlich sehr für Logik, Wahrscheinlichkeiten und Zusammenhänge interessiere, war es mir umso unangenehmer, dass mein Kopf Verbindungen herstellt, die absoluter Unsinn sind. Also durfte niemand davon erfahren!

Und so habe ich das magische Denken und natürlich auch meinen Kontrollzwang immer versteckt. Vor Bekannten und Unbekannten. Vor Freunden und der Familie. Vor Kollegen und Arbeitgebern. Vor Mitbewohnern und Nachbarn. Vor Onlinekontakten und Offlinekontakten. Vor der Bäckerin, vor dem Dönerverkäufer und vor dem Postboten. Einfach vor jedem. Ich hatte sogar Beziehungen, in denen die damaligen Partnerinnen nichts von meiner Krankheit wussten. Selbst meinem Therapeuten erzähle ich nicht alles, weil mir manches einfach zu peinlich ist. Und dem habe ich nun wirklich schon viel Peinliches erzählt.

Diese Heimlichtuerei führte natürlich dazu, dass ich sehr lange Zeit ziemlich alleine mit meiner Krankheit war. Wie viele andere mit OCD auch. Das bedeutet in den meisten Fällen allerdings auch, dass all die Arbeit, die in den Zwang gesteckt wird, unsichtbar bleibt und niemand sieht, dass Zwangserkrankte tagein, tagaus ihr ganz eigenes Baby betreuen müssen, um auf dieses Bild zurückzukommen. 

Es gibt Fälle, in denen sich Zwangskranke komplett zurückgezogen haben und nur noch ihren Zwang betreuen. Arbeit, Familie, Freunde oder gar Liebe werden dem untergeordnet und finden gar nicht oder nur sporadisch statt.

Wenn sich Zwangskranke aber sozial nicht zurückziehen, sondern versuchen, ein Leben neben ihrem Zwang zu führen – so, wie es auch bei mir der Fall ist –, kann schnell eine Art Doppelbelastung entstehen: Neben der Herausforderung, sein Leben zwischen Job, Beziehungen, Familie und sozialen Verpflichtungen ordentlich hinzubekommen – was ja auch normalen Menschen nicht immer leichtfällt –, wartet dann noch das »Baby« Zwang, das irgendwie auch noch dazwischenpassen möchte. Anstrengend! Vor allem eben, weil diese Mühen in den meisten Fällen niemand mitbekommt.

In meinem Fall hat diese Doppelbelastung dazu geführt, dass ich Probleme in Beziehungen, im Job oder auch im Freundeskreis stets etwas weniger ernst genommen habe als andere. »Ist alles nicht so schlimm wie der Zwang«, dachte ich sehr häufig. Oder: »Ach, wenn ihr wüsstet, mit was ich mich noch so nebenbei herumschlagen muss.

Paradoxerweise entstand so aus meiner Belastung durch den Zwang eine Lebenseinstellung, die eigentlich gar nicht so schlecht war: Alles nicht so ernst nehmen, wird sich schon irgendwie einrenken. So ein bisschen wie ein alter Franzose, der in einem kleinen Café sitzt, einen halben Liter Rotwein vor sich hat und gut gelaunt »C’est la vie« in den Rauch seiner Zigarette murmelt. Andererseits wirkte ich so auf Freunde, Arbeitgeber oder Partner natürlich auch ein wenig unnahbar oder arrogant. Ich stand oder stehe immer ein wenig über den Dingen, weil ich fast jedes Problem mit meinem Zwang verglich.

Wenn jemand im Freundeskreis unter Liebeskummer litt, fand ich das natürlich traurig, dachte aber immer auch so etwas wie »Leide mal zwanzig Jahre lang unter Zwängen, das ist viel schlimmer«. Da aber niemand von meiner Krankheit wusste, sah es natürlich für diese Freunde so aus, als machte ich mir nicht viel aus ihren Sorgen. Konnte ja niemand ahnen, dass ich nebenbei noch ganz andere Probleme verarbeiten muss. 

Vielleicht liest das hier ja jemand, bei dem ich nicht empathisch genug war. Dann möchte ich gerne um Entschuldigung bitten. Aber hey: Der Liebeskummer ist inzwischen doch weg, oder? Habe ich doch gesagt: Das geht vorbei!

Der gemütliche Rotwein-Franzose in mir, der alles nicht so ernst nimmt, weil er größere Probleme hat, ist aber nur die eine Seite. Wenn mein Baby Zwang mal so richtig fordernd ist und ich es kaum schaffe, mich um etwas anderes zu kümmern, kann ich auch sehr gereizt sein. Ich bin dann überfordert und reagiere im Umgang mit anderen bissig, wütend oder auch mal cholerisch. 

Ein ehrlicher Satz, den ich in solchen Situationen sagen könnte, würde ungefähr so lauten: »Ich bin gerade überfordert, weil ich neben dem Problem, das hier gerade vorliegt, eine schwere psychische Krankheit habe, die mir den ganzen Tag schon die Kraft raubt.« Nur leider habe ich diesen Satz in meinem Leben bisher noch kein einziges Mal ausgesprochen. Stattdessen kommt aus meinem Mund dann eher so etwas wie: »Lass mich in Ruhe, du Depp«. Tja, es ist wie bei Romanen aus anderen Sprachen: Bei der Übersetzung geht viel verloren.

Seit ich aber angefangen habe, dieses Buch zu schreiben und auch mehr und mehr über meine Krankheit zu reden, kann ich immer öfter und auch immer besser erklären, was gerade in mir vorgeht. Warum ich gerade ein bisschen Ruhe brauche. Warum ich noch mal rausmuss, etwas nachgucken. Warum ich mich gerade sorge. Warum ich dieses oder jenes Problem nicht so ernst nehmen kann oder ein bisschen angespannt bin.

Also kurz gesagt: warum ich manchmal der lässige Rotwein-Franzose und manchmal der Choleriker bin. 

Daher gilt für Betroffene das, was ich schon mehrfach erwähnt habe: Bleiben Sie, wenn möglich, nicht alleine mit Ihrem Zwang. Reden Sie darüber. Zumindest mit den Menschen, die Ihnen wichtig sind. Denen Sie vertrauen. Denn eigentlich können Sie ziemlich stolz darauf sein, was Sie jeden Tag leisten: ganz nebenbei noch ein Baby zu betreuen.

So. Genug geschrieben. Ich muss los. Mein Zwang möchte, dass ich ihm die Windeln wechsle.

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Wow, du hast wirklich bis hier hin gelesen! 

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