Liebe Mutmach-Community!Kurzer Nachtrag zu unserem TikTok-Freitag. Am Montag, 29.8., bestätigt der Leitartikel der Süddeutschen Zeitung einige unserer Prognosen vom 19.8.. Euch eine mutmachende Woche,Suse, Paul und Hajo
Liebe Mutmach-Community!
Kurzer Nachtrag zu unserem TikTok-Freitag mit Paul und Hajo. An diesem Montag, den 28.08., bestätigt der Leitartikel der Süddeutschen Zeitung einige unserer Prognosen vom 19.08...
Euch eine schöne Woche,
Suse, Paul & Hajo
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Soziale Medien Tanz der Daten
China könnte das überaus beliebte Tiktok als Waffe gegen den Westen einsetzen. Politiker und Medien sollten dort nicht mit so großem Hurra Konten eröffnen.
KOMMENTAR VON PHILIPP BOVERMANN
Viele Menschen glauben immer noch, Tiktok sei vor allem eine App für tanzende Teenager. Muss man sich dafür jetzt auch noch interessieren? Gar mitmachen? Viele deutsche Medien, Unternehmen und Abgeordnete finden: Ja.
Kein Wunder, sie wollen schließlich relevant bleiben. Die Plattform wächst wie keine je zuvor. Im vergangenen Jahr war sie die am häufigsten besuchte Website des Internets (Öffnet in neuem Fenster), noch vor Google. Die Tagesschau ist inzwischen auf Tiktok und informiert dort etwa über die Gefahren von E-Shishas (Öffnet in neuem Fenster); die CSU unterlegt ein Video (Öffnet in neuem Fenster) von Markus Söder mit dem Song "Hot New Bombshell", präsentiert ihn also als "heiße neue Granate"; die SPD-Abgeordnete Derya Türk-Nachbaur erklärt Einmalzahlungen (Öffnet in neuem Fenster) für Sozialhilfeempfänger, während neben ihr der Fraktionskollege Falko Mohrs eine Flasche Sprudel auf ex trinkt und dabei den Kopf im Kreis dreht ("Tornado Challenge"). Was halt so herauskommt, wenn Menschen in Anzügen versuchen, mal ganz doll locker zu sein.
Nichts an diesen Inhalten ist per se problematisch. Das Problem ist Tiktok selbst. Mit jedem weiteren solchen Konto wird die Plattform ein bisschen mehr zu einem Teil der öffentlichen Infrastruktur, so wie Straßen, Brücken, Stromleitungen. So wie Facebook oder Twitter. Soziale Plattformen steuern die Aufmerksamkeit der Nutzer und damit auch gesellschaftliche Debatten. Sie machen Themen und Personen sichtbar. Dafür analysieren sie das Verhalten der Nutzer. Bei amerikanischen Plattformen stellt sich die Frage, wie wohl man sich damit fühlt, dass diese die Daten auch an die Werbeindustrie verkaufen. Bei Tiktok hingegen, das zum chinesischen Konzern ByteDance gehört, steht die nationale Sicherheit auf dem Spiel.
"Alles ist in China sichtbar", soll ein Tiktok-Mitarbeiter gesagt haben
Der österreichische Datenforscher Felix Krause hat jüngst einen Bericht (Öffnet in neuem Fenster)veröffentlicht, dem zufolge Tiktok die Nutzer auf Seiten ausspioniert, die sie aus der App heraus öffnen. Sie kann Eingaben über die Handytastatur erfassen, sogar Passwörter. Auch andere Plattformen "tracken" ihre Nutzer über die Apps hinaus - und hätte man sich daran nicht sträflicherweise gewöhnt, wäre das nicht als Randnotiz untergegangen. Tiktok tut es lediglich ungenierter als alle anderen.
Beunruhigend wird das vor allem wegen der Enthüllungen, die den Sommer über in die Öffentlichkeit getröpfelt sind. BuzzFeed berichtete (Öffnet in neuem Fenster)im Juni von Aufnahmen interner Meetings bei Tiktok, aus denen hervorgehe, dass Mitarbeiter der Unternehmenszentrale in Peking Zugriff auf die Daten ausländischer Nutzer haben. "Alles ist in China sichtbar", soll einer gesagt haben. Im Monat darauf kam heraus (Öffnet in neuem Fenster), dass die Mutterfirma ByteDance Anweisungen gegeben habe, in ihrer inzwischen eingestellten Nachrichten-App TopBuzz pro-chinesische Inhalte prominent bei westlichen Nutzern zu platzieren und unliebsame Meldungen verschwinden zu lassen. Nur Tage später berichtete Bloomberg (Öffnet in neuem Fenster), dass ein chinesisches Regierungsorgan 2020 an westliche Tiktok-Mitarbeiter mit der Bitte herangetreten sei, einen heimlichen Propaganda-Kanal zu eröffnen. Diese hätten das abgelehnt.
Immerhin. Die Frage lautet aber, ob es die Mitarbeiter außerhalb Chinas überhaupt mitbekommen würden, sollte das dortige Regime ihre Kollegen in Peking anweisen, Daten westlicher Nutzer abzuzweigen - oder, schlimmer, den undurchsichtigen Tiktok-Algorithmus zu manipulieren - etwa um Wahlen zu beeinflussen oder demokratische Institutionen zu delegitimieren. Das Regime hat westliche Social-Media-Plattformen im eigenen Land gesperrt. Das sollte zu denken geben.
Vertrauen ist nicht angebracht
Zwar hat Tiktok angekündigt, es verfolge den Grundsatz "der Minimierung des Datenflusses außerhalb von Europa und der strikten Beschränkung der Anzahl der Mitarbeiter*innen, die Zugang zu diesen Daten haben", aber das lässt viel Spielraum. Dass die Daten europäischer Nutzer ab kommendem Jahr in Dublin gespeichert werden sollen, ist ebenfalls kein Anlass zur Beruhigung. Entscheidend ist nicht, wo die Daten liegen, sondern wer Zugriff auf sie hat.
Solange Tiktok aus Peking gesteuert wird, bleibt offen, ob die Plattform sich zur Utopie oder zur Dystopie entwickelt: zur Utopie einer Internetplattform, die ideologische und geopolitische Gräben überbrückt - oder doch zur Dystopie, in der die Formel des digitalen "Überwachungskapitalismus" zur letzten, düsteren Konsequenz gelangt.
Tiktok will nun ausgewählten Forschern und dem US-Unternehmen Oracle Einblick in seine Algorithmen und Moderationspraktiken geben, um zu beweisen, dass niemand sie von außen beeinflusst. Wie genau das geschehen soll, in welcher Form die Ergebnisse veröffentlicht werden, ist noch unklar. Viel steht auf dem Spiel, deshalb ist Misstrauen dringend geboten. Besonders bei jenen Politikern und Institutionen, die mit ihrer Präsenz auf Tiktok helfen, die Plattform als einen Ort für verlässliche Informationen zu legitimieren. Solange Tiktok seine Unabhängigkeit von der chinesischen Staatsdoktrin nicht zweifelsfrei beweisen sein kann - was schwierig werden dürfte -, sollten Politiker auf die altmodische Art versuchen, jüngere Generationen zu erreichen: indem sie Politik machen, die junge Menschen mitdenkt.