Zum Hauptinhalt springen

Was ist denn nun Faschismus?

Guten Morgen,

besonders mit Blick auf die USA ist in der jüngeren Vergangenheit viel über das Wort “Faschismus” gesprochen worden. Vor allem, weil herausragende Wissenschaftler:innen das Land verlassen haben. Unter ihnen ist auch der Faschismus-Experte Jason Stanley.

Der folgende Ausschnitt aus einem Interview in der Zeit ist viral gegangen. Stanley beschreibt hier eine Tatsache, die wir bei der Debatte nicht aus den Augen verlieren dürfen: “Faschismus ist nicht einfach ein Schimpfwort, sondern ein Konzept, das uns hilft, die Realität zu verstehen.”

Und wie diese Realität in Deutschland aussieht, das wollen wir anhand von Jason Stanleys Expertise analysieren.

Der Artikel soll uns allen helfen, angstfreier und klarer zu benennen, welche Art von Politik die AfD betreibt und anstrebt. Nur, wenn wir dafür eindeutige Worte haben, können wir in der Diskussion souverän argumentieren.

Bleib achtsam und alles Liebe!

Um was geht’s?

“… hier regte sich die - mal wieder durch Blödheit auffällig gewordene - Faschistin Müller auf…🙄🥱”

Das schrieb AfD-Politiker Stephan Brandner im Dezember 2023 auf X. Gemeint war Spiegel-Journalistin Ann-Katrin Müller (Öffnet in neuem Fenster), die seit Jahren kritisch über die AfD berichtet. Sie klagte - und bekam Recht: 5.000 Euro Ordnungsgeld und eine Unterlassung für Brandner, sie als Faschistin zu bezeichnen.

Doch Brandner machte weiter. Erst nannte er Müller “Oberfaschistin”, dann “Spiegel-Faschistin”. Ergebnis: zwei weitere Urteile, Unterlassungen - und Ordnungsgelder in Höhe von 15.000 und 30.000 Euro.

Wie er rechtfertigte, die Journalistin so zu bezeichnen? Laut Legal Tribune Online (Öffnet in neuem Fenster) (LTO) argumentierte sein Anwalt (ebenfalls AfD-Politiker (Öffnet in neuem Fenster)), man dürfe Müller so nennen, weil sie den Begriff “Faschismus” selbst “salonfähig” gemacht und “verharmlost” habe - konkret, weil sie über einzelne AfD-Funktionär:innen gesagt habe, sie besäßen “faschistische Züge”. Und weil Müller damit zur “Normalisierung” des Faschismus-Begriffs beigetragen habe, so Brandners Anwalt, dürfe man sie ebenfalls als Faschistin bezeichnen.

Besonders kurios: Laut LTO hat Brandners Anwalt ein angebliches Zitats des italienischen Sozialisten Ignazio Silone (Öffnet in neuem Fenster) angeführt: “Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‘Ich bin der Faschismus.’ Nein, er wird sagen: ‘Ich bin der Antifaschismus.’”

Dass man Müller als Faschistin bezeichnen dürfe, weil sie das Wort salonfähig gemacht habe, sah das Gericht nicht so. Es fehlten “jegliche tatsächliche Anknüpfungstatsachen, die es rechtfertigen würden, Müller so zu diskreditieren”. Es wurde Brandner deshalb untersagt, sie als Faschistin zu bezeichnen.

Aber auch das ignorierte er - und forderte stattdessen auf X seine Follower:innen dazu auf, es ihm gleichzutun. Wer es schaffe, seine Meinung “rechtssicher & -kräftig zu teilen” (Müller eine Faschistin zu nennen), dem winke eine Belohnung. Problem: Auch dieser Aufruf war verboten - er fällt unter die Unterlassung.

Deshalb geht Müller erneut gegen Brandner vor, diesmal offenbar in einem Strafverfahren, für das der Bundestag im Oktober Brandners Immunität aufhob. Bei T-Online sagte Brandner, dass er den Grund für diesen Vorgang nicht kenne. Doch im selben Interview erklärte er, er habe nur “von meinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht” - und dass ihm “die Fantasie fehle, um in den von mir verwendeten Begriff auch nur ansatzweise Rechtswidriges hineinzuinterpretieren”.

Wenn du unsere Arbeit unterstützen möchtest, kannst du mit wenigen Klicks Mitglied werden - und dann den Newsletter auch als Podcast (beispielsweise via Spotify (Öffnet in neuem Fenster)) hören. Das geht ab 1,50 Euro / Ausgabe. Herzlichen Dank!

Was mindestens interessant ist, immerhin haben die Gerichte seine Äußerungen ja mehrfach als rechtswidrig eingestuft. Warum er die Journalistin Müller trotzdem immer wieder eine Faschistin nannte, könnte laut LTO-Chefredakteur Felix W. Zimmermann daran liegen, dass Brandner den Faschismus-Begriff verharmlosen und vor allem entwerten wollte:

“Wenn jeder, jeden ‘Faschist’ nennen dürfte, würde der Begriff diffus und substanzlos werden - und als Kritik völlig an Bedeutung verlieren.”

Es geht heute also um die Frage: Was steckt hinter der Zuschreibung “Faschist:in”, mit der Neurechte immer wieder politische Gegner:innen bezeichnen. Und hat Ann-Katrin Müller Recht, wenn sie manchen AfD-Funktionär:innen faschistische Züge unterstellt?

Was ist Faschismus?

Zuerst einmal: Es gibt keine einheitliche Definition von Faschismus, weil er in verschiedenen Formen auftrat und auftritt. Mimikama schreibt in einem Übersichtsartikel (Öffnet in neuem Fenster), dass man darunter “eine spezifische Form autoritärer, nationalistischer und totalitärer Herrschaft, die sich durch eine extreme, intolerante Ideologie und strikte Machtstrukturen auszeichnet” versteht.

Um es konkreter zu machen, wollen wir uns dem Begriff mit Hilfe der Merkmale nähern, die der US-Philosoph und Professor Jason Stanley in seinem Buch “Wie Faschismus funktioniert” beschrieben hat.

Stanley ist gerade viel in den Medien, weil er als einer von drei bekannten Faschismus-Expert:innen die USA verlassen hat und nach Kanada gezogen ist. Eine bewusste Entscheidung: “Das, was die Trump Regierung gerade macht, ist Faschismus (Öffnet in neuem Fenster)”, sagte Stanley, dessen Großeltern wegen ihres jüdischen Glaubens aus Nazideutschland fliehen mussten, der Deutschen Welle.

Stanley hat sich viel mit Faschismus auseinandergesetzt und insgesamt zehn Merkmale beschrieben, die eine faschistische Politik ermöglichen oder ausmachen. Er warnt eindringlich vor diesen Merkmalen, weil sie in einen faschistischen Staat führen können. Die Merkmale treten einzeln oder zusammen auf und verstärken sich gegenseitig.

Wir müssen uns Faschismus als Kontinuum vorstellen, nicht als schwarz und weiß (Öffnet in neuem Fenster)”, sagte Stanley im vergangenen Jahr im Interview mit dem österreichischen Standard.

Das bedeutet auch: Es gibt keine Schwelle, hinter der Faschismus beginnt. Er zeigt sich vielmehr in unterschiedlichen Ausprägungen, die Stanley mit seinen Merkmalen beschreibt.

1️⃣Die Verklärung einer mythischen Vergangenheit

Faschistische Politik beginnt oft damit, dass eine scheinbar perfekte Vergangenheit beschworen wird - ethnisch oder kulturell “rein”, stolz und stark. Diese Vergangenheit ist meist verzerrt oder sogar erfunden, aber sie dient als Bild, auf das viele hoffen: Die Nation soll zu alter Größe zurückkehren - am besten mit einer starken, autoritären Führung. Dieser Mythos rechtfertigt politische Maßnahmen und vermittelt das Gefühl, Teil einer wichtigen “Wiederherstellung” zu sein.

Weil die Ausgangsfrage war, ob die AfD - oder einzelne ihrer Mitglieder - faschistische Züge haben, wollen wir die zehn Merkmale von Jason Stanley mit Aussagen oder Strategien der AfD vergleichen.

Neurechte Vergangenheitsverklärungen zeigt beispielsweise immer wieder Jakob Schergaut auf. Er leitet an der Uni Jena das Projekt “Geschichte statt Mythen (Öffnet in neuem Fenster)”. Dass die AfD die deutsche Vergangenheit beschönigt, ist für ihn klar:

“Für die AfD und ihr Umfeld nimmt das Angreifen der Erinnerungspolitik mittlerweile eine zentrale Rolle ein. Die angestrebte, nationale Wiederauferstehung wird in der Logik der AfD erst möglich, wenn der angebliche ‘Schuldkult’ überwunden ist.”

Das heißt laut Scherkaut: Erst wenn die Erinnerung an die NS-Verbrechen aus dem öffentlichen Gedächtnis verdrängt sei, könnten politische Ideen, die heute noch als Tabu gelten, wieder ernsthaft vorgeschlagen werden.

2️⃣Die systematische Nutzung von Propaganda

Faschistische Propaganda besteht nicht einfach aus Lügen. Sie arbeitet gezielt mit Täuschung. Das Ziel: Die wahren politischen Absichten sollen hinter schön klingenden Worten versteckt werden - zum Beispiel, wenn Freiheitsrechte massiv eingeschränkt werden, aber behauptet wird, das geschehe im Namen der “Sicherheit”. So wird aus einer sachlichen Debatte ein emotionaler Streit - und Kompromiss oder gar Konsens massiv erschwert.

Dass die AfD gezielt mit Propaganda arbeitet, hat der Politikberater und AfD-Experte Johannes Hillje schon früh gezeigt. Er nennt die Partei eine “digitale Propagandapartei”. Gemeint ist: Die AfD will mit eigenen Medienangeboten an den klassischen Medien vorbei direkt zu ihren Anhänger:innen sprechen - ohne Richtigstellung, ohne Einordnung, ohne Widerspruch.

Hillje schrieb schon vor Jahren: “Faktisch hat die AfD eine neuartige Form der Propaganda in der deutschen Politik etabliert.”

Diese neue Form - Hillje nennt sie “Propaganda 4.0” - funktioniert so:

  • Die klassischen Medien werden delegitimiert, also als “Lügepresse” oder “Lückenpresse” schlechtgemacht und als unglaubwürdig dargestellt.

  • Stattdessen baut die AfD eigene parteinahe Kanäle auf, die ihre Sicht verbreiten und die vermeintliche “Wahrheit”.

  • So entsteht eine eigene Gemeinschaft mit eigener Weltsicht und einer gemeinsamen Identität.

  • Die öffentliche Debatte wird extrem polarisiert, also in zwei gegensätzliche Lager eingeteilt (“Wir gegen die”).

3️⃣Anti-Intellektualismus

Faschistische Politik richtet sich gezielt gegen Bildung, Wissenschaft und die Institutionen, in denen diese stattfindet (sieht man gerade sehr eindrücklich in den USA (Öffnet in neuem Fenster)) - also gegen alles, was Menschen dazu befähigt, sich eine eigene Meinung zu bilden. Journalist:innen, Wissenschaftler:innen und andere Intellektuelle werden abgewertet, ihre Arbeit als abgehoben, realitätsfern oder sogar gefährlich dargestellt. Statt “verquaster Theorie” wird der “gesunde Menschenverstand” gefeiert - also eine scheinbar einfache Wahrheit, die gegen Nachdenken und Analyse ausgespielt wird.

Ziel dieses Anti-Intellektualismus ist es, die kritische Öffentlichkeit zu schwächen - also die Möglichkeit, sich als Gesellschaft offen und sachlich auszutauschen. Bildung soll dabei nicht mehr zur Selbstständigkeit befähigen, sondern in den Dienst staatlicher Ideologie gestellt werden.

Die AfD bezeichnet sich selbst seit ihrer Gründung 2013 als “Partei des gesunden Menschenverstands (Öffnet in neuem Fenster)”. Das stand auch eine Zeit in einem Grundsatzprogramm. Und im Gutachten des Verfassungsschutzes (Öffnet in neuem Fenster), auf dessen Grundlage die AfD als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wurde, heißt es:

“Die AfD versteht sich als Anwalt für die Bevölkerung und als Gegenmodell zu den etablierten Parteien. Sie bezeichnet sich in Abgrenzung zu anderen Parteien selbst als ‘Partei des gesunden Menschenverstandes’ und attestiert diesen damit pauschal eine Irrationalität.”

Ein Beispiel für den Versuch, Einfluss auf Bildung zu nehmen, sind die Lehrer:innen-Meldeportale (Öffnet in neuem Fenster), die die AfD in mehreren Bundesländern eingerichtet hat - unter dem Vorwand der “politischen Neutralität”. In Wahrheit ging es vielen Beobachter:innen zufolge darum, kritische Inhalte zu unterbinden und Druck auf Lehrkräfte auszuüben - bis hin zur Selbstzensur.

4️⃣Unwirklichkeit: die Zersetzung der Realität

Ein wichtiges Mittel faschistischer Politik ist es, die Realität gezielt in Frage zu stellen. Fakten werden relativiert, es werden “alternative Wahrheiten” geschaffen. So wird der gemeinsame Boden für Diskussionen zerstört - stattdessen machen sich Misstrauen, Zynismus und fanatische Überzeugungen breit. Ziel ist es, den Raum für verlässliche Informationen zu zersetzen - und damit auch die Grundlagen der Demokratie. Angst, Wut und Misstrauen sollen so groß werden, dass am Ende niemand mehr weiß, was stimmt.

Dass die AfD “alternativen Wahrheiten” streut und gezielt Feindbilder schafft, zeigen viele Beispiele. Die Organisation Cemas hat über die Partei geschrieben (Öffnet in neuem Fenster):

Die Partei “bedient sowohl in ihrem Programm als auch in den Äußerungen der Mitglieder und Kandidierenden immer wieder antisemitischer Chiffren” und verbreite zudem rechtsextreme Verschwörungserzählungen.

Laut Cemas nutzt die AfD solche ideologischen Lügen bewusst “als Einfallstor in den Rechtsextremismus”.

5️⃣Betonung natürlicher Hierarchien

Gleichheit gilt in faschistischer Politik als widernatürlich. Stattdessen wird behauptet, die Welt sei von Natur aus hierarchisch geordnet: zwischen Völkern, Geschlechtern, Kulturen. Wer sich gegen diese Hierarchie stellt, wird als unnatürlich markiert. Auf dieser Grundlage wird jede politische Ordnung, die der “natürlichen” Hierarchie widerspricht, abgelehnt.

Beispiele dafür, dass die AfD die Ungleichheit in der Gesellschaft vergrößern würde, gibt es: Die AfD ist gegen Inklusion an Schulen, sie hetzt immer wieder gegen feministische Bestrebungen, sie will die “traditionelle” Familie (die “Keimzelle” der Gesellschaft), gegenüber anderen Partnerschaften privilegieren, sie hängt dem neorassistischen Ethnopluralismus (Öffnet in neuem Fenster) an und begründet die Unvereinbarkeit von Kulturen mit unveränderlichen Eigenschaften - wenn Funktionär:innen der Partei dann Begriffe wie “Messer-Migranten” nutzen, zeichnet das ein Bild von “pauschal gewaltbereiten und mithin gefährlichen Migrantinnen und Migranten (Öffnet in neuem Fenster)” und damit ein gesellschaftliches Bild der Ungleichheit.

6️⃣Inszenierung der eigenen Opferrolle

Faschistische Politik stellt die privilegierte Mehrheit als angeblich bedrohte Minderheit dar. Typische Erzählungen lauten: “Wir dürfen nichts mehr sagen” oder “Wir werden unterdrückt”. Damit werden empfundene, aber nicht reale Diskriminierungen als Grund dafür genommen, um wichtge Bemühungen von Anti-Diskriminierungen zu verhindern und bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten zu festigen.

Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer, der seit Jahren zur Verbreitung rechter und autoritärer Einstellungen forscht, hat diese Strategie schon früh beschrieben (Öffnet in neuem Fenster). Seiner Einschätzung nach versucht die AfD, ihren bewussten Tabubrüchen eine moralische Rechtfertigung zu geben.

Dafür wird dann gern die Opferrolle aktiviert. Die ist attraktiv und effektvoll, wenn es gelingt, sie in der breiten Öffentlichkeit und in den gefolgsamen Bevölkerungsteilen überzeugend darzustellen”,

so Heitmeyer. Auf diese Weise wird eine moralische Überlegenheit inszeniert: Die AfD stellt sich nicht nur als Opfer dar, sondern auch als besonders aufrichtig, die sich gegen ein vermeintlich unterdrückendes System wehrt.

So arbeitet die AfD beispielsweise mit dem Vorwurf, sie werde vom Verfassungsschutz oder durch ein mögliches Verbotsverfahren unterdrückt - dass beides auf der Radikalisierung der Partei gründet, spielt keine Rolle. Es geht nur um eine Opfer-Inszenierung als politische Strategie.

7️⃣Beschwörung von „Recht und Ordnung“

Ein zentrales Motiv faschistischer Politik ist der Ruf nach Ordnung. Gemeint ist damit aber nicht der Rechtsstaat - also faire Gesetze für alle - sondern eine Ordnung, die auf Spaltung beruht. Die Gesellschaft wird in zwei Gruppen eingeteilt: auf der einen Seite das “gesetzestreue Volk”, das als einheitlich und moralisch überlegen dargestellt wird, auf der anderen Seite alle, die angeblich davon abweichen.

Wer nicht ins Bild des “homogenen Volkes” passt - etwa emanzipierte Frauen, Nichtweiße, Homosexuelle, Andersgläubige oder andere Minderheiten - wird zur sogenannten out-Group erklärt und kriminalisiert. So entsteht ein klares Freund-Feind-Bild, das sich für politische Stimmungsmache nutzen lässt.

Auch die AfD nutzt dieses Muster. Sie bezeichnet sich selbst gerne als “Law-and-Order-Partei” - also als Partei der Ordnung und Sicherheit - und zeichnet dabei ein düsteres Bild einer angeblich von Gewalt und Kriminalität bedrohten Gesellschaft.

Der Politikwissenschaftler Florian Spissinger beschreibt (Öffnet in neuem Fenster), wie die AfD dabei immer wieder auf Angstbilder zurückgreift - zum Beispiel auf die Verschwörungserzählung vom “Großen Austausch”. Er schreibt von einer

“langen Kette rechter Zuschreibungen gegenüber Zugewanderten, Geflüchteten und insbesondere Muslim:innen, die diese als nicht-zugehörig und gefährlich markieren sollen - potenziell terroristisch und kriminell, sexuell übergriffig, besonders triebhaft, zivilisatorisch rückständig, freiheitsfeindlich, bildungsfern

– kurz gesagt: in vielerlei Hinsicht nicht gesetzestreu.

8️⃣Mobilisierung sexueller Ängste

Faschistische Politik arbeitet oft mit patriarchalen Reinheitsfantasien - also der Vorstellung, es gebe eine “natürliche” heteronormative gesellschaftliche Ordnung, in der Männer dominieren und “Familie” klar geregelt ist. Alles, was davon abweicht, wird als Gefahr dargestellt. Besonders queere, feministische und migrantische Gruppen gelten in dieser Logik als Bedrohung für die “traditionelle Familie” und natürlich für den ethnisch gewünschten Nachwuchs, also die - schon oben beschriebene - “Keimzelle” der Gesellschaft.

Sexualität wird deshalb gezielt politisiert. Sie dient als Mittel, um Ängste zu schüren, Kontrolle zu fordern und den Wunsch nach autoritären Lösungen zu verstärken. Besonders deutlich wird das in Angriffen auf Geschlechtervielfalt und Selbstbestimmung - zum Beispiel in Debatten um trans Rechte oder sexuelle Aufklärung. Eine Kampagne, die von einigen AfD-Funktionär:innen unterstützt wird und genau das will, ist der “Stolzmonat (Öffnet in neuem Fenster)” als Gegenentwurf zum Pridemonth. Das Ziel ist, das hat das Institute for Strategic Dialoge (Öffnet in neuem Fenster) herausgearbeitet, eine von der “Heterosexualität abweichende sexuelle Orientierung” als “abnormal und Teil einer linken Ideologie” zu framen. Stattdessen wir die “traditionelle Familie mit Vater, Mutter, Kind” als “einzig legitime Familienstruktur” dargestellt.

9️⃣Verachtung für Städte, Verklärung des Landlebens

Der Gegensatz zwischen “verkommenen Großstädten” und “ehrlichem Landleben” ist ein typisches Motiv faschistischer Politik. Bewohner:innen großer Städte gelten als moralisch verdorben, dekadent, ihre Gegenden als “überfremdet”. Das Land wird dagegen verklärt - als Ort von Reinheit, Ordnung und Heimat.

Diese Gegenüberstellung ist mehr als eine Metapher. Sie stützt kulturelle Spaltung und trägt zur sozialen Ausgrenzung bei - indem bestimmte Lebensweisen, Räume oder Gruppen abgewertet werden.

Über das Dekadenz-Narrativ (Öffnet in neuem Fenster), das auch einige AfDler immer wieder bedienen, haben wir kürzlich geschrieben. Dabei geht es immer wieder darum, dass Eliten (gern: die Regierung) in ihren Großstädten längst den Kontakt zum Volk verloren haben und mit ihren Entscheidungen das Land in den Untergang treiben (Öffnet in neuem Fenster). Hinter solchen Aussagen steckt eine klare Erzählung: Urbane, liberale Milieus gelten als Zeichen kulturellen Verfalls. Im Gegensatz dazu steht ein idealisiertes, traditionelles, ländliches Leben. Deshalb inszenieren sich auch AfDler gern in der Natur und auf dem Land (Öffnet in neuem Fenster).

🔟Zwangsverherrlichung von Arbeit

Im Faschismus ist Arbeit kein Recht, sondern ein Mittel zur Disziplinierung. Wer nicht arbeitet, wird als faul, parasitär oder schmarotzend stigmatisiert. Arbeit dient dabei als Waffe: gegen Minderheiten, gegen Bedürftige, gegen alle, die nicht ins autoritäre Bild von Leistung und Anpassung passen.

Der NDR hat hierzu geschrieben, dass die AfD Langzeitarbeitslose zu gemeinnütziger “Bürgerarbeit (Öffnet in neuem Fenster)” verpflichten und Bürgergeldempfänger:innen säntliche Hilfen streichen will, wenn diese eine vorgeschlagene Arbeit nicht annehmen. Oder, wie es die AfD ausdrückt: “Wer seine Arbeitsleistung verweigert, dem können Leistungen komplett gestrichen werden.”

Auch die Amadeu Antonio Stiftung (Öffnet in neuem Fenster) hat einige sozialpolitische Forderungen der AfD zusammengefasst. Die Übersicht zeigt, dass es Stimmen in der Partei gibt, die Empfänger:innen von Transferleistungen das Wahlrecht zu entziehen wollen: “Wer vom Staat nehme, habe sein Recht als Bürger verwirkt (Öffnet in neuem Fenster).”

Das heißt also, …

…wenn Ann-Katrin Müller sagt, dass es in der AfD Funktionär:innen mit faschistischen Zügen gibt, lässt sich das durchaus mit den Merkmalen von Faschismus belegen, die Jason Stanley beschreibt.

Auch der Soziologe Andreas Kemper warnt seit Jahren davor. Er sagte schon früh (Öffnet in neuem Fenster): “In dieser Partei gibt es faschistische Strömungen, die kaum gebremst stärker und letztlich die AfD bestimmen werden.”

Ein zentrales Beispiel ist für ihn Björn Höcke, führender Kopf der AfD. Kemper nennt ihn einen Faschisten und erklärt das so (Öffnet in neuem Fenster):

“Eine faschistische Ideologie liegt dann vor, wenn einerseits von einem Ultra-Nationalismus ausgegangen wird, andererseits aber auch Revolutionsvorstellungen vorhanden sind, die das eigene Land in einem Zustand der Dekadenz und des Niedergangs sehen, aus dem es erwachen muss. Beides ist bei Höcke quasi schulbuchartig gegeben, wenn man sich seine Reden seit 2013 anhört.”

Kemper bezieht sich dabei auf Roger Griffin, einen britischen Historiker, der das “Wesen” des Faschismus in ein “faschistisches Minimum” fasste. Demnach ist jeder Faschismus im Kern eine Form von “palingenetischem Ultranationalismus” - also dem Glauben an eine notwendige Wiedergeburt einer als dekadent oder korrumpiert empfundenen Nation, die sich nur durch radikalen Bruch mit der Gegenwart und autoritäre Erneuerung retten lasse.

Über Jahre beobachtete Kemper, dass “die AfD immer stärker von der faschistischen Ideologie Höckes und seiner Netzwerke bestimmt wird”. Mittlerweile stellt er fest, dass dieser Prozess abgeschlossen sei und Höckes Leute die Partei längst übernommen hätten. Er fasst zusammen:

“Die AfD ist nun eine faschistische Partei (Öffnet in neuem Fenster). Das ist quasi “durchrecherchiert”.”

→ Dir hat unser heutiger Newsletter gefallen und / oder du hast was dazugelernt? Dann unterstütze uns gern und werde Mitglied (das geht ab 1,50 Euro / Ausgabe). Damit hilfst du uns und sicherst die Zukunft von Wie Rechte reden - vielen Dank 🫶

Um hinter die Paywall zu gelangen, musst du Mitglied werden - ab 1,50 Euro / Ausgabe.

Zur Mitgliedschaft (Öffnet in neuem Fenster)

2 Kommentare

Möchtest du die Kommentare sehen?
Werde Mitglied von Wie Rechte reden und diskutiere mit.
Mitglied werden