WeinLetter #90: Bruno Martin. Besuch beim PIWI-Pionier der Schweiz
Liebe Wein-Freund:in,
Du liest den WeinLetter #90. Heute gibt’s: Schweiz, PIWI, 30 Jahre Krieg - und mittendrin Bruno Martin vom Bielersee. Moment, Bielersee, gab’s das nicht unlängst schon im WeinLetter? Und tatsächlich ist es im WeinLetter so, dass eine Geschichte oft die andere Geschichte nach sich zieht. Konkret war es diesmal so: Walter Steinmann, 15 Jahre lang Direktor des Schweier Bundesamts für Energie und WeinLetter-Korrespondent für die Schweiz, hat über die Winzer vom Bielersee geschrieben (Öffnet in neuem Fenster). Jetzt stand die Jahresredaktionskonferenz der WeinLetter-Brigade Süd an - wo sollten wir die nur machen? Also hat Walter Steinmann gesagt: Kommt zum Bielersee. Und da trafen sich dann die WeinLetter-Autoren Walter Steinmann und Franz Untersteller, der Herausgeber & Friends in Twann, besichtigten das hochmoderne Wasserkraftwerk Hagneck, besuchten die Berner Fachhochschule in Biel, wo am Recycling und Upcycling von Lithium-Baterien für die E-Mobilität geforscht wird. Ja, es wurde richtig nachhaltig gearbeitet! Und dann trafen wir vor allem auf: Bruno Martin. Eine Erscheinung. Ein Rastloser. Ein Tüftler im Weinberg des Herrn. Ein PIWI-Revolluzer. Ein Kämpfer. Aber kein Dogmatiker! +++ Viel Spaß beim biodynamischen Lesen! Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied!
Aber vor allem:
Trinkt friedlich!
Euer Thilo
“Ich hatte hier 30 Jahre lang Krieg”: Bruno Martin steht in seinem Weinberg oberhalb des Bielersees FOTOS: THILO KNOTT
Bruno Martin und der Dreißigjährige Krieg vom Bielersee
von Thilo Knott
Bruno Martin zeigt mit seinen lila Händen auf die Stahltanks in seinem Weinkeller. Es geht hier eng zu. Die Tanks stehen Wand an Wand in einem Nebenraum des kleinen Kellers im Ort Ligerz am Bielersee. Im anderen stapeln sich die Paletten des 2023er Jahrgangs. Seine Hände sind lila, weil er gerade nochmal die Traubenpresse gereinigt hat.
Bruno Martin kann so erzählen, dass man die Zeit vergisst. Der Mann, der lange den Bio-Suisse-Verband prägte und in der Schweiz nachhaltigen Weinanbau vorantrieb, sagt Sätze wie: „Man muss immer besser sein als Bio.“ Er erzählt vom Unterschied von Naturhefen und Zuchthefen und warum er nicht ganz auf Naturhefen vertraut, sondern immer auch einen „Ansteller“ produziert mit den Trauben, die zuerst reif sind, um den Gärprozess unfallfrei zu begleiten. Doch zwei Sätze wiederholt er immer wieder. Sie charakterisieren sein Leben – und seine Denkweise.
Der erste Satz: „Ich weiß nicht, was Freizeit ist.“
Der zweite Satz: „Ich hatte hier 30 Jahre lang Krieg – und heute kommen sie alle und wollen alles von mir wissen.“
Der Satz mit der „Freizeit“ ist einfacher aufgelöst. Er hat keine. Und will offensichtlich auch keine. Der gelernte Küffer hat den Betrieb von den Großeltern in den 80er Jahren übernommen. Mit Selbstkelterung und Direktvermarktung. Mit gerade einmal 20 Jahren. 1990 stellte Bruno Martin den Betrieb auf Bio um. Seit 2005 kam die nächste Stufe der Nachhaltigkeit: Da war der Betrieb Demeter-zertifiziert.
70 Prozent Weißweine baut Bruno Martin auf seinen acht Hektar an. 90 Prozent verkauft er direkt, davon 80 Prozent im Kanton Bern. Die restlichen 10 Prozent verteilen sich auf Restaurants und die Handelskette Coop.
Er war und ist aber nicht nur einfach Winzer. Er baut den „Bio Suisse“ auf, den Dachverband der Bio-Landwirte in der Schweiz. Er ist der Experte – zum Beispiel für Spezialkulturen.
2012 gründet und baut Bruno Martin einen Fernwärmeverbund in Ligerz auf. Seit 2019 sitzt er auch als Abgeordneter im Berner Kantonsparlament. Erst für die Grünen, seit 2022 für die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU). Das alles bewältigt er lange Zeit als alleinerziehender Vater von vier Kindern, von denen das jüngste, Leslie-Ann, mit 18 Jahren an einer Lungenkrankheit starb.
Freizeit?
Und dann war da noch der Satz mit den 30 Jahren Krieg.
“Jetzt kommen sie und wollen alles von mir wissen” : Bruno MArtin baut seit 1990 pilzwiderstandsfähige Rebsorten an. Hier sind es: Solaris (Öffnet in neuem Fenster) und die Cuvée Le Blanc de Vincent aus Seyval Blanc, Johanniter – und Bianca
Vor 34 Jahren hat Bruno Martin Bianca angebaut. Bianca ist eine der ersten pilzwiderstandsfähigen Rebsorten überhaupt, gezüchtet schon in den 60er Jahren an der Versuchsstation für Weinbau und Kellerwirtschaft im ungarischen Eger. 1990 also hat er angefangen, pilzwiderstandsfähige Rebsorten anzupflanzen. 1991 kam dann Regent hinzu. 1990 begann der Krieg.
Es gab Widerstand: Soll er doch gefälligst Chasselas anbauen – wie wir. Den für die Schweiz typischen Gutedel. Und es gab Unwissen: Bianca? Was ist das denn! Hat er denn keinen Chasselas? „Ich habe lange versucht, Piwi zu verkaufen“, sagt Bruno Martin, „von der Bianca waren es gerade mal 400 Flaschen.“ Richtig gewonnen – auch in den Umsätzen – hat er erst mit Johanniter, Sauvignier Gris und Solaris. Bianca, auch das charakterisiert ihn, Bianca baut er noch immer an und verarbeitet die Pionier-Rebsorte in seiner ‚Cuvée „Le Blanc de Vincent.“
Er hat also Bio und Piwis gemacht, die „Konventionellen haben mit Helikoptern Pflanzenschutzmittel gespritzt“, sagt er. „Das waren 30 Jahre Krieg“
Bruno Martin steht vor einem seiner Weinberge. Etwas unterhalb des Weinguts der Stadt Bern im Ligerzer Nachbarort Neuveville. Hier findet gleich eine Weinprobe statt. Bruno Martin hat seinen Solaris mitgebracht und seine Cuvée Le Blanc de Vincent aus Seyval Blanc, Johanniter – und Bianca. Alle Rebsorten sind gegen Mehltau resistent. Sie sind vorzügliche Vertreter dieser Weine aus resistenten Rebsorten. Und der Gegenbeweis, dass nur die Klassiker-Rebsorten „schmecken“. Nein, der Solaris und die Cuvée sind von hoher Qualität.
Bruno Martin zeigt auf seine Rebstöcke und die der Nachbarn. „Meine waren grün, die anderen waren braun“, sagt er.
Grün heißt gesund. Grün heißt giftfreie, ressourcenschonende Landwirtschaft. Grün heißt Verzicht auf Pestizide. Grün heißt gesunde Böden. Grün heißt ganzjährige Begrünung in seinen Parzellen. Grün heißt auch: weniger Arbeit. Er muss seine Böden nicht bearbeiten. Das machen die Lebewesen in den Böden. Sie sorgen für Lockerung, Durchlüftung und Sickerfähigkeit des Bodens. Heute firmiert das unter Biodiversität, was Bruno Martin seit Jahrzehnten praktiziert.
Das, was er erzählt, erzählt er immer häufiger. Er könnte damit eine Gastprofessur an der Fachhochschule in Geisenheim bewältigen. Die Leute kommen mittlerweile zu ihm. „30 Jahre war Krieg, jetzt kommen sie und wollen alles von mir wissen“, sagt Bruno Martin. Wissen wollen sie Antworten zu den Herausforderungen des Klimawandels, die das Geschäft der Winzerinnen und Winzer herausfordert wie nichts zuvor.
Dass „Krieg“ war, kann man sich heute kaum vorstellen. Denn obwohl sich Bruno Martin der Biodynamie verschrieben hat und Demeter-zertifiziert ist, ist er durch und durch Pragmatiker – und nicht Dogmatiker. Beim Ding mit dem Kuhmist, der bei vielen biodynamischen Betrieben auf den Weinbergböden ausgebracht wird, zuckt er nur mit den Schultern. Denn: „Es gibt keinen Nachweis, dass Phosphor den Böden guttut.“ Also macht er es auch nicht.
Oder das Ding mit der Begrünung der Böden und der Biodiversität. Er erzählt, dass das klassische Argument der Kolleg:innen immer war: „Dann haben wir Mäuse.“ Darauf antwortet Bruno Martin: „Warum Mäuse? Habt ihr denn keine Schlangen oder Greifvögel in euren Weinbergen.“ Besser kann man den Sinn von Biodiversität nicht erklären.
Die WeinLetter-Redaktionssitzung (v. l.): Die WeinLetter-Autoren Walter Steinmann und Franz Untersteller, Winzer-Legende Bruno Martin und der WeinLetter-Herausgeber oberhalb des Bielersees. Neben einer spannenden Weinprobe mehrerer Winzer bei Gastgeber Thomas Berner vom Weingut der Stadt Bern, bei der auch PIWIs von Bruno Martin getrunken wurden, gab es noch Verkostungen bei Silou Wines Tschanz (Öffnet in neuem Fenster) von Maja Möckli und Manuel Tschanz und bei einem der besten Weingüter der Schweiz: dem Johanniterkeller von Michaela und Martin Hubacher.
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