„Weihnachten ist das Fest der Düfte“
Warum das ZAP in Bochum eine Aerothek für das Kirchenjahr auf den Markt bringt
Was mag der erste Duft gewesen sein, der Jesus in die Nase gestiegen ist? Winziges Baby, das er war, geboren in einem Stall? Der warme, tröstliche Geruch seiner Mutter, der erdige Staub der Höhle, der strenge Geruch der Stalltiere? Welcher Duft steigt uns in die Nase, wenn wir Weihnachten feiern, das Fest der Geburt Jesu? Würzigen Tannenzweigenduft, saftigen Gänsebraten, Orangen, Mandarinen, die Mandeln im Christstollen? Auch im ZAP in Bochum hat man sich Gedanken über den Duft der Weihnacht gemacht. Und nicht nur das. Das Zentrum für angewandte Pastoralforschung hat eine Aerothek aus vier Düften entwickelt, mit denen neben Weihnachten auch für Ostern, Pfingsten und der Alltag im kirchlichen Jahreskreis neue sinnliche Erfahrungen möglich sind – und damit neue Ansätze in der Pastoral, der Arbeit in Kirchengemeinden. Christopher Pilz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZAP und hat die Aerothek mitentwickelt, die im Februar auf den Markt kommen soll. „Weil mehr als Weihrauch möglich ist“ heißt das Projekt.
Bevor wir über die Aerothek reden: Wie riecht denn Weihnachten für Sie?
Für mich persönlich tatsächlich nach frischem Tannenbaum und Kerzenduft. Ein Tannenbaum steht ja nicht immer in der Wohnung, und das ist für mich einer der ersten Momente, in denen ich an Weihnachten denke.
Und Kirche? Wie riecht die für Sie?
Sehr unterschiedlich! Ich kann den Geruch einer Kirche und vor allem der Gemeindehäuser, in denen ich privat ehrenamtlich aktiv bin, sehr deutlich wahrnehmen. Er hängt auch am nächsten Tag noch in der Kleidung. Für mich riecht er oft muffig, miefig, eher abgestanden. Diese Vorstellung, dass so Gemeindehaus oder Kirche riecht, haben viele Menschen.
Foto: Christopher Pilz, ZAP Bochum
Muffig und miefig sind eher negativ besetzte Begriffe…
Ja, genau. Für manche ist genau dieser Duft aber auch Heimat, weil sie sich in der Kirche wohlfühlen. Für andere wiederum ist der Duft völlig neutral.
Duft ist ein sehr individuelles Empfinden…
Das ist tatsächlich so, das haben wir in unserem Projekt ZAP Aerothek genauso recherchiert. Wir haben uns dafür eingehend mit Duftforschung beschäftigt. Jeder Mensch besitzt ein Duftgedächtnis, ein bestimmter Geruch versetzt mich zum Beispiel in meine ehrenamtliche Tätigkeit in der Kirchengemeinde. Düfte sind individuell geprägt, sind im Lebenslauf erlernt und haben eine spezifische Wirkung.
Die Frage, ob man den Duft eines Kirchenraums verändern kann, darf oder soll, die haben Sie am ZAP für sich ja ganz klar mit Ja beantwortet. Was waren Ihre Argumente?
Wir haben uns überlegt: Wie riechen Räume im Alltag? Wir haben zunächst gar nicht so sehr danach gefragt, wie Kirche riecht, das war erst unsere zweite Frage. Wir haben anfangs überlegt, wo Menschen im Alltag Düfte begegnen und sind dann sehr schnell im Bereich Duftmarketing gelandet. In Supermärkten oder Kaufhäusern wird explizit mit subtilem Raumduft gearbeitet, um den Aufenthalt zu verlängern oder dessen Qualität zu erhöhen. Bei spezifischen Produkten wie Haushaltsreinigern oder Shampoos werden Düfte eingesetzt, um die Bindung zu erhöhen. Wir haben uns als theologisches und kirchliches Institut die Frage gestellt, wie Kirche riechen sollte.
Warum war es Ihnen wichtig, den Faktor Duft unter die Lupe zu nehmen?
Duft in einem Raum ist eng verbunden mit der Raumkommunikation, den ersten Sinneseindrücken, wenn man den Raum betrifft. Hier ist neben Sehen und Hören vor allem das Riechen interessant. Das war die Grundüberlegung für ein anderes Projekt, das wir vor einigen Jahren durchgeführt haben. In 2016 haben wir parallel zur Messe Gamescom, der weltweit größten Messe für Computer- und Videospiele, das Event SilentMod im Kölner Dom organisiert, bei dem wir körperliche und sensuelle Erfahrungen in Verbindung mit Kirche vermitteln wollten – durch Licht, durch Musik und eben auch durch Duft. Im Nachhinein hatte das Thema Duft, das wir für dieses Projekt entwickelt haben, eine so große Resonanz, dass wir es weiterführen wollten.
Die Teilnehmer von SilentMod haben den Duft also sehr intensiv wahrgenommen?
Ja genau. Wir haben damals sogar Duftpostkarten produziert und verteilt, und vor dem Dom staute sich eine größere Menge. Wir nehmen an, dass der Duft die Stimmung dort positiv beeinflusst hat. Auch in der Reflexion mit der Polizei wurde dieses Thema als positiv wahrgenommen.
Es gibt spezifische Duftstoffe, die eine besondere Wirkung auf den Menschen haben, und diese Überlegung haben wir im aktuellen Projekt „Weil mehr als Weihrauch möglich ist“ fortgeführt.
Welchen Duft hatten Sie für SilentMod entwickelt?
Der Duft hieß Incense 2.0, das ist das lateinische Wort für Weihrauch, adaptiert mit englischen Anlehnungen. Weihrauch ist natürlich insbesondere der katholischen Kirche einzigartig, er ist fast so etwas wie ihr „Signature Duft“. Diesen Duft hat damals der Senior Parfumeur Marc vom Ende der Firma Symrise für uns entwickelt.
Warum haben Sie mit Marc vom Ende zusammengearbeitet?
Symrise ist eines der großen internationalen Unternehmen für Duftstoffe, zwei Drittel des Drogeriemarktes sind mit deren Duftstoffen besetzt. Düfte herzustellen ist gar nicht so einfach und der Beruf des Parfumeurs ein sehr spezieller, der viele Kompetenzen und Anforderungen mit sich bringt. Wir haben extra mit einem Profi zusammengearbeitet, um unserem Duft eine exklusive Note zu geben.
Hat Weihrauch auch für die Aerothek eine Rolle gespielt?
Wir sind tatsächlich ganz neue Wege gegangen. Wir haben lange darüber nachgedacht, wie wir die Düfte aufbauen wollen, welche Duftnoten aufgenommen werden sollen, was wir ausdrücken wollen. Wir haben dann vier Stationen im kirchlichen Jahreskreis gewählt: Weihnachten, Ostern, Pfingsten und den Alltag. Für diese vier christlichen Feste haben wir spezifische Düfte entwickeln lassen.
Funktionieren diese in großen und kleinen Räumen?
Technisch haben wir mit dem Diffusor eine Möglichkeit gefunden, einen Duft auch in großen Räumen zu verströmen.
Das war aber erst der nächste Schritt. Die Herausforderung bestand zunächst darin, dem Parfumeur nahezubringen, was die Kernelemente dieser christlichen Feste sind und wie man sie für den Kirchenraum als Duft umsetzt. Wir haben uns hier der Technik des Moodboards bedient, um die Stimmung aufzugreifen, die rund um die Feste auch kalendarisch im Jahr vorherrscht. Zum Beispiel im Frühjahr: Die Tage werden länger, die Natur fängt an zu blühen, die Temperaturen steigen. Das in den Duft aufzunehmen und christologisch zu deuten, vom Tod zum Leben, vom Winter zum Frühling, das war uns wichtig.
Ostern müsste dann ein frischer Duft sein?
Genau. Der Duft Kenosis für Ostern enthält zitrusartige Noten. Wir haben das Bild der sprießenden Blätter aufgenommen, aber auch eine holzige Note, um an die Passion zu erinnern, das Sterben Jesu am Kreuz. Auch Myrrhe, die Jesus am Kreuz gereicht wurde, spielt eine Rolle.
Und der Duft für Pfingsten?
Pfingsten liegt ja zum Beginn des Sommers, in dem sehr viele, intensive Duftstoffe in der Luft liegen, der erste warme Sommerregen, Rapsfelder. Der Pfingstduft Dynamis ist sehr intensiv. Er soll mentale Fähigkeiten aktivieren und theologisch das Motiv des frischen Windes aufgreifen, der Kraft gibt, in Anlehnung an den Heiligen Geist.
Wie riecht Weihnachten in der Aerothek?
Hier bietet sich eine große Duftpalette an. Weihnachten ist das Fest der Düfte! Glühwein, Zimt, Orange, Mandarine. Theologisch haben wir uns der Familie im Stall orientiert, an der Menschwerdung Gottes. Vanillin als Duftstoff hat eine besondere Wirkung auf viele Menschen, denn es ist auch in der Muttermilch enthalten und löst bei vielen Menschen ein Gefühl der Geborgenheit und Heimat aus, von Nähe und Wärme. Das wollten wir mit Physis transportieren.
Und der vierte Duft?
Das ist der dezenteste Duft, der eine Komposition aller vier Düfte ist. Mit Phronesis soll das Christsein im Alltag mit den großen Festen verbunden werden.
Wie lange bleibt der Duft im Raum?
Das hängt von der Intensität ab, mit der der Duft verströmt wird. Es gibt das Phänomen der Adaption, dass man zehn bis 15 Minuten Düfte nicht mehr so stark wahrnimmt, als ein Schutzmechanismus des Gehirns. Das ist erst einmal ein vernichtendes Faktum, wenn man Kirchenräume beduften will, aber es kommt hier sehr stark auf die Qualität des Dufts an. Die Kopfnote nimmt man als erstes wahr, die Herznote macht den Duft aus, die Basisnote bleibt am längsten und transportiert Herz- und Kopfnote weiter. Sie ermöglicht es, den Duft über längere Zeit wahrzunehmen. Das haben uns auch unsere ersten Probanden für den Duft „Physis“, den Weihnachtsduft, zurückgespiegelt.
Wie waren die Reaktionen?
Der Faktor Vanille wurde so wahrgenommen. Neben Rückmeldungen wie angenehm, intensiv gab es auch Stimmen, denen der Duft zu penetrant war.
Duft ist ein individuelles Empfinden und wir wollten mit der Aerothek ein Angebot schaffen, einen Kirchenraum anders zu erleben. Aber nur weil ein Duft ausgefeilt ist und eine bestimmte Geschichte hat, heißt das nicht, dass er jedem gefallen muss.
Das ist wahrscheinlich der Knackpunkt an Ihrem Projekt.
Genau, aber das ist bei Weihrauch ähnlich. Es gab schon Umfragen, bei denen einige Besucher von katholischen Gottesdiensten angegeben haben, dass sie den Kirchenraum wegen des zu intensiven Geruchs verlassen mussten. Andere verbinden ihn mit Gottesdienst, ihrem Glauben und ihrer Gotteskommunikation und möchten es nicht missen. Für sie ist nichts anderes an Duft in der Kirche möglich. Wir möchten anregen, Neues auszuprobieren, sich darauf einzulassen und hoffen auf vielfältige Rückmeldungen.
Haben Sie auch die anderen drei Düfte live getestet?
Leider nein, denn da begann schon die Pandemie mit Kontaktbeschränkungen und Maskenpflicht. Als wir begonnen haben die Aerothek zu entwickeln, haben wir noch nicht daran denken können, dass es einmal eine solche Pandemie geben wird.
Riecht man denn den Duft auch durch die Maske?
Es kommt darauf an, wie intensiv der Duft verströmt wird, aber es ist möglich, ja.
Wie haben Sie die Namen für die Düfte gefunden?
Wir haben uns hier an Begriffen aus dem Christushymnus im Philipperbrief des Apostels Paulus bedient. Er verwendet Begriffe aus dem Umfeld des Lebens Jesu. Für Weihnachten haben wir den Begriff Physis gewählt, für Ostern Kenosis, womit die Verwandlung gemeint ist. Der Pfingstduft heißt Dynamis und hat damit eine stark bekräftigende Wirkung, bezogen auf die göttliche Kraft. Und Phronesis bezieht sich auf eine Lebensklugheit. Die christliche Lebensform trägt eine Klugheit in sich, die dem Leben und Wirken Jesu nachempfunden wird.
Wie vermarkten Sie die Düfte?
Da sind wir aktuell noch in der Planung, da möchte ich noch nicht zu viel verraten. Es soll aber ein Paket aus den Düften, dem Begleitbuch sowie dem Duftgerät geben. Das Duftgerät ist die teuerste Komponente, sie kostet 1000 Euro. Wir sehen sie als langfristige Investition für die Nutzer.
Welche Möglichkeiten der Weiterentwicklung sehen Sie für das Thema Duft im kirchlichen Kontext?
Das ist eine sehr spannende Frage. Wir möchten im Begleitbuch Ideen liefern, wie man das Thema Duft weiterentwickeln kann. Wir möchten hier einen Anstoß geben für die Kreativität vor Ort. Es gibt auch schon ein, zwei konkrete Ideen im ZAP, die aber noch nicht spruchreif sind.
Was nehmen Sie persönlich mit aus dem Projekt?
Die starke Wirkung von Düften und wie stark sie mit Emotion und Erfahrung verbunden sind. Das merke ich auch im Alltag, ich nehme aufmerksamer wahr, wie es in Räumen riecht oder wo Düfte mich abholen. Mich im christlichen Kontext mit Düften auseinanderzusetzen, war sehr spannend.