Unsere Welt braucht das
Kommunikationsprofi Chérine de Bruijn fordert mehr „Mut zur Persönlichkeit“
Sascha Lobo, Stefanie Hertel, Enise Lauterbach: Kommunikations- und Digitalisierungsprofi Chérine de Bruijn aus Köln sucht (und findet) Menschen mit „Mut zur Persönlichkeit“. Haltung statt Zurückhaltung, Mut statt Übermut, Persönlichkeit statt Wankelmütigkeit – warum unsere Welt Menschen braucht, die nicht nur wissen, was sie wollen, sondern die Welt besser machen wollen, darüber spricht die Inhaberin einer Persönlichkeits- und Beratungsagentur in ihrem wöchentlichen Podcast. 100 Gesprächspartner*innen hat sich die gebürtige Niederländerin vorgenommen. Bald ist Halbzeit. Und Zeit für eine Zwischenbilanz.
Warum ein Podcast zum Thema „Mut zur Persönlichkeit“?
Das Thema Mut zur Persönlichkeit wird oft als Soft Skill abgetan, ich habe es aber schon vor vielen Jahren als Schlüsselfaktor für Erfolg jeglicher Art entdeckt. Wenn wir merken, dass Menschen sich verstellen, haben wir doch schon keinen Bock mehr auf diese Menschen. Und gerade in der heutigen Zeit ist es so wichtig in ganz vielen Bereichen Haltung zu zeigenund dann auch konsequent zu sein, sich nicht wie im Fähnchen im Wind mal links und mal rechts zu drehen.
Ich glaube, dass unsere Welt in Zukunft mehr Mut zur Persönlichkeit braucht. Ich stelle meinen Gesprächspartner das immer als letzte Frage, warum die Welt Mut zur Persönlichkeit braucht. Ich finde aber auch selbst: Wir brauchen gesündere Entscheidungen, die uns in eine lebenswerte Zukunft führen.Wenn diese Entscheidungen von Menschen getroffen werden, die selbst nicht gesund sind, können wir nicht in eine gesunde Zukunft starten. Wir haben so viele Themen zu bewältigen: Pandemie, Krieg, Kreislaufwirtschaft. Wir müssen nachhaltig werden, wirken und denken.
Fotos: Kollektiv Zwo GmbH
Warum hast Du den Podcast gestartet?
Weil wir mehr darüber sprechen müssen. Es geht immer sehr stark um Produkte, um Produktfakten. Doch die Geschichte darum herum ist das Merkmal. Wenn ich mit Start Ups zusammenarbeite, ist ein Anfangsfehler, dass ich an die Kommunikation erst denke, wenn ich schon an den Start gehe. Und das ist eigentlich zu spät. Es geht nicht los mit dem Launch, sondern mit dem Start der Idee. Beginn der Heldenreise. Hier geht es darum zu erzählen, warum man tut, was man tut. Welche Probleme löse ich und warum bin gerade ich derjenige, der die Lösung hat?
Es ist eine große Kraft, die Persönlichkeit zu zeigen, des Unternehmens, aber auch der Menschen, die sich einsetzen. Nicht ohne Grund personifiziert die Werbung seit Jahrzehnten. Wenn wir daraus etwas mitnehmen, dann: Wie personifizieren wir die Unternehmenswelt? Deshalb entstehen so viele kleine Nischenmarken, die klassischen Unternehmen das Geschäft wegnehmen, weil man hier mehr versteht, warum sie tun, was sie tun, weil sie ethischer oder nachhaltiger rangehen. Weil Menschen diese Geschichten erzählen.
Wie ging es von der Idee zur Umsetzung?
Mein Mann fragte mich damals, warum möchtest Du diesen Podcast starten? Ich habe ihm lang und breit erklärt, warum ich Menschen erreichen will. Das fand er keine gute Motivation, ich war auch ein wenig beleidigt deswegen. Wir haben das Thema dann ein wenig ruhen lassen. Ich habe es aber später wieder aufgegriffen und gesagt: Ich muss das machen, das ist mir so wichtig. Und dann sagte mein Mann: Jetzt hast Du den richtigen Drive. Du musst das machen, was Dir wichtig ist. Und das wird automatisch dazu führen, dass andere es auch wichtig finden.
Ich habe dann überlegt, welche Fragen ich stellen könnte. Und es ist für mich eine ganze neue Situation, dass ich aus eigenem Antrieb heraus Menschen zu mir hole und zu einem Gespräch einlade. Früher waren die Themen relativ klar. Jetzt ist es anders, weil ich mir den Push selbst gebe. Ich suche die Gesprächspartner selbst. Ich glaube, man spürt, ob man eine Sache tut, weil man es zeigen möchte, oder weil man ehrlich an das Thema glaubt. Und bei letzterem kann man sich nur Freude machen. Der Antrieb ist: nimm es, mach das, es ist ein Geschenk.
Natürlich ist der Podcast nicht nur altruistisch. Machen wir uns nichts vor. Ich habe jede Woche die Chance mein Netzwerk weiterzubauen und im Gespräch zu bleiben.
Du hast den Podcast aber nicht gestartet, um Akquise zu machen?
Überhaupt nicht. Es geht mir darum zu zeigen, dass es Menschen gibt, die Vorbilder sein können. Denn nur so können wir uns vorwärtsbewegen. Das ist die Gesellschaft. Wir sind völlig unterschiedlich, aber wir müssen in eine Richtung schauen. Die Veränderung entsteht immer erst im Kopf. Wenn die Veränderung nicht zuerst bei mir entsteht, bin ich nicht authentisch.
Mut zur Persönlichkeit bedeutet für mich: Haltung statt Zurückhaltung.
Du fokussierst auf die positiven Seiten von Persönlichkeit…
Das ist vollkommen richtig. Es gibt die eine und es gibt die andere Richtung. Es gibt das Messer, das zum Brotschmieren benutzt wird, und das Messer, das benutzt wird, um Menschen zu töten. Ich meine Persönlichkeit positiv und möchte mehr Leichtigkeit in das Thema bringen. Ich möchte leisere Menschen dazu bringen, mehr Mut zur Persönlichkeit zu zeigen, sei es im Job, sei es in einem privaten Gespräch. Ich möchte, dass sie sich trauen. Und wann trauen wir uns? Wenn wir eigene Ängste überwinden und die Geschichten von anderen hören. Es gibt nicht nur die Elon Musks mit Visionen, die unerreichbar für uns sind, sondern ich möchte auf die Menschen schauen, die uns umgeben.
Ich finde gerade die Mischung meiner Gesprächspartner spannend, denn sie spiegelt auch meine eigene Geschichte.
Bekommst Du alle, die Du anfragst?
Nein, nicht alle. Aber das ist auch nicht schlimm. Am Ende ist es so: Ich habe eine Liste für mein "Wunschkonzert", auf dem stehen ein paar Personen drauf, und dann gibt es eine sehr persönliche E-Mail von mir, in der ich um ein Interview bitte. Oft spielt auch der Faktor Zeit eine Rolle, oder meine Anfrage passt thematisch gerade nicht, weil der Fokus meines Wunschgastes gerade woanders liegt. Es ist ja oft eine Frage der Priorisierung, ob man sich diese Zeit jetzt nehmen möchte. Entweder man hat Lust auf das Thema oder nicht. Das entmutigt mich nicht, ich mache weiter.
Das ist wunderbar optimistisch gedacht.
Ich war vor meiner Selbständigkeit Pressesprecherin, dann Geschäftsführerin eines großen Branchennetzwerks für die digitale Wirtschaft: Das funktioniert nicht, wenn man kein Optimist ist.
Und zur Selbständigkeit gehört auch Optimismus!
Ja! Und Mut. Und Persönlichkeit. Alles brauchte seine Zeit. Ich wusste, dass ich irgendwann mein eigenes Unternehmen oder mein eigenes Ding machen möchte. Und alle meine Stationen haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin.
Gab es eine Schlüsselszene, bevor Du Dich selbständig gemacht hast?
Ausschlaggebend war, dass ich nebenberuflich einen MBA gemacht habe. Da kriegt man schon richtig Lust. Mein Vater, der ein wichtiger Mentor für mich war und den MBA noch mitgekriegt hat, der hat zu mir gesagt: Chérine, in Dir steckt das. Mit ihm meinen Mentor verloren zu haben und meinen eigenen Weg finden zu müssen, war ein Schüssel. Die drei Jahre als Geschäftsführerin waren hier sehr hilfreich. Im vierten Jahr habe ich gesagt: Okay, jetzt ist der Zeitpunkt, jetzt willst Du es machen. Eines Abends habe ich gesagt: Okay, heute ist es soweit. Ich muss morgen die Kündigung einreichen. Unbefristeter Vertrag, GF! Meine Freunde waren geschockt, bist Du sicher? Aber ich spürte, dass ich in mir Facetten habe, die ich in diesem Beruf nicht ausleben kann. Also habe ich mit etwa 29 Jahren im Jahr 2016 gekündigt. Am 1. Juni 2016 habe ich gegründet.
Und warum es von Anfang an funktioniert hat: mein starkes Netzwerk.
Und der Mut zur Persönlichkeit…
Je weniger Zeit wir haben, desto mehr müssen wir priorisieren. Deshalb ist es unglaublich wichtig, dass unser Tun uns mit Sinnhaftigkeit erfüllt. Das muss nicht wirtschaftlicher Erfolg sein. Es kann auch ein Erfolg sein, morgens aufzustehen und sich auf den Tag zu freuen, genau das tun zu können, was man tun möchte. Erfolg sind nicht die Mega-Moneten. Erfolg ist eine sehr individuelle Definition. Ich hätte schon den Karriereweg einschlagen können. Das war aber nichts für mich. Ich wollte den persönlichen Kontakt zu Menschen.
Es ist doch so: Trotz der Digitalisierung sehen wir uns so sehr nach menschlicher Nähe. Ich habe das für mich persönlich auch festgestellt, als wir uns in der Pandemie so lange nicht sehen konnten. Ich habe gerungen mit mir, was ich hier tun könnte. In der Krise zeigte sich meine künstlerische Seite, und…
… dann hast Du den Podcast gestartet?
Nein, mein Wunschkonzert! Ich habe gesungen! Im April 2020 wurden alle Veranstaltungen abgesagt, auch diejenigen, für die ich mich sehr ins Zeug gelegt hatte, und eine nach der anderen wurde abgesagt. Ich wurde traurig, und habe dann bei Facebook einen Aufruf zu Songwünschen gepostet. Das haben die Leute mehr oder weniger ernst genommen. Die Vorschläge waren schon zum Teil hart, Smells Like Teen Spirit von Nirvana zum Beispiel.
Ich habe mehr als 30 Videoständchen an mein Netzwerk geschenkt, doch dann hat ein online-Nachrichtenmagazin über meine Aktion berichtet, auch Menschen aus meinem beruflichen Netzwerk haben mir geschrieben, die ich überhaupt nicht involviert hatte. Als ich nach sechs Wochen aufgehört habe, hat sich Kinderherzen e.V. bei mir gemeldet, ob ich nicht für die herzkranken Kinder und ihre Familien singen könnte. Das habe ich dann eine Woche lang gemacht: Ich habe jeden Tag ein Lied gesungen und dazu die Geschichte des herzkranken Kindes erzählt, das sich den Song gewünscht hatte.
Wir müssen auch Dinge tun, die unser Herz erfüllen. Das ist nicht immer nur der Job. Vom Singen bekomme ich sehr viel Energie, aber ich habe diese Seite immer verheimlicht. Und warum? Ich hatte immer Schiss. Ich hatte immer Angst, denn singen wie Adele tu ich nicht. Aber es macht mir unfassbar viel Spaß und ich bleibe eine Hobby-Sängerin für meine Freundinnen und Freude. Im vergangenen Jahr habe ich zum ersten Mal ein Ständchen an meine Kundinnen und Kunden geschickt. Vielleicht ist es eine Eigenschaft, die uns mehr andocken lässt aneinander, wenn ich das preisgebe.
Wir sollten mehr auf all unsere Stärken statt auf unsere Schwächen fokussieren…
Es ist so wichtig zu wissen, was ist meine Stärke, was macht mich aus. Sehr oft sehen wir uns schwierigen Situationen vor allem unsere Schwächen und suchen dann Bestätigung, dass wir genügen. Ich halte es persönlicher für wichtiger zu schauen, wo die eigenen Stärken liegen. Ich glaube, dass viele Menschen in einem hektischen Berufsleben den Kern ihres Selbst nicht mehr wirklich richtig greifen können und diese Achtsamkeit für sich selbst ist so wichtig. Das ist für mich der Grundstock seine Persönlichkeit entfalten zu können.
Ich fürchte, zu viele Menschen haben noch nie über den Kern ihrer Persönlichkeit nachgedacht…
Deshalb sage ich mit meinem Podcast Mut zur Persönlichkeit: Hör mal hin! Und dann mach das daraus, was zu Dir passt. Wenn Du die Basis nicht vorbereitet hast, bist du wie ein Fähnchen im Wind. Diese Energie kommt von allein. Es gibt ja einige Kernfragen: Was macht Dich aus?
Ich suche mehr und mehr Menschen, die diesen Kern gefunden haben und auch transportieren können. Die ihrem Leben eine neue Richtung geben mussten, konnten oder wollten. Die sehr klar mit sich sind, sehr reflektiert und durch ihre Biografie genau wissen, wohin sie wollen, warum sie das machen wollen. Die machen keinen Job, damit sie Geld verdienen, sondern die empfinden darin eine tiefe Sinnhaftigkeit und das zieht mich an.
Mut zur Persönlichkeit ist ja nicht nur eine heitere Geschichte. Ich bin ja in den Niederlanden geboren, mit sieben Jahre nach Deutschland gezogen, musste alle Freunde zurücklassen. Meine Mutter ist Deutsche und wollte zurück. Wir sind ins Münsterland gegangen. Ich habe mich dort wohlgefühlt, aber es war ganz anders, die Schule war anders, es war eine ganz andere Kultur. Ich habe mich angepasst und gemerkt: Das ist ganz wichtig, denn sonst hat man keine Freunde. Ich habe in dieser Zeit meine Empathie entwickelt.
Das ist auch ein Baustein von Mut zur Persönlichkeit. Das ist ein lauter Claim, aber auch leise. Ich glaube, dass es sehr, sehr wichtig ist gut zu kommunizieren. Persönlichkeit entsteht durch Gemeinschaft, diese entsteht durch Empathie. Es geht nicht um unreflektierte Egonummern, sondern um eine mehrwertorientierte Kommunikation. Es geht darum, seine Rolle zu finden und einen Mehrwert zu geben.
Ich rede mit meinen Gesprächspartnern sehr persönlich. Nicht privat! Ich erinnere mich an eine interessante Wende im Gespräch mit Marco Zingler, dem Geschäftsführer der Digitalagentur Denkwerk, der ein Plädoyer gegen Social Media gehalten hat.
In der Du auch gearbeitet hast…
Ja, ich habe dort 2007 als PR-Trainee angefangen und war dann Pressesprecherin. Seit ich selbständig bin, ist er ein wichtiger Mentor für mich.
Hast Du jemals ein Gespräch nicht veröffentlicht?
Nie. Ich schneide auch nichts raus. Auch keine Ähms. Das ist Mut zur Persönlichkeit. Wir machen alle Ähms. Das ist normal. Es funktioniert nicht, dass ich nicht selbst menschlich und authentisch bin. Wenn man seine Persönlichkeit entfalten will, muss man sehr selbstreflektiert sein. Das gehört für mich dazu.
Und das Ziel 100 Interviews zu führen hast Du wegen der griffigen Zahl gewählt?
Ich wollte nicht, dass es hinten runterfällt und habe gesagt: Okay, ich bin jetzt Kunde für mich selbst und plane deshalb im ersten Meilenstein 100 Gesprächspartner. Am Ende träume ich unter anderem von einem großen Event, zu dem ich alle Gesprächspartner einlade und davon, dass wir uns weiterhin als Netzwerk stützen. Die Taktung ist ambitioniert, aber ich halte mich ran. Ich versuche zwei, drei Folgen im Voraus zu planen, denn aktuell wird jeden Freitag eine Folge als Podcast und Video auf Youtube veröffentlicht. Dazu kommen Blogartikel und Posts auf Social Media.
Mit welchen Erwartungen bist Du gestartet?
Ich hatte so gut wie keine Erwartung außer, dass ich mit dem ein oder anderen Gesprächspartner reden wollte - zum Teil kenne ich sie seit Jahren und finde ihre Biografien und Projekte sehr inspirierend. Aber ich freue mich auch immer über Vorschläge aus meinem Netzwerk. Es wäre natürlich schön, wenn wenigstens eine Folge von jedem Mal gehört wird. Ich möchte einfach die Menschen inspirieren, ihnen Mut machen. Dann läuft es für mich gut.
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