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Ein Kurzbericht von der heutigen WHO-Konsultation

…auch, aber nicht nur zu “Disease X”

Weil ich mich beruflich und im Rahmen meines MBA-Studiums “Sicherheits- und Katastrophenmanagement” mit neuen Technologien auch im Gesundheitsbereich befasse, habe ich heute am der Konsultation der World Health Organisation (WHO) mit dem Titel “Critical research for priority pathogens with epidemic potential” teilgenommen. Diese ist Teil einer vierteiligen Konsultationsreihe im Rahmen des im Jahr 2015 gestarteten Programms "WHO R&D Blueprint for Epidemics" (Öffnet in neuem Fenster). Heute ging es um den Stand der Forschung zu bestimmten Krankheitserregern mit epidemischem, gar pandemischem Potenzial, welche von herausragender Wichtigkeit ist. Teilgenommen haben mehr als 400 Personen.

Warum habe ich mich entschlossen, hierzu einen kleinen Bericht zu schreiben? Weil die sozialen Medien aktuell mE sehr viele Falschinformationen aufweisen und unnötig Angst in Verbindung mit dem Begriff “Disease X” sowie dem “WHO Pandemic Agreement” (auch genannt “Pandemic Accord” oder “International Pandemic Accord”) verbreitet wird. Das geschieht nicht im Zusammenhang mit den Konsultationen der WHO, sondern v.a. mit dem World Economic Forum (WEF), welches derzeit in Davos (Schweiz) tagt. Dort wurde “Disease X” ebenfalls thematisiert.

Der Director-General der WHO, Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, hat versucht, der Entwicklung Herr zu werden und aufzuklären. Er postete daher am 17. Januar 2024 folgenden Beitrag auf X (Öffnet in neuem Fenster):

Übersetzt:

“Krankheit X" ist ein Platzhalter für einen unbekannten Erreger, der einen globalen Notfall auslösen könnte.

Die Geschichte hat uns gelehrt, dass wir uns auf neue Bedrohungen einstellen müssen. Ohne Vorbereitung ist die Welt auf Scheitern vorbereitet.

Auf dem #WEF24 sprach ich heute über @WHO Initiativen, die Länder dabei unterstützen, sich besser vorzubereiten, z.B. durch Investitionen in die lokale Produktion, Beobachtung und die Entwicklung eines generationenübergreifenden #Pandemie-Abkommens.

Die Replies unter diesem Beitrag zeugen von dem Ausmaß der Falschinformation, zumindest von einem Missverständnis.

Verstehen kann ich, dass die Bezeichnung der “Disease X” als “Platzhalter” nicht als Erklärung taugt. Das kurze Video ist auch nach meiner Auffassung nicht hinreichend. Die Wortwahl ist dafür umso dramatischer. Verlorenes Vertrauen vieler Menschen in der COVID-19-Pandemie lässt sich so nicht wiederherstellen.

Was ist “Disease X” (oder auch “Pathogen X”)?

“Disease X” ist kein neuer Begriff. Er ist nicht in der COVID-19-Pandemie oder in Verbindung mit aktuellen, gar kriegerischen Geschehen entstanden. Tatsächlich wurde der Begriff im Februar 2018 geprägt, im Zusammenhang mit der zweiten jährlichen Konsultation des o.g. Programms "WHO R&D Blueprint for Epidemics" (Öffnet in neuem Fenster). Hier wurde auf der Grundlage vorhandenen Wissens versucht, Krankheiten und Krankheitserreger zu bestimmen, die sehr wahrscheinlich in naher Zukunft eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite auslösen können und auf die daher besonderer Fokus bei der Forschung und Entwicklung gelegt werden soll. Weil unmöglich in die Zukunft geschaut werden kann und unbekannte Krankheitserreger und Krankheiten nicht ausgeschlossen werden können, ergänzte man die Liste(n) jeweils um “X”:

  • “Disease X”, also Krankheit X;

  • “Pathogen X”, also Krankheitserreger X.

Der Konsultation im Februar 2018 ging das erste “Annual review of diseases prioritized under the Research and Development Blueprint” 2017 (Öffnet in neuem Fenster) voraus. Hier hatte man also bereits Krankheiten nach vorhandenen Erkenntnissen priorisiert. Auf dem Titelblatt des Annual-Review-Dokuments wird erläutert, worum es bei WHO R&D Blueprint geht (übersetzt):

(…) die Zeit zwischen der Ausrufung einer gesundheitlichen Notlage und der Verfügbarkeit wirksamer diagnostischer Tests, Impfstoffe, antiviraler Mittel und anderer Behandlungen, die Leben retten und eine gesundheitliche Krise abwenden können, zu verkürzen.

Wie man an den verlinkten Dokumenten erkennen kann, waren Coronaviren 2017 und 2018 als Krankheitserreger aufgeführt, hier als Auslöser von MERS-CoV und SARS. Mit diesen Krankheiten lag bereits Erfahrung vor: So trat MERS-CoV erstmalig 2012 (Öffnet in neuem Fenster) auf, SARS 2002/2003 (Öffnet in neuem Fenster). SARS-CoV-2 war noch nicht bekannt und daher ein “Pathogen X”. Genauso war die durch SARS-CoV-2 ausgelöste Krankheit COVID-19 (ausweislich des Jahres im Namen) eine “Disease X”.

Warum braucht es diese Konsultationen?

Wäre diese Zusammenarbeit über die WHO, der regelmäßige Wissensaustausch zu Krankheitserregern und Krankheiten sowie die gemeinsame Abstimmung nicht schon in 2015 aufgenommen worden, wäre die COVID-19-Pandemie sicherlich ganz anders abgelaufen.

Das Problem ist, dass es sehr viele Krankheitserreger gibt. Sehr viele Krankheitserreger, die wir Menschen noch nicht verstehen. Die sich durch Umwelteinwirkungen und andere Einflüsse stetig verändern. Die auf dem Luftweg in neue Umgebungen gelangen und sich dort ganz anders entwickeln als an ihrem Ursprungsort. Dabei ist die Grundlagenforschung meist noch ganz am Anfang. D.h. die Basics dieser Krankheitserreger und der von ihnen ausgelösten Krankheiten sind häufig noch nicht bekannt. Ein wesentliches Problem ist zudem, dass viele Krankheitserreger und Krankheiten dort gehäuft auftreten, wo die Infrastruktur und Mittel für (Grundlagen-)Forschung, Datenerhebung und Gegenmaßnahmen fehlen: v.a. in den Entwicklungsländern der Welt. Während die Industrieländer dieser Welt Tests, Impfstoffe, Medikamente vor Ort entwickeln und relativ schnell an die örtliche Bevölkerung abgeben können, haben die Krankheitserreger in den Entwicklungsländern mehr Zeit sich auszubreiten und weiterzuentwickeln. Sie können dann, z.B. in infizierten oder erkrankten Personen, auf die Reise gehen. Gleichermaßen werden Krankheitserreger aus den Industrieländern eingeschleppt und lösen Krankheiten aus, die wiederum verändert zurückkehren können. Ein Teufelskreis für die gesamte Welt, aus dem schwer zu entkommen ist.

Deshalb ist diese internationale Zusammenarbeit so wichtig: Alle Forschendenköpfe dieser Welt müssen gewissermaßen zusammengeschaltet werden, um schneller Lösungen zu finden als Krankheitserreger sich weiterentwickeln und -verbreiten können. Es ist ein steter Wettlauf. Und Krankheitserreger sind leider immer schneller.

Also versucht die WHO mittels Konsultationen zumindest in Sachen Planung gegenüber den Krankheitserregern aufzuholen. Also Strategien zu entwickeln, wie wenigstens schneller reagiert werden kann, wenn es zu einem Krankheitsausbruch kommt. Dazu gehört auch die Arbeit mit “Was wäre wenn”-Szenarien.

Was wurde heute diskutiert?

Aufgrund der unbefriedigenden Kenntnislage wurde (erneut) festgestellt, dass Grundlagen- und Anwendungsforschung weiter intensiviert werden müssen. Wir wissen noch immer zu wenig und müssen dabei noch schneller werden, um mit der rapiden, unkontrollierbaren Entwicklung der Krankheitserreger mithalten zu können. Wir müssen bessere Strategien finden, damit Tests, Impfstoffe und Medikamente schnellstmöglich eingesetzt werden können, um der Ausbreitung und der Gefahr für Leib und Leben der Menschen weltweit schnell entgegentreten zu können. Das schließt Strategien ein, notwendige Studien schnell durchführen und die Produktion von Tests, Impfstoffen und Medikamenten schnell hochfahren zu können. Denn: Je länger wir brauchen, desto mehr Menschen werden krank oder sterben gar. Und je länger wir brauchen, desto mehr Varianten von Krankheitserregern (und Krankheiten) gibt es, die möglicherweise jeweils neue Tests, Impfstoffe sowie Medikamente und damit neue Studien, Produktionskapazitäten und Beschaffungsprozesse erfordern.

Die anhaltende COVID-19-Pandemie (Öffnet in neuem Fenster) lässt den hier beschriebenen Wettlauf gegen den Krankheitserreger (das Virus SARS-CoV-2) gut erkennen.

Und was ist dieses “WHO Pandemic Agreement (Öffnet in neuem Fenster)”?

Die von mir oben skizzierten Probleme lassen sich nur gemeinsam in internationaler Zusammenarbeit lösen. Kein Forschungsinstitut oder Land allein kann den Wettlauf gegen die vielen Krankheitserreger und Krankheiten gewinnen. Trotz der bisherigen Zusammenarbeit fehlt viel für die Forschung und Entwicklung wichtiges Wissen. Damit aufgeholt werden kann, um die weitere Ausbreitung und Weiterentwicklung durch gemeinsame Forschung und Entwicklung verhindern zu können, braucht es Strategien, Strukturen, Verfahren. Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass die Weltgemeinschaft nicht gut genug vorbereitet war und insgesamt kein gutes Management an den Tag gelegt hat. Jährliche Konsultationen der Forschenden reich(t)en schlicht nicht.

Die “WHO Pandemievereinbarung” (der Entwurf ist hier (Öffnet in neuem Fenster) zu finden) ist v.a. eine Vereinbarung über (bessere) Organisation und dient dazu, das Management von Pandemien durch mehr Wissensaustausch, Abstimmung und gegenseitige Unterstützung zu verbessern. Durch eine krisenstabsähnliche Struktur der Zusammenarbeit will man es effektiver gestalten. “Surveillance” meint dabei also nicht, Staaten und ihre Bürgerinnen und Bürger zu überwachen, sondern z.B. Infektionsgeschehen durch Laborstrukturen, Datenerhebung und -austausch besser nachverfolgen und verstehen zu können. So sollen zukünftig die Ausbreitung bzw. Weiterentwicklung von Krankheitserregern und Krankheitswellen eingedämmt, gar unterbunden werden können.

Kategorie Wissenswertes

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