Was, wenn trinkbares Wasser nicht mehr aus dem Hahn kommt?
Ein Appell an das BBK und RKI, die Bevölkerung besser auf Krisen und Katastrophen vorzubereiten
Am Sonntag habe ich Vollkatastrophe-Lesenden eine Liste an die Hand gegeben (Öffnet in neuem Fenster), um sich im Zuge der von der Zivilbevölkerung mittlerweile explizit erwarteten „zivilen Kriegstüchtigwerdung“ mit den wichtigsten Bedürfnissen ihrer selbst und Liebsten auseinanderzusetzen. Hinein gehörte u.a. das Thema Wasser, insbesondere die (Selbst-)Versorgung mit Trinkwasser und die Hygiene, wenn das saubere Wasser zum Waschen aufgrund schwer vorstellbarer, katastrophaler Umstände nicht mehr aus dem Hahn kommt.
Schwer, wenn nicht gar un-vorstellbar ist das vor allem deshalb, weil wir in Deutschland derzeit eine im weltweiten Vergleich hervorragende Trinkwasserversorgung haben. Doch wie wir in immer kürzeren Abständen aus den Medien erfahren (Öffnet in neuem Fenster), müssen wir uns auf unvorstellbare Zeiten vorbereiten.
Heute sitze ich den zweiten Tag in einem Workshop der europäischen Raumfahrtbehörde ESA. Der Workshop baut auf der Frage auf, wie die Möglichkeiten der Erdbeobachtung, oder anders formuliert, Satellitenbilder helfen können, die globale und lokale Gesundheitsversorgung zu verbessern. Krankheiten, die durch Wasser übertragen werden, spielen eine wesentliche Rolle. Doch Satellitenbilder bieten keine magische Lösung; sie werden erst dann bedeutsam, wenn wir die wesentlichen Entstehungszusammenhänge eines Gesundheitsrisikos, z.B. von Epidemien, auf der Erde verstehen und die in der Folge bekannten Risikofaktoren aus dem Weltraum heraus beobachtet werden können. So kann z.B. die Verfärbung von Gewässern durch eine hohe Konzentration von Chlorophyll darauf hindeuten, dass dort Cholera-Bakterien (vibrio cholerae) vorhanden sind. Sieht man dies frühzeitig, kann ein Ausbruch durch Vorsorgemaßnahmen gar verhindert werden. Zugegeben, das Beispiel stammt aus Indien.
Wichtig ist an dieser Stelle zu wissen: Tolle Tech-Lösungen (sogar mit KI, whohooo!) wie diese, die wir hier gerade bei der ESA diskutieren, bringen wenig, wenn die potenziell betroffene Gesellschaft die Zusammenhänge der Entstehung von Krankheiten nicht versteht oder übersieht, deren Zusammenwirken also nicht unterbinden kann und damit auf einen Ausbruch nicht vorbereitet ist.
Zurück also zum Grund, warum ich hier in der Mittagspause meinen Appell an das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und das Robert Koch Institut (RKI) formuliere.
Der Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen des BBK (Öffnet in neuem Fenster) enthält ein paar nützliche Hinweise, wie sich Bürgerinnen und Bürger auf Zeiten ohne Trinkwasser vorbereiten können. Jedoch sind diese Hinweise aus vielen Gründen unzureichend:
Mein größter Kritikpunkt ist, dass der Ratgeber von idealen Verhältnissen ausgeht. Wer den Ratgeber befolgt, ist im besten Fall für eine zweiwöchige Ausnahmesituation vorbereitet, die nie geübt wurde. „Zivile Kriegstüchtigkeit“ ist davon jedoch weit entfernt. Der Ratgeber weiß nichts von der „Zeitenwende“. Und viele können den Ratgeber gar nicht befolgen, weil diese idealen Verhältnisse nicht die ihren sind: So z.B. kann nicht jede(r) ausreichend Trinkwasser zum Trinken und für Hygiene bevorraten (geschweige denn die benötigte Menge korrekt berechnen). Vor allem Menschen mit geringem oder keinem Einkommen (z.B. Rentner:innen, Arbeitslose), die eng behaust leben, keine Badewanne, keinen oder keinen tauglichen Keller haben, mangels Auto oder Fitness nicht einmal den Sechser Sprudel aus dem Supermarkt nach Hause bringen können.
„Tod in Hamburg“ von Richard J. Evans (ich empfehle die Neuauflage 2022) gehört mE beim BBK und RKI wieder auf den Nachttisch, um Robert Koch‘s Leistungen wieder ins Gedächtnis zu rufen bzw. zu verstehen, dass Armut, enge Behausung, hohe Bevölkerungsdichte und viele weiteren, auch heute vorhandenen Strukturen Ausbrüche von Krankheiten fördern können, wenn die Bevölkerung nicht hinreichend informiert ist, wie sie sich in Ausnahmesituationen richtig verhält.
Klar, aus in armen Haushalten unzureichend vorhandenen Wasserflaschen folgt noch keine Krankheitswelle wie die Cholera-Epidemie im Jahr 1892. Aber denken wir das Szenario doch mal weiter:
Menschen ohne Wasser werden irgendwo her Flüssigkeit besorgen müssen. Wenn es nicht (oder nicht genießbar) aus dem Hahn kommt, Waschbecken und Wasserflaschen leer sind und auch Nachbarn nicht mehr helfen können, Hilfsorganisationen nicht vor Ort sein können, um Wasser auszugeben, was werden diese Menschen wahrscheinlich tun? Regenwasser sammeln, aber v.a. in regenarmen Zeiten Wasser in der Umgebung besorgen. Vielleicht aus einem See, oder Fluss, oder Bach. Wie denken sie dabei vielleicht? „Für‘s Waschen reicht das ja. Und ein bisschen filtern mit Kaffeefiltertüten sollte passen. Ich kann trinken, was klar ist.“
Die Hinweise der Behörden in den guten alten Zeiten - „Bitte vor Genuss abkochen!“ - kommen in einer Krise oder Katastrophe wahrscheinlich zu spät oder nicht an, wenn sie überhaupt an die betroffene Bevölkerung gesendet werden können. Dazu sind diese Hinweise in Krisen- und Katastrophenlagen sehr wahrscheinlich nicht zielführend, etwa weil die betroffene Bevölkerung Wasser mangels Energie überwiegend nicht abkochen kann oder trotz gefahrbringenden Feuers ohne Thermometer und Kenntnisse der Abkochdauer kontaminiertes Wasser für genießbar hält, denn: „es wurde ja abgekocht!“
Da mag mancher denken: „Jo, was geht das mich an? Den Fehler mache ich nicht, ich weiß es besser und fühle mich sicher!“ Nun: Menschen müssen z.B. alle auf‘s Klo oder Gegenstände und Gesicht anfassen. In einem Haushalt kann mit einem Krankheitserreger kontaminiertes Wasser so schnell zu einer alle Mitglieder betreffenden Krankheit führen. So ergibt sich nicht aus dem BBK-Ratgeber, wie man z.B. das Badezimmer, die Campingtoilette (erst mal anschaffen können!), oder die Küche richtig desinfiziert. Oder dass man überhaupt an mehr als ein Hand-Desinfektionsmittel im handlichen Spender für die Hosentasche denken sollte. Wasser-Entkeimungstabletten aus dem Campinghandel des Vertrauens sind mE kein hilfreicher Tipp (und übrigens nicht in der Checkliste!), sondern vermitteln ein falsches Bild von Lagerfeuerromantik. Eine Katastrophe ist kein Campingausflug. Wenn Wasser wie angeraten im Waschbecken aufbewahrt wird und sich darin alle Haushaltsmitglieder die gleich wieder zum Mund geführten Hände waschen, können wir ohne Mühen erahnen, wie hier ein Krankheitserreger alle zur Party einlädt. Wer sich Entkeimungstabletten (in welcher Zahl eigentlich?) leisten kann, wird sie wohl eher für das zum Trinken bestimmte Wasser verwenden.
In einem realistischen Szenario wird zudem der Aussenkontakt gesucht. Vielleicht um Wasser beim Nachbarn zu holen, in dessen Badewanne man mit dem eigenen, dank Tatschern kontaminierten Topf Wasser schöpfen darf. Da dürfte der nette Nachbar schnell ebenfalls erkranken. Warum sollte er auch das gute Trinkwasser aus dem Hahn abkochen? Der nette Nachbar merkt es also nicht, geht für sich, die Familie, Älteren und Schwachen im Wohnhaus nach draußen, z.B. auf die Suche nach anderen mit Wasser. Man kennt sich vielleicht, Krise verbindet ja. Man schüttelt die Hände, umarmt sich. Küsst sich vielleicht. Nachdem die kontaminierten Hände am Mund waren. Schöpft diese Gruppe nun vielleicht Wasser aus dem nahegelegenen See, in den andere Eimer Urin und Kot entsorgt haben zugunsten der Hygiene in der Wohnung, wird davon nun etwas mit nach Hause genommen. Verteilt. Unzureichend oder gar nicht abgekocht. Getrunken. Zur Körperpflege genutzt.
Wie schnell wohl kann hier eine Krankheit ausbrechen und epidemische Züge annehmen?
Wenn nach vielleicht ein paar Tagen die Hilfskräfte sich zum betroffenen Ort durchgeschlagen haben: Wie lange wird es wohl dauern, bis sie selbst krank sind? Weil sie z.B. mit dem Seewasser in Kontakt kommen, das durch Starkregen gemischt in Häuser und Straßen gelangt ist. Oder die Türklinke bedienen müssen, um kranke Menschen zu befreien, die es nicht selbst können. Weil ihnen ein symptomfrei kranker Mensch dankend die schlecht gewaschene Hand reicht. Sind Hilfsorganisationen auf Seuchenszenarien vorbereitet? Ich fürchte nein.
Im Zusammenhang mit diesem Beitrag habe ich nur grob die Website-Informationen des RKI zu zwei Hauptverdächtigen, Cholera und Escherichia coli, gecheckt. Hilfreiches für die eigene Vorsorge ist jedenfalls nicht bürgerfreundlich auffindbar. Reiseimpfungsinformationen bzgl. Cholera sind nicht sehr hilfreich.
Doch warum in die Ferne schweifen, wenn das mögliche Unheil liegt so nah? Die Cholera z.B. war schon in Deutschland. Sie kann, wenn die Bedingungen da sind, wiederkommen. Wie viele andere Krankheiten, gar neue. Die durch den nunmehr spürbaren Wandel des Klimas vermehrten Hochwasser und Starkregen in Verbindung mit wärmeren Temperaturen werden sehr wahrscheinlich in nicht sehr ferner Zukunft auf menschengemachte Katastrophen treffen, auf deren Kombination niemand, nicht einmal das BBK oder RKI, vorbereitet zu sein scheint. Obwohl wertvolles Erreger- und Krankheitswissen grundsätzlich vorhanden ist, und sei es in anderen Ländern dieser Welt, weil diese häufig mit solchen Gesundheitsgefahren und -katastrophen konfrontiert sind. Auf Eigenverantwortung der deutschen Bevölkerung kann hier nicht verwiesen werden. Die in § 1 Abs. 2 S. 2 Infektionsschutzgesetz (Öffnet in neuem Fenster) genannte Eigenverantwortung des Einzelnen verlangt Information, die im Sinne des Infektionsschutzes umgesetzt werden kann.
Die für Deutschland denkbaren Katastrophen müssen unter Einschluss des Themas Gesundheit mehr auf- und ausgearbeitet werden. Ein Pandemieplan für Influenza (und COVID-19) reicht nicht. Die Menschen brauchen Informationen, bevor Krankheiten ausbrechen, mit denen wir rechnen müssen und die wir in den Grundzügen kennen. Im Krisen- oder Katastrophenfall wird jede Information voraussichtlich zu spät sein. Manche Krankheitserreger machen binnen Stunden krank. Eine Krankheit kann sich also wie ein Lauffeuer verbreiten, bevor überhaupt seitens der Behörden gehandelt werden kann. Und würde auf eine Gesundheitsversorgung treffen, die schon heute angeschlagen ist.
Demgemäß wird das von mir hier beschriebene Problem im Katastrophenmedizin-Leitfaden „Katastrophenmedizinische prähospitale Behandlungsleitlinien (Öffnet in neuem Fenster)“ grundsätzlich erkannt, siehe z.B. die Seiten 12 und 71. Nur wenn das Thema „Katastrophen-Seuchenschutz“ erst im Rahmen der Katastrophenmedizin auf den Tisch kommt, dann ist es zu spät. Denn Katastrophenmedizin bedeutet:
Daher mein Appell an BBK und RKI, nicht auf sie beschränkt, aber als die sachnähesten Behörden (Öffnet in neuem Fenster):
Stellen Sie bitte für alle verständliche und umsetzbare Informationen bereit, wie die Menschen in Krisen und Katastrophen unter realistischen, nicht idealen Bedingungen dafür Sorge tragen können, durch Wasser nicht krank(er) zu werden, bis Hilfe kommt.
Satelliten können diese Information und Kommunikation nicht übernehmen. Sie zeigen uns, jedenfalls mir, wo wir besser werden müssen.
(Huch, das wurde eine überlange Mittagspause.)