Vogelgrippe bei Milchkühen
Offene Fragen und Antworten
Heute Nacht (am 27. April 2024, ca. 0.30 Uhr MESZ) kam die Meldung: Die US-amerikanische Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) hat das vorläufige Ergebnis der weitergehenden Untersuchung von Milchproben aus dem Handel (Öffnet in neuem Fenster), in denen Spuren des Vogelgrippevirus (Highly Pathogenic Avian Influenza, kurz: HPAI, Subtyp Influenza-A-(H5N1)-Virus) gefunden wurden, veröffentlicht. Bei dieser weitergehenden Untersuchung geht es der FDA auch um die Frage, ob das Pasteurisieren als sicheres Verfahren angesehen werden kann. Der zuvor erfolgte qPCR-Test (quantitative Polymerase-Kettenreaktion - qPCR) vermochte nur zu klären, ob Virusgene enthalten sind. Nicht aber, ob es sich dabei um ein lebendes, infektiöses oder abgestorbenes Virus handelt.
Der Ei-Inokulations-Test (Öffnet in neuem Fenster), der als Goldstandard für den Nachweis von infektiösen Viren gilt, hat nach Meldung der FDA (Öffnet in neuem Fenster) bei den ersten positiv qPCR-getesteten Milchproben kein lebendes, infektiöses A(H5N1)-Virus ergeben. Weitere 297 Proben von Milchprodukten aus 38 US-Bundesstaaten werden noch ausgewertet.
Ein Grund zum Aufatmen ist die Nachricht der FDA indes nicht. Denn aus den negativen Ei-Inokulations-Testergebnissen kann man nicht ohne Weiteres ableiten, dass das A(H5N1)-Virus durch Pasteurisieren inaktiviert werden kann.
Was meint hier “Pasteurisieren”?
Das hat die FDA nicht erklärt. Sie schreibt unter “Background” lediglich (Öffnet in neuem Fenster) (übersetzt):
“Das Pasteurisierungsverfahren hat sich seit mehr als 100 Jahren im Dienste der öffentlichen Gesundheit bewährt. Die Pasteurisierung ist ein Verfahren, bei dem schädliche Bakterien und Viren abgetötet werden, indem die Milch über einen bestimmten Zeitraum auf eine bestimmte Temperatur erhitzt wird, um die Milch sicherer zu machen. Selbst wenn in der Rohmilch Viren nachgewiesen werden, wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass durch die Pasteurisierung Krankheitserreger so weit abgetötet werden, dass sie keine Gefahr für die Gesundheit der Verbraucher darstellen. Pasteurisierung ist jedoch etwas anderes als vollständige Sterilisierung; Sterilisierung verlängert die Haltbarkeit, ist aber nicht erforderlich, um die Sicherheit der Milch zu gewährleisten. Obwohl Milch pasteurisiert und nicht sterilisiert wird, trägt dieses Verfahren seit mehr als 100 Jahren dazu bei, die Gesundheit der amerikanischen Bevölkerung durch die Inaktivierung von Infektionserregern zu schützen.”
Das klingt nett, ist mir persönlich jedoch zu wenig an Information für meine persönliche Risikobewertung. Also folgt mein Blick in die Rechtsvorschriften:
“Pasteurisierung” nach US-Verständnis
Der Begriff der “Pasteurisierung” nach US-Verständnis ergibt sich aus dem CFR - Code of Federal Regulations, Title 21, Chapter I, Part 131 (Milk and Cream) und dort der Definition unter 131.3 Buchstabe b (Öffnet in neuem Fenster):
Die Verwendung des Begriffs "pasteurisiert" zur Beschreibung eines Milcherzeugnisses bedeutet hiernach, dass jedes Teilchen dieses Erzeugnisses in einer ordnungsgemäß betriebenen Anlage auf eine der in der folgenden Tabelle angegebenen Temperaturen erhitzt und für die angegebene Zeit (oder ein anderes Zeit/Temperatur-Verhältnis, das nachweislich hinsichtlich der Abtötung von Mikroorganismen gleichwertig ist) ununterbrochen auf oder über dieser Temperatur gehalten worden ist:
Da Temperaturen in Fahrenheit für uns wenig verständlich sind, hier die Umrechnungswerte:
145°Fahrenheit entsprechen 63°Celsius als Mindesttemperatur, 150°F bzw. 65,56°C bei mindestens 10% Fettgehalt (vgl. Fn 1).
161°F entsprechen 72°C als Mindesttemperatur, 166°F bzw. 74,44°C bei mindestens 10% Fettgehalt (vgl. Fn 1).
191°F entsprechen 89°C.
204°F entsprechen 96°C.
212°F entsprechen 100°C.
“Ultrapasteurisiert” bedeutet dagegen und gemäß Buchstabe c, dass ein Milcherzeugnis vor oder nach dem Verpacken mindestens 2 Sekunden lang bei mindestens 280°F (= 137,78°C) thermisch behandelt wurde, um ein Erzeugnis zu erhalten, das unter Kühlbedingungen länger haltbar ist.
Den Angaben der International Dairy Foods Association (Öffnet in neuem Fenster) kann ich entnehmen, dass in den USA die häufigste Methode der Pasteurisierung die Hochtemperatur-Kurzzeit-Pasteurisierung (HTST) ist, bei der Metallplatten und heißes Wasser verwendet werden, um die Milchtemperaturen für nicht weniger als 15 Sekunden auf mindestens 72° Celsius zu erhöhen, gefolgt von einer schnellen Kühlung.
Dennoch zeigt die obige Tabelle, dass es möglich ist, dass auch bei niedrigeren Temperaturen behandelte “pasteurisierte Milch” im Umlauf ist. Und wir wissen nicht, welche Art der Pasteurisierung die Milch erfahren hat, welche die FDA (bzw. USDA) (Öffnet in neuem Fenster) geprüft hat und prüft.
“Pasteurisierung” nach EU-Verständnis
In der EU und damit auch Deutschland (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 4 erster Spiegelstrich Konsummilch-Kennzeichnungs-Verordnung (Öffnet in neuem Fenster)) sind die Vorgaben zur Pasteurisierung grundsätzlich ähnlich:
Die “Pasteurisierung” von Milch erfolgt nach Anhang III Abschnitt IX Kapitel II Teil II Nr. 1 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs durch eine Wärmebehandlung, die eine Erhitzung um:
(i) kurze Zeit bei hoher Temperatur (mindestens 72°C für 15 Sekunden);
(ii) lange Zeit bei niedriger Temperatur (mindestens 63 °C für 30 Minuten) oder
(iii) jede andere Kombination von Zeit-Temperatur-Bedingungen, um eine gleichwertige Wirkung zu erzielen, (…)
umfasst.
Für Wärmebehandlungsverfahren mit höheren Temperaturen wird “Pasteurisierung” nicht, auch nicht als Wortbestandteil, verwendet, daher lasse ich deren Definitionen hier weg.
Bei welcher Temperatur wird das H5N1-Virus inaktiviert?
Nach meinen Recherchen ist nicht bekannt, bei welchen Temperatur-Zeit-Verhältnissen das A(H5N1)-Virus, welches sich an Milchkühe angepasst hat, inaktiviert wird (so auch Scientific American vom 26. April 2024 (Öffnet in neuem Fenster)). Ich konnte eine Studie (Wanaratana et al., 2010) (Öffnet in neuem Fenster) finden, nach deren Ergebnis das H5N1-Virus nach Wärmebehandlung bei 70°C für 60 Minuten oder mindestens 75°C für mindestens 45 Minuten effektiv inaktiviert werden konnte. Eine deutsche Studie (Hessling et al., 2022 (Öffnet in neuem Fenster)) fasste den Forschungsstand wie folgt zusammen (übersetzt):
“Bisher gibt es etwa 50 Studien zur Hitzeinaktivierung von menschlichen und aviären Influenzaviren, die große Unterschiede in der Hitzeempfindlichkeit von Influenzaviren in verschiedenen Medien zeigen. Innerhalb ein und desselben Mediums sind die Unterschiede zwischen den Viren jedoch eher gering. (4) Schlussfolgerungen: Bei einer Temperatur von 60°C können bekannte Influenzaviren innerhalb von etwa 30 Minuten in fast allen Medien um vier oder mehr Größenordnungen reduziert werden, und dies gilt wahrscheinlich auch für ein potenzielles neues Influenzavirus. Weitere Studien, insbesondere zu menschlichen Influenzaviren, wären wünschenswert.”
Eine blosse Reduzierung potenziell sehr hoher Virenbelastung von Milch dürfte als unzureichend angesehen werden. Erfolgt also die “Pasteurisierung” nur für 30 Minuten bei 63°Celsius und ist das an Kühe angepasste A(H5N1)-Virus besonders hitzebeständig, kann es - ggf. in geringerer Zahl - grundsätzlich auch in pasteurisierter Milch überleben und infektiös bleiben.
Es kann also ohne wissenschaftlichen Nachweis nicht ausgeschlossen werden, dass pasteurisierte Milch infektiöse Vogelgrippe-Viren enthält, auch wenn sie vorschriftsgemäß wärmebehandelt worden ist.
Zusammengefasst heisst das…
Die Testverfahren der FDA können nicht belegen, dass “Pasteurisierung” A(H5N1)-Viren inaktiviert. Es braucht vielmehr den wissenschaftlichen Nachweis, mit konkreten Temperatur/Zeit-Angaben.
Dabei macht mir nicht die größte Sorge, dass die Informationslage angesichts der schnellen, bislang nicht verstandenen Virusentwicklung und -ausbreitung unzureichend ist. Dieses Problem ist nicht neu und habe ich schon hier (Öffnet in neuem Fenster) beschrieben. Mir bereitet die größte Sorge, wie damit umgegangen wird. Und dieser Umgang lässt erkennen, dass aus der COVID-19-Pandemie nicht gelernt wurde.
Mir fehlen v.a. sachliche, deutschsprachige Informationen seitens staatlicher Einrichtungen, die englischsprachige Informationen zudem korrekt übersetzt wiedergeben. Auf der Website der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Öffnet in neuem Fenster), der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), des Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) (Öffnet in neuem Fenster) ist nichts unter den Stichworten “Vogelgrippe” und “H5N1” zu finden. Die Website des RKI (Öffnet in neuem Fenster) verweist lediglich, für meinen Geschmack zu gut versteckt, auf Websites des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI) (Öffnet in neuem Fenster) und der WHO. Das FLI dürfte Bürgerinnen und Bürger nicht geläufig sein, weshalb dessen Informationen nur unzureichend wahrgenommen werden dürften. Ich persönlich halte auch die vom RKI verlinkte Information des FLI für unzureichend. V.a. die Themen der Pasteurisierung und Inaktivierung hätten längst vertieft werden können, um ein klareres Bild der Risikolage zu schaffen.
Bürgerinnen und Bürger haben zu diesem Zeitpunkt schon sehr viel mehr Informationen über soziale Medien erhalten als die deutschsprachigen Quellen hergeben. Deren Einordnung wird so den Bürgerinnen und Bürgern selbst überlassen. Die Gefahr ist groß, dass dieses Informationsvakuum wieder einmal durch selbsternannte Expert:innen gefüllt wird. Der Umstand, dass manche Journalist:innen frei zugängliche, englischsprachige Fachbeiträge übersetzen und hinter Paywalls verstecken, macht die unzureichende Informationslage hierzulande nicht besser. Allen Bürgerinnen und Bürgern sollte gleichermaßen eine sachgerechte Risikoeinschätzung ermöglicht werden.
Das bedeutet auch, dass die ehrliche Antwort auf Fragen nicht vermieden wird.
Kann die Vogelgrippe bei Milchkühen auch in der EU, in Deutschland ausbrechen?
Das kann nicht ausgeschlossen werden, zumal die Vogelgrippe schon lange in Deutschland angekommen ist (Öffnet in neuem Fenster). Über die Verbreitung und die Entwicklung des Virus ist zu wenig bekannt (Öffnet in neuem Fenster), weshalb auch die WHO (Öffnet in neuem Fenster) diese Woche zu weltweiter Wachsamkeit gemahnt (Öffnet in neuem Fenster) hat.
Kann sich der Mensch durch Milch mit dem Vogelgrippe-Virus A(H5N1) infizieren?
Auch das kann nicht ausgeschlossen werden. Über die Entwicklung des Virus ist zu wenig bekannt. (Öffnet in neuem Fenster) Deshalb raten die WHO (Öffnet in neuem Fenster) und FDA (Öffnet in neuem Fenster) v.a. vom Rohmilchkonsum ab.
Nach dem Bericht des Scientific American vom 26. April 2024 (Öffnet in neuem Fenster) haben USDA-Forscher Nasenabstriche, Gewebe- und Milchproben von Kühen aus betroffenen Milchviehherden untersucht und festgestellt, dass die Milch die höchsten Viruskonzentrationen enthielt. Dies deutet darauf hin, dass sich das Virus über Milch(-tröpfchen) verbreiten könnte. Das wiederum deutet darauf hin, dass die Übertragung unter den Milchkühen über den Kontakt der Euter mit Melkvorrichtungen stattfinden könnte. Die Verbreitung über Milch würde auch den auffälligen Tod vieler Katzen (WHO, 2024, S. 2 (Öffnet in neuem Fenster)) erklären, die als Kuhmilchkonsumenten bekannt sind. Wenn also der Kontakt mit und der Konsum von Milch eine Virusübertragung auf andere Tiere bedeuten kann, ist nicht auszuschließen, dass bei entsprechender Entwicklung des Virus auch eine Übertragung durch Milch(-tröpfchen) auf den Menschen erfolgen kann.
Ist eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung möglich?
Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung wird nach bestehenden Erkenntnissen als unwahrscheinlich angesehen, vorausgesetzt, das A(H5N1)-Virus verändert sich nicht (WHO, 2024, S. 7 (Öffnet in neuem Fenster)). Das heisst: Auch das kann nicht ausgeschlossen werden. Hinzu kommt, je häufiger und verbreiteter ein Virus auftritt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Entwicklung (Öffnet in neuem Fenster) hin zu einem an den Menschen angepassten Virus, das auch von Mensch zu Mensch übertragen werden kann.
Ist eine Vogelgrippe-Pandemie unter Menschen möglich?
Eine Vogelgrippe-Pandemie unter Menschen erfordert zunächst eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung. Diese wird nach bestehenden Erkenntnissen als unwahrscheinlich angesehen, vorausgesetzt, das A(H5N1)-Virus verändert sich nicht (WHO, 2024, S. 7 (Öffnet in neuem Fenster)). Das heisst: Auch die Vogelgrippe-Pandemie unter Menschen kann leider nicht ausgeschlossen werden.
Wie verhalte ich mich?
Empfehlungen möchte ich mich enthalten, da diese den Gesundheitsbehörden obliegen. Auf die explizite Empfehlung der WHO, auf Rohmilchprodukte zu verzichten, verweise ich.
Ich berichte abschließend aber gerne, wie ich mit dem oben beschriebenen Risiko umgehe, welches aus der lückenhaften Informationslage folgt:
Ich werde keinen Joghurt, Quark und Käse mehr aus Rohmilch herstellen. Vor der Pasteurisierung (75°C bislang aus Sicherheitsgründen, bei natürlicher Abkühlung) kam ich immer irgendwie in den Kontakt mit der Rohmilch. Auch die Leerung, Reinigung der Milchkannen ist schwer möglich, ohne dass Rohmilch in den Kontakt mit anderen Gegenständen kommt, die ich auch sonst nutze. Ich sehe mich nicht in der Lage, mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln und Fähigkeiten die Küche und alle potenziell mit Milchspritzern versehenen Gegenstände vollständig zu reinigen.
Konsumieren werde ich bis zur Klärung der Fragen zur Virusinaktivierung nur noch ultrahocherhitzte Milch (“H-Milch”), also solche, die auf über 135°C erhitzt worden ist (siehe Anhang III Abschnitt IX Kapitel II Teil II Nr. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs).
Soweit ich nähere Informationen nicht ermitteln kann, werde ich andere Milchprodukte vorerst auch nicht mehr konsumieren.