Zum Hauptinhalt springen

Genießen ist erlaubt. (Alles andere auch) 

Heute habe ich sie wieder gesehen. Die Mütter, die kinderwagenschiebend neben ihren Kleinkindern herlaufen, die sich mühsam auf dem Laufrad versuchen zu halten oder mit dem Roller davonjagen wollen. Sie sehen müde aus und ich fühle sie sehr. 

Wenn ich sie sehe, mag ich ihnen aufmunternd zunicken. Ohne Worte. Denn ich wüsste gar nicht, was hilfreich ist in diesem Momenten. Ich erinnere mich an diese Sätze, die man mir gesagt hat. "Genieße die Zeit! Sie werden so schnell groß!" Und ich wollte das einfach nicht hören. 

Ehrlich gesagt genieße ich es, dass sie groß werden. Alles wird irgendwo leichter. Klar ist immer was los, man hat viel zu tun mit ihnen, sorgt sich viel und die Sorgen, ja die werden wirklich größer, existentieller irgendwie. Dennoch bin ich froh, dass sie aus dem Kindergarten raus sind, aus den Windeln, aus dem Schreien und Kreischen wo keiner weiß, warum (nicht mal sie). Als ich im November die Kindergartenscharen mit Laternen gesehen habe, hab ich innerlich jubiliert. Geht mich nichts mehr an, muss ich nicht mehr mitmachen. 

Fehlt mir ihr Kleinkinderdasein? Klar, manchmal schon. Das Kuschlige. Das Niedliche. Ein Kollege sagte gestern, er und seine Frau erwarten diese Woche ihr zweites Kind. Der Zauber eines Neugeborenen? Unbezahlbar. Aber hey, dreimal ist genug. Und es war wahrlich nicht nur Zauber. Außerdem bleibt mir die Erinnerung, die lebendie Erinnerung an die Geburten, das Stillen, die ersten Gluckser, das erste Lächeln, all die ersten Male. Das vergisst man doch nicht, nur weil sie groß werden. Und was im Leben erleben wir schon immer und immer wieder ohne genug davon zu bekommen? Orgasmen vielleicht, aber die sind ja auch nur kurzweilig und nichts im Vergleich zu diesen Erinnerungen. 

Aber einer Mutter zu sagen, sie möge die Zeit mit ihren kleinen Kindern genießen, empfand ich immer in etwa so wie das "Sei froh, dass du überhaupt einen Job hast!" wenn jemand unter schwierigen Bedingungen arbeitet. Es macht Druck und vor allem nimmt es einem die Erlaubnis zu sagen: "Ich bin heute durch. Es nimmt die Erlaubnis einfach nur müde und verzweifelt zu sein, nicht mehr weiter zu wissen, Angst zu haben, das alles nicht zu schaffen. Klar schaffen wir das alles am Ende doch. Irgendwie. Mal besser, mal schlechter. Aber es muss erlaubt sein zu sagen: "Manchmal möchte ich einfach nur davonlaufen." Deshalb genießen wir das Lachen unserer Kinder ja doch, freuen uns mit ihnen, wenn sie den Schuh nach drei Stunden gebunden bekommen und das Essen vom Löffel direkt im Mund landet. Wir freuen uns mit ihnen über ihre Geburtstagsgeschenke und wenn sie plötzlich lesen können, eislaufen können, ein Stück am Klavier spielen oder Kunstwerke zeichnen, die wirklich danach aussehen. 

Ich unterhalte mich mit dem Großen über Alkohol und seine Auswirkungen, wir reden über Depressionen und Selbstmord, über Jobsuche und Bewerbungsschreiben. Da kommen Themen auf dem Tisch, an die man nicht ansatzweise denkt, wenn man den Zauber des Neugeborenen genießt. Und das ist gut. Genauso ist es jetzt gut, wie es ist. Alles hat seine Zeit, alles darf sein und geht vorbei und wir nehmen an Erinnerungen mit, was uns wichtig ist. 

Und auch jetzt denke ich oft: "Endlich Donnerstag. Da gehen sie zum Papa und ich hab mein Bett wieder für mich, hab wieder Ruhe, kann tun was und wann ich will. Muss nicht dauernd abrufbar sein." Das heißt nicht, dass ich sie nicht genieße. Und wie ich sie genieße, wenn sie dann wieder da sind. Und davor und dazwischen. Und wenn sie weg sind und ich ihre Spielsachen wegräume und ihre Zimmer sauge, dann lächle ich manchmal über irgendwelche kleinen Dinge, die sie gesagt oder getan haben. Im Grunde genieße ich meine Kinder immer, nur eben nicht jeden Moment. Das sollte doch erlaubt sein. 

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Volle Kanne Leben und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden