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Echte Linke und falsche Linke

Die Wagenknechte und ihre fragwürdigen Phrasen kann man leicht kritisieren. Aber was sind eigentlich die Prinzipien eines demokratischen Sozialismus?

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Über die sachlichen und moralischen Fragwürdigkeiten mancher linker „Friedens“-Phrasendrescherei ist längst viel gesagt. Etwa, dass regelrecht so getan würde, als hätte die Ukraine mit Hilfe des ruchlosen Westens Russland angegriffen, als wäre die kleine Ukraine ins arme Russland einmarschiert. Dass dem Angegriffenen, der sich bloß wehrt, vom hohen Ross herunter geraten wird, er möge sich ergeben, vergewaltigen, massakrieren lassen. Die autokratische Natur des Moskauer Regimes wird verleugnet, dessen faschistoide Rhetorik ignoriert, und mitunter wird sie relativiert, indem irgendwelche Defizite der ukrainischen Demokratie so behandelt werden, als bewege sich das auf dem gleichen Niveau wie Putins Gulag-Konterrevolution. 

Die innere, psychologische Motivation solcher Rede ist vermutlich nicht bloß ignorantes Desinteresse an der diktatorischen Natur dieser Herrschaft, sondern – schlimmer – eine verborgene Sympathie für dieselbe, eine klammheimliche Identifikation. Gerade Putins Ruchlosigkeit führt zu einer (wahrscheinlich sogar uneingestandenen) Bewunderung, da sie als Entschlossenheit und Standfestigkeit erscheint, die man selbst gerne hätte. Noch in den Schwundformen von Achtung gegenüber einem Potentaten steckt eine Art „Penisneid“. Der Kriegsherr, der nicht zuckt und sich gegen die halbe Welt stellt, ist Quelle verdrängter Bewunderung. Auch eine scheinbar nur pazifistische Haltung kann äußerst fragwürdige Motivationen nicht verbergen, wie schon George Orwell vor vielen Jahrzehnten hellsichtig beschrieb: „Die Mehrheit der Pazifisten gehören entweder zu eigenartigen religiösen Sekten oder sie sind ganz einfach Humanisten, die es ablehnen, irgendjemanden das Leben zu nehmen und die über dieses elementare Prinzip hinaus jede weitere Überlegung ablehnen. Aber es gibt eine kleine Gruppe intellektueller Pazifisten, deren reales, doch uneingestandenes Motiv der Hass auf die westliche Demokratie und die Bewunderung des Totalitarismus ist. Pazifistische Propaganda wird üblicherweise auf die simple Behauptung verdünnt, dass die eine Seite genauso schlecht wie die andere sei, aber wenn man die Schriften jüngerer Pazifisten genauer betrachtet, dann stellt man fest, dass sie keineswegs beide Seiten auf die gleiche Weise anklagen, sondern beinahe ausschließlich Großbritannien und die USA.“ Antidemokratische Affekte von der Art „Wo gehobelt wird, da fliegen Späne“, die in früheren Zeiten unter antiliberalen Linken verbreitet waren und mit denen man entartete Sozialismen sowjetischer Bauart gerechtfertigt hatte, werden einfach emotional auf den rechtsradikalen KGB-Mafia-Kapitalismus übertragen, den Putin etabliert hat. Soweit, so skurril. 

Man sollte die Gelegenheit für eine klare Grenzziehung nützen, aber nicht nur zur Kritik wirrer Ansichten. Was sind eigentlich die Prinzipien eines demokratischen Sozialismus?

Ein demokratischer Sozialismus, der den Versuchungen des Autoritären widersteht, wird nie Werte von Freiheit, Grund- und Menschenrechten und die politischen Freiheitsrechte für Vorstellungen einer formierten Gesellschaft opfern, mag die sich noch so sehr mit antiimperialistischem oder sozialem Wortgekringel aufhübschen. Die sogenannten „bürgerlichen“ Freiheitsrechte sind zu kritisieren, weil sie nicht weit genug gehen, aber nicht als Nebensachen oder Täuschungen abzutun. Nicht weit genug gehen sie, weil sie die Bedingungen der Freiheit ignorieren, die nötigen Voraussetzungen, diese Freiheit auch zu leben, etwa eine soziale Gleichheit, ohne die die Freiheitschancen sehr ungleich verteilt würden. Zum tragenden Umfeld der Freiheitsrechte gehören Autonomie, die Achtung vor Anderen und ihrer Ansichten, aber auch die Freiheit jedermanns und jederfrau, sein oder ihr „Ding“ zu machen, weshalb die Existenz von Freiräumen entscheidend ist, in denen diese Freiheit sich verwirklichen kann, gewissermaßen Brutplätze der Autonomie. Diese Brutplätze sind nicht nur von autoritärer Herrschaft, sondern auch von Konformismus, klebriger Traditionshuberei und auch von Totalökonomisierung bedroht. Ein Sozialismus, der die räuberische Mentalität des Kapitalismus bändigen oder sogar überwinden will, braucht einen starken Staat, der ökonomische Regulierungen setzt, kräftige Sozialsysteme etabliert, Investitionen steuert und vieles mehr, aber gerade deshalb diese Freiheiten durch eiserne Regeln schützen muss, wie schon Karl Polanyi bemerkte: „In einer etablierten Gesellschaft muss das Recht auf Nonkonformismus institutionell geschützt sein.“

Eine kollektive Befreiung ist ihren Namen nicht wert, wenn die Befreiung der Einzelnen nicht ihr eigentliches Ziel ist. Dabei kann man sich ruhig an Karl Marx halten, demzufolge es gelte, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“. Echte Linke fieberten deswegen mit Vaclav Havel, Alexander Dubcek und anderen im Jahr 1989 in der Laterna Magica und drückten nicht Figuren wie Husak, Jakes oder Honecker die Daumen. 

Der moralische Kompass echter Linker darf niemals zittern und ruckeln – sie stehen auf der Seite der Freiheitskämpfe aller, die geknechtet oder von Knechtschaft bedroht sind. Unterdrückten oder Bedrohten zu raten, sie mögen sich des lieben Friedens willen nicht wehren, bedeutet letztlich nichts anderes, als sich auf die Seite der Henkersknechte zu stellen. Ob in Freiheitskriegen demokratischer Gesellschaften gegen faschistische Nationen (wie etwa im Krieg gegen die Nazis), ob in Widerstandsbewegungen gegen autoritäre Diktatoren oder eine Soldateska (vom Spanischen Bürgerkrieg bis zu den Aufständen gegen Potentaten wie Somoza), ob in antikolonialen Befreiungskriegen wie der algerischen FLN gegen das imperiale Frankreich – in all diesen Fällen ist eine „Neutralität“ oder ein billiger „Bothsidismus“ einfach eine unmoralische Sache. Der Widerstand der ukrainischen Gesellschaft gegen Russlands Invasion hat viele Elemente dieser geschichtlichen Kämpfe, also des Widerstandes gegen faschistische, expansionistische Regimes und des Widerstandes gegen (post-)koloniale Unterdrückung. Entweder stehst du auf der Seite der Freiheit oder auf der Seite der Reaktion, Tertium non datur. 

Da ein demokratischer Sozialismus einerseits von seinen grundlegenden Prinzipien nie abweichen darf, andererseits nicht im Wolkenkuckucksheim, sondern in der wirklichen Wirklichkeit operiert, darf er auch den Realismus nicht aus den Augen verlieren. Der verlangt häufig verwickelte Abwägungsfragen und Balanceakte. So wird man, wenn immer möglich, Kriege zu vermeiden suchen, gelegentlich auch um den Preis von Kompromissen mit schlimmen Fingern. Wenn man gegen alle Feinde der Freiheit Krieg führen würde, würde die Welt in Gewalt untergehen und die Freiheit höchstwahrscheinlich keinen Millimeter voran kommen. Gerade eine humanistische Idee, die dem zynischen „Wo gehobelt wird, da fliegen Späne“ nichts abgewinnen kann, muss jedes Menschenleben retten, das gerettet werden kann. „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts“, formulierte Willy Brandt. Der Befreite hat nichts von der Befreiung, wenn er nach der Befreiung tot ist. Der Realismus lehrt, dass man im Notfall natürlich auch mit dem Teufel zu verhandeln hat, aber ebenso, dass sich mit bewaffneten Gangstern besser verhandelt, wenn man selbst bewaffnet ist. Moralische Klarheit und Besonnenheit widersprechen sich nicht. Ja, praktisch alle Kriege enden mit Verhandlungen. Nur: Ob diese Verhandlungen gerechter oder weniger gerecht ausgehen, darüber entscheidet leider auch das Geschehen in dem, was die Amerikaner so lapidar das „Theater of Operation“ nennen.

Echte Linke können schwerlich Pazifisten sein, aber sie hassen den Krieg. Übrigens auch aus folgendem Grund: Krieg ist niemals eine Schule der Zärtlichkeit. Gewalt verroht, und zwar auch die Gegner der Rohheit. Auch Befreiungskriege werden eher häufig eine unerfreuliche Nebenfolge haben, nämlich die Stärkung des Autoritären, des Kommandohaften der Militärs, die Brutalisierung derer, die die Brutalität verabscheuen. Vom Bolschewismus bis zu irgendwelchen Caudillos ist die Welt voller Beispiele für diesen Sachverhalt. Deshalb ist auch die die Romantisierung der Gewalt, wie sie in linken Milieus auch nicht ganz selten ist, eine Verirrung.

Der Krieg, der der ukrainischen Demokratie aufgezwungen wurde, schwächt diese Demokratie natürlich, das ist ja überhaupt keine Frage: Auch Verteidigungskriege stärken die Zensur, bedrohen die freie Rede, haben die selbstverständliche Eigenschafft, dass die Reihen geschlossen werden, und die Gegenwehr überfallener Gesellschaften führt zu unschönem Nationalismus. Man weiß das. Und weil man das weiß, sollte man es immer berücksichtigen. „Auch der Hass auf die Niedrigkeit / Verzerrt die Züge“, formulierte bereits Brecht. Opposition wird zum Schweigen gebracht, ja, die Opposition erlegt sich selbst ein Schweigen auf, um „dem Feind keine Munition zu liefern“. Der „Leitstern“, schrieb Timothy Garton Ash über „Ukraine in Our Future“ müsse jener sein, den George Orwell stets verfolgte: „Kämpfe für die richtige Seite, aber bleibe unbestechlich kritisch gegenüber deren Fehlern“. 

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