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Folge 105

Etwas Altes: Der Genderstern von Bethlehem

Es ist kurz vor Weihnachten, Menschen könnten, wenn ihnen die christliche Weihnachtsgeschichte vorgelesen wird, auf die Idee kommen, dass ein Verschärfen von Asylgesetzen und das Abschieben im großen Stil ziemlich unchristlich ist, also muss schnell die Genderdebatte aus der Schublade geholt werden. Das Volk muss abgelenkt werden, sonst kommt es noch auf Gedanken. Früher waren diese Ablenkungsmanöver noch anstrengender, Frau Merkel etwa musste mal zehn Kilo abnehmen, damit nicht über eine politisch finstere Entscheidung, sondern ihre Figur gesprochen wurde. Seit es das Gendersternchen gibt, ist alles viel einfacher geworden. Bildung ist ja Ländersache, also kann immer wieder ein anderer Clown den gleichen Quatsch verzapfen und die Medien sind auch jedes Mal gleich dabei, geil, schnell Artikel machen, das Internet schnappt ja schon nach Luft, das gibt sichere Klicks für einen Monat Überleben.

Ich habe gerade das Lektorat für das Buch Gewalt und Poesie von Jess Tartas und Schwartz fertiggemacht. Schwartz gendert nicht. Habe ich als Lektorin des Buches auch nur eine Bemerkung dazu gemacht? Oder als Verlegerin? Nein. Jess Tartas gendert. Habe ich als Lektorin des Buches auch nur eine Bemerkung dazu gemacht? Oder als Verlegerin? Nein. Hätten sie selbst gefragt, ob sie gendern sollen, hätte ich »Ja, gern« geantwortet.

Hätten die beiden an einer wissenschaftlichen Anthologie mitgewirkt, würde ich sie gebeten haben, zu gendern. Bestanden hätte ich darauf nicht. Als Verlegerin begrüße ich es, wenn gegendert wird, ich verlange es aber nicht. 

In meinem Alltag, der rund um die Uhr mit Sprachschöpfung, -pflege und -vermittlung zu tun hat, ist Gendern ziemlich normal geworden. Das könnte auch gesamtgesellschaftlich längst so sein, wenn man nicht mit dieser unnötigen Diskussion so schön von jeder beliebigen echten Schandtat ablenken könnte.

»Vergewaltigung der Sprache«? Herr Söder, wie bitte? Was ist das denn für eine Sprache? Ach, sorry, kurz vergessen, heute werden ja mal nicht unsere Frauen vor den Muslimen geschützt, sondern unsere Sprache und Literatur vor den Frauen.

Das Gendersternchen mag keine typografische Schönheit sein, aber darum ging es doch auch wirklich keine Sekunde lang. Der Stern erzeugt ein kleines bisschen mehr Gerechtigkeit in einer lichterloh brennenden Welt, eigentlich hätte er verdient, in einer Weihnachtsgeschichte vorzukommen.

Etwas Neues: Minijob-Fashion

Wäre ich eine zynische Fashion-Maus wie Lars Eidinger, würde ich einen Trend lancieren: Minijob-Fashion. Allein in unserem Haushalt geistern mittlerweile derart viele T-Shirts, Jacken, Warnwesten von irgendwelchen Lieferservices, Eventausrichtern und Hilfsorganisationen herum, dass ich damit locker eine ganze Kollektion bestücken könnte. Das liegt daran, dass Jugendliche aus eher linksbürgerlichen Haushalten sich nicht zu fein für prekäre Jobs sind, aber diese anders als Menschen in existenzieller Versorgungsnot selten lange behalten. Bis dahin wurden sie aber natürlich trotzdem von diesen Megaausbeutern gezwungen, die komplette Arbeitskleidung zu kaufen. Bei den Jobs für Hilfsorganisationen haben die jungen Menschen meist etwas mehr Geld und Kleidungsstücke gratis bekommen, Letztere hätten sie vermutlich zurückgeben müssen, aber so was klappt ja selten gut. Die angesammelten T-Shirts werden ganz selbstverständlich im Alltag getragen, aber etwas abwegigere Teile wie die quietschpinke Foodpanda-Jacke nur zum Rauchen in den Garten oder wenn wirklich alle anderen Jacken gerade in irgendeiner anderen Wohnung liegen.

Foodpanda-Jacke liegt auf hellblauen Croqs mit Hello-Kitty-Pins

Ich stelle mir vor, wie ein Trendscout durch Berlin rollert und meinem kurz zum Supermarkt schlappenden Sohn in Foodpanda-Jacke begegnet. Er trägt die Jacke offen, denn die Sonne ist kurz herausgekommen, auf seinem schwarzen T-Shirt erkennt man das rot-gelbe ASB-Logo. Es sieht alles so herrlich unabsichtlich aus. (Weil es das ist.) Unauffällig macht der Trendscout mit dem Smartphone ein Foto, er freut sich, denkt so Berlin. Seine Chefin wird begeistert sein.

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

»Die schlimmste Art der Ungerechtigkeit ist die vorgespielte Gerechtigkeit.« ― Platon

Etwas Unheimliches: Ghostly Skincare

»Obsessing over« oder »possessed by«?

Rubrikloses

Ich seit 2011: Bitte keine Manuskripte anbieten oder schicken, wir fragen grundsätzlich selbst bei Autor*innen an. (Öffnet in neuem Fenster)

Unbekannte Person, 2023:

Snickers-, Bounty-, Twix-Proteinriegel

Neulich dachte ich: Krass, mein ganzes Leben lang waren Snickers, Bounty und die anderen klassischen Schokoriegel supererfolgreich, jetzt werden sie von Proteinriegeln verdrängt. Naiv von mir,, denn jetzt gibt es sie neuerfunden als Proteinriegel. Der Markt regelt wirklich alles, nur nicht für Menschen.

M&Ms mit dem eigenen Foto drauf

Next Level Selbstbezüglichkeit

Werbung für Blasenstärkungsgerät

Ist das ein verkappter Vibrator, so wie im 19. Jahrhundert der »Manipulator«, ein Massagegeräte gegen Hysterie? (Lassen Sie Perifit dieses Jahr Ihr Weihnachtsmann sein, zwinkazwonka.)

Zwei Instaposts in Schwarzweiß untereinander

Instagram hat sich dem Diskurs angepasst und gestattet nur noch Schwarzweißbilder.

Screenshot aus den Tagesthemen. Person steht vor Computerscreen, unten erkennbar PGExplaining-Postkarte mit »Resignation ... riot ... resignation ... riot ...«

Im Beitrag ging es darum, dass ihre Stelle nur befristet ist …

Präraffaelitische Girls erklären

Person mit Tiger: Ich, wenn ich dem Tiger erkläre, dass er weniger gefährlich für Menschen ist als der deutsche Bundeskanzler.

Zurück zum deutschen Bundeskanzler, wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis. 

XOXO,
FrauFrohmann

Ich freue mich, wenn ihr für eine Weile ein Bezahlabo (Öffnet in neuem Fenster) abschließt oder über Paypalme (Öffnet in neuem Fenster) Laser eine Katzenmilch spendiert. Wer wenig Geld hat, behält es bitte.

Das Coverbild ist minus der rosa Einfärbung »Dame mit dem Hermelin« von Leonardo da Vinci von 1490.

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