Zum Hauptinhalt springen

Folge 1

Was New Frohmanntic ist?  
Das werden wir dann schon sehen.

Etwas Altes: Das Tintenstrahldrucker-Punctum

In Präraffaelitische Girls erklären das Internet (Öffnet in neuem Fenster) habe ich u. a. über die instagramgefiltert erinnerte Kindheit nachgedacht. Eine andere technikinduzierte Besonderheit betrifft einige Fotos, die ich in den Nullerjahren mit einer frühen Digitalkamera von meinen eigenen Kindern gemacht und dann auf einem Tintenstrahldrucker auf Fotopapier ausgedruckt habe. Ging dabei eine der Farbpatronen zur Neige, kam es zu Effekten, die man, und ich gehe wirklich nicht leichtfertig mit dem Begriff um, nur unheimlich nennen kann.

Weil das Unheimliche eines meiner Hauptforschungsinteressen ist, übrigens nicht erst seit dem Studium, sondern von Kind an, kam es auch bei der Rezeption dieser Bilder zu einem merkwürdigen Effekt: Als Mutter fand ich es grässlich, visuell verwesende Fotos meiner Kinder zu sehen – eine Art punctum (Öffnet in neuem Fenster) mit der Axt –, ästhetisch aber war ich davon fasziniert und freute mich von da an, wenn es wieder zu dem Phänomen kam; bewusst hervorgerufen habe ich es aber nie.

Höhepunkt des Genres sind für mich die Sicherungskopien zweier Ausweise aus dieser Zeit, die Passfotos zeigen ohne jeden Zweifel eine Zombiemutter und ihr Kind.

Etwas Neues: Kulturkonservative Katzen

In meinem Essay »Vom Verlegen« für den später im Jahr erscheinenden, von Hannes Bajohr und Annette Gilbert herausgegebenen Text+Kritik-Sonderband Digitale Literatur setze ich mich u. a. mit dem seltsam leeren Image des »guten Buchs« auseinander. Parallel zum Schreiben habe ich es auf meiner Insel Laseronia im Spiel Animal Crossing New Horizons mit der virtuellen Schippe bearbeitet, und der Anblick nach Abschluss der Bauarbeiten tut mir seelisch wirklich sehr gut.

Es ist kurios, dass ich ausgerechnet in dem Spiel, das ich als bevorzugten Lockdown- bzw. Quarantäne-Rückzugsort nutze, sehr oft mit redundanten und unnötig dichotomischen Debatten konfrontiert werde, denen ich im Berufsleben seit Jahren auszuweichen versuche. 

Lolly, eine alles in allem wirklich bezaubernde Katzen-Villagerin, baut sich regelmäßig vor mir auf und erzählt mir ungefragt von ihrer Bevorzugung gedruckter Bücher.

Mein Spielfigur-Blick in diesen Momenten ist lebensecht. Ob Menschen, äh, Katzen, lieber Papierbücher lesen, das interessiert mich weder beruflich noch privat noch in game. Ganz anders Ankha, in ihr, einer weiteren Katzenvillagerin, hat Lolly eine kulturkonservative Verbündete gefunden.

Ankha möchte also das gute alte Kino nicht missen. – Hat das klassische Feuilleton Laseronia gehackt?

Lolly und Ankha sind jetzt richtig in Fahrt gekommen und schwärmen aus vollem Pixelherzen von der materiellen Welt.

Vorsicht, Ankha, jetzt nicht übertreiben. Bei der Erwähnung von Mode findet man sich mitunter schneller vor der kulturkonservativen Türe, als man »dressed up« sagen kann.

Lolly hingegen geht keine Risiken ein.

Volle Bücherregale gelten vielen nach wie vor als sicheres Anzeichen für Bildung und diese wiederum als Garantin für einen guten Charakter. Mir nicht, ich kenne schreckliche Menschen mit schönen Privatbibliotheken.

Mmmh, Papier und Popcorn, wie das duftet ... 

Was ist hier los? Ich stehe im Jahr 2021 in einem digitalen Spiel und lausche, ohne auf dem Absatz kehrtmachen zu können, einer inhaltslosen Formatdiskussion wie auf der Buchmesse im Jahr 2012. 

Dazu passt auch, dass diejenigen, die sich im Nichtsändernwollen einig sind, ihr Gespräch als »augenöffnend« empfinden, während ich mit weit aufgerissenen Augen dem Festzurren der Scheuklappen und Bretter vor den Katzenköpfen beiwohne. 

Lolly und Ankha interessieren sich jetzt füreinander, allein auf Basis ihres geteilten Desinteresses an Veränderung. Oh, ja, tolle Idee, sich bald wieder zu treffen, um sich weiter gegenseitig in der Ignoranz zu bestätigen. 

Wie im nicht bzw. überall existenten »echten Leben« zeigt sich bald in einem anderen Gespräch mit Lolly, dass so ein merkwürdig von tatsächlichen Inhalten und Formen entkoppelter Traditionalismus keinesfalls eine harmlose Geschmackssache ist. Hinter kategorischem Buch- und Kinokitsch verbirgt sich etwas strukturell Ausschließendes, etwas Böses. 

Die niedliche Lolly, die in ihrem Haus ein großes Bücherregal stehen hat, tut sich nicht nur mit dem Screenlesen schwer, sondern  grundsätzlich mit Neuem und Unbekanntem, mit Neuen und Unbekannten. Das Problematische daran sieht sie nicht.

Lolly will mir ein »die« und »wir« plausibel machen, ihre Ankündigung könnte auch mir das ankernde Boot und in der Konsequenz die Lebewesen darauf verdächtig erscheinen lassen. –  Wie viel von all dem den Entwickler*innen von Animal Crossing bewusst ist, muss einen gar nicht interessieren, es ist aufschlussreich genug, die bekannten Denkfiguren und -konstellationen des Kulturkonservatismus selbst in diesem fast gänzlich freundlichen Spiel verankert zu finden.

Etwas Geborgtes: Antirassistische Bildung zum Hören und Sehen

Ich möchte hier noch einmal sehr empfehlen, sowohl den Podcast 190220 - Ein Jahr nach Hanau (Öffnet in neuem Fenster) von Sham Jaff, Alena Jabarine, Şeyda Kurt und Viola Funk anzuhören, als auch die ARD-Doku Hanau - Eine Nacht und ihre Folgen (Öffnet in neuem Fenster) von Marcin Wierzchowski anzusehen. Es ist ein Zeichen des Respekts gegenüber den Ermordeten, die so erinnerbare Gestalt annehmen. Man wächst auch selbst daran, nicht in die Höhe, sondern in die Weite.

Lehrer*innen in entsprechenden Fächern können beide Produktionen sehr gut in den Unterricht einbauen.

#SayTheirNames

Etwas Uncooles: Protest als ironische Pose

Ihr fragt euch, wie manche Entscheider*innen über 50 »so« werden konnten, so durch und durch ironisch bis zynisch, dass kein Raum mehr für einfaches Mitgefühl bleibt? Ich werde versuchen, diese Frage nach und nach zu beantworten, indem ich mit dem Wissen von heute in die Zeit zurückreise, in der diese Menschen – und auch ich – geprägt wurden, die späten 1970er bis frühen 1990er-Jahre. Es wird um Styles, Moden und Marken gehen, um Musik, Literatur und Sprache. Zum Einstieg habe ich euch einen Text von mir über die Jugendkultur der Popper zum Lesen (Öffnet in neuem Fenster)* geöffnet, er ist 2012 in der von Diana Weis herausgegebenen Anthologie COOL AUSSEHEN: Mode & Jugendkulturen (Öffnet in neuem Fenster) erschienen. Viele der oben erwähnten, aus heutiger Sicht menschlich rätselhaften Personen waren als Jugendliche Popper.

Ich wollte ursprünglich mal ein umfassendes Werk über diese Jugendkultur schreiben, wovon ich dann aber abgesehen habe, warum, erzähle ich ein anderes Mal.

* Wer das pdf zum Arbeiten haben möchte, bitte Mail an info@frohmannverlag.de senden.

Rubriklos

So sehen Emojis von hinten aus.

Visualisierung einer menschlichen Seele

»Cultous-Produkt«

Sehr gutes Baguetterezept

(c) Christiane Frohmann

Zurück zum Wesentlichen, zu den Wesentlichen, wir sehen uns in einer Woche wieder.

– Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

FrauFrohmann

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von UMSEHEN LERNEN und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden