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Folge 22

 

Etwas Altes: Der Mutterfleischwolf 

Vor fünf Jahren hätte ich jetzt bereits am Rand eines Hockeyturniers gesessen und mein Kind angefeuert, nachdem gestern das andere Kind bereits ein Turnier gehabt hätte, beide Male ganztags, ich durchgehend dabei, na klar. Natürlich hätte ich jeweils einen selbstgebackenen Kuchen fürs Buffet beigesteuert oder zumindest geschnittenes Obst in großen Mengen vorbereitet. 

Es war ja auch immer nett da, der Trainer freundlich, die anderen Eltern interessante Gesprächspartner*innen. Kein Geschrei, kein Gepushe. Beide Mannschaften verloren eigentlich immer, das war schon fast kurios, aber meine Kinder nahmen das gelassen, weil sie wussten, dass sie selbst ganz gut spielten und nichts dafür konnten. Inhaltlich war also alles gut. Das ging etwa zwei Jahre lang unhinterfragt so. Bis zu diesem einen Tag in Brandenburg, Stadt. 

Wir waren ziemlich umständlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln dorthin gekommen, ich fahre ja nicht mal Auto, und dann saß ich da allein auf einer dieser unbequemen Turnhallenbänke und dachte: Was soll das hier? Wie bin ich hier hinein geraten? Wo ist mein, wo ist unser Leben hin?  – Mich hatte doch früher auch keine*r überall hingebracht, ich war einfach zum Turnen gegangen, zum Judo, zum Volleyball. Mir wurde klar, dass es nicht mal meine Kinder gewesen waren, sondern ich, die sie auf Hockey und Klavier gebracht hatte, vermutlich aus dem Impuls, ihnen etwas bieten zu können (oder zu müssen?), das ich selbst früher nicht gehabt hatte: mehr »Möglichkeiten«, vor allem aber wohl bürgerlichen Lifestyle. Als ich nachfragte, stellte sich heraus, dass ihnen Hockey und Klavier relativ egal waren, und so meldete ich sie kurzerhand von beidem ab. Danach konnten sie sich selbst Aktivitäten raussuchen, die in der Nähe stattfinden, wofür also keine Begleitung notwendig war.

Hockey ist wirklich ein wunderbarer Sport, trotzdem war der Ausstieg eine der besten Erziehungsentscheidungen ever. (Obwohl man so natürlich mehr aufs Zocken achten muss und obwohl die Kinder uns später natürlich vorwerfen werden, dass wir sie zu Hockey und Klavier hätten zwingen müssen.) Seither haben wir richtige Wochenenden und spürbare Zeit. Eben haben wir den Großen nach längerer Zeit mal wieder zu einem Fußballspiel gefahren, so entstand ganz ohne Algorithmen-Vorgabe auf Facebook diese Erinnerung. 

Das System Überförderung von Kindern und Eltern ist eine Art mentaler Fleischwolf, in den man voller Ambitionen freiwillig hineinspringt. Wenn man Glück hat, bemerkt man es, bevor man Matsch ist. Der Mutterfleischwolf ist natürlich auch gefährlich für manche Väter.

(Facebook, 2017)

Der Repost wurde angeregt durch einen Tweet von Judith Liere (Öffnet in neuem Fenster)

Etwas Neues: Re-Lektüre von Marlene Haushofers Die Wand 

Uff, es hätte kein passenderes Buch für mich zum jetzigen Zeitpunkt geben können, also für eine in bürgerlichen Verhältnissen lebende Frau und Mutter, deren Kinder während einer globalen Pandemie das Erwachsenenalter erreicht haben. Es war auch ein ambivalentes Vergnügen, mein Herz und mein Geist waren gleichermaßen auf zehrende und schöne Weise bis zum Platzen davon erfüllt. Weil Linearität nicht immer das passende Konzept ist, habe ich das Buch, mit dem ich die Re-Lektüre von Die Wand einordnen und bewältigen kann, schon davor geschrieben. Es ist das Hexenbuch (Öffnet in neuem Fenster), und seine Wirkungsschleifen mit Die Wand werde ich wiederum nutzen können, um das nächste Buch der Präraffaelitischen Girls, Umsehen lernen, zu schreiben. 

Vielleicht schreibe ich nächste Woche noch ein bisschen genauer auf, welche Gedanken Die Wand bei mir ausgelöst hat, ihr könnt auch gern sagen, ob ihr dazu mehr lesen wollt.

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

»There's magic in being seen by people who understand – it gives you permission to keep going. Self-expression sometimes requires other people. Becoming ourselves is a collective journey. « – Alok Vaid-Menon, Beyond the Gender-Binary (Öffnet in neuem Fenster), p. 25

(Bücher, aus denen in dieser Rubrik zitiert wird, sind zur Lektüre empfohlen.)

Etwas Uncooles: Bei der Frauenärztin 

Als ob es nicht schon das Unangenehmste vom nicht ganz Schlimmen ist, auf diesem furchtbaren Stuhl zu liegen, kam meine Frauenärztin heute, während ich untersucht wurde, aufs Thema Bundestagswahl zu sprechen und sagte gleich zur Eröffnung, dass sie leider Annalena Baerbock nicht wählen könnte. Ich erwiderte: »Ja, nun, ich bin auch nicht nur Fan, aber habe persönlich gar keine andere Wahl, weil ich die Linke, solange Wagenknecht dabei ist, nicht wählen werde.« (Ist natürlich immer etwas gewagt, in Gesprächen davon auszugehen, dass es Konsens ist, dass man keine andere als eine der beiden Parteien wählen könnte.) Im Folgenden stellte sich heraus, dass meine Frauenärztin Wagenknecht gar nicht so übel findet, weil – hier setzte komplette Panik bei mir ein: Bitte sag jetzt nichts Rassistisches, wir sind schließlich auch befreundet – ... die doch ganz vernünftige Sachen sagen würde, etwa übers Gendern. Okay, Panik wieder weg, es würde also nur ärgerlich werden, vielen Dank, konservative Feuilletons. Wurde es aber gar nicht, denn sie sagte an einem Punkt »Okay, ich war früher auch gegen Quoten ...«, und da unterbrach ich sie und sagte »Vertrau mir, ich erkläre dir das demnächst richtig, wenn ich mich in einer etwas würdevolleren Position befinde, danach siehst du das wie ich.« Und ich bin fest davon überzeugt, dass es mir gelingen wird, denn sie ist ja nicht ohne Grund meine Freundin. 

Es war also gar nicht »Etwas Uncooles«, sondern nur einer dieser wichtigen Momente, in denen man merkt, dass nicht alle die letzten zehn Jahre zur Twitterschule gegangen sind. Diese Differenz zu vermitteln, ist auch eine publizistische Verantwortung. (Auf Twitter sind ja meiner Einschätzung nach alle Publizist*innen, auch wenn sie darüber nicht nachdenken). Uncool ist, wenn man Leute eintütet, als wäre es deren Pflicht, exakt das gleiche Wissen zu haben wie man selbst. Es nervt zwar unfassbar, wenn einem die 128. Einzelperson die gleiche Frage stellt, aber gesellschaftliche Transformation ist halt einfach auch Arbeit. Dass man so oft gratis Gesellschafts-Care leistet, während anderswo Horrorclowns für ihre Ignoranzbolzerei bezahlt werden, zeigt wiederum, warum man sich das antut, antun muss: Die Welt ist zu unfair.

Rubrikloses

Gefährlicher Mix aus Deutsch und Englisch, wenn man Werbung schaltet, wo gescrollt wird.

What happened?

Als man noch mit dem Auto verreiste

Guerlica 

(Gibt es als Geschenk, wenn man ein Hexengedeck (Öffnet in neuem Fenster) aka Buch + Tasse bestellt.)

Zurück zu den Herrengedecken, wir sehen uns in einer Woche wieder.

– Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

FrauFrohmann

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